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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die politische Lage in der "Vstsee und Nordsee

in früheren Jahren, und die Stellung Rußlands zu andern Großmächten ist
nicht mehr in dem Maße von ihnen bedingt. Je stärker sich der Parlamentaris¬
mus aus den schwachen Anfängen der Duma in Nußland entwickeln wird, um so mehr
werden die dynastischen Beziehungen zurücktreten und dafür auch in der aus¬
wärtigen Politik die Gesinnung des russischen Volkes an Kraft gewinnen.
Dieses ist uns aber immer feindlich gewesen. Wir müssen uns also damit ab¬
finden, daß wir zu einer Allianz mit Rußland kaum wieder kommen werden.
Wir haben die Dankesschuld für die russische Hilfe in den Freiheitskriegen zur
Zeit der Notlage der Russen bei Adrianopel 1829 und durch unser Verhalten
gegen die Polen 1831 und 1863 voll ausgeglichen und Rußlands wohl¬
wollende Neutralität 1866 und 1870 durch unser Verhalten bei Aufhebung der
Schwarzen-Meer-Servitut, durch unsre Unterstützung auf dem Berliner Kongresse
1878 sowie während des japanischen Krieges mehr als vergolten, sodaß die
Russen bei einer Bilanz der gegenseitigen Freundschaftsdienste stark ins Defizit
geraten sind und wir jetzt mit vollem Recht verlangen können, daß Rußland
in eine Abmachung über den ses-of amo in den Ostseegebieten willigt, ohne
daß die Alandsfrage berührt wird.

Nachdem Norwegen durch den Jntegritütsvertrag einen internationalen
Schutz erhalten hat, der ganz dieselbe Wirkung ausübt wie die Neutralitäts¬
erklärung der Schweiz und Belgiens, ist es notwendig, auch Schweden zu be¬
rücksichtigen, das soeben erst durch die Übernahme der großen finanziellen
Opfer für die Dmnpffährverbindung Saßnitz-Trelleborg den Willen zu erkennen
gegeben hat, die Beziehungen zu uns weiter zu entwickeln. Schweden will nicht
einen Jntegritütsvertrag nach Art des norwegischen, sondern erstrebt lediglich
eine Abmachung der Uferstaaten über die Erhaltung des swtu8 gäv in der
Ostsee. Ob Dänemark ein gleiches Verlangen stellen wird, bleibt abzuwarten.

Dänemark ist dafür an den Verhandlungen über die Nordseefrage beteiligt,
die außerdem noch zwischen dem Deutschen Reiche, Großbritannien, Frankreich
und Holland schweben. Großbritannien hat den Vorschlag gemacht, auch
Schweden hinzuzuziehen, aber Schweden ist hierauf in der richtigen Voraus¬
sicht noch nicht eingegangen, daß damit nur erreicht werden sollte, die Ostsee-
und Nordseefrage zusammen zu verhandeln. Auch wir haben kein Interesse
daran, Frankreich und Großbritannien an den Ostseeabmachungen zu be¬
teiligen, da sie ja nicht Uferstaaten sind und daher keinerlei Anspruch darauf
haben. Die Ostseefrage muß ganz getrennt von der viel leichter zu lösenden
Nordseefrage, die ja hauptsächlich Hollands Integrität sichern soll, verhandelt
v. F. werden.




Die politische Lage in der «Vstsee und Nordsee

in früheren Jahren, und die Stellung Rußlands zu andern Großmächten ist
nicht mehr in dem Maße von ihnen bedingt. Je stärker sich der Parlamentaris¬
mus aus den schwachen Anfängen der Duma in Nußland entwickeln wird, um so mehr
werden die dynastischen Beziehungen zurücktreten und dafür auch in der aus¬
wärtigen Politik die Gesinnung des russischen Volkes an Kraft gewinnen.
Dieses ist uns aber immer feindlich gewesen. Wir müssen uns also damit ab¬
finden, daß wir zu einer Allianz mit Rußland kaum wieder kommen werden.
Wir haben die Dankesschuld für die russische Hilfe in den Freiheitskriegen zur
Zeit der Notlage der Russen bei Adrianopel 1829 und durch unser Verhalten
gegen die Polen 1831 und 1863 voll ausgeglichen und Rußlands wohl¬
wollende Neutralität 1866 und 1870 durch unser Verhalten bei Aufhebung der
Schwarzen-Meer-Servitut, durch unsre Unterstützung auf dem Berliner Kongresse
1878 sowie während des japanischen Krieges mehr als vergolten, sodaß die
Russen bei einer Bilanz der gegenseitigen Freundschaftsdienste stark ins Defizit
geraten sind und wir jetzt mit vollem Recht verlangen können, daß Rußland
in eine Abmachung über den ses-of amo in den Ostseegebieten willigt, ohne
daß die Alandsfrage berührt wird.

