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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Vie politische Lage in der Ostsee und Nordsee

40 Kilometer. Bei der Entwicklung der modernen Seekriegsmittel bieten also
die Alandsinseln eine vorzügliche Stellung, um zugleich den Eingang zu den
beiden Ostseebuchtcn, dem Bodenlöcher und dem Finnlündischen Meerbusen, zu
beherrschen und um den zentralen Teil Schwedens, um Stockholm zu bedrohen.
Schon Nikolaus der Erste beabsichtigte diese Lage der Inseln auszunutzen, um
die Herrschaft Rußlands in der Ostsee zu begründen, und schuf zu diesem Zwecke
die Seefestung Bomarsund, die jedoch noch nicht ganz fertig geworden war,
als sie zerstört wurde. Da zu jener Zeit die deutlich zutage getretenen Be¬
strebungen Rußlands, die drei skandinavischen Nachbarstaaten, Schweden, Nor¬
wegen und Dänemark, unter seinen Einfluß zu bringen, großes Mißtraue" bei
den übrigen Mächten hervorgerufen hatten, suchten die Teilnehmer am Pariser
Kongreß 1856 die russische Macht hier zu beschränken.

Schon in den Friedenspräliminarien wurde ausgemacht, daß der allgemeine
Kongreß neben den Bestimmungen zur Regelung der orientalischen Verhältnisse
auch andre Friedensbedingungen, die von europäischer Bedeutung seien, stipu-
lieren könne. Diese Abmachung wurde niedergelegt im Artikel 5 der von Nuß-
land am 16. Januar 1856 angenommnen Friedenspräliminarien. In der Kon¬
greßsitzung am 1. März 1856 wurde dann vom französischen Delegierten, dem
Grafen Colonna Walewski, verlangt, daß sich Rußland verpflichten solle, die
Alandsinseln nicht mehr zu befestigen. Diese Forderung, von den übrigen Kon¬
greßbevollmächtigten unterstützt, wurde von dem russischen Vertreter, dem Grafen
Alexis Orlosf, unter der Bedingung angenommen, daß die Vereinbarung in einer
Spezialkonvention festgesetzt und nur von Rußland. England und Frankreich unter¬
zeichnet würde, weil keine andern Mächte an den Ostseekämpfen teilgenommen
hätten. Die Kongreßmüchte waren damit einverstanden, jedoch mit der von
österreichischer Seite vorgeschlagnen Änderung, daß die abzuschließende Konvention
oft et äkmeurs iz.rin"zx6 "u xr^ssut trg-its et imrg, mßiuo torvo et valsur c^no
si eile en kaisan xartis (Artikel 33 des Pariser Friedens).

Die am Tage des Pariser Friedens am 30. März unterzeichnete Spezial¬
konvention wurde in Paris am 27. April 1856 ratifiziert. Ihr Inhalt ist kurz
folgender: "Die Souveräne Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands beab¬
sichtigen, das im Orient so glücklich wiederhergestellte Einvernehmen auch auf
das Baltische Meer auszudehnen und dadurch die Wohltaten des allgemeinen
Friedens zu befestigen. 1. Seine Majestät der Russische Kaiser erklärt, um dem
Wunsche zu entsprechen, der ihm von Ihren Majestäten dem Kaiser der Franzosen
und der Königin von Großbritannien ausgedrückt wurde, daß die Alandsinseln
nicht befestigt werden sollen, und daß daselbst eine militärische oder maritime
Anlage weder unterhalten noch errichtet werden solle." Diese Bedingung hat
seitdem Rußland immer stillschweigend respektiert. Jetzt aber, wo sich England
Rußland genähert hat, will Nußland, das Frankreichs sowieso sicher ist, von
dieser Verpflichtung frei werden und hat daher bei den Ostseeverhandlungen
mit Schweden und dem Deutschen Reiche erklärt, daß zunächst diese Ein-


