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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Elsaß-Lothringen als Bimdesstciat

kommt ein kleines Mädchen herbeigetrippelt, ^d, dovjour, WA (ZQsrs xstite!
Dovno vit.6 la. in^in! Lauunönt t'apxÄlös-tu? Das Kind macht ein höchst
dummes Gesicht und schaut den unheimlichen Gast mit ängstlichem Staunen an.
Der Vater entschuldigt sie, sie verstehe den Onkel nicht. "Ja, wie sprecht ihr
denn mit euerm Kind?" "El, deutsch." Darob unbeschreibliche Verwunderung
als über etwas noch nie Dagewesenes. Seinen Bekannten erzählt dann der
Betreffende den Verrat seines alten Schulfreundes am "Elsässertum": er hätte
nicht von ihm gedacht, daß er sich dermaßen zum "Schowinisten" entwickeln
würde. Und dann die Schmach, die so ein "Schowinist" seinen sämtlichen Ver¬
wandten arent! Wie müssen sie sich vor all ihren Bekannten der ungebildeten
Nichten und Neffen schämen! Mit dem eignen Kind nicht französisch reden, wenn
man es von der höhern Schule her doch einigermaßen kann! -- da müsse etwas
im Kopf nicht richtig sein."

Man ist zunächst geneigt, dies Gebaren für Kinderei zu halten, und die
Altdeutschen fassen es auch so auf. "Allein diese Kinderkrankheit ist nachgerade
chronisch geworden, sie steckt an und hat sich weit ausgebreitet; ja viele Alt¬
deutsche finden an dieser Kinderei Gefallen und führen sie in ihre Familie ein,
besonders wenn sie elsässische Frauen haben; sie wetteifern dann sogar mit den
altelsässischen Verwandten der Frau, schon um nicht als "Schwabe" mißliebig
aufzufallen."

Aus der Darstellung ersieht man, daß es sich dabei nicht etwa um die
lediglich irrige Meinung handelt, als stecke in der Zweisprachigkeit ein höherer
Bildungswert; nein, der wahre Beweggrund für die Bevorzugung der französischen
Sprache ist der Protest, ausgehend von den höhern Gesellschaftskreisen, daß
nicht sie es sind, die das Land regieren, sondern die eingewanderten Deutsche!?.
"Elsaß den Elsässern" ist ihr Schlagwort. Man will Elscisser, Lothringer sein und
nur dies, kein Deutscher! Unter französischer Herrschaft konnten solche Sondergelüste
nicht auftauchen, da gab es nur eine Staatseinheit; aber das Deutsche Reich ist
ja gegliedert. "Fordern wir daher, daß das Reichsland zu einem selbständigen
Bundesstaat erhoben werde. Der Protest allein nützt nichts. Wir müssen unsre
Ziele auf klügeren Wege erreichen, im stillen im bisherigen Sinne weiter arbeiten
und den "Deutschen" ein x für ein u vormachen; wenn wir einmal unter uns
sind, werden wir uns dann schon nach eignen Grundsätzen einzurichten wissen."

Ein andrer Altelsässer, Storck, sagt in einer Schrift*): "An dem Tage, wo
das Wort "Elsaß den Elsässern" als leitender Grundsatz unsrer Verwaltung
aufgestellt wird, ist dem Deutschtum im Reichsland das Todesurteil gesprochen."
Spieser nennt die seiner Landsleute, die in der Aneignung der französischen
Sprache die höchste Bildung sehn, "Bildungsschwindler", und seine Anhänger
bekräftigen ihm das Treffende dieses Ausdrucks. "Bildungsschwindel sei das
rechte Wort, mit dem das deutschfeindliche Treiben benannt werden muß; denn



Storch Nationale Not im Elsaß, Berlin 1901, Verlag HeiMann. Preis 60 Pfennige.
Elsaß-Lothringen als Bimdesstciat

kommt ein kleines Mädchen herbeigetrippelt, ^d, dovjour, WA (ZQsrs xstite!
Dovno vit.6 la. in^in! Lauunönt t'apxÄlös-tu? Das Kind macht ein höchst
dummes Gesicht und schaut den unheimlichen Gast mit ängstlichem Staunen an.
Der Vater entschuldigt sie, sie verstehe den Onkel nicht. »Ja, wie sprecht ihr
denn mit euerm Kind?« »El, deutsch.« Darob unbeschreibliche Verwunderung
als über etwas noch nie Dagewesenes. Seinen Bekannten erzählt dann der
Betreffende den Verrat seines alten Schulfreundes am »Elsässertum«: er hätte
nicht von ihm gedacht, daß er sich dermaßen zum »Schowinisten« entwickeln
würde. Und dann die Schmach, die so ein »Schowinist« seinen sämtlichen Ver¬
wandten arent! Wie müssen sie sich vor all ihren Bekannten der ungebildeten
Nichten und Neffen schämen! Mit dem eignen Kind nicht französisch reden, wenn
man es von der höhern Schule her doch einigermaßen kann! — da müsse etwas
im Kopf nicht richtig sein."

Man ist zunächst geneigt, dies Gebaren für Kinderei zu halten, und die
Altdeutschen fassen es auch so auf. „Allein diese Kinderkrankheit ist nachgerade
chronisch geworden, sie steckt an und hat sich weit ausgebreitet; ja viele Alt¬
deutsche finden an dieser Kinderei Gefallen und führen sie in ihre Familie ein,
besonders wenn sie elsässische Frauen haben; sie wetteifern dann sogar mit den
altelsässischen Verwandten der Frau, schon um nicht als »Schwabe« mißliebig
aufzufallen."

Aus der Darstellung ersieht man, daß es sich dabei nicht etwa um die
lediglich irrige Meinung handelt, als stecke in der Zweisprachigkeit ein höherer
Bildungswert; nein, der wahre Beweggrund für die Bevorzugung der französischen
Sprache ist der Protest, ausgehend von den höhern Gesellschaftskreisen, daß
nicht sie es sind, die das Land regieren, sondern die eingewanderten Deutsche!?.
„Elsaß den Elsässern" ist ihr Schlagwort. Man will Elscisser, Lothringer sein und
nur dies, kein Deutscher! Unter französischer Herrschaft konnten solche Sondergelüste
nicht auftauchen, da gab es nur eine Staatseinheit; aber das Deutsche Reich ist
ja gegliedert. „Fordern wir daher, daß das Reichsland zu einem selbständigen
Bundesstaat erhoben werde. Der Protest allein nützt nichts. Wir müssen unsre
Ziele auf klügeren Wege erreichen, im stillen im bisherigen Sinne weiter arbeiten
und den »Deutschen« ein x für ein u vormachen; wenn wir einmal unter uns
sind, werden wir uns dann schon nach eignen Grundsätzen einzurichten wissen."

Ein andrer Altelsässer, Storck, sagt in einer Schrift*): „An dem Tage, wo
das Wort »Elsaß den Elsässern« als leitender Grundsatz unsrer Verwaltung
aufgestellt wird, ist dem Deutschtum im Reichsland das Todesurteil gesprochen."
Spieser nennt die seiner Landsleute, die in der Aneignung der französischen
Sprache die höchste Bildung sehn, „Bildungsschwindler", und seine Anhänger
bekräftigen ihm das Treffende dieses Ausdrucks. „Bildungsschwindel sei das
rechte Wort, mit dem das deutschfeindliche Treiben benannt werden muß; denn



Storch Nationale Not im Elsaß, Berlin 1901, Verlag HeiMann. Preis 60 Pfennige.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/611>, abgerufen am 04.07.2024.