Nachdem Norwegen durch den Jntegritütsvertrag einen internationalen
Schutz erhalten hat, der ganz dieselbe Wirkung ausübt wie die Neutralitäts¬
erklärung der Schweiz und Belgiens, ist es notwendig, auch Schweden zu be¬
rücksichtigen, das soeben erst durch die Übernahme der großen finanziellen
Opfer für die Dmnpffährverbindung Saßnitz-Trelleborg den Willen zu erkennen
gegeben hat, die Beziehungen zu uns weiter zu entwickeln. Schweden will nicht
einen Jntegritütsvertrag nach Art des norwegischen, sondern erstrebt lediglich
eine Abmachung der Uferstaaten über die Erhaltung des swtu8 gäv in der
Ostsee. Ob Dänemark ein gleiches Verlangen stellen wird, bleibt abzuwarten.

Dänemark ist dafür an den Verhandlungen über die Nordseefrage beteiligt,
die außerdem noch zwischen dem Deutschen Reiche, Großbritannien, Frankreich
und Holland schweben. Großbritannien hat den Vorschlag gemacht, auch
Schweden hinzuzuziehen, aber Schweden ist hierauf in der richtigen Voraus¬
sicht noch nicht eingegangen, daß damit nur erreicht werden sollte, die Ostsee-
und Nordseefrage zusammen zu verhandeln. Auch wir haben kein Interesse
daran, Frankreich und Großbritannien an den Ostseeabmachungen zu be¬
teiligen, da sie ja nicht Uferstaaten sind und daher keinerlei Anspruch darauf
haben. Die Ostseefrage muß ganz getrennt von der viel leichter zu lösenden
Nordseefrage, die ja hauptsächlich Hollands Integrität sichern soll, verhandelt
v. F. werden.




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[0512] Die politische Lage in der «Vstsee und Nordsee in früheren Jahren, und die Stellung Rußlands zu andern Großmächten ist nicht mehr in dem Maße von ihnen bedingt. Je stärker sich der Parlamentaris¬ mus aus den schwachen Anfängen der Duma in Nußland entwickeln wird, um so mehr werden die dynastischen Beziehungen zurücktreten und dafür auch in der aus¬ wärtigen Politik die Gesinnung des russischen Volkes an Kraft gewinnen. Dieses ist uns aber immer feindlich gewesen. Wir müssen uns also damit ab¬ finden, daß wir zu einer Allianz mit Rußland kaum wieder kommen werden. Wir haben die Dankesschuld für die russische Hilfe in den Freiheitskriegen zur Zeit der Notlage der Russen bei Adrianopel 1829 und durch unser Verhalten gegen die Polen 1831 und 1863 voll ausgeglichen und Rußlands wohl¬ wollende Neutralität 1866 und 1870 durch unser Verhalten bei Aufhebung der Schwarzen-Meer-Servitut, durch unsre Unterstützung auf dem Berliner Kongresse 1878 sowie während des japanischen Krieges mehr als vergolten, sodaß die Russen bei einer Bilanz der gegenseitigen Freundschaftsdienste stark ins Defizit geraten sind und wir jetzt mit vollem Recht verlangen können, daß Rußland in eine Abmachung über den ses-of amo in den Ostseegebieten willigt, ohne daß die Alandsfrage berührt wird. Nachdem Norwegen durch den Jntegritütsvertrag einen internationalen Schutz erhalten hat, der ganz dieselbe Wirkung ausübt wie die Neutralitäts¬ erklärung der Schweiz und Belgiens, ist es notwendig, auch Schweden zu be¬ rücksichtigen, das soeben erst durch die Übernahme der großen finanziellen Opfer für die Dmnpffährverbindung Saßnitz-Trelleborg den Willen zu erkennen gegeben hat, die Beziehungen zu uns weiter zu entwickeln. Schweden will nicht einen Jntegritütsvertrag nach Art des norwegischen, sondern erstrebt lediglich eine Abmachung der Uferstaaten über die Erhaltung des swtu8 gäv in der Ostsee. Ob Dänemark ein gleiches Verlangen stellen wird, bleibt abzuwarten. Dänemark ist dafür an den Verhandlungen über die Nordseefrage beteiligt, die außerdem noch zwischen dem Deutschen Reiche, Großbritannien, Frankreich und Holland schweben. Großbritannien hat den Vorschlag gemacht, auch Schweden hinzuzuziehen, aber Schweden ist hierauf in der richtigen Voraus¬ sicht noch nicht eingegangen, daß damit nur erreicht werden sollte, die Ostsee- und Nordseefrage zusammen zu verhandeln. Auch wir haben kein Interesse daran, Frankreich und Großbritannien an den Ostseeabmachungen zu be¬ teiligen, da sie ja nicht Uferstaaten sind und daher keinerlei Anspruch darauf haben. Die Ostseefrage muß ganz getrennt von der viel leichter zu lösenden Nordseefrage, die ja hauptsächlich Hollands Integrität sichern soll, verhandelt v. F. werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/512>, abgerufen am 02.10.2024.