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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Biologischer Unterricht in den Schulen

außerhalb des Kreises der ihm zwangsweise zugeführten Schüler suche". Die
Gymnasien sind auch gar nicht die Stätte, um für neue Lehren Anhänger zu
suchen. Sie sollen, wie schon erwähnt, die Grundlage für eine Lebens¬
anschauung geben; wesentlich zu diesem Zwecke betreiben sie -- auch die Real¬
anstalten -- die Wissenschaften; Kenntnisse, die in zukünftigen Berufen ver¬
wertbar wären, erwirbt man bei ihnen verhältnismäßig wenig. Der Unterricht
dieser Bildungsanstalten -- nicht Fachschulen -- soll darauf ausgehn, in Ver¬
bindung mit der Erziehung des Elternhauses und der Einwirkung der Kirche
Menschen heranzubilden, deren geistige und sittliche Kräfte gehoben sind und
im Gleichgewichte stehn. Daß man sich das vor Augen hält, ist gerade bei
der Gestaltung des biologischen Unterrichts von der größten Wichtigkeit, andern¬
falls könnte durch ihn der schwerste Schaden angerichtet werden.

Jene Aufgabe der Gymnasien liegt uns besonders am Herzen; denn sie
wird anscheinend so viel, sogar von Schulmännern, verkannt oder doch nicht
beachtet (woraus sich wohl auch das Hin und Her in den Lehrplänen erklärt).
Wissen doch viele, die sich Freunde des humanistischen Gymnasiums nennen,
für die Beibehaltung des Griechischen und Lateinischen nur den praktischen
Grund der Erleichterung des Verständnisses für andre Wissenschaften an¬
zuführen! Wohl wird eine Vertiefung des Unterrichts gefordert, aber meist
dabei nur an technische Gründlichkeit gedacht und unter ihr dann wohl gar
eine Vermehrung des Lehrstoffes verstanden. Die rechte Tiefe hat der Unter¬
richt nicht schon dann, wenn er den Lehrstoff in technisch vollkommener Weise
bewältigt, sondern wenn er in ihm das Mittel findet, den Verstand zu Schulen,
die Vernunft zu wecken, sittliche Anschauungen zu bilden. Erschöpfen läßt sich
der unendliche Lehrstoff, den das Leben täglich neu erschafft, doch nicht; wohl
aber läßt sich der Schüler auf einen Standpunkt heben, von dem aus er auch
Neues übersehen, Stellung zu ihm nehmen, demgemäß seine Ziele und Pfade
wählen kann. Dieser Standpunkt, auf dem die Erkenntnis zur Weisheit wird,
nicht schon das bloße Wissen ist "Bildung". Vermehrt ist der Lehrstoff auf
unsern Gymnasien seit Wilhelm von Humboldt fort und fort, namentlich in
den letzten vierzig Jahren, trotzdem ist das humanistische Denken ihrer Zög¬
linge zurückgegangen; dabei hat sicher die allgemeine durch Häufung materieller
Güter und Erschließung materieller Genüsse hervvrgerufne Geistesrichtung mit¬
gewirkt, aber wir haben den Eindruck, als habe auch der Unterricht schuld,
als habe er wenigstens zeitweise unter dem Einflüsse des "Wissen ist Macht"
zu sehr nach Vielwisferei gestrebt und nicht genug beachtet, daß der ganze
Unterricht (in sich und mit der Erziehung) eine Einheit bilden, bei sämtlichen
Fächern Hand in Hand gehn, alles Wissen als ethischen Wert behandeln,
immer das eine hohe Ziel der sittlichen Ausbildung des Menschen im Auge
haben muß. Man sollte denken, das sei selbstverständlich und bedürfe keiner
Hervorhebung, in Wirklichkeit aber besteht eine solche Einheit kaum allzuhäufig,
ja man kann sogar von Lehrern hören, sie Hütten Religion nur als Wissen-


Biologischer Unterricht in den Schulen

außerhalb des Kreises der ihm zwangsweise zugeführten Schüler suche». Die
Gymnasien sind auch gar nicht die Stätte, um für neue Lehren Anhänger zu
suchen. Sie sollen, wie schon erwähnt, die Grundlage für eine Lebens¬
anschauung geben; wesentlich zu diesem Zwecke betreiben sie — auch die Real¬
anstalten — die Wissenschaften; Kenntnisse, die in zukünftigen Berufen ver¬
wertbar wären, erwirbt man bei ihnen verhältnismäßig wenig. Der Unterricht
dieser Bildungsanstalten — nicht Fachschulen — soll darauf ausgehn, in Ver¬
bindung mit der Erziehung des Elternhauses und der Einwirkung der Kirche
Menschen heranzubilden, deren geistige und sittliche Kräfte gehoben sind und
im Gleichgewichte stehn. Daß man sich das vor Augen hält, ist gerade bei
der Gestaltung des biologischen Unterrichts von der größten Wichtigkeit, andern¬
falls könnte durch ihn der schwerste Schaden angerichtet werden.

