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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Neue Schönheiten und neue Aufgaben

Schönheit suchten, so gab und gibt es auch in der Baukunst nur wenige, die
dieser spröden Schönheit nachgingen, nur wenige, die die Aufgaben dieser
modernsten Bauprogramme, nämlich der Programme, die die moderne Industrie
stellt, mit ernster, fester Hand bewältigten.

Eine böse Zeit liegt hinter uns, eine Zeit des Umhertappens, des Kom¬
promisses, eine Zeit, in der man die Eisenkonstruktion einer Brücke verstecken
zu müssen glaubte, eine Zeit, in der man andrerseits es nicht der Mühe für
wert erachtete, reine Nutzbauten wie Wasserwerke, Gaswerke, Talsperren, Eisen¬
bahnbrücken, Bahnhofshallen usw. von einer künstlerisch geübten Hand gestalten
zu lassen, eine Zeit, in der, wenn man sich trotzdem dieser künstlerischen Kraft
bediente, eine tiefe Kluft gähnte zwischen der Formensprache des konstruierenden
Ingenieurs und der des künstlerisch gestaltenden Architekten. Jedermann kennt
jene Bauten, die von weiter nichts reden als von ihrem Nutzen, jene Wasser¬
türme, die wie große Taubenschläge auf einer Stange aussehen, jene Schuppen,
die aus vier Wänden und einem flachen Pappdach bestehn und zwar einer
malerischen Seite nicht zu entbehren brauchen, aber auf architektonische Ge¬
staltung keinen Anspruch machen können. Und doch sind diese einfachen Bauten
des Ingenieurs noch besser als jene zweite Klasse von Bauten, bei denen der
konstruierende Ingenieur den Architekten herbeirief, damit dieser sein Werk aus¬
staffiere. Jene Werke wollen in ihrer Einfachheit nicht mehr sein, als sie
sind, nämlich Nutzbauten, und deshalb liegt in ihrer kalten Wahrheit immerhin
noch ein gewisser ethischer Zug, diese aber paradieren in falscher Weise mit
fremden Federn. Jene eisernen Brücken mit den malerischen Tortürmen, jene
Bahnhofshallen mit der "historischen" Hausteinfassade; man möchte sie in zwei
Teile zerlegen, jeder Teil an und für sich ist gut, beide zusammen ein Schlag
ins Gesicht.

Ist diese böse Zeit schon ganz vorbei? Gewiß nicht, aber wir stehn gerade
an ihrem Ausgang, wir haben die Tür geöffnet, die auf ein neues freies Land
führt, hinaus aus dem engen dunkeln Stübchen des Akademikertums. Ein
neuer, frischer Wind erhebt sich, eine starke, steife Brise. Im vergangnen Jahre
hat der Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine folgende Rund¬
frage um alle Verbandsvereine ergehn lassen: "Welche Wege sind einzuschlagen,
damit bei Ingenieurbauten ästhetische Rücksichten in höherm Grade zur Geltung
kommen?" Die natürlich sehr mannigfache Beantwortung dieser Frage wird
gewiß nicht den Zweck verfehlen, die Gedanken aller Fachleute auf diese
schwierige Aufgabe zu lenken und auch die Aufmerksamkeit größerer Kreise mehr
und mehr auf diese moderne Baukunst richten. Das eine leuchtet wohl aus
allen Antworten hervor, daß die Schuld für ein Versagen bei der Gestaltung
eines Bauwerks, bei dem der Ingenieur und der Architekt beschäftigt waren, beide
Männer trifft, den Ingenieur, der mit Geringschätzung auf die Tätigkeit seines
Kollegen herabblickt, und den Architekten, der sich an die Formensprache historischer
Stilarten gewöhnt, der Ausdrucksweise des Ingenieurs nicht anzupassen ver¬
stand. Die Trennung der Fakultäten, so nötig sie war, hat schließlich eine


Neue Schönheiten und neue Aufgaben

Schönheit suchten, so gab und gibt es auch in der Baukunst nur wenige, die
dieser spröden Schönheit nachgingen, nur wenige, die die Aufgaben dieser
modernsten Bauprogramme, nämlich der Programme, die die moderne Industrie
stellt, mit ernster, fester Hand bewältigten.

Eine böse Zeit liegt hinter uns, eine Zeit des Umhertappens, des Kom¬
promisses, eine Zeit, in der man die Eisenkonstruktion einer Brücke verstecken
zu müssen glaubte, eine Zeit, in der man andrerseits es nicht der Mühe für
wert erachtete, reine Nutzbauten wie Wasserwerke, Gaswerke, Talsperren, Eisen¬
bahnbrücken, Bahnhofshallen usw. von einer künstlerisch geübten Hand gestalten
zu lassen, eine Zeit, in der, wenn man sich trotzdem dieser künstlerischen Kraft
bediente, eine tiefe Kluft gähnte zwischen der Formensprache des konstruierenden
Ingenieurs und der des künstlerisch gestaltenden Architekten. Jedermann kennt
jene Bauten, die von weiter nichts reden als von ihrem Nutzen, jene Wasser¬
türme, die wie große Taubenschläge auf einer Stange aussehen, jene Schuppen,
die aus vier Wänden und einem flachen Pappdach bestehn und zwar einer
malerischen Seite nicht zu entbehren brauchen, aber auf architektonische Ge¬
staltung keinen Anspruch machen können. Und doch sind diese einfachen Bauten
des Ingenieurs noch besser als jene zweite Klasse von Bauten, bei denen der
konstruierende Ingenieur den Architekten herbeirief, damit dieser sein Werk aus¬
staffiere. Jene Werke wollen in ihrer Einfachheit nicht mehr sein, als sie
sind, nämlich Nutzbauten, und deshalb liegt in ihrer kalten Wahrheit immerhin
noch ein gewisser ethischer Zug, diese aber paradieren in falscher Weise mit
fremden Federn. Jene eisernen Brücken mit den malerischen Tortürmen, jene
Bahnhofshallen mit der „historischen" Hausteinfassade; man möchte sie in zwei
Teile zerlegen, jeder Teil an und für sich ist gut, beide zusammen ein Schlag
ins Gesicht.

