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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Ainerikawandernngen eines Deutschen

Mit seinem Verständnis hat Wilda erkannt, daß neben der Union nur
Mexiko, Chile, Brasilien und Argentinien nach menschlicher Berechnung eine
Rolle in der Weltgeschichte spielen werden, während die andern latino-ameri¬
kanischen Republiken infolge ihrer innern Verhältnisse in immer größere Ab¬
hängigkeit von ihren großen Nachbarn geraten dürften. Mit Recht hält er aber
Mexiko allein für zu schwach, trotz seinem genialen Präsidenten Porfirio Diaz
und seinen vorzüglichen Soldaten, als daß es einen Krieg mit den Vereinigten
Staaten wagen könnte, und in Südamerika eine Allianz zwischen Brasilien, Chile
und Argentinien, obgleich sie ein Gebot der Selbsterhaltung gegenüber den Be¬
strebungen der Union ist, für ausgeschlossen. Er zieht daraus die Folgerung,
daß sich die Vereinigten Staaten langsam, aber sicher den gesamten Kontinent
dienstbar machen würden, wenn Japan oder Europa nicht eingreifen.

Amerika sei der Kontinent, der unabhängig vom Menschenwitz den Pol des
ozeanischen Welthandels umschließe, und seiner Südhülfte würden die gewaltigen
Hilfsmittel ebenso einmal zu Gebote stehn wie der Nordhälfte. Zu einem politisch¬
wirtschaftlichen Ganzen vereinigt, würden sie die übrige Welt zum Besten der
Nordhülfte auf die Knie zwingen. Dies nicht zuzulassen, sei für Europa das
Gebot einfacher Selbsterhaltung. Wir müßten also einen Gegenpol schaffen,
dessen Anziehungskraft gleich stark sei. Nordamerika stehe Südamerika nicht
minder als fremde Individualität gegenüber wie Europa. Es laufe eben alles
nur auf die Machtfrage hinaus, und dies sei gegen die nordamerikanischen Ver¬
schleierungen, die unter der Firma "Amerika für die Amerikaner" die Welt
blufften, nackt und klar festzustellen.

Großbritannien müsse, wenn es sich nicht mit Deutschland verstündigen
wolle, alle andern Nationen je nachdem gewinnen oder unter sich verhetzen, um
bestehen zu können. Europa begreife kaum, daß Großbritannien eine anti¬
europäische Politik verfolgte, indem es Japan zur ostasiatischen Vorherrschaft
verhalf; es begreife erst recht nicht, daß nicht Großbritannien Europas Interessen
verfechte, sondern Deutschland. Für uns sei es gänzlich zwecklos, irgendeiner
Macht nachzulaufen. Auch ein einseitiges Bündnis mit den Vereinigten Staaten
würde sich an uns rächen, weil wir nicht aus unsrer Interessengruppe heraus
könnten. Eine ehrliche Freundschaft dagegen müßte schon der gesunde Menschen¬
verstand der Union so gut wie uns gebieten.

Diese Ansichten Wildas entsprechen im allgemeinen den Grundsätzen, die
auch die Grenzboten seit Jahren vertreten haben. Wenn er aber seine wirt¬
schaftlichen Beobachtungen in den latino-amerikanischen Republiken in die Worte
znsammenfcißt: "Überall herrscht kecke nordamerikanische Initiative und deutsches
überbedenkliches Zurückweichen", so muß gegen eine solche Behauptung energisch
Protestiert werden. Die Kapitalinteressen Deutschlands in Amerika sind gerade
in den letzten Jahren um Hunderte von Millionen gestiegen, haben sogar in
Ländern bedeutend zugenommen, die, wie Mexiko, unmittelbar dem nord-


Ainerikawandernngen eines Deutschen

Mit seinem Verständnis hat Wilda erkannt, daß neben der Union nur
Mexiko, Chile, Brasilien und Argentinien nach menschlicher Berechnung eine
Rolle in der Weltgeschichte spielen werden, während die andern latino-ameri¬
kanischen Republiken infolge ihrer innern Verhältnisse in immer größere Ab¬
hängigkeit von ihren großen Nachbarn geraten dürften. Mit Recht hält er aber
Mexiko allein für zu schwach, trotz seinem genialen Präsidenten Porfirio Diaz
und seinen vorzüglichen Soldaten, als daß es einen Krieg mit den Vereinigten
Staaten wagen könnte, und in Südamerika eine Allianz zwischen Brasilien, Chile
und Argentinien, obgleich sie ein Gebot der Selbsterhaltung gegenüber den Be¬
strebungen der Union ist, für ausgeschlossen. Er zieht daraus die Folgerung,
daß sich die Vereinigten Staaten langsam, aber sicher den gesamten Kontinent
dienstbar machen würden, wenn Japan oder Europa nicht eingreifen.

Amerika sei der Kontinent, der unabhängig vom Menschenwitz den Pol des
ozeanischen Welthandels umschließe, und seiner Südhülfte würden die gewaltigen
Hilfsmittel ebenso einmal zu Gebote stehn wie der Nordhälfte. Zu einem politisch¬
wirtschaftlichen Ganzen vereinigt, würden sie die übrige Welt zum Besten der
Nordhülfte auf die Knie zwingen. Dies nicht zuzulassen, sei für Europa das
Gebot einfacher Selbsterhaltung. Wir müßten also einen Gegenpol schaffen,
dessen Anziehungskraft gleich stark sei. Nordamerika stehe Südamerika nicht
minder als fremde Individualität gegenüber wie Europa. Es laufe eben alles
nur auf die Machtfrage hinaus, und dies sei gegen die nordamerikanischen Ver¬
schleierungen, die unter der Firma „Amerika für die Amerikaner" die Welt
blufften, nackt und klar festzustellen.

