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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Kirche und Staat in Frankreich

versperrten ihnen die öffentlichen Ämter und erschwerten ihnen den Erwerb.
Immerhin blieben diese Bedrängungen Willkürakte einzelner Behörden, während
die Regierung die Bestimmungen des Edikts loyal beobachtete -- bis Ludwig
der Vierzehnte die Zügel der Regierung selbst in die Hand nahm. In seinen
Memoiren hat er bekannt, daß er vom ersten Anfang seiner Regierung an
zwar entschlossen gewesen sei, ihnen das nicht zu entziehen, was ihnen seine
Vorgänger bewilligt Hütten, aber auch nichts darüber zu gewähren, und die
Ausführung des Edikts so eng zu begrenzen, als es die Gerechtigkeit und der
Anstand (1" vionssanes) irgend gestatteten, "und das aus Güte, nicht aus
Übelwollen (aiArsur)". Desdevises macht bei dieser und bei einer andern Ge¬
legenheit die Bemerkung, der katholische Fanatismus entspringe aus Nächsten¬
liebe. Das ist richtig, und ich habe schon oft hervorgehoben, daß die Nächsten¬
liebe gerade in ihrer höchsten und edelsten Form, als Seelenliebe, unvermeidlich
in Fanatismus ausarten müsse, wenn sich damit die beiden Dogmen von der
Ewigkeit der Höllenstrafen und daß zur Seligkeit ein bestimmtes Glaubens¬
bekenntnis notwendig sei, verbinden. Sobald aber einmal der Wahn eingerissen ist,
man müsse aus Liebe zu den Seelen die Leiber verbrennen, gewinnen natürlich die
sich sofort massenhaft einmischenden bösen Leidenschaften: Grausamkeit, Habsucht,
Privatfeindschaften, Rechthaberei die Oberhand über die Nächstenliebe. Die auf¬
gelöste Kompagnie wurde durch die Assemblee, die Jahresversammlung des hohen
Klerus, ersetzt, die den König fortwährend mit Klagen über die Ketzerei und
mit Forderungen bestürmte und ihn zu Maßregeln gegen sie drängte. So er¬
schien denn ein böses Gesetz nach dem andern, bis endlich der König seine
Äewissensbedenken überwand (mit Hilfe einer aus zwei Theologen und zwei
Juristen bestehenden Kommission, die er für diesen Zweck einsetzte) und das
Edikt von Nantes im Jahre 1685 förmlich aufhob. Die furchtbarsten Be¬
drängnisse der Hugenotten waren der Aufhebung schon vorhergegangen, und
abscheuliche Grausamkeiten folgten ihr; Desdevises erzählt die Dragonaden,
die Austreibungen ausführlich; die Prediger wurden wie wilde Tiere gehetzt.
Aus kühnen Rebellen waren geduldige Märtyrer geworden: geduldig wie ein
Hugenott war damals eine sprichwörtliche Redensart. Wer die Soldateska
des siebzehnten Jahrhunderts kennt, der weiß schon, was für Szenen sich er¬
eignet haben müssen, wenn Louvois den Armeebefehl erließ: "Seine Majestät
will, daß^ man die Widerstrebenden die äußerste Härte fühlen lasse und:
an'on laisse 1o8 soläats vivrv loir lidreilient." Die Maintenon, schreibt
Desdevises, habe nur mittelbar zur Aufhebung des Edikts beigetragen, indem
sie den König bigott machte; die Bigotterie hat diesen bekanntlich zu dein
Wahne verleitet, er könne durch Ausrottung der Ketzerei seine Ausschweifungen
sühnen. Die verübten^Grausamkeiten habe die Freundin seines Alters nicht
gebilligt. (Döllinger^sagt das Gegenteil; nur daß die zwangsweise bekehrten,
im Herzen aber Protestanten gebliebner auch noch zum "sakrilegischen"
Sakramentenempfang gezwungen wurden, war ihr zu viel. Allerdings habe


