Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vstafrikanische Eisenbahnpolitik

die Konkurrenten dieses Mittels bedienen, und die Engländer sind darin er¬
fahrungsgemäß weniger schwerfällig als wir.

Der Entschluß der Regierung, zuerst die Zentralbahn zu bauen, ist um so
unbegreiflicher, als dies den wohlbegründeten Ansichten fast aller langjährigen
Kenner der Verhältnisse direkt zuwiderläuft. Es sollte dem Staatssekretär
denn doch zu denken geben, daß zum Beispiel Hauptmann A. Forel, der jahre¬
lang auf den verschiednen Stationen der künftigen Zentralbahn tätig war und
die Verhältnisse wie wenige kennt, von dem man also meinen sollte, er sei für
seine Zentralbahn eingenommen, im Gegenteil gegen die Zentralbahn und für die
Südbahn eintritt. Wenn Dernburg die wirtschaftlichen Rücksichten, die er doch
immer so sehr betont, und durch die er die öffentliche Meinung für die Kolonien
gewonnen hat, jetzt plötzlich beiseite schiebt und die Zentralbahn aus militärischen
Gründen für dringend und notwendig erklärt, so wird er dadurch die wirklichen
Kenner kaum überzeugen. Wenn irgendwo Aufstandsgefahr vorliegt, dann
sicher nicht in Unyamwesi. dessen Bewohner viel zu betriebsam sind und unsre
Macht als die "Sachsengänger" Ostafrikas viel zu genau kennen, als daß sie
wagen würden, gegen uns aufzustehn. Und Ussukuma, Ruanda usw. wird viel
schneller durch die Nordbahn gesichert. Die militärischen Gründe würden viel
mehr für die Südbahn sprechen, in deren Gebiet der letzte Aufstand getobt hat,
und wo damals das Fehlen einer Bahn sehr unangenehm empfunden wurde. Die
Eingebornen an der Zentralbahn haben sich damals ganz ruhig verhalten.
Also mit dem Grauligmachen ist es nichts. Der Reichstag wird hoffentlich
seine Pflicht tun und sich die neuste Eisenbahnvorlage recht genau ansehn.

Im Süden droht, wie gesagt, unmittelbar die Gefahr der Über-
flüglung durch die Konkurrenz. Wenn für dieses Jahr der Weiterbau der
Zentralbahn bis Kilossa oder Mpapua bewilligt wird, so genügt dies im Augen¬
blick. Im übrigen würde sich der Reichstag ein Verdienst und den Dank fast aller
Afrikaner erwerben, wenn er den Anstoß zur unverzüglichen Inangriffnahme der
Südbahn und zum Weiterbau der Nordbahn geben würde. Beide Bahnen sind
ja schon zum Teil trassiert. Bis zum Herbst oder bis zum nächsten Frühjahr kann
man sich dann über die Richtung und das Tempo der weitern Fortführung
der Zentralbahn schlüssig werden. Denn daß sie weitergeführt wird, dagegen
wendet kein Mensch mehr etwas ein, nur darf die am wenigsten aussichtsvolle
unsrer Jnlandbahnen die andern dringendem Verkehrslinien nicht irgendwie
beeinträchtigen. Denn auch in unsern Kolonien, wenn sie Gemeingut des
deutschen Volkes und nicht der Tummelplatz von Interessengruppen werden
sollen, muß der Grundsatz gelten: Jedem das Seine!




Vstafrikanische Eisenbahnpolitik

die Konkurrenten dieses Mittels bedienen, und die Engländer sind darin er¬
fahrungsgemäß weniger schwerfällig als wir.

Der Entschluß der Regierung, zuerst die Zentralbahn zu bauen, ist um so
unbegreiflicher, als dies den wohlbegründeten Ansichten fast aller langjährigen
Kenner der Verhältnisse direkt zuwiderläuft. Es sollte dem Staatssekretär
denn doch zu denken geben, daß zum Beispiel Hauptmann A. Forel, der jahre¬
lang auf den verschiednen Stationen der künftigen Zentralbahn tätig war und
die Verhältnisse wie wenige kennt, von dem man also meinen sollte, er sei für
seine Zentralbahn eingenommen, im Gegenteil gegen die Zentralbahn und für die
Südbahn eintritt. Wenn Dernburg die wirtschaftlichen Rücksichten, die er doch
immer so sehr betont, und durch die er die öffentliche Meinung für die Kolonien
gewonnen hat, jetzt plötzlich beiseite schiebt und die Zentralbahn aus militärischen
Gründen für dringend und notwendig erklärt, so wird er dadurch die wirklichen
Kenner kaum überzeugen. Wenn irgendwo Aufstandsgefahr vorliegt, dann
sicher nicht in Unyamwesi. dessen Bewohner viel zu betriebsam sind und unsre
Macht als die „Sachsengänger" Ostafrikas viel zu genau kennen, als daß sie
wagen würden, gegen uns aufzustehn. Und Ussukuma, Ruanda usw. wird viel
schneller durch die Nordbahn gesichert. Die militärischen Gründe würden viel
mehr für die Südbahn sprechen, in deren Gebiet der letzte Aufstand getobt hat,
und wo damals das Fehlen einer Bahn sehr unangenehm empfunden wurde. Die
Eingebornen an der Zentralbahn haben sich damals ganz ruhig verhalten.
Also mit dem Grauligmachen ist es nichts. Der Reichstag wird hoffentlich
seine Pflicht tun und sich die neuste Eisenbahnvorlage recht genau ansehn.

