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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Physischen Wechselbeziehungen (ich kann nicht finden, daß dieses bei Busse der
Fall sei) und schädige zugleich den ethischen Gehalt des Unsterblichkeitsgedankens,
denn er habe "in diesen einen begehrlichen Egoismus hineingetragen, der die
geistigen Güter nicht um ihrer selbst willen, sondern bloß wegen ihrer das
eigne Ich beglückenden Eigenschaften schätzt". Und gewähre auch hier nur eine
Scheinbefriedigung, denn das aus allen seinen Verbindungen und Beziehungen
gelöste Seelenatom gehe seines Inhalts und damit des Bewußtseins verlustig.
Die Anhänger dieser Hypothese glauben eben, daß beim Tode die bisherigen
Verbindungen durch andre, etwa einen "Astralleib" ersetzt werden. Wundt
bemerkt denn auch selbst, diesem Übelstande ließe sich vielleicht durch weitere
Hypothesen abhelfen. Schlimmer sei, "daß durch jene ausschließlich individuelle
Fassung des Nnsterblichkeitsgedankens nun auch die Idee des Weltzwecks ein
ganz und gar subjektives Gepräge empfängt, das ihren ethischen Wert zu be¬
seitigen droht. Denn nicht darum wird hier die Unsterblichkeit des Geistes als
eine persönliche Fortdauer gedacht, weil für uns nur in der Form des per¬
sönlichen Wirkens ein geistiges Sein und Geschehen denkbar ist, sondern allein
deshalb, weil man meint, nur auf diesen, Wege könne das unbegrenzte subjektive
Glücksbedürfnis seine Befriedigung finden. Der Geist soll unsterblich sein,
nicht um des unvergänglichen objektiven Wertes der geistigen Güter willen,
sondern damit jedes Subjekt diese Unsterblichkeit genießen könne." Unter der
UnVergänglichkeit des Geistes, an die der Christ glauben soll, sei nichts andres
zu verstehen, als "daß, weil der Geist selbst nur als unablässiges Werden und
Schaffen zu denken ist, jede geistige Kraft ihren bleibenden Wert in einem nie
endenden Werdeprozeß des Geistes behauptet". So ende die philosophische
Betrachtung der Religion ebenso wie die Untersuchung des sittlichen Lebens
bei dem Begriff des objektiven geistigen Wertes. Diese vermeintlichen objektiven
Werte habe ich schon im 40. und 41. Heft des Jahrgangs 1897 der Grenz¬
boten beleuchtet. Die platonischen Dialoge sind ein Gegenstand von unbestrittncm
Werte, und weil auf Papier gedruckt oder geschrieben, gegenstündliche Werte,
objektiv im körperlichen Sinne des Wortes. Nehmen wir nun an, in der
Völkerwanderung seien alle Exemplare vernichtet worden bis auf eins, dieses
eine aber sei mit den übrigen Büchern einer Klosterbibliothek zusammen wegen
eines drohenden Überfalls vergraben und dann nicht mehr aufgefunden worden,
so hätten die platonischen Dialoge, weil keine wirkliche Existenz, auch keinen
Wert mehr. Wirkliche Existenz haben Schriftwerke nur im Geiste ihres Schöpfers,
und das zweitemal gewinnen sie sie in dem Geiste dessen, der sie lesend genießt.
Objektive Werte, die nicht von einem Subjekt genossen werden, sind gar keine
Werte, gleichen Früchten, die ungenossen verfaulen. Die Objektivität zu be¬
tonen hat nur dann einen Sinn, wenn man damit die Anmaßung beliebiger
Subjekte zurückweisen will, von ihrem persönlichen Geschmack oder Nutzen aus
zu bestimmen, welcher Wert oder Unwert den Gegenstände zukomme, wenn
man nur der Vernunft, das heißt praktisch genommen der Übereinstimmung der


Physischen Wechselbeziehungen (ich kann nicht finden, daß dieses bei Busse der
Fall sei) und schädige zugleich den ethischen Gehalt des Unsterblichkeitsgedankens,
denn er habe „in diesen einen begehrlichen Egoismus hineingetragen, der die
geistigen Güter nicht um ihrer selbst willen, sondern bloß wegen ihrer das
eigne Ich beglückenden Eigenschaften schätzt". Und gewähre auch hier nur eine
Scheinbefriedigung, denn das aus allen seinen Verbindungen und Beziehungen
gelöste Seelenatom gehe seines Inhalts und damit des Bewußtseins verlustig.