Kirche und Staat in Frankreich

versperrten ihnen die öffentlichen Ämter und erschwerten ihnen den Erwerb.
Immerhin blieben diese Bedrängungen Willkürakte einzelner Behörden, während
die Regierung die Bestimmungen des Edikts loyal beobachtete — bis Ludwig
der Vierzehnte die Zügel der Regierung selbst in die Hand nahm. In seinen
Memoiren hat er bekannt, daß er vom ersten Anfang seiner Regierung an
zwar entschlossen gewesen sei, ihnen das nicht zu entziehen, was ihnen seine
Vorgänger bewilligt Hütten, aber auch nichts darüber zu gewähren, und die
Ausführung des Edikts so eng zu begrenzen, als es die Gerechtigkeit und der
Anstand (1» vionssanes) irgend gestatteten, „und das aus Güte, nicht aus
Übelwollen (aiArsur)". Desdevises macht bei dieser und bei einer andern Ge¬
legenheit die Bemerkung, der katholische Fanatismus entspringe aus Nächsten¬
liebe. Das ist richtig, und ich habe schon oft hervorgehoben, daß die Nächsten¬
liebe gerade in ihrer höchsten und edelsten Form, als Seelenliebe, unvermeidlich
in Fanatismus ausarten müsse, wenn sich damit die beiden Dogmen von der
Ewigkeit der Höllenstrafen und daß zur Seligkeit ein bestimmtes Glaubens¬
bekenntnis notwendig sei, verbinden. Sobald aber einmal der Wahn eingerissen ist,
man müsse aus Liebe zu den Seelen die Leiber verbrennen, gewinnen natürlich die
sich sofort massenhaft einmischenden bösen Leidenschaften: Grausamkeit, Habsucht,
Privatfeindschaften, Rechthaberei die Oberhand über die Nächstenliebe. Die auf¬
gelöste Kompagnie wurde durch die Assemblee, die Jahresversammlung des hohen
Klerus, ersetzt, die den König fortwährend mit Klagen über die Ketzerei und
mit Forderungen bestürmte und ihn zu Maßregeln gegen sie drängte. So er¬
schien denn ein böses Gesetz nach dem andern, bis endlich der König seine
Äewissensbedenken überwand (mit Hilfe einer aus zwei Theologen und zwei
Juristen bestehenden Kommission, die er für diesen Zweck einsetzte) und das
Edikt von Nantes im Jahre 1685 förmlich aufhob. Die furchtbarsten Be¬
drängnisse der Hugenotten waren der Aufhebung schon vorhergegangen, und
abscheuliche Grausamkeiten folgten ihr; Desdevises erzählt die Dragonaden,
die Austreibungen ausführlich; die Prediger wurden wie wilde Tiere gehetzt.
Aus kühnen Rebellen waren geduldige Märtyrer geworden: geduldig wie ein
Hugenott war damals eine sprichwörtliche Redensart. Wer die Soldateska
des siebzehnten Jahrhunderts kennt, der weiß schon, was für Szenen sich er¬
eignet haben müssen, wenn Louvois den Armeebefehl erließ: „Seine Majestät
will, daß^ man die Widerstrebenden die äußerste Härte fühlen lasse und:
an'on laisse 1o8 soläats vivrv loir lidreilient." Die Maintenon, schreibt
Desdevises, habe nur mittelbar zur Aufhebung des Edikts beigetragen, indem
sie den König bigott machte; die Bigotterie hat diesen bekanntlich zu dein
Wahne verleitet, er könne durch Ausrottung der Ketzerei seine Ausschweifungen
sühnen. Die verübten^Grausamkeiten habe die Freundin seines Alters nicht
gebilligt. (Döllinger^sagt das Gegenteil; nur daß die zwangsweise bekehrten,
im Herzen aber Protestanten gebliebner auch noch zum „sakrilegischen"
Sakramentenempfang gezwungen wurden, war ihr zu viel. Allerdings habe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/570>, abgerufen am 29.06.2024.