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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gibraltar

Der Andalusier ist durch sein überströmendes Temperament eine Quelle
unendlicher Überraschungen, für nordische Logik ist er eigentlich ein Rätsel.
Man kann eine einzeln hervortretende Linie festhalten und in seinem Verlangen
nach Konsequenz ihr folgen und sie kräftig weiterziehn, aber das Bild bleibt
einseitig. Und eine andre Linie würde wieder ein andres, wesentlich verschiednes
Bild ergeben.

Der Bergrücken herab über Loja-Antequera-Ronda birgt ein gut Teil
des überlieferten Spaniens. DaS Kolorit, das wir in ältern Reisebüchern
treffen, aber nicht ganz glaubhaft finden, tritt uns hier recht kräftig gegenüber,
wo der Bandolero -- heutzutage halb Schmuggler, halb Räuber -- noch immer
der Held der Dörfer ist und bei jedem Bauern ein Schlupfloch hat. Das
Stilettwerfen existiert noch, die jungen Männer üben sich auf den Olivenbüumen
vor dem Dorfe in der Kunst, den Dolch dem Gegner gerade ins Auge zu
schleudern; den treulosen Weibern Schutze der Liebhaber noch heute mit dem
Krummesser den Leib auf. All dieses besteht wirklich, und man hat ihm bloß
dadurch, daß man nicht auch andres verbreitete, eine zu große Tragweite
eingeräumt.

Ronda hat Bluttöne. Obgleich die Stadt nur etwa 30000 Einwohner
Zählt, gehören deren Stiergefechte zu den ersten in Spanien; wollte man den
Bergbewohnern hier eine Vorstellung zweiten Ranges bieten, so würden sie die
Arena niederreißen oder in Brand stecken. Die Gegend liefert ein großes
Kontingent zu den professionellen Fechtern, und jeder Mann und jede Fran ist
Amateur, atioiollgcko. Sie kennen die ganze Terminologie und alle Kunstgriffe,
und erblicken sie nur von weitem in der Landschaft ein Kälbchen, so ziehen sie
ein rotes Tuch hervor und winken. Es ist etwas in dem magern sehnigen
Bergbewohner, das an das Katzengeschlecht erinnert, und diese Ähnlichkeit drängt
sich am stärksten in den Bergen bei Ronda auf. Sein Gang ist rasch, lautlos,
er weiß nichts von Nervosität und ist doch lauter Nerven; er kann nie genug
Sonne haben und saugt sie selbst in der wärmsten Jahreszeit, ans eine brennend
heiße Unterlage ausgestreckt, mitten bei Tage ein; er ist wollüstig träge und
unermüdlich ausdauernd. Sein Blick, der gewöhnlich dem Auge des andern
ausweicht und einem doch unausgesetzt folgt, jede Bewegung wie im Halbschlafe
nachahmend, hat sekundenlang auch den akuten Ausdruck einer kraftvollen
Aggressive; er mißt Stand und Entfernung und bohrt sich zwingend in den
des Gegners ein, um ihn festzuhalten. Und dann dieser wollüstige Hang zur
Grausamkeit, der ganz Andalusien eigen ist und vielleicht daher rührt, daß
dieses Sonnenlnnd zu guter Letzt doch nicht genug Sonne hat für ein Volk, das
aus noch heißern Himmelsstrichen stammt! Zuweilen mag die Oberfläche von
einer undurchsichtigen Schicht Kulturschminkc bedeckt sein; hier aber liegt sie
bloß und fügt nur noch eine Nuance Rot in das Kolorit.

Es liegt etwas aufreizend Raubtierartiges in diesen starken, schlanken
Männern, die nicht gutmütig neugierig sind wie der Andalusier der Ebene,


Gibraltar

Der Andalusier ist durch sein überströmendes Temperament eine Quelle
unendlicher Überraschungen, für nordische Logik ist er eigentlich ein Rätsel.
Man kann eine einzeln hervortretende Linie festhalten und in seinem Verlangen
nach Konsequenz ihr folgen und sie kräftig weiterziehn, aber das Bild bleibt
einseitig. Und eine andre Linie würde wieder ein andres, wesentlich verschiednes
Bild ergeben.

Der Bergrücken herab über Loja-Antequera-Ronda birgt ein gut Teil
des überlieferten Spaniens. DaS Kolorit, das wir in ältern Reisebüchern
treffen, aber nicht ganz glaubhaft finden, tritt uns hier recht kräftig gegenüber,
wo der Bandolero — heutzutage halb Schmuggler, halb Räuber — noch immer
der Held der Dörfer ist und bei jedem Bauern ein Schlupfloch hat. Das
Stilettwerfen existiert noch, die jungen Männer üben sich auf den Olivenbüumen
vor dem Dorfe in der Kunst, den Dolch dem Gegner gerade ins Auge zu
schleudern; den treulosen Weibern Schutze der Liebhaber noch heute mit dem
Krummesser den Leib auf. All dieses besteht wirklich, und man hat ihm bloß
dadurch, daß man nicht auch andres verbreitete, eine zu große Tragweite
eingeräumt.