Ist diese böse Zeit schon ganz vorbei? Gewiß nicht, aber wir stehn gerade
an ihrem Ausgang, wir haben die Tür geöffnet, die auf ein neues freies Land
führt, hinaus aus dem engen dunkeln Stübchen des Akademikertums. Ein
neuer, frischer Wind erhebt sich, eine starke, steife Brise. Im vergangnen Jahre
hat der Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine folgende Rund¬
frage um alle Verbandsvereine ergehn lassen: „Welche Wege sind einzuschlagen,
damit bei Ingenieurbauten ästhetische Rücksichten in höherm Grade zur Geltung
kommen?" Die natürlich sehr mannigfache Beantwortung dieser Frage wird
gewiß nicht den Zweck verfehlen, die Gedanken aller Fachleute auf diese
schwierige Aufgabe zu lenken und auch die Aufmerksamkeit größerer Kreise mehr
und mehr auf diese moderne Baukunst richten. Das eine leuchtet wohl aus
allen Antworten hervor, daß die Schuld für ein Versagen bei der Gestaltung
eines Bauwerks, bei dem der Ingenieur und der Architekt beschäftigt waren, beide
Männer trifft, den Ingenieur, der mit Geringschätzung auf die Tätigkeit seines
Kollegen herabblickt, und den Architekten, der sich an die Formensprache historischer
Stilarten gewöhnt, der Ausdrucksweise des Ingenieurs nicht anzupassen ver¬
stand. Die Trennung der Fakultäten, so nötig sie war, hat schließlich eine


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[0435] Neue Schönheiten und neue Aufgaben Schönheit suchten, so gab und gibt es auch in der Baukunst nur wenige, die dieser spröden Schönheit nachgingen, nur wenige, die die Aufgaben dieser modernsten Bauprogramme, nämlich der Programme, die die moderne Industrie stellt, mit ernster, fester Hand bewältigten. Eine böse Zeit liegt hinter uns, eine Zeit des Umhertappens, des Kom¬ promisses, eine Zeit, in der man die Eisenkonstruktion einer Brücke verstecken zu müssen glaubte, eine Zeit, in der man andrerseits es nicht der Mühe für wert erachtete, reine Nutzbauten wie Wasserwerke, Gaswerke, Talsperren, Eisen¬ bahnbrücken, Bahnhofshallen usw. von einer künstlerisch geübten Hand gestalten zu lassen, eine Zeit, in der, wenn man sich trotzdem dieser künstlerischen Kraft bediente, eine tiefe Kluft gähnte zwischen der Formensprache des konstruierenden Ingenieurs und der des künstlerisch gestaltenden Architekten. Jedermann kennt jene Bauten, die von weiter nichts reden als von ihrem Nutzen, jene Wasser¬ türme, die wie große Taubenschläge auf einer Stange aussehen, jene Schuppen, die aus vier Wänden und einem flachen Pappdach bestehn und zwar einer malerischen Seite nicht zu entbehren brauchen, aber auf architektonische Ge¬ staltung keinen Anspruch machen können. Und doch sind diese einfachen Bauten des Ingenieurs noch besser als jene zweite Klasse von Bauten, bei denen der konstruierende Ingenieur den Architekten herbeirief, damit dieser sein Werk aus¬ staffiere. Jene Werke wollen in ihrer Einfachheit nicht mehr sein, als sie sind, nämlich Nutzbauten, und deshalb liegt in ihrer kalten Wahrheit immerhin noch ein gewisser ethischer Zug, diese aber paradieren in falscher Weise mit fremden Federn. Jene eisernen Brücken mit den malerischen Tortürmen, jene Bahnhofshallen mit der „historischen" Hausteinfassade; man möchte sie in zwei Teile zerlegen, jeder Teil an und für sich ist gut, beide zusammen ein Schlag ins Gesicht. Ist diese böse Zeit schon ganz vorbei? Gewiß nicht, aber wir stehn gerade an ihrem Ausgang, wir haben die Tür geöffnet, die auf ein neues freies Land führt, hinaus aus dem engen dunkeln Stübchen des Akademikertums. Ein neuer, frischer Wind erhebt sich, eine starke, steife Brise. Im vergangnen Jahre hat der Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine folgende Rund¬ frage um alle Verbandsvereine ergehn lassen: „Welche Wege sind einzuschlagen, damit bei Ingenieurbauten ästhetische Rücksichten in höherm Grade zur Geltung kommen?" Die natürlich sehr mannigfache Beantwortung dieser Frage wird gewiß nicht den Zweck verfehlen, die Gedanken aller Fachleute auf diese schwierige Aufgabe zu lenken und auch die Aufmerksamkeit größerer Kreise mehr und mehr auf diese moderne Baukunst richten. Das eine leuchtet wohl aus allen Antworten hervor, daß die Schuld für ein Versagen bei der Gestaltung eines Bauwerks, bei dem der Ingenieur und der Architekt beschäftigt waren, beide Männer trifft, den Ingenieur, der mit Geringschätzung auf die Tätigkeit seines Kollegen herabblickt, und den Architekten, der sich an die Formensprache historischer Stilarten gewöhnt, der Ausdrucksweise des Ingenieurs nicht anzupassen ver¬ stand. Die Trennung der Fakultäten, so nötig sie war, hat schließlich eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/435>, abgerufen am 22.07.2024.