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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Eine eigentümliche Stellung in diesem sich jetzt entwickelnden Welthandel
nimmt dann Rußland ein, dessen alterer Geschichte ein besondrer Abschnitt ge¬
widmet wird, worin der Hauptnachdruck auf die Entwicklung der Welthandels¬
straßen dnrch dieses Land füllt.

Auf dieser universalen Grundlage hebt sich dann der welthistorische Kampf
zwischen Kaisertum und Papsttum im Abendlande wirkungsvoll ab. Die
Charakteristik der einzelnen großen Persönlichkeiten von Päpsten und Kaisern
ist dabei ebenso eigenartig und durchdacht herausgearbeitet wie die der unter
dein Einflüsse dieses Kampfes sich entwickelnden Zustünde. Ganz vortrefflich
ist namentlich die Schilderung der Verfassung und Kultur in Deutschland mit
seinein noch wenig von dem vorwiegenden Kindlichen verschiednen städtischen
Leben. Großes Gewicht legt Lindner in dieser Beziehung für die Belebung
des Verkehrs auf die Eroberung Italiens durch die Kaiserzüge, die in seiner
Darstellung in ebenso Hellem wirtschaftsgeschichtlichem wie politischem Lichte
erscheinen. Trotzdem aber nennt er, an Sybels Auffassung anknüpfend, im allge¬
meinen "die Wirkung auf Deutschland verhängnisvoll und staatsverderblich".
Als Ergebnis der ganzen Entwicklung erscheint ihm, daß schon das neunte
Jahrhundert die unverlöschlichem Grundlinien für die kirchliche Entwicklung
des Abendlandes gezogen habe, indem das Papsttum allgemein als Haupt der
christlichen Gemeinschaft anerkannt wurde. "Wohin auch vom Frankenreiche
oder von England aus das Christentum weiter schritt, überall hin trug es die
Autorität Roms." (S. 32V.) Von. hohem Interesse ist es, die von dieser
Grundauffassung aus entworfne Schilderung des gewaltigen Kampfes zwischen
den snlischen und hohenstaufischen Kaisern und den Päpsten ihrer Zeit im
einzelnen zu verfolgen, und überaus reich ist die Fülle charakteristischer Aus¬
sprüche, die sie enthält. Wir können aus dieser Fülle nur einige wenige hier
anführen. "Es gab, sagt er S. 321, eine einheitliche Kirchengewalt, aber keine
einheitliche Staatsgewalt." Von dem Papsttum zur Zeit Gregors des Siebenten
sagt er: "Eine wunderbare Gewalt, mit keinem Besitz, ohne eignes Heer und
doch so großartig. So viel von seinen Erfolgen das Papsttum auch günstigen
Verhältnissen verdankte, die Hauptsache lag in der Stärke der kirchlichen Idee,
die alle Geister fesselte; sie dnrchdmng das ganze Leben wie die Luft alle
Dinge." (S. 353.)

Als Hauptaufgabe des dritten Bandes bezeichnet Lindner, er solle "vor
allem zeigen, was'diese abendländisch-christliche Kultur vollbrachte, und wie
aus ihrer Einheit mit Notwendigkeit die Zersetzung hervorging". Die Art.
lvie dieser Gedanke durchgeführt wird, erinnert oft an die eigenartige Auf¬
fassung, die Heinrich von Elater in seinein trefflichen Werk "Geschichte und
System der mittelalterlichen Weltanschauung" (Stuttgart, 1887) entwickelt hat.
Eben weil Lindner diese Zersetzung der Einheit aus dem innern Widerspruche
der kirchlichen Idee selbst zu erklären versucht, ist zum Beispiel die Schilderung
der Regierungsweise eines Friedrichs des Zweiten in Sizilien, die schon so


Eine eigentümliche Stellung in diesem sich jetzt entwickelnden Welthandel
nimmt dann Rußland ein, dessen alterer Geschichte ein besondrer Abschnitt ge¬
widmet wird, worin der Hauptnachdruck auf die Entwicklung der Welthandels¬
straßen dnrch dieses Land füllt.

Auf dieser universalen Grundlage hebt sich dann der welthistorische Kampf
zwischen Kaisertum und Papsttum im Abendlande wirkungsvoll ab. Die
Charakteristik der einzelnen großen Persönlichkeiten von Päpsten und Kaisern
ist dabei ebenso eigenartig und durchdacht herausgearbeitet wie die der unter
dein Einflüsse dieses Kampfes sich entwickelnden Zustünde. Ganz vortrefflich
ist namentlich die Schilderung der Verfassung und Kultur in Deutschland mit
seinein noch wenig von dem vorwiegenden Kindlichen verschiednen städtischen
Leben. Großes Gewicht legt Lindner in dieser Beziehung für die Belebung
des Verkehrs auf die Eroberung Italiens durch die Kaiserzüge, die in seiner
Darstellung in ebenso Hellem wirtschaftsgeschichtlichem wie politischem Lichte
erscheinen. Trotzdem aber nennt er, an Sybels Auffassung anknüpfend, im allge¬
meinen „die Wirkung auf Deutschland verhängnisvoll und staatsverderblich".
Als Ergebnis der ganzen Entwicklung erscheint ihm, daß schon das neunte
Jahrhundert die unverlöschlichem Grundlinien für die kirchliche Entwicklung
des Abendlandes gezogen habe, indem das Papsttum allgemein als Haupt der
christlichen Gemeinschaft anerkannt wurde. „Wohin auch vom Frankenreiche
oder von England aus das Christentum weiter schritt, überall hin trug es die
Autorität Roms." (S. 32V.) Von. hohem Interesse ist es, die von dieser
Grundauffassung aus entworfne Schilderung des gewaltigen Kampfes zwischen
den snlischen und hohenstaufischen Kaisern und den Päpsten ihrer Zeit im
einzelnen zu verfolgen, und überaus reich ist die Fülle charakteristischer Aus¬
sprüche, die sie enthält. Wir können aus dieser Fülle nur einige wenige hier
anführen. „Es gab, sagt er S. 321, eine einheitliche Kirchengewalt, aber keine
einheitliche Staatsgewalt." Von dem Papsttum zur Zeit Gregors des Siebenten
sagt er: „Eine wunderbare Gewalt, mit keinem Besitz, ohne eignes Heer und
doch so großartig. So viel von seinen Erfolgen das Papsttum auch günstigen
Verhältnissen verdankte, die Hauptsache lag in der Stärke der kirchlichen Idee,
die alle Geister fesselte; sie dnrchdmng das ganze Leben wie die Luft alle
Dinge." (S. 353.)

