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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die großen Heeresreformen in Frankreich

Ranges, und man ist überzeugt, daß die algerisch-tunesische Armee nicht nur
imstande sei, den französischen Besitz an der afrikanischen Mittelmeerküste gegen
einen fremden Angreifer mit Erfolg zu verteidigen, sondern auch fähig sei,
sehr große Dienste zu leisten, wenn sie im Fall eines europäischen Krieges
nach dem Kontinent geschafft werde. Für diese Ausgabe aber und für die
Ausfüllung der durch die Einführung der zweijährigen Dienstzeit entstandnen
breiten Lücke in der Präsenzstärke des französischen Heeres beabsichtigt man
nun, die Hilfsquellen des großen nordafrikanischen Kolonialbesitzes besser aus¬
zunutzen.

Algier zählt nach der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung bei
einem Flächeninhalt von 890000 ciknr 4800000 Bewohner, davon sind Fran¬
zosen 358074, Fremde 242837. mithin Araber 4200400. Die aufzubringende
Rekrutenzahl würde somit einer Leistung von gegen 2^ Prozent der Bevöl¬
kerung entsprechen, was als sehr hoch bezeichnet werden muß, da sie über
doppelt so groß ist als die der Bevölkerung der großen Militärmächte. Das
19. Armeekorps in Algier besteht aus den 3 Divisionen in Algier, Oran und
Constantine und 4 Kavalleriebrigaden. Es umfaßt zwei verschiedenartige Truppen¬
kategorien; die eine rekrutiert sich analog den Regimentern des Mutterlandes,
da sie zum größern Teil aus regelmäßig mit ihrem Jahrgang einbernfnen
Mannschaften besteht. Sie umfaßt 3 Zuavenregimenter, 2 Bataillone leichter
afrikanischer Infanterie, 15 Batterien, 1 Geniebataillon und 5 Regimenter be¬
rittner Truppen. Ihre Effektivstärke beträgt einschließlich der Hilfsdienstzweige
26000 Mann. Die zweite Kategorie besteht aus Augeworbneu, und zwar
europäischen, wie die Fremdenlegion, und aus Eingebornen, wie die 3 Tirail-
leurregimenter der Turkos und die 3 Spahiregimenter. Sie ist 19000 Mann
stark. Ihre Mannschaft besteht sämtlich aus Freiwilligen oder für eine lange
Dienstzeit verpflichteten Kapitulanten.

Die Division von Tunis ist anders organisiert. Sie umfaßt französische
Truppen, wie Zuaven, reitende Jäger, Artilleristen und Pioniere, mit einer
Gesamtstärke von 12500 Mann. Ferner 5000 Mann eingeborne Truppen,
Tirailleurs und Spahis, die wie die Truppen des Mutterlandes durch regel¬
mäßige Einstellung gebildet sind; endlich angeworbne Truppen, die ausschließlich
aus cmgeworbnen und reengagierten (Tirailleurs und Spahis) Leuten bestehn
und 2000 Mann stark sind. Auf diese Weise kommen uur zwei Drittel der
dortigen Eingebornen, die im französischen Heere dienen, als zum Dienst ein¬
berufne in Betracht. Sie bleiben grundsätzlich nur drei Jahre bei den Fahnen,
kehren dann in die Heimat zurück und werden im Fall einer allgemeinen
Mobilmachung als Reservisten einberufen. Infolge dieser Anordnungen liefert
Tunis mit seinen 1800000 Einwohnern 8000 Mann aktiver Truppen und
10000 Ergänzungsmannschaften. In Algier sind die Eingebornen dagegen
keiner Verpflichtung zum Heeresdienst unterworfen, sie nehmen nach Belieben
Dienst und sind vollkommen frei, wenn sie ihn verlassen. Daher stellen die


Die großen Heeresreformen in Frankreich

Ranges, und man ist überzeugt, daß die algerisch-tunesische Armee nicht nur
imstande sei, den französischen Besitz an der afrikanischen Mittelmeerküste gegen
einen fremden Angreifer mit Erfolg zu verteidigen, sondern auch fähig sei,
sehr große Dienste zu leisten, wenn sie im Fall eines europäischen Krieges
nach dem Kontinent geschafft werde. Für diese Ausgabe aber und für die
Ausfüllung der durch die Einführung der zweijährigen Dienstzeit entstandnen
breiten Lücke in der Präsenzstärke des französischen Heeres beabsichtigt man
nun, die Hilfsquellen des großen nordafrikanischen Kolonialbesitzes besser aus¬
zunutzen.

Algier zählt nach der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung bei
einem Flächeninhalt von 890000 ciknr 4800000 Bewohner, davon sind Fran¬
zosen 358074, Fremde 242837. mithin Araber 4200400. Die aufzubringende
Rekrutenzahl würde somit einer Leistung von gegen 2^ Prozent der Bevöl¬
kerung entsprechen, was als sehr hoch bezeichnet werden muß, da sie über
doppelt so groß ist als die der Bevölkerung der großen Militärmächte. Das
19. Armeekorps in Algier besteht aus den 3 Divisionen in Algier, Oran und
Constantine und 4 Kavalleriebrigaden. Es umfaßt zwei verschiedenartige Truppen¬
kategorien; die eine rekrutiert sich analog den Regimentern des Mutterlandes,
da sie zum größern Teil aus regelmäßig mit ihrem Jahrgang einbernfnen
Mannschaften besteht. Sie umfaßt 3 Zuavenregimenter, 2 Bataillone leichter
afrikanischer Infanterie, 15 Batterien, 1 Geniebataillon und 5 Regimenter be¬
rittner Truppen. Ihre Effektivstärke beträgt einschließlich der Hilfsdienstzweige
26000 Mann. Die zweite Kategorie besteht aus Augeworbneu, und zwar
europäischen, wie die Fremdenlegion, und aus Eingebornen, wie die 3 Tirail-
leurregimenter der Turkos und die 3 Spahiregimenter. Sie ist 19000 Mann
stark. Ihre Mannschaft besteht sämtlich aus Freiwilligen oder für eine lange
Dienstzeit verpflichteten Kapitulanten.

