Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Frühlingstage der Romantik in Jena

NUN Über Ästhetik, über deutsche Poesie und über die Kunst des Deutschschreibens,
dann über die Methode des Altertumsstudiums, über griechische und deutsche
Literaturgeschichte und über Horaz. Aber seine eigentümlichen reichen Kräfte lösten
sich doch erst in seiner Rezensententätigkeit, und es verstrich keine Woche, ohne
daß er in der Literaturzeitung den Lesern einen seiner schnellen, kühnen, urteils¬
sichern Aufsätze vorlegte.

Sein jüngerer Bruder Friedrich hatte sich im Sommer 1796 flüchtig in
Jena umgesehn, bevor er nach Berlin gegangen war. Als er nun 1797 wieder¬
kehrte, berühmt als Dichter der Lucinde, dachte er auch daran, in die akademische
Tätigkeit einzulenken. Unter den Brüdern war eine aufopfernde Treue. Der
jüngere verstand es zudem, neue Freunde zu gewinnen; der ältere hatte die
Gabe, sie festzuhalten. Und alle kamen nun herbei und fanden gleich das winklige
Nest behaglich. Noch standen die Mauern und die Tore, ein träumendes Stück
Mittelalter. Das Leben ging hier lustig ein; Gitarren und Geigen klangen aus
jedem Hause. Etwas Literarisches war sogar in die Leute gefahren; überall
hörte man von Wilhelm Meister, von der Transzendentalphilosophie und von
Silbenmaßen sprechen. Und das Militär und die Kaufmannschaft in Berlin waren
roh gegen die Jenenser Studenten: so schien es wenigstens den Romantikern.

Mit dichterischen Sinnen entzückten sie sich auch an Feld und Flur. Kein
Poet hat in Thüringen den Lenz jemals besser gesehn als Dorothea Veit, die
bald Friedrich Schlegels Frau wurde: "Grünsamtene Teppiche die Berge hinan,
mit Veilchen, Schlüsselblumen und Primeln gestickt und lauter wohlriechenden
Kräutern durchwirkt; alle Bäume in der glorreichsten Blüte, Flieder und Mai¬
blumen in dicken Haufen; eine Art Weide, die wie Orangen riecht, steht allent¬
halben auf allen Wiesen und Bergen. Der lebhaft rauschende Fluß wie ein
Spiegel hell; die Luft warm vom Morgen bis wieder zum Morgen, eine Luft,
die sich weich, lau und blau um einen her lagert und auf den Bergen wie eine
Decke ruht -- so sieht der Frühling in Jena aus!"

Tieck, in Wahrheit der Dichter der Romantiker, beschloß zu bleiben, und
er wohnte mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter im Hause Wilhelm
Schlegels. Novalis, aus dessen asketischen Gemüt der Schatten der verklärten
Sophie wich, kam aus dem nahen Weißenfels herübergeritten. Er hatte sein
ganz eignes Wesen. Wie ein frommer, schlichter Glcmbensmeusch aus den Ur-
tagen des Christentums erschien er den andern oder wie ein Geisterseher.
Steffens schrieb über ihn: "Was ich von ihm las, was ich von ihm vernahm,
mit ihm erlebte, begleitete den Gesang meines Lebens wie eine akkompagnierende
Musik, oft wie ein wundersames Echo aus fernen Gebirgen, welches, was in
meinem tiefsten Innern ruhte, und was ich kaum auszusprechen wagte, nur laut
und geistig reicher wiedergab." Fichte ging den Romantikern verloren, als er in
dem ärgerlichen Atheismusstreit mit der Regierung brach und sein Katheder
verließ. Aber sie gewannen desto mehr an Schelling, der selbst ein Dichter war
und sich ihnen mit Leib und Seele gab. Schleiermacher wurde in der Ferne
festgehalten.