Die Anhänger dieser Hypothese glauben eben, daß beim Tode die bisherigen
Verbindungen durch andre, etwa einen „Astralleib" ersetzt werden. Wundt
bemerkt denn auch selbst, diesem Übelstande ließe sich vielleicht durch weitere
Hypothesen abhelfen. Schlimmer sei, „daß durch jene ausschließlich individuelle
Fassung des Nnsterblichkeitsgedankens nun auch die Idee des Weltzwecks ein
ganz und gar subjektives Gepräge empfängt, das ihren ethischen Wert zu be¬
seitigen droht. Denn nicht darum wird hier die Unsterblichkeit des Geistes als
eine persönliche Fortdauer gedacht, weil für uns nur in der Form des per¬
sönlichen Wirkens ein geistiges Sein und Geschehen denkbar ist, sondern allein
deshalb, weil man meint, nur auf diesen, Wege könne das unbegrenzte subjektive
Glücksbedürfnis seine Befriedigung finden. Der Geist soll unsterblich sein,
nicht um des unvergänglichen objektiven Wertes der geistigen Güter willen,
sondern damit jedes Subjekt diese Unsterblichkeit genießen könne." Unter der
UnVergänglichkeit des Geistes, an die der Christ glauben soll, sei nichts andres
zu verstehen, als „daß, weil der Geist selbst nur als unablässiges Werden und
Schaffen zu denken ist, jede geistige Kraft ihren bleibenden Wert in einem nie
endenden Werdeprozeß des Geistes behauptet". So ende die philosophische
Betrachtung der Religion ebenso wie die Untersuchung des sittlichen Lebens
bei dem Begriff des objektiven geistigen Wertes. Diese vermeintlichen objektiven
Werte habe ich schon im 40. und 41. Heft des Jahrgangs 1897 der Grenz¬
boten beleuchtet. Die platonischen Dialoge sind ein Gegenstand von unbestrittncm
Werte, und weil auf Papier gedruckt oder geschrieben, gegenstündliche Werte,
objektiv im körperlichen Sinne des Wortes. Nehmen wir nun an, in der
Völkerwanderung seien alle Exemplare vernichtet worden bis auf eins, dieses
eine aber sei mit den übrigen Büchern einer Klosterbibliothek zusammen wegen
eines drohenden Überfalls vergraben und dann nicht mehr aufgefunden worden,
so hätten die platonischen Dialoge, weil keine wirkliche Existenz, auch keinen
Wert mehr. Wirkliche Existenz haben Schriftwerke nur im Geiste ihres Schöpfers,
und das zweitemal gewinnen sie sie in dem Geiste dessen, der sie lesend genießt.
Objektive Werte, die nicht von einem Subjekt genossen werden, sind gar keine
Werte, gleichen Früchten, die ungenossen verfaulen. Die Objektivität zu be¬
tonen hat nur dann einen Sinn, wenn man damit die Anmaßung beliebiger
Subjekte zurückweisen will, von ihrem persönlichen Geschmack oder Nutzen aus
zu bestimmen, welcher Wert oder Unwert den Gegenstände zukomme, wenn
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[0427] Physischen Wechselbeziehungen (ich kann nicht finden, daß dieses bei Busse der Fall sei) und schädige zugleich den ethischen Gehalt des Unsterblichkeitsgedankens, denn er habe „in diesen einen begehrlichen Egoismus hineingetragen, der die geistigen Güter nicht um ihrer selbst willen, sondern bloß wegen ihrer das eigne Ich beglückenden Eigenschaften schätzt". Und gewähre auch hier nur eine Scheinbefriedigung, denn das aus allen seinen Verbindungen und Beziehungen gelöste Seelenatom gehe seines Inhalts und damit des Bewußtseins verlustig. Die Anhänger dieser Hypothese glauben eben, daß beim Tode die bisherigen Verbindungen durch andre, etwa einen „Astralleib" ersetzt werden. Wundt bemerkt denn auch selbst, diesem Übelstande ließe sich vielleicht durch weitere Hypothesen abhelfen. Schlimmer sei, „daß durch jene ausschließlich individuelle Fassung des Nnsterblichkeitsgedankens nun auch die Idee des Weltzwecks ein ganz und gar subjektives Gepräge empfängt, das ihren ethischen Wert zