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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gibraltar

Tiefe gerade unter uns. Wir sehen die Schildwache an der spanischen Grenze
und näher unter uns die an der englischen Grenze und zwischen den beiden
Grenzen den weißen Kirchhof und den neutralen Gürtel. Es sieht aus, als
könnte man denen da unten gerade auf den Kopf spucken, so steil ist es. Die
Engländer haben ihren Teil der Landzunge bis ganz an die steile Wand heran
unterminiert; sie brauchen bloß auf einen Knopf zu drücken, so springt das
Ganze in die Luft, und das Meer nimmt seinen Platz ein -- die Götter mögen
wissen, zu welchem Zwecke.

Man wird so dankbar für die Sonne, selbst wenn sie ein wenig sengt, so
empfänglich, so froh über alles und jedes, wenn man erst wieder aus dem
Erdinnern auftaucht. Alles strahlt in verstärktem Glanz: die Landschaft, die
Bucht da unten mit ihren Hunderten von Schiffen und Booten. Ich sehe ihnen
bis auf das Deck hinab, sie erscheinen wie große Spielzeugschiffe, und die nackten
Neger sehn aus wie Tüpfchen Fliegenschmutz. Nun höre ich auch den Gesang
des Stahls und Eisens, für das ich in den letzten Tagen taub gewesen war,
es dringt zu mir empor wie ein langgezognes melodisches Zittern. Die Küsten¬
batterien liegen blendend weiß in der starken Sonne, und die Promenade streckt
sich mit ihrer langen Kanonenreihe am Fuße des Felsens hin. Und die Kanonen
selbst gleichen schwarzen Ameisen, die eben im Begriffe sind, quer über die
Promenade hinaus in die See zu krabbeln.

Die Promenadenstunde ist da, und ein breiter Strom bewegt sich da
draußen; ich unterscheide rote und blaue Sonnenschirme und silberbeschlagnes
Sattelzeug -- noble Gesellschaft! Aber die Dankbarkeit, kein Eingeweidewurm
geworden zu sein, sitzt noch in mir und macht mich demütig, und ich wende
meine Gedanken den Affen zu, die da oben auf dem Gipfel Hausen, und be¬
schließe ihnen einen Besuch abzustatten.

Es ist eine beschwerliche Tour, die durch einzelne Wachen, die um den
Felsen postiert stehn und Umstände machen, noch weiter erschwert wird. Aber
endlich dringe ich vor und setze mich rittlings auf den Rücken des Felsens. Von
Affen sehe ich nichts, die vergnügen sich wohl mit einer Promenade auf der dem
Mittelmeer zugekehrten lotrechten Felswand, und dahin kann ich ihnen mit meiner
beschränkten Anzahl von Händen leider nicht folgen. Ich muß mich also begnügen,
hier zu sitzen, meine Füße platt an die Klippe zu klemmen und hinauszustarren.

Da drüben liegt Afrika mit der zweiten Herkulessäule Ceuta, unter meinen
Füßen die Straße mit weißen Segeln und langen Rauchschweifen, das Mittel¬
meer und der Atlantische Ozean im Osten und Westen. Und im Norden Spanien
mit den farbenreichen nackten Bergen ich kann halb Andalusien sehn: von
Kap Tarifa über die Korkwälder ganz hinein nach Jerez, Rondas Felsplateau,
die Küstenstriche längs Malaga mit Huertas und Städten, Sierra Nevadas
Weiße Zinnen in 30 bis 40 Meilen Entfernung.

Es poltert hohl drinnen in der Felshöhlung, als litte die Bestie an Krämpfen.
Wenn sie nun ihre 2000 Kanonen auf einmal abfeuerte, könnte ich da sitzen


Gibraltar

Tiefe gerade unter uns. Wir sehen die Schildwache an der spanischen Grenze
und näher unter uns die an der englischen Grenze und zwischen den beiden
Grenzen den weißen Kirchhof und den neutralen Gürtel. Es sieht aus, als
könnte man denen da unten gerade auf den Kopf spucken, so steil ist es. Die
Engländer haben ihren Teil der Landzunge bis ganz an die steile Wand heran
unterminiert; sie brauchen bloß auf einen Knopf zu drücken, so springt das
Ganze in die Luft, und das Meer nimmt seinen Platz ein — die Götter mögen
wissen, zu welchem Zwecke.

Man wird so dankbar für die Sonne, selbst wenn sie ein wenig sengt, so
empfänglich, so froh über alles und jedes, wenn man erst wieder aus dem
Erdinnern auftaucht. Alles strahlt in verstärktem Glanz: die Landschaft, die
Bucht da unten mit ihren Hunderten von Schiffen und Booten. Ich sehe ihnen
bis auf das Deck hinab, sie erscheinen wie große Spielzeugschiffe, und die nackten
Neger sehn aus wie Tüpfchen Fliegenschmutz. Nun höre ich auch den Gesang
des Stahls und Eisens, für das ich in den letzten Tagen taub gewesen war,
es dringt zu mir empor wie ein langgezognes melodisches Zittern. Die Küsten¬
batterien liegen blendend weiß in der starken Sonne, und die Promenade streckt
sich mit ihrer langen Kanonenreihe am Fuße des Felsens hin. Und die Kanonen
selbst gleichen schwarzen Ameisen, die eben im Begriffe sind, quer über die
Promenade hinaus in die See zu krabbeln.