Als Hauptaufgabe des dritten Bandes bezeichnet Lindner, er solle „vor
allem zeigen, was'diese abendländisch-christliche Kultur vollbrachte, und wie
aus ihrer Einheit mit Notwendigkeit die Zersetzung hervorging". Die Art.
lvie dieser Gedanke durchgeführt wird, erinnert oft an die eigenartige Auf¬
fassung, die Heinrich von Elater in seinein trefflichen Werk „Geschichte und
System der mittelalterlichen Weltanschauung" (Stuttgart, 1887) entwickelt hat.
Eben weil Lindner diese Zersetzung der Einheit aus dem innern Widerspruche
der kirchlichen Idee selbst zu erklären versucht, ist zum Beispiel die Schilderung
der Regierungsweise eines Friedrichs des Zweiten in Sizilien, die schon so


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[0473] Eine eigentümliche Stellung in diesem sich jetzt entwickelnden Welthandel nimmt dann Rußland ein, dessen alterer Geschichte ein besondrer Abschnitt ge¬ widmet wird, worin der Hauptnachdruck auf die Entwicklung der Welthandels¬ straßen dnrch dieses Land füllt. Auf dieser universalen Grundlage hebt sich dann der welthistorische Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum im Abendlande wirkungsvoll ab. Die Charakteristik der einzelnen großen Persönlichkeiten von Päpsten und Kaisern ist dabei ebenso eigenartig und durchdacht herausgearbeitet wie die der unter dein Einflüsse dieses Kampfes sich entwickelnden Zustünde. Ganz vortrefflich ist namentlich die Schilderung der Verfassung und Kultur in Deutschland mit seinein noch wenig von dem vorwiegenden Kindlichen verschiednen städtischen Leben. Großes Gewicht legt Lindner in dieser Beziehung für die Belebung des Verkehrs auf die Eroberung Italiens durch die Kaiserzüge, die in seiner Darstellung in ebenso Hellem wirtschaftsgeschichtlichem wie politischem Lichte erscheinen. Trotzdem aber nennt er, an Sybels Auffassung anknüpfend, im allge¬ meinen „die Wirkung auf Deutschland verhängnisvoll und staatsverderblich". Als Ergebnis der ganzen Entwicklung erscheint ihm, daß schon das neunte Jahrhundert die unverlöschlichem Grundlinien für die kirchliche Entwicklung des Abendlandes gezogen habe, indem das Papsttum allgemein als Haupt der christlichen Gemeinschaft anerkannt wurde. „Wohin auch vom Frankenreiche oder von England aus das Christentum weiter schritt, überall hin trug es die Autorität Roms." (S. 32V.) Von. hohem Interesse ist es, die von dieser Grundauffassung aus entworfne Schilderung des gewaltigen Kampfes zwischen den snlischen und hohenstaufischen Kaisern und den Päpsten ihrer Zeit im einzelnen zu verfolgen, und überaus reich ist die Fülle charakteristischer Aus¬ sprüche, die sie enthält. Wir können aus dieser Fülle nur einige wenige hier anführen. „Es gab, sagt er S. 321, eine einheitliche Kirchengewalt, aber keine einheitliche Staatsgewalt." Von dem Papsttum zur Zeit Gregors des Siebenten sagt er: „Eine wunderbare Gewalt, mit keinem Besitz, ohne eignes Heer und doch so großartig. So viel von seinen Erfolgen das Papsttum auch günstigen Verhältnissen verdankte, die Hauptsache lag in der Stärke der kirchlichen Idee, die alle Geister fesselte; sie dnrchdmng das ganze Leben wie die Luft alle Dinge." (S. 353.) Als Hauptaufgabe des dritten Bandes bezeichnet Lindner, er solle „vor allem zeigen, was'diese abendländisch-christliche Kultur vollbrachte, und wie aus ihrer Einheit mit Notwendigkeit die Zersetzung hervorging". Die Art. lvie dieser Gedanke durchgeführt wird, erinnert oft an die eigenartige Auf¬ fassung, die Heinrich von Elater in seinein trefflichen Werk „Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung" (Stuttgart, 1887) entwickelt hat. Eben weil Lindner diese Zersetzung der Einheit aus dem innern Widerspruche der kirchlichen Idee selbst zu erklären versucht, ist zum Beispiel die Schilderung der Regierungsweise eines Friedrichs des Zweiten in Sizilien, die schon so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/473>, abgerufen am 24.08.2024.