Ronda hat Bluttöne. Obgleich die Stadt nur etwa 30000 Einwohner
Zählt, gehören deren Stiergefechte zu den ersten in Spanien; wollte man den
Bergbewohnern hier eine Vorstellung zweiten Ranges bieten, so würden sie die
Arena niederreißen oder in Brand stecken. Die Gegend liefert ein großes
Kontingent zu den professionellen Fechtern, und jeder Mann und jede Fran ist
Amateur, atioiollgcko. Sie kennen die ganze Terminologie und alle Kunstgriffe,
und erblicken sie nur von weitem in der Landschaft ein Kälbchen, so ziehen sie
ein rotes Tuch hervor und winken. Es ist etwas in dem magern sehnigen
Bergbewohner, das an das Katzengeschlecht erinnert, und diese Ähnlichkeit drängt
sich am stärksten in den Bergen bei Ronda auf. Sein Gang ist rasch, lautlos,
er weiß nichts von Nervosität und ist doch lauter Nerven; er kann nie genug
Sonne haben und saugt sie selbst in der wärmsten Jahreszeit, ans eine brennend
heiße Unterlage ausgestreckt, mitten bei Tage ein; er ist wollüstig träge und
unermüdlich ausdauernd. Sein Blick, der gewöhnlich dem Auge des andern
ausweicht und einem doch unausgesetzt folgt, jede Bewegung wie im Halbschlafe
nachahmend, hat sekundenlang auch den akuten Ausdruck einer kraftvollen
Aggressive; er mißt Stand und Entfernung und bohrt sich zwingend in den
des Gegners ein, um ihn festzuhalten. Und dann dieser wollüstige Hang zur
Grausamkeit, der ganz Andalusien eigen ist und vielleicht daher rührt, daß
dieses Sonnenlnnd zu guter Letzt doch nicht genug Sonne hat für ein Volk, das
aus noch heißern Himmelsstrichen stammt! Zuweilen mag die Oberfläche von
einer undurchsichtigen Schicht Kulturschminkc bedeckt sein; hier aber liegt sie
bloß und fügt nur noch eine Nuance Rot in das Kolorit.

Es liegt etwas aufreizend Raubtierartiges in diesen starken, schlanken
Männern, die nicht gutmütig neugierig sind wie der Andalusier der Ebene,


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[0627] Gibraltar Der Andalusier ist durch sein überströmendes Temperament eine Quelle unendlicher Überraschungen, für nordische Logik ist er eigentlich ein Rätsel. Man kann eine einzeln hervortretende Linie festhalten und in seinem Verlangen nach Konsequenz ihr folgen und sie kräftig weiterziehn, aber das Bild bleibt einseitig. Und eine andre Linie würde wieder ein andres, wesentlich verschiednes Bild ergeben. Der Bergrücken herab über Loja-Antequera-Ronda birgt ein gut Teil des überlieferten Spaniens. DaS Kolorit, das wir in ältern Reisebüchern treffen, aber nicht ganz glaubhaft finden, tritt uns hier recht kräftig gegenüber, wo der Bandolero — heutzutage halb Schmuggler, halb Räuber — noch immer der Held der Dörfer ist und bei jedem Bauern ein Schlupfloch hat. Das Stilettwerfen existiert noch, die jungen Männer üben sich auf den Olivenbüumen vor dem Dorfe in der Kunst, den Dolch dem Gegner gerade ins Auge zu schleudern; den treulosen Weibern Schutze der Liebhaber noch heute mit dem Krummesser den Leib auf. All dieses besteht wirklich, und man hat ihm bloß dadurch, daß man nicht auch andres verbreitete, eine zu große Tragweite eingeräumt. Ronda hat Bluttöne. Obgleich die Stadt nur etwa 30000 Einwohner Zählt, gehören deren Stiergefechte zu den ersten in Spanien; wollte man den Bergbewohnern hier eine Vorstellung zweiten Ranges bieten, so würden sie die Arena niederreißen oder in Brand stecken. Die Gegend liefert ein großes Kontingent zu den professionellen Fechtern, und jeder Mann und jede Fran ist Amateur, atioiollgcko. Sie kennen die ganze Terminologie und alle Kunstgriffe, und erblicken sie nur von weitem in der Landschaft ein Kälbchen, so ziehen sie ein rotes Tuch hervor und winken. Es ist etwas in dem magern sehnigen Bergbewohner, das an das Katzengeschlecht erinnert, und diese Ähnlichkeit drängt sich am stärksten in den Bergen bei Ronda auf. Sein Gang ist rasch, lautlos, er weiß nichts von Nervosität und ist doch lauter Nerven; er kann nie genug Sonne haben und saugt sie selbst in der wärmsten Jahreszeit, ans eine brennend heiße Unterlage ausgestreckt, mitten bei Tage ein; er ist wollüstig träge und unermüdlich ausdauernd. Sein Blick, der gewöhnlich dem Auge des andern ausweicht und einem doch unausgesetzt folgt, jede Bewegung wie im Halbschlafe nachahmend, hat sekundenlang auch den akuten Ausdruck einer kraftvollen Aggressive; er mißt Stand und Entfernung und bohrt sich zwingend in den des Gegners ein, um ihn festzuhalten. Und dann dieser wollüstige Hang zur Grausamkeit, der ganz Andalusien eigen ist und vielleicht daher rührt, daß dieses Sonnenlnnd zu guter Letzt doch nicht genug Sonne hat für ein Volk, das aus noch heißern Himmelsstrichen stammt! Zuweilen mag die Oberfläche von einer undurchsichtigen Schicht Kulturschminkc bedeckt sein; hier aber liegt sie bloß und fügt nur noch eine Nuance Rot in das Kolorit. Es liegt etwas aufreizend Raubtierartiges in diesen starken, schlanken Männern, die nicht gutmütig neugierig sind wie der Andalusier der Ebene,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/627>, abgerufen am 24.07.2024.