Im Süden droht, wie gesagt, unmittelbar die Gefahr der Über-
flüglung durch die Konkurrenz. Wenn für dieses Jahr der Weiterbau der
Zentralbahn bis Kilossa oder Mpapua bewilligt wird, so genügt dies im Augen¬
blick. Im übrigen würde sich der Reichstag ein Verdienst und den Dank fast aller
Afrikaner erwerben, wenn er den Anstoß zur unverzüglichen Inangriffnahme der
Südbahn und zum Weiterbau der Nordbahn geben würde. Beide Bahnen sind
ja schon zum Teil trassiert. Bis zum Herbst oder bis zum nächsten Frühjahr kann
man sich dann über die Richtung und das Tempo der weitern Fortführung
der Zentralbahn schlüssig werden. Denn daß sie weitergeführt wird, dagegen
wendet kein Mensch mehr etwas ein, nur darf die am wenigsten aussichtsvolle
unsrer Jnlandbahnen die andern dringendem Verkehrslinien nicht irgendwie
beeinträchtigen. Denn auch in unsern Kolonien, wenn sie Gemeingut des
deutschen Volkes und nicht der Tummelplatz von Interessengruppen werden
sollen, muß der Grundsatz gelten: Jedem das Seine!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311692"/>
          <fw type="header" place="top"> Vstafrikanische Eisenbahnpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2860" prev="#ID_2859"> die Konkurrenten dieses Mittels bedienen, und die Engländer sind darin er¬<lb/>
fahrungsgemäß weniger schwerfällig als wir.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2861"> Der Entschluß der Regierung, zuerst die Zentralbahn zu bauen, ist um so<lb/>
unbegreiflicher, als dies den wohlbegründeten Ansichten fast aller langjährigen<lb/>
Kenner der Verhältnisse direkt zuwiderläuft. Es sollte dem Staatssekretär<lb/>
denn doch zu denken geben, daß zum Beispiel Hauptmann A. Forel, der jahre¬<lb/>
lang auf den verschiednen Stationen der künftigen Zentralbahn tätig war und<lb/>
die Verhältnisse wie wenige kennt, von dem man also meinen sollte, er sei für<lb/>
seine Zentralbahn eingenommen, im Gegenteil gegen die Zentralbahn und für die<lb/>
Südbahn eintritt. Wenn Dernburg die wirtschaftlichen Rücksichten, die er doch<lb/>
immer so sehr betont, und durch die er die öffentliche Meinung für die Kolonien<lb/>
gewonnen hat, jetzt plötzlich beiseite schiebt und die Zentralbahn aus militärischen<lb/>
Gründen für dringend und notwendig erklärt, so wird er dadurch die wirklichen<lb/>
Kenner kaum überzeugen. Wenn irgendwo Aufstandsgefahr vorliegt, dann<lb/>
sicher nicht in Unyamwesi. dessen Bewohner viel zu betriebsam sind und unsre<lb/>
Macht als die &#x201E;Sachsengänger" Ostafrikas viel zu genau kennen, als daß sie<lb/>
wagen würden, gegen uns aufzustehn. Und Ussukuma, Ruanda usw. wird viel<lb/>
schneller durch die Nordbahn gesichert. Die militärischen Gründe würden viel<lb/>
mehr für die Südbahn sprechen, in deren Gebiet der letzte Aufstand getobt hat,<lb/>
und wo damals das Fehlen einer Bahn sehr unangenehm empfunden wurde. Die<lb/>
Eingebornen an der Zentralbahn haben sich damals ganz ruhig verhalten.<lb/>
Also mit dem Grauligmachen ist es nichts. Der Reichstag wird hoffentlich<lb/>
seine Pflicht tun und sich die neuste Eisenbahnvorlage recht genau ansehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2862"> Im Süden droht, wie gesagt, unmittelbar die Gefahr der Über-<lb/>
flüglung durch die Konkurrenz. Wenn für dieses Jahr der Weiterbau der<lb/>
Zentralbahn bis Kilossa oder Mpapua bewilligt wird, so genügt dies im Augen¬<lb/>
blick. Im übrigen würde sich der Reichstag ein Verdienst und den Dank fast aller<lb/>
Afrikaner erwerben, wenn er den Anstoß zur unverzüglichen Inangriffnahme der<lb/>