Großbritannien müsse, wenn es sich nicht mit Deutschland verstündigen
wolle, alle andern Nationen je nachdem gewinnen oder unter sich verhetzen, um
bestehen zu können. Europa begreife kaum, daß Großbritannien eine anti¬
europäische Politik verfolgte, indem es Japan zur ostasiatischen Vorherrschaft
verhalf; es begreife erst recht nicht, daß nicht Großbritannien Europas Interessen
verfechte, sondern Deutschland. Für uns sei es gänzlich zwecklos, irgendeiner
Macht nachzulaufen. Auch ein einseitiges Bündnis mit den Vereinigten Staaten
würde sich an uns rächen, weil wir nicht aus unsrer Interessengruppe heraus
könnten. Eine ehrliche Freundschaft dagegen müßte schon der gesunde Menschen¬
verstand der Union so gut wie uns gebieten.

Diese Ansichten Wildas entsprechen im allgemeinen den Grundsätzen, die
auch die Grenzboten seit Jahren vertreten haben. Wenn er aber seine wirt¬
schaftlichen Beobachtungen in den latino-amerikanischen Republiken in die Worte
znsammenfcißt: „Überall herrscht kecke nordamerikanische Initiative und deutsches
überbedenkliches Zurückweichen", so muß gegen eine solche Behauptung energisch
Protestiert werden. Die Kapitalinteressen Deutschlands in Amerika sind gerade
in den letzten Jahren um Hunderte von Millionen gestiegen, haben sogar in
Ländern bedeutend zugenommen, die, wie Mexiko, unmittelbar dem nord-


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[0073] Ainerikawandernngen eines Deutschen Mit seinem Verständnis hat Wilda erkannt, daß neben der Union nur Mexiko, Chile, Brasilien und Argentinien nach menschlicher Berechnung eine Rolle in der Weltgeschichte spielen werden, während die andern latino-ameri¬ kanischen Republiken infolge ihrer innern Verhältnisse in immer größere Ab¬ hängigkeit von ihren großen Nachbarn geraten dürften. Mit Recht hält er aber Mexiko allein für zu schwach, trotz seinem genialen Präsidenten Porfirio Diaz und seinen vorzüglichen Soldaten, als daß es einen Krieg mit den Vereinigten Staaten wagen könnte, und in Südamerika eine Allianz zwischen Brasilien, Chile und Argentinien, obgleich sie ein Gebot der Selbsterhaltung gegenüber den Be¬ strebungen der Union ist, für ausgeschlossen. Er zieht daraus die Folgerung, daß sich die Vereinigten Staaten langsam, aber sicher den gesamten Kontinent dienstbar machen würden, wenn Japan oder Europa nicht eingreifen. Amerika sei der Kontinent, der unabhängig vom Menschenwitz den Pol des ozeanischen Welthandels umschließe, und seiner Südhülfte würden die gewaltigen Hilfsmittel ebenso einmal zu Gebote stehn wie der Nordhälfte. Zu einem politisch¬ wirtschaftlichen Ganzen vereinigt, würden sie die übrige Welt zum Besten der Nordhülfte auf die Knie zwingen. Dies nicht zuzulassen, sei für Europa das Gebot einfacher Selbsterhaltung. Wir müßten also einen Gegenpol schaffen, dessen Anziehungskraft gleich stark sei. Nordamerika stehe Südamerika nicht minder als fremde Individualität gegenüber wie Europa. Es laufe eben alles nur auf die Machtfrage hinaus, und dies sei gegen die nordamerikanischen Ver¬ schleierungen, die unter der Firma „Amerika für die Amerikaner" die Welt blufften, nackt und klar festzustellen. Großbritannien müsse, wenn es sich nicht mit Deutschland verstündigen wolle, alle andern Nationen je nachdem gewinnen oder unter sich verhetzen, um bestehen zu können. Europa begreife kaum, daß Großbritannien eine anti¬ europäische Politik verfolgte, indem es Japan zur ostasiatischen Vorherrschaft verhalf; es begreife erst recht nicht, daß nicht Großbritannien Europas Interessen verfechte, sondern Deutschland. Für uns sei es gänzlich zwecklos, irgendeiner Macht nachzulaufen. Auch ein einseitiges Bündnis mit den Vereinigten Staaten würde sich an uns rächen, weil wir nicht aus unsrer Interessengruppe heraus könnten. Eine ehrliche Freundschaft dagegen müßte schon der gesunde Menschen¬ verstand der Union so gut wie uns gebieten. Diese Ansichten Wildas entsprechen im allgemeinen den Grundsätzen, die auch die Grenzboten seit Jahren vertreten haben. Wenn er aber seine wirt¬ schaftlichen Beobachtungen in den latino-amerikanischen Republiken in die Worte znsammenfcißt: „Überall herrscht kecke nordamerikanische Initiative und deutsches überbedenkliches Zurückweichen", so muß gegen eine solche Behauptung energisch Protestiert werden. Die Kapitalinteressen Deutschlands in Amerika sind gerade in den letzten Jahren um Hunderte von Millionen gestiegen, haben sogar in Ländern bedeutend zugenommen, die, wie Mexiko, unmittelbar dem nord-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/73>, abgerufen am 29.06.2024.