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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gibraltar

bleiben, oder würde ich aus dem Sattel geschnellt? Merkwürdig genug, trotz
dieser 2000 modernen Feuerschlünde und trotz der Tatsache, daß der Felsen in
seinem Innern Platz für 150000 Mann und Vorrat auf zwei Jahre hat,
während 6000 Mann genügen sollen, den Angriff einer Million zurückzuschlagen --
trotz all diesem will diese grimmige Vorstellung mir nicht so recht imponieren.
Während die Engländer in diesem Felsen gern einen ruhenden Löwen sehen
möchten, der an Europas südlichster Grenze Wache hält, den Blick auf Afrikas
wilde Horden geheftet, kann ich nicht einmal einen Hofhund aus ihm machen,
der eine Kohlenfirma bewacht; er erinnert mich bloß an einen Wiederkäuer,
schlecht und recht an einen Ochsen.

Im tiefsten Innern aber meint John Bull wohl auch nichts mit diesem
rührend schönen Vergleich von dem Löwen und den wilden Horden; er weiß sehr
wohl, daß die wirkliche Kultur Geschäftsgeist ist, und daß dieser sich recht gut
zu helfen weiß gegen alle wilden Horden des Südens und Ostens. Denn es
gehören drei Juden dazu, einen Griechen zu prellen, und drei Griechen, einen
Armenier zu prellen, sagt das Sprichwort; aber das Schicksal ganz Armeniens
findet in einer einzigen anglo-germanischen Tasche Platz.

Dagegen ist es seine aufrichtige Meinung, sich die Führerschaft in dieser
hohen Kultur zu wahren, und dazu braucht er eben den Felsen. Denn er
hat so gerechnet, daß im Falle einer Krise die Flotten der vereinigten Mächte
unter Gibraltar ankern, den kahlen Felsen bombardieren und sich von dessen
2000 Kanonen in Grund und Boden schießen lassen werden, während er selbst
in der ganzen übrigen Welt freie Hände hat. Wenn die andern nur auch so
schlau sind, diesen Einfall zu haben! Ein Engländer, mit dem ich ernstlich
diesen Fall erörterte, räumte denn auch ein, daß der Felsen noch mehr wert
gewesen, wenn er transportabel gewesen wäre, eine Art fliegender Batterie.

^ Aber auch so, wie er ist, verteidigt der Engländer ihn, zuweilen recht
weitschweifig, wie man ein Ding verteidigt, bei dem man sich selbst gefoppt
hat. Der Felsen, wie er nun daliegt, hat England weit über eine Milliarde
Mark gekostet, und seine Erhaltung kostet jährlich sechs Millionen Mark. Und
dabei gibt es noch ängstliche Engländer, die finden, er müsse, um seinem Zwecke
zu entsprechen, gründlich umkalfatert werden. Auch Spanien, das ohne Augen¬
zwinkern seine eignen Reichtumsquellen unbenutzt daliegen und von Fremden
nach Gutdünken ausbeuten läßt, ist hypnotisiert von diesem kahlen Felsen. Seit
es seine Kolonien verlören hat, hält es die Augen unverwandt auf Gibraltar
gerichtet, auf den Schlüssel, der eine mächtige Zukunft nach außen hin oder dem
innern Aufschwung eröffnen soll, nach dem das Land so sehr schmachtete ^ ?




Gibraltar

bleiben, oder würde ich aus dem Sattel geschnellt? Merkwürdig genug, trotz
dieser 2000 modernen Feuerschlünde und trotz der Tatsache, daß der Felsen in
seinem Innern Platz für 150000 Mann und Vorrat auf zwei Jahre hat,
während 6000 Mann genügen sollen, den Angriff einer Million zurückzuschlagen —
trotz all diesem will diese grimmige Vorstellung mir nicht so recht imponieren.
Während die Engländer in diesem Felsen gern einen ruhenden Löwen sehen
möchten, der an Europas südlichster Grenze Wache hält, den Blick auf Afrikas
wilde Horden geheftet, kann ich nicht einmal einen Hofhund aus ihm machen,
der eine Kohlenfirma bewacht; er erinnert mich bloß an einen Wiederkäuer,
schlecht und recht an einen Ochsen.

Im tiefsten Innern aber meint John Bull wohl auch nichts mit diesem
rührend schönen Vergleich von dem Löwen und den wilden Horden; er weiß sehr
wohl, daß die wirkliche Kultur Geschäftsgeist ist, und daß dieser sich recht gut
zu helfen weiß gegen alle wilden Horden des Südens und Ostens. Denn es
gehören drei Juden dazu, einen Griechen zu prellen, und drei Griechen, einen
Armenier zu prellen, sagt das Sprichwort; aber das Schicksal ganz Armeniens
findet in einer einzigen anglo-germanischen Tasche Platz.

Dagegen ist es seine aufrichtige Meinung, sich die Führerschaft in dieser
hohen Kultur zu wahren, und dazu braucht er eben den Felsen. Denn er
hat so gerechnet, daß im Falle einer Krise die Flotten der vereinigten Mächte
unter Gibraltar ankern, den kahlen Felsen bombardieren und sich von dessen
2000 Kanonen in Grund und Boden schießen lassen werden, während er selbst
in der ganzen übrigen Welt freie Hände hat. Wenn die andern nur auch so
schlau sind, diesen Einfall zu haben! Ein Engländer, mit dem ich ernstlich
diesen Fall erörterte, räumte denn auch ein, daß der Felsen noch mehr wert
gewesen, wenn er transportabel gewesen wäre, eine Art fliegender Batterie.

^ Aber auch so, wie er ist, verteidigt der Engländer ihn, zuweilen recht
weitschweifig, wie man ein Ding verteidigt, bei dem man sich selbst gefoppt
hat. Der Felsen, wie er nun daliegt, hat England weit über eine Milliarde
Mark gekostet, und seine Erhaltung kostet jährlich sechs Millionen Mark. Und
dabei gibt es noch ängstliche Engländer, die finden, er müsse, um seinem Zwecke
zu entsprechen, gründlich umkalfatert werden. Auch Spanien, das ohne Augen¬
zwinkern seine eignen Reichtumsquellen unbenutzt daliegen und von Fremden
nach Gutdünken ausbeuten läßt, ist hypnotisiert von diesem kahlen Felsen. Seit
es seine Kolonien verlören hat, hält es die Augen unverwandt auf Gibraltar
gerichtet, auf den Schlüssel, der eine mächtige Zukunft nach außen hin oder dem
innern Aufschwung eröffnen soll, nach dem das Land so sehr schmachtete ^ ?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/634>, abgerufen am 29.06.2024.