Die Promenadenstunde ist da, und ein breiter Strom bewegt sich da
draußen; ich unterscheide rote und blaue Sonnenschirme und silberbeschlagnes
Sattelzeug — noble Gesellschaft! Aber die Dankbarkeit, kein Eingeweidewurm
geworden zu sein, sitzt noch in mir und macht mich demütig, und ich wende
meine Gedanken den Affen zu, die da oben auf dem Gipfel Hausen, und be¬
schließe ihnen einen Besuch abzustatten.

Es ist eine beschwerliche Tour, die durch einzelne Wachen, die um den
Felsen postiert stehn und Umstände machen, noch weiter erschwert wird. Aber
endlich dringe ich vor und setze mich rittlings auf den Rücken des Felsens. Von
Affen sehe ich nichts, die vergnügen sich wohl mit einer Promenade auf der dem
Mittelmeer zugekehrten lotrechten Felswand, und dahin kann ich ihnen mit meiner
beschränkten Anzahl von Händen leider nicht folgen. Ich muß mich also begnügen,
hier zu sitzen, meine Füße platt an die Klippe zu klemmen und hinauszustarren.

Da drüben liegt Afrika mit der zweiten Herkulessäule Ceuta, unter meinen
Füßen die Straße mit weißen Segeln und langen Rauchschweifen, das Mittel¬
meer und der Atlantische Ozean im Osten und Westen. Und im Norden Spanien
mit den farbenreichen nackten Bergen ich kann halb Andalusien sehn: von
Kap Tarifa über die Korkwälder ganz hinein nach Jerez, Rondas Felsplateau,
die Küstenstriche längs Malaga mit Huertas und Städten, Sierra Nevadas
Weiße Zinnen in 30 bis 40 Meilen Entfernung.

Es poltert hohl drinnen in der Felshöhlung, als litte die Bestie an Krämpfen.
Wenn sie nun ihre 2000 Kanonen auf einmal abfeuerte, könnte ich da sitzen


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[0633] Gibraltar Tiefe gerade unter uns. Wir sehen die Schildwache an der spanischen Grenze und näher unter uns die an der englischen Grenze und zwischen den beiden Grenzen den weißen Kirchhof und den neutralen Gürtel. Es sieht aus, als könnte man denen da unten gerade auf den Kopf spucken, so steil ist es. Die Engländer haben ihren Teil der Landzunge bis ganz an die steile Wand heran unterminiert; sie brauchen bloß auf einen Knopf zu drücken, so springt das Ganze in die Luft, und das Meer nimmt seinen Platz ein — die Götter mögen wissen, zu welchem Zwecke. Man wird so dankbar für die Sonne, selbst wenn sie ein wenig sengt, so empfänglich, so froh über alles und jedes, wenn man erst wieder aus dem Erdinnern auftaucht. Alles strahlt in verstärktem Glanz: die Landschaft, die Bucht da unten mit ihren Hunderten von Schiffen und Booten. Ich sehe ihnen bis auf das Deck hinab, sie erscheinen wie große Spielzeugschiffe, und die nackten Neger sehn aus wie Tüpfchen Fliegenschmutz. Nun höre ich auch den Gesang des Stahls und Eisens, für das ich in den letzten Tagen taub gewesen war, es dringt zu mir empor wie ein langgezognes melodisches Zittern. Die Küsten¬ batterien liegen blendend weiß in der starken Sonne, und die Promenade streckt sich mit ihrer langen Kanonenreihe am Fuße des Felsens hin. Und die Kanonen selbst gleichen schwarzen Ameisen, die eben im Begriffe sind, quer über die Promenade hinaus in die See zu krabbeln. Die Promenadenstunde ist da, und ein breiter Strom bewegt sich da draußen; ich unterscheide rote und blaue Sonnenschirme und silberbeschlagnes Sattelzeug — noble Gesellschaft! Aber die Dankbarkeit, kein Eingeweidewurm geworden zu sein, sitzt noch in mir und macht mich demütig, und ich wende meine Gedanken den Affen zu, die da oben auf dem Gipfel Hausen, und be¬ schließe ihnen einen Besuch abzustatten. Es ist eine beschwerliche Tour, die durch einzelne Wachen, die um den Felsen postiert stehn und Umstände machen, noch weiter erschwert wird. Aber endlich dringe ich vor und setze mich rittlings auf den Rücken des Felsens. Von Affen sehe ich nichts, die vergnügen sich wohl mit einer Promenade auf der dem Mittelmeer zugekehrten lotrechten Felswand, und dahin kann ich ihnen mit meiner beschränkten Anzahl von Händen leider nicht folgen. Ich muß mich also begnügen, hier zu sitzen, meine Füße platt an die Klippe zu klemmen und hinauszustarren. Da drüben liegt Afrika mit der zweiten Herkulessäule Ceuta, unter meinen Füßen die Straße mit weißen Segeln und langen Rauchschweifen, das Mittel¬ meer und der Atlantische Ozean im Osten und Westen. Und im Norden Spanien mit den farbenreichen nackten Bergen ich kann halb Andalusien sehn: von Kap Tarifa über die Korkwälder ganz hinein nach Jerez, Rondas Felsplateau, die Küstenstriche längs Malaga mit Huertas und Städten, Sierra Nevadas Weiße Zinnen in 30 bis 40 Meilen Entfernung. Es poltert hohl drinnen in der Felshöhlung, als litte die Bestie an Krämpfen. Wenn sie nun ihre 2000 Kanonen auf einmal abfeuerte, könnte ich da sitzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/633>, abgerufen am 01.07.2024.