Südbahn und zum Weiterbau der Nordbahn geben würde. Beide Bahnen sind<lb/>
ja schon zum Teil trassiert. Bis zum Herbst oder bis zum nächsten Frühjahr kann<lb/>
man sich dann über die Richtung und das Tempo der weitern Fortführung<lb/>
der Zentralbahn schlüssig werden. Denn daß sie weitergeführt wird, dagegen<lb/>
wendet kein Mensch mehr etwas ein, nur darf die am wenigsten aussichtsvolle<lb/>
unsrer Jnlandbahnen die andern dringendem Verkehrslinien nicht irgendwie<lb/>
beeinträchtigen. Denn auch in unsern Kolonien, wenn sie Gemeingut des<lb/>
deutschen Volkes und nicht der Tummelplatz von Interessengruppen werden<lb/>
sollen, muß der Grundsatz gelten: Jedem das Seine!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] Vstafrikanische Eisenbahnpolitik die Konkurrenten dieses Mittels bedienen, und die Engländer sind darin er¬ fahrungsgemäß weniger schwerfällig als wir. Der Entschluß der Regierung, zuerst die Zentralbahn zu bauen, ist um so unbegreiflicher, als dies den wohlbegründeten Ansichten fast aller langjährigen Kenner der Verhältnisse direkt zuwiderläuft. Es sollte dem Staatssekretär denn doch zu denken geben, daß zum Beispiel Hauptmann A. Forel, der jahre¬ lang auf den verschiednen Stationen der künftigen Zentralbahn tätig war und die Verhältnisse wie wenige kennt, von dem man also meinen sollte, er sei für seine Zentralbahn eingenommen, im Gegenteil gegen die Zentralbahn und für die Südbahn eintritt. Wenn Dernburg die wirtschaftlichen Rücksichten, die er doch immer so sehr betont, und durch die er die öffentliche Meinung für die Kolonien gewonnen hat, jetzt plötzlich beiseite schiebt und die Zentralbahn aus militärischen Gründen für dringend und notwendig erklärt, so wird er dadurch die wirklichen Kenner kaum überzeugen. Wenn irgendwo Aufstandsgefahr vorliegt, dann sicher nicht in Unyamwesi. dessen Bewohner viel zu betriebsam sind und unsre Macht als die „Sachsengänger" Ostafrikas viel zu genau kennen, als daß sie wagen würden, gegen uns aufzustehn. Und Ussukuma, Ruanda usw. wird viel schneller durch die Nordbahn gesichert. Die militärischen Gründe würden viel mehr für die Südbahn sprechen, in deren Gebiet der letzte Aufstand getobt hat, und wo damals das Fehlen einer Bahn sehr unangenehm empfunden wurde. Die Eingebornen an der Zentralbahn haben sich damals ganz ruhig verhalten. Also mit dem Grauligmachen ist es nichts. Der Reichstag wird hoffentlich seine Pflicht tun und sich die neuste Eisenbahnvorlage recht genau ansehn. Im Süden droht, wie gesagt, unmittelbar die Gefahr der Über- flüglung durch die Konkurrenz. Wenn für dieses Jahr der Weiterbau der Zentralbahn bis Kilossa oder Mpapua bewilligt wird, so genügt dies im Augen¬ blick. Im übrigen würde sich der Reichstag ein Verdienst und den Dank fast aller Afrikaner erwerben, wenn er den Anstoß zur unverzüglichen Inangriffnahme der Südbahn und zum Weiterbau der Nordbahn geben würde. Beide Bahnen sind ja schon zum Teil trassiert. Bis zum Herbst oder bis zum nächsten Frühjahr kann man sich dann über die Richtung und das Tempo der weitern Fortführung der Zentralbahn schlüssig werden. Denn daß sie weitergeführt wird, dagegen wendet kein Mensch mehr etwas ein, nur darf die am wenigsten aussichtsvolle unsrer Jnlandbahnen die andern dringendem Verkehrslinien nicht irgendwie beeinträchtigen. Denn auch in unsern Kolonien, wenn sie Gemeingut des deutschen Volkes und nicht der Tummelplatz von Interessengruppen werden sollen, muß der Grundsatz gelten: Jedem das Seine!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/609>, abgerufen am 04.07.2024.