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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gibraltar

Von der Promenade aus, die außen um die Stadt läuft, hat man ein
einzigstehendes Panorama. Bergauf und bergab laufen Olivenwälder und Wein¬
gärten, unterbrochen von Weizenfeldern und Orangenhainen oder von den nackten
korallenroten oder hyazinthenblauen Felsen. Und dieses Ganze umrahmend,
schließt ein Kranz mächtiger Berge den Horizont ein. Diesesmal hasten wir
weiter und empfangen nur eben einen flüchtigen Eindruck der Stadt, aber in
der Erinnerung erwacht in mir jede kleine Einzelheit meines Besuchs vor sechs
Jahren. Keine spanische Gegend und Bevölkerung hat so fremdartig auf mich
gewirkt wie diese.

Es war im August und September. Zu dieser Jahreszeit bietet jeder Obst¬
markt in Andalusien einen schönen und üppigen Anblick; Rondas Hallen aber
übertrifft sie alle an reicher Auswahl, um Duft und saftgespanntcn runden
Formen. Es war, als habe jede Fruchtsorte eine der Farben des Sonnen¬
spektrums in sich gezogen und gäbe sie nun noch blendender zurück -- so brach
es aus ihnen heraus in einem unbündigen Farbenjubel, der wie heißer Hauch
von Gold und Glut den Raum durchbebte. Und die Menschen dadrinnen
machten wunderliche Gebärden und schrien wie besessen, schrien, während sie
allein für sich gingen und arbeiteten. Klangvolle, kurze Rufe und hellgirrendes
Lachen kam aus ihren Kehlen, an Hirschschreie erinnernd; hier und dort hieb
einer sein Messer in das Holzwerk, daß es erzitterte. Sah er einen Blutstrahl
emporspringen, heißer rot als die Tomatenfrucht und der spanische Pfeffer?
Hörte er einen Angstschrei, gellender als das hitzige Gelb? Ich selbst bin ja
Nordländer, aber ich hätte es verstehn können, wenn alle diese Menschen ihre
Messer gezogen und sich einem malaiischen Amuklcmfen hingegeben Hütten,
ja ich Hütte selbst mitlaufen können. Denn die Farben schnürten mir die Kehle
zusammen, und mir wars, als müßte dies alles in einem Augenblick bersten
und mir seinen Saft in die Augen spritzen wie lebendiges Blut, so ungeheuer
war die Spannung.

Kann ein grauer, mehliger, regenkalter Nordländer überhaupt das andalusische
Temperament begreifen? Ich glaube es nicht. Er mag davon angesteckt, hin¬
gerissen werden, mag taumeln wie ein neugebornes Kalb und zuletzt hilflos
hinfallen; er mag den Sonnenstich bekommen und stumpfsinnig werden, aber
die Sonnenekstase kennt er nicht. Wie sollte er, der seine ganze Liebe in das
Herz verkapseln und sie da verschanzen muß gegen alle Mächte, die ja alle
seinem kleinen Eros feindlich sind und ihn ersticken wollen, in Federbetten und
dicken Mauern und doppelten Fenstern -- wie sollte er den großen Eros des
Südens verstehn können: die Sonnenbrunst, die da schwillt und strahlt in all
dem Erschaffnen und nicht bloß die Erotik der Menschen überströmt, sondern
ihr ganzes Sein und Wesen, sodaß wir aus der Bewegung eines kleinen
Fingers, aus Haltung und Ausdruck eines Kindes oder eines Greises dieselbe
angehäufte Spannung des Blutes lesen wie ans wahnwitzig verliebten Augen
daheim?


Gibraltar

Von der Promenade aus, die außen um die Stadt läuft, hat man ein
einzigstehendes Panorama. Bergauf und bergab laufen Olivenwälder und Wein¬
gärten, unterbrochen von Weizenfeldern und Orangenhainen oder von den nackten
korallenroten oder hyazinthenblauen Felsen. Und dieses Ganze umrahmend,
schließt ein Kranz mächtiger Berge den Horizont ein. Diesesmal hasten wir
weiter und empfangen nur eben einen flüchtigen Eindruck der Stadt, aber in
der Erinnerung erwacht in mir jede kleine Einzelheit meines Besuchs vor sechs
Jahren. Keine spanische Gegend und Bevölkerung hat so fremdartig auf mich
gewirkt wie diese.

Es war im August und September. Zu dieser Jahreszeit bietet jeder Obst¬
markt in Andalusien einen schönen und üppigen Anblick; Rondas Hallen aber
übertrifft sie alle an reicher Auswahl, um Duft und saftgespanntcn runden
Formen. Es war, als habe jede Fruchtsorte eine der Farben des Sonnen¬
spektrums in sich gezogen und gäbe sie nun noch blendender zurück — so brach
es aus ihnen heraus in einem unbündigen Farbenjubel, der wie heißer Hauch
von Gold und Glut den Raum durchbebte. Und die Menschen dadrinnen
machten wunderliche Gebärden und schrien wie besessen, schrien, während sie
allein für sich gingen und arbeiteten. Klangvolle, kurze Rufe und hellgirrendes
Lachen kam aus ihren Kehlen, an Hirschschreie erinnernd; hier und dort hieb
einer sein Messer in das Holzwerk, daß es erzitterte. Sah er einen Blutstrahl
emporspringen, heißer rot als die Tomatenfrucht und der spanische Pfeffer?
Hörte er einen Angstschrei, gellender als das hitzige Gelb? Ich selbst bin ja
Nordländer, aber ich hätte es verstehn können, wenn alle diese Menschen ihre
Messer gezogen und sich einem malaiischen Amuklcmfen hingegeben Hütten,
ja ich Hütte selbst mitlaufen können. Denn die Farben schnürten mir die Kehle
zusammen, und mir wars, als müßte dies alles in einem Augenblick bersten
und mir seinen Saft in die Augen spritzen wie lebendiges Blut, so ungeheuer
war die Spannung.