Jene Aufgabe der Gymnasien liegt uns besonders am Herzen; denn sie
wird anscheinend so viel, sogar von Schulmännern, verkannt oder doch nicht
beachtet (woraus sich wohl auch das Hin und Her in den Lehrplänen erklärt).
Wissen doch viele, die sich Freunde des humanistischen Gymnasiums nennen,
für die Beibehaltung des Griechischen und Lateinischen nur den praktischen
Grund der Erleichterung des Verständnisses für andre Wissenschaften an¬
zuführen! Wohl wird eine Vertiefung des Unterrichts gefordert, aber meist
dabei nur an technische Gründlichkeit gedacht und unter ihr dann wohl gar
eine Vermehrung des Lehrstoffes verstanden. Die rechte Tiefe hat der Unter¬
richt nicht schon dann, wenn er den Lehrstoff in technisch vollkommener Weise
bewältigt, sondern wenn er in ihm das Mittel findet, den Verstand zu Schulen,
die Vernunft zu wecken, sittliche Anschauungen zu bilden. Erschöpfen läßt sich
der unendliche Lehrstoff, den das Leben täglich neu erschafft, doch nicht; wohl
aber läßt sich der Schüler auf einen Standpunkt heben, von dem aus er auch
Neues übersehen, Stellung zu ihm nehmen, demgemäß seine Ziele und Pfade
wählen kann. Dieser Standpunkt, auf dem die Erkenntnis zur Weisheit wird,
nicht schon das bloße Wissen ist „Bildung". Vermehrt ist der Lehrstoff auf
unsern Gymnasien seit Wilhelm von Humboldt fort und fort, namentlich in
den letzten vierzig Jahren, trotzdem ist das humanistische Denken ihrer Zög¬
linge zurückgegangen; dabei hat sicher die allgemeine durch Häufung materieller
Güter und Erschließung materieller Genüsse hervvrgerufne Geistesrichtung mit¬
gewirkt, aber wir haben den Eindruck, als habe auch der Unterricht schuld,
als habe er wenigstens zeitweise unter dem Einflüsse des „Wissen ist Macht"
zu sehr nach Vielwisferei gestrebt und nicht genug beachtet, daß der ganze
Unterricht (in sich und mit der Erziehung) eine Einheit bilden, bei sämtlichen
Fächern Hand in Hand gehn, alles Wissen als ethischen Wert behandeln,
immer das eine hohe Ziel der sittlichen Ausbildung des Menschen im Auge
haben muß. Man sollte denken, das sei selbstverständlich und bedürfe keiner
Hervorhebung, in Wirklichkeit aber besteht eine solche Einheit kaum allzuhäufig,
ja man kann sogar von Lehrern hören, sie Hütten Religion nur als Wissen-


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[0567] Biologischer Unterricht in den Schulen außerhalb des Kreises der ihm zwangsweise zugeführten Schüler suche». Die Gymnasien sind auch gar nicht die Stätte, um für neue Lehren Anhänger zu suchen. Sie sollen, wie schon erwähnt, die Grundlage für eine Lebens¬ anschauung geben; wesentlich zu diesem Zwecke betreiben sie — auch die Real¬ anstalten — die Wissenschaften; Kenntnisse, die in zukünftigen Berufen ver¬ wertbar wären, erwirbt man bei ihnen verhältnismäßig wenig. Der Unterricht dieser Bildungsanstalten — nicht Fachschulen — soll darauf ausgehn, in Ver¬ bindung mit der Erziehung des Elternhauses und der Einwirkung der Kirche Menschen heranzubilden, deren geistige und sittliche Kräfte gehoben sind und im Gleichgewichte stehn. Daß man sich das vor Augen hält, ist gerade bei der Gestaltung des biologischen Unterrichts von der größten Wichtigkeit, andern¬ falls könnte durch ihn der schwerste Schaden angerichtet werden. Jene Aufgabe der Gymnasien liegt uns besonders am Herzen; denn sie wird anscheinend so viel, sogar von Schulmännern, verkannt oder doch nicht beachtet (woraus sich wohl auch das Hin und Her in den Lehrplänen erklärt). Wissen doch viele, die sich Freunde des humanistischen Gymnasiums nennen, für die Beibehaltung des Griechischen und Lateinischen nur den praktischen Grund der Erleichterung des Verständnisses für andre Wissenschaften an¬ zuführen! Wohl wird eine Vertiefung des Unterrichts gefordert, aber meist dabei nur an technische Gründlichkeit gedacht und unter ihr dann wohl gar eine Vermehrung des Lehrstoffes verstanden. Die rechte Tiefe hat der Unter¬ richt nicht schon dann, wenn er den Lehrstoff in technisch vollkommener Weise bewältigt, sondern wenn er in ihm das Mittel findet, den Verstand zu Schulen, die Vernunft zu wecken, sittliche Anschauungen zu bilden. Erschöpfen läßt sich der unendliche Lehrstoff, den das Leben täglich neu erschafft, doch nicht; wohl aber läßt sich der Schüler auf einen Standpunkt heben, von dem aus er auch Neues übersehen, Stellung zu ihm nehmen, demgemäß seine Ziele und Pfade wählen kann. Dieser Standpunkt, auf dem die Erkenntnis zur Weisheit wird, nicht schon das bloße Wissen ist „Bildung". Vermehrt ist der Lehrstoff auf unsern Gymnasien seit Wilhelm von Humboldt fort und fort, namentlich in den letzten vierzig Jahren, trotzdem ist das humanistische Denken ihrer Zög¬ linge zurückgegangen; dabei hat sicher die allgemeine durch Häufung materieller Güter und Erschließung materieller Genüsse hervvrgerufne Geistesrichtung mit¬ gewirkt, aber wir haben den Eindruck, als habe auch der Unterricht schuld, als habe er wenigstens zeitweise unter dem Einflüsse des „Wissen ist Macht" zu sehr nach Vielwisferei gestrebt und nicht genug beachtet, daß der ganze Unterricht (in sich und mit der Erziehung) eine Einheit bilden, bei sämtlichen Fächern Hand in Hand gehn, alles Wissen als ethischen Wert behandeln, immer das eine hohe Ziel der sittlichen Ausbildung des Menschen im Auge haben muß. Man sollte denken, das sei selbstverständlich und bedürfe keiner Hervorhebung, in Wirklichkeit aber besteht eine solche Einheit kaum allzuhäufig, ja man kann sogar von Lehrern hören, sie Hütten Religion nur als Wissen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/567>, abgerufen am 01.07.2024.