Die Frühlingstage der Romantik in Jena

NUN Über Ästhetik, über deutsche Poesie und über die Kunst des Deutschschreibens,
dann über die Methode des Altertumsstudiums, über griechische und deutsche
Literaturgeschichte und über Horaz. Aber seine eigentümlichen reichen Kräfte lösten
sich doch erst in seiner Rezensententätigkeit, und es verstrich keine Woche, ohne
daß er in der Literaturzeitung den Lesern einen seiner schnellen, kühnen, urteils¬
sichern Aufsätze vorlegte.

Sein jüngerer Bruder Friedrich hatte sich im Sommer 1796 flüchtig in
Jena umgesehn, bevor er nach Berlin gegangen war. Als er nun 1797 wieder¬
kehrte, berühmt als Dichter der Lucinde, dachte er auch daran, in die akademische
Tätigkeit einzulenken. Unter den Brüdern war eine aufopfernde Treue. Der
jüngere verstand es zudem, neue Freunde zu gewinnen; der ältere hatte die
Gabe, sie festzuhalten. Und alle kamen nun herbei und fanden gleich das winklige
Nest behaglich. Noch standen die Mauern und die Tore, ein träumendes Stück
Mittelalter. Das Leben ging hier lustig ein; Gitarren und Geigen klangen aus
jedem Hause. Etwas Literarisches war sogar in die Leute gefahren; überall
hörte man von Wilhelm Meister, von der Transzendentalphilosophie und von
Silbenmaßen sprechen. Und das Militär und die Kaufmannschaft in Berlin waren
roh gegen die Jenenser Studenten: so schien es wenigstens den Romantikern.

Mit dichterischen Sinnen entzückten sie sich auch an Feld und Flur. Kein
Poet hat in Thüringen den Lenz jemals besser gesehn als Dorothea Veit, die
bald Friedrich Schlegels Frau wurde: „Grünsamtene Teppiche die Berge hinan,
mit Veilchen, Schlüsselblumen und Primeln gestickt und lauter wohlriechenden
Kräutern durchwirkt; alle Bäume in der glorreichsten Blüte, Flieder und Mai¬
blumen in dicken Haufen; eine Art Weide, die wie Orangen riecht, steht allent¬
halben auf allen Wiesen und Bergen. Der lebhaft rauschende Fluß wie ein
Spiegel hell; die Luft warm vom Morgen bis wieder zum Morgen, eine Luft,
die sich weich, lau und blau um einen her lagert und auf den Bergen wie eine
Decke ruht — so sieht der Frühling in Jena aus!"

Tieck, in Wahrheit der Dichter der Romantiker, beschloß zu bleiben, und
er wohnte mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter im Hause Wilhelm
Schlegels. Novalis, aus dessen asketischen Gemüt der Schatten der verklärten
Sophie wich, kam aus dem nahen Weißenfels herübergeritten. Er hatte sein
ganz eignes Wesen. Wie ein frommer, schlichter Glcmbensmeusch aus den Ur-
tagen des Christentums erschien er den andern oder wie ein Geisterseher.
Steffens schrieb über ihn: „Was ich von ihm las, was ich von ihm vernahm,
mit ihm erlebte, begleitete den Gesang meines Lebens wie eine akkompagnierende
Musik, oft wie ein wundersames Echo aus fernen Gebirgen, welches, was in
meinem tiefsten Innern ruhte, und was ich kaum auszusprechen wagte, nur laut
und geistig reicher wiedergab." Fichte ging den Romantikern verloren, als er in
dem ärgerlichen Atheismusstreit mit der Regierung brach und sein Katheder
verließ. Aber sie gewannen desto mehr an Schelling, der selbst ein Dichter war
und sich ihnen mit Leib und Seele gab. Schleiermacher wurde in der Ferne
festgehalten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0528" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311609"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Frühlingstage der Romantik in Jena</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2463" prev="#ID_2462"> NUN Über Ästhetik, über deutsche Poesie und über die Kunst des Deutschschreibens,<lb/>
dann über die Methode des Altertumsstudiums, über griechische und deutsche<lb/>
Literaturgeschichte und über Horaz. Aber seine eigentümlichen reichen Kräfte lösten<lb/>
sich doch erst in seiner Rezensententätigkeit, und es verstrich keine Woche, ohne<lb/>
daß er in der Literaturzeitung den Lesern einen seiner schnellen, kühnen, urteils¬<lb/>
sichern Aufsätze vorlegte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2464"> Sein jüngerer Bruder Friedrich hatte sich im Sommer 1796 flüchtig in<lb/>
Jena umgesehn, bevor er nach Berlin gegangen war. Als er nun 1797 wieder¬<lb/>
kehrte, berühmt als Dichter der Lucinde, dachte er auch daran, in die akademische<lb/>
Tätigkeit einzulenken. Unter den Brüdern war eine aufopfernde Treue. Der<lb/>
jüngere verstand es zudem, neue Freunde zu gewinnen; der ältere hatte die<lb/>
Gabe, sie festzuhalten. Und alle kamen nun herbei und fanden gleich das winklige<lb/>
Nest behaglich. Noch standen die Mauern und die Tore, ein träumendes Stück<lb/>
Mittelalter. Das Leben ging hier lustig ein; Gitarren und Geigen klangen aus<lb/>
jedem Hause. Etwas Literarisches war sogar in die Leute gefahren; überall<lb/>
hörte man von Wilhelm Meister, von der Transzendentalphilosophie und von<lb/>
Silbenmaßen sprechen. Und das Militär und die Kaufmannschaft in Berlin waren<lb/>
roh gegen die Jenenser Studenten: so schien es wenigstens den Romantikern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2465"> Mit dichterischen Sinnen entzückten sie sich auch an Feld und Flur. Kein<lb/>
Poet hat in Thüringen den Lenz jemals besser gesehn als Dorothea Veit, die<lb/>
bald Friedrich Schlegels Frau wurde: &#x201E;Grünsamtene Teppiche die Berge hinan,<lb/>
mit Veilchen, Schlüsselblumen und Primeln gestickt und lauter wohlriechenden<lb/>
Kräutern durchwirkt; alle Bäume in der glorreichsten Blüte, Flieder und Mai¬<lb/>
blumen in dicken Haufen; eine Art Weide, die wie Orangen riecht, steht allent¬<lb/>
halben auf allen Wiesen und Bergen. Der lebhaft rauschende Fluß wie ein<lb/>
Spiegel hell; die Luft warm vom Morgen bis wieder zum Morgen, eine Luft,<lb/>
die sich weich, lau und blau um einen her lagert und auf den Bergen wie eine<lb/>
Decke ruht &#x2014; so sieht der Frühling in Jena aus!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2466"> Tieck, in Wahrheit der Dichter der Romantiker, beschloß zu bleiben, und<lb/>
er wohnte mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter im Hause Wilhelm<lb/>
Schlegels. Novalis, aus dessen asketischen Gemüt der Schatten der verklärten<lb/>
Sophie wich, kam aus dem nahen Weißenfels herübergeritten. Er hatte sein<lb/>
ganz eignes Wesen. Wie ein frommer, schlichter Glcmbensmeusch aus den Ur-<lb/>