Kann ein grauer, mehliger, regenkalter Nordländer überhaupt das andalusische
Temperament begreifen? Ich glaube es nicht. Er mag davon angesteckt, hin¬
gerissen werden, mag taumeln wie ein neugebornes Kalb und zuletzt hilflos
hinfallen; er mag den Sonnenstich bekommen und stumpfsinnig werden, aber
die Sonnenekstase kennt er nicht. Wie sollte er, der seine ganze Liebe in das
Herz verkapseln und sie da verschanzen muß gegen alle Mächte, die ja alle
seinem kleinen Eros feindlich sind und ihn ersticken wollen, in Federbetten und
dicken Mauern und doppelten Fenstern — wie sollte er den großen Eros des
Südens verstehn können: die Sonnenbrunst, die da schwillt und strahlt in all
dem Erschaffnen und nicht bloß die Erotik der Menschen überströmt, sondern
ihr ganzes Sein und Wesen, sodaß wir aus der Bewegung eines kleinen
Fingers, aus Haltung und Ausdruck eines Kindes oder eines Greises dieselbe
angehäufte Spannung des Blutes lesen wie ans wahnwitzig verliebten Augen
daheim?


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[0626] Gibraltar Von der Promenade aus, die außen um die Stadt läuft, hat man ein einzigstehendes Panorama. Bergauf und bergab laufen Olivenwälder und Wein¬ gärten, unterbrochen von Weizenfeldern und Orangenhainen oder von den nackten korallenroten oder hyazinthenblauen Felsen. Und dieses Ganze umrahmend, schließt ein Kranz mächtiger Berge den Horizont ein. Diesesmal hasten wir weiter und empfangen nur eben einen flüchtigen Eindruck der Stadt, aber in der Erinnerung erwacht in mir jede kleine Einzelheit meines Besuchs vor sechs Jahren. Keine spanische Gegend und Bevölkerung hat so fremdartig auf mich gewirkt wie diese. Es war im August und September. Zu dieser Jahreszeit bietet jeder Obst¬ markt in Andalusien einen schönen und üppigen Anblick; Rondas Hallen aber übertrifft sie alle an reicher Auswahl, um Duft und saftgespanntcn runden Formen. Es war, als habe jede Fruchtsorte eine der Farben des Sonnen¬ spektrums in sich gezogen und gäbe sie nun noch blendender zurück — so brach es aus ihnen heraus in einem unbündigen Farbenjubel, der wie heißer Hauch von Gold und Glut den Raum durchbebte. Und die Menschen dadrinnen machten wunderliche Gebärden und schrien wie besessen, schrien, während sie allein für sich gingen und arbeiteten. Klangvolle, kurze Rufe und hellgirrendes Lachen kam aus ihren Kehlen, an Hirschschreie erinnernd; hier und dort hieb einer sein Messer in das Holzwerk, daß es erzitterte. Sah er einen Blutstrahl emporspringen, heißer rot als die Tomatenfrucht und der spanische Pfeffer? Hörte er einen Angstschrei, gellender als das hitzige Gelb? Ich selbst bin ja Nordländer, aber ich hätte es verstehn können, wenn alle diese Menschen ihre Messer gezogen und sich einem malaiischen Amuklcmfen hingegeben Hütten, ja ich Hütte selbst mitlaufen können. Denn die Farben schnürten mir die Kehle zusammen, und mir wars, als müßte dies alles in einem Augenblick bersten und mir seinen Saft in die Augen spritzen wie lebendiges Blut, so ungeheuer war die Spannung. Kann ein grauer, mehliger, regenkalter Nordländer überhaupt das andalusische Temperament begreifen? Ich glaube es nicht. Er mag davon angesteckt, hin¬ gerissen werden, mag taumeln wie ein neugebornes Kalb und zuletzt hilflos hinfallen; er mag den Sonnenstich bekommen und stumpfsinnig werden, aber die Sonnenekstase kennt er nicht. Wie sollte er, der seine ganze Liebe in das Herz verkapseln und sie da verschanzen muß gegen alle Mächte, die ja alle seinem kleinen Eros feindlich sind und ihn ersticken wollen, in Federbetten und dicken Mauern und doppelten Fenstern — wie sollte er den großen Eros des Südens verstehn können: die Sonnenbrunst, die da schwillt und strahlt in all dem Erschaffnen und nicht bloß die Erotik der Menschen überströmt, sondern ihr ganzes Sein und Wesen, sodaß wir aus der Bewegung eines kleinen Fingers, aus Haltung und Ausdruck eines Kindes oder eines Greises dieselbe angehäufte Spannung des Blutes lesen wie ans wahnwitzig verliebten Augen daheim?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/626>, abgerufen am 24.08.2024.