Die Division von Tunis ist anders organisiert. Sie umfaßt französische
Truppen, wie Zuaven, reitende Jäger, Artilleristen und Pioniere, mit einer
Gesamtstärke von 12500 Mann. Ferner 5000 Mann eingeborne Truppen,
Tirailleurs und Spahis, die wie die Truppen des Mutterlandes durch regel¬
mäßige Einstellung gebildet sind; endlich angeworbne Truppen, die ausschließlich
aus cmgeworbnen und reengagierten (Tirailleurs und Spahis) Leuten bestehn
und 2000 Mann stark sind. Auf diese Weise kommen uur zwei Drittel der
dortigen Eingebornen, die im französischen Heere dienen, als zum Dienst ein¬
berufne in Betracht. Sie bleiben grundsätzlich nur drei Jahre bei den Fahnen,
kehren dann in die Heimat zurück und werden im Fall einer allgemeinen
Mobilmachung als Reservisten einberufen. Infolge dieser Anordnungen liefert
Tunis mit seinen 1800000 Einwohnern 8000 Mann aktiver Truppen und
10000 Ergänzungsmannschaften. In Algier sind die Eingebornen dagegen
keiner Verpflichtung zum Heeresdienst unterworfen, sie nehmen nach Belieben
Dienst und sind vollkommen frei, wenn sie ihn verlassen. Daher stellen die


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[0462] Die großen Heeresreformen in Frankreich Ranges, und man ist überzeugt, daß die algerisch-tunesische Armee nicht nur imstande sei, den französischen Besitz an der afrikanischen Mittelmeerküste gegen einen fremden Angreifer mit Erfolg zu verteidigen, sondern auch fähig sei, sehr große Dienste zu leisten, wenn sie im Fall eines europäischen Krieges nach dem Kontinent geschafft werde. Für diese Ausgabe aber und für die Ausfüllung der durch die Einführung der zweijährigen Dienstzeit entstandnen breiten Lücke in der Präsenzstärke des französischen Heeres beabsichtigt man nun, die Hilfsquellen des großen nordafrikanischen Kolonialbesitzes besser aus¬ zunutzen. Algier zählt nach der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung bei einem Flächeninhalt von 890000 ciknr 4800000 Bewohner, davon sind Fran¬ zosen 358074, Fremde 242837. mithin Araber 4200400. Die aufzubringende Rekrutenzahl würde somit einer Leistung von gegen 2^ Prozent der Bevöl¬ kerung entsprechen, was als sehr hoch bezeichnet werden muß, da sie über doppelt so groß ist als die der Bevölkerung der großen Militärmächte. Das 19. Armeekorps in Algier besteht aus den 3 Divisionen in Algier, Oran und Constantine und 4 Kavalleriebrigaden. Es umfaßt zwei verschiedenartige Truppen¬ kategorien; die eine rekrutiert sich analog den Regimentern des Mutterlandes, da sie zum größern Teil aus regelmäßig mit ihrem Jahrgang einbernfnen Mannschaften besteht. Sie umfaßt 3 Zuavenregimenter, 2 Bataillone leichter afrikanischer Infanterie, 15 Batterien, 1 Geniebataillon und 5 Regimenter be¬ rittner Truppen. Ihre Effektivstärke beträgt einschließlich der Hilfsdienstzweige 26000 Mann. Die zweite Kategorie besteht aus Augeworbneu, und zwar europäischen, wie die Fremdenlegion, und aus Eingebornen, wie die 3 Tirail- leurregimenter der Turkos und die 3 Spahiregimenter. Sie ist 19000 Mann stark. Ihre Mannschaft besteht sämtlich aus Freiwilligen oder für eine lange Dienstzeit verpflichteten Kapitulanten. Die Division von Tunis ist anders organisiert. Sie umfaßt französische Truppen, wie Zuaven, reitende Jäger, Artilleristen und Pioniere, mit einer Gesamtstärke von 12500 Mann. Ferner 5000 Mann eingeborne Truppen, Tirailleurs und Spahis, die wie die Truppen des Mutterlandes durch regel¬ mäßige Einstellung gebildet sind; endlich angeworbne Truppen, die ausschließlich aus cmgeworbnen und reengagierten (Tirailleurs und Spahis) Leuten bestehn und 2000 Mann stark sind. Auf diese Weise kommen uur zwei Drittel der dortigen Eingebornen, die im französischen Heere dienen, als zum Dienst ein¬ berufne in Betracht. Sie bleiben grundsätzlich nur drei Jahre bei den Fahnen, kehren dann in die Heimat zurück und werden im Fall einer allgemeinen Mobilmachung als Reservisten einberufen. Infolge dieser Anordnungen liefert Tunis mit seinen 1800000 Einwohnern 8000 Mann aktiver Truppen und 10000 Ergänzungsmannschaften. In Algier sind die Eingebornen dagegen keiner Verpflichtung zum Heeresdienst unterworfen, sie nehmen nach Belieben Dienst und sind vollkommen frei, wenn sie ihn verlassen. Daher stellen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/462>, abgerufen am 22.07.2024.