tagen des Christentums erschien er den andern oder wie ein Geisterseher.<lb/>
Steffens schrieb über ihn: &#x201E;Was ich von ihm las, was ich von ihm vernahm,<lb/>
mit ihm erlebte, begleitete den Gesang meines Lebens wie eine akkompagnierende<lb/>
Musik, oft wie ein wundersames Echo aus fernen Gebirgen, welches, was in<lb/>
meinem tiefsten Innern ruhte, und was ich kaum auszusprechen wagte, nur laut<lb/>
und geistig reicher wiedergab." Fichte ging den Romantikern verloren, als er in<lb/>
dem ärgerlichen Atheismusstreit mit der Regierung brach und sein Katheder<lb/>
verließ. Aber sie gewannen desto mehr an Schelling, der selbst ein Dichter war<lb/>
und sich ihnen mit Leib und Seele gab. Schleiermacher wurde in der Ferne<lb/>
festgehalten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0528] Die Frühlingstage der Romantik in Jena NUN Über Ästhetik, über deutsche Poesie und über die Kunst des Deutschschreibens, dann über die Methode des Altertumsstudiums, über griechische und deutsche Literaturgeschichte und über Horaz. Aber seine eigentümlichen reichen Kräfte lösten sich doch erst in seiner Rezensententätigkeit, und es verstrich keine Woche, ohne daß er in der Literaturzeitung den Lesern einen seiner schnellen, kühnen, urteils¬ sichern Aufsätze vorlegte. Sein jüngerer Bruder Friedrich hatte sich im Sommer 1796 flüchtig in Jena umgesehn, bevor er nach Berlin gegangen war. Als er nun 1797 wieder¬ kehrte, berühmt als Dichter der Lucinde, dachte er auch daran, in die akademische Tätigkeit einzulenken. Unter den Brüdern war eine aufopfernde Treue. Der jüngere verstand es zudem, neue Freunde zu gewinnen; der ältere hatte die Gabe, sie festzuhalten. Und alle kamen nun herbei und fanden gleich das winklige Nest behaglich. Noch standen die Mauern und die Tore, ein träumendes Stück Mittelalter. Das Leben ging hier lustig ein; Gitarren und Geigen klangen aus jedem Hause. Etwas Literarisches war sogar in die Leute gefahren; überall hörte man von Wilhelm Meister, von der Transzendentalphilosophie und von Silbenmaßen sprechen. Und das Militär und die Kaufmannschaft in Berlin waren roh gegen die Jenenser Studenten: so schien es wenigstens den Romantikern. Mit dichterischen Sinnen entzückten sie sich auch an Feld und Flur. Kein Poet hat in Thüringen den Lenz jemals besser gesehn als Dorothea Veit, die bald Friedrich Schlegels Frau wurde: „Grünsamtene Teppiche die Berge hinan, mit Veilchen, Schlüsselblumen und Primeln gestickt und lauter wohlriechenden Kräutern durchwirkt; alle Bäume in der glorreichsten Blüte, Flieder und Mai¬ blumen in dicken Haufen; eine Art Weide, die wie Orangen riecht, steht allent¬ halben auf allen Wiesen und Bergen. Der lebhaft rauschende Fluß wie ein Spiegel hell; die Luft warm vom Morgen bis wieder zum Morgen, eine Luft, die sich weich, lau und blau um einen her lagert und auf den Bergen wie eine Decke ruht — so sieht der Frühling in Jena aus!" Tieck, in Wahrheit der Dichter der Romantiker, beschloß zu bleiben, und er wohnte mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter im Hause Wilhelm Schlegels. Novalis, aus dessen asketischen Gemüt der Schatten der verklärten Sophie wich, kam aus dem nahen Weißenfels herübergeritten. Er hatte sein ganz eignes Wesen. Wie ein frommer, schlichter Glcmbensmeusch aus den Ur- tagen des Christentums erschien er den andern oder wie ein Geisterseher. Steffens schrieb über ihn: „Was ich von ihm las, was ich von ihm vernahm, mit ihm erlebte, begleitete den Gesang meines Lebens wie eine akkompagnierende Musik, oft wie ein wundersames Echo aus fernen Gebirgen, welches, was in meinem tiefsten Innern ruhte, und was ich kaum auszusprechen wagte, nur laut und geistig reicher wiedergab." Fichte ging den Romantikern verloren, als er in dem ärgerlichen Atheismusstreit mit der Regierung brach und sein Katheder verließ. Aber sie gewannen desto mehr an Schelling, der selbst ein Dichter war und sich ihnen mit Leib und Seele gab. Schleiermacher wurde in der Ferne festgehalten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/528
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/528>, abgerufen am 24.08.2024.