Vie politische Lage in der Ostsee und Nordsee

40 Kilometer. Bei der Entwicklung der modernen Seekriegsmittel bieten also
die Alandsinseln eine vorzügliche Stellung, um zugleich den Eingang zu den
beiden Ostseebuchtcn, dem Bodenlöcher und dem Finnlündischen Meerbusen, zu
beherrschen und um den zentralen Teil Schwedens, um Stockholm zu bedrohen.
Schon Nikolaus der Erste beabsichtigte diese Lage der Inseln auszunutzen, um
die Herrschaft Rußlands in der Ostsee zu begründen, und schuf zu diesem Zwecke
die Seefestung Bomarsund, die jedoch noch nicht ganz fertig geworden war,
als sie zerstört wurde. Da zu jener Zeit die deutlich zutage getretenen Be¬
strebungen Rußlands, die drei skandinavischen Nachbarstaaten, Schweden, Nor¬
wegen und Dänemark, unter seinen Einfluß zu bringen, großes Mißtraue« bei
den übrigen Mächten hervorgerufen hatten, suchten die Teilnehmer am Pariser
Kongreß 1856 die russische Macht hier zu beschränken.

Schon in den Friedenspräliminarien wurde ausgemacht, daß der allgemeine
Kongreß neben den Bestimmungen zur Regelung der orientalischen Verhältnisse
auch andre Friedensbedingungen, die von europäischer Bedeutung seien, stipu-
lieren könne. Diese Abmachung wurde niedergelegt im Artikel 5 der von Nuß-
land am 16. Januar 1856 angenommnen Friedenspräliminarien. In der Kon¬
greßsitzung am 1. März 1856 wurde dann vom französischen Delegierten, dem
Grafen Colonna Walewski, verlangt, daß sich Rußland verpflichten solle, die
Alandsinseln nicht mehr zu befestigen. Diese Forderung, von den übrigen Kon¬
greßbevollmächtigten unterstützt, wurde von dem russischen Vertreter, dem Grafen
Alexis Orlosf, unter der Bedingung angenommen, daß die Vereinbarung in einer
Spezialkonvention festgesetzt und nur von Rußland. England und Frankreich unter¬
zeichnet würde, weil keine andern Mächte an den Ostseekämpfen teilgenommen
hätten. Die Kongreßmüchte waren damit einverstanden, jedoch mit der von
österreichischer Seite vorgeschlagnen Änderung, daß die abzuschließende Konvention
oft et äkmeurs iz.rin«zx6 »u xr^ssut trg-its et imrg, mßiuo torvo et valsur c^no
si eile en kaisan xartis (Artikel 33 des Pariser Friedens).

Die am Tage des Pariser Friedens am 30. März unterzeichnete Spezial¬
konvention wurde in Paris am 27. April 1856 ratifiziert. Ihr Inhalt ist kurz
folgender: „Die Souveräne Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands beab¬
sichtigen, das im Orient so glücklich wiederhergestellte Einvernehmen auch auf
das Baltische Meer auszudehnen und dadurch die Wohltaten des allgemeinen
Friedens zu befestigen. 1. Seine Majestät der Russische Kaiser erklärt, um dem
Wunsche zu entsprechen, der ihm von Ihren Majestäten dem Kaiser der Franzosen
und der Königin von Großbritannien ausgedrückt wurde, daß die Alandsinseln
nicht befestigt werden sollen, und daß daselbst eine militärische oder maritime
Anlage weder unterhalten noch errichtet werden solle." Diese Bedingung hat
seitdem Rußland immer stillschweigend respektiert. Jetzt aber, wo sich England
Rußland genähert hat, will Nußland, das Frankreichs sowieso sicher ist, von
dieser Verpflichtung frei werden und hat daher bei den Ostseeverhandlungen
mit Schweden und dem Deutschen Reiche erklärt, daß zunächst diese Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/510>, abgerufen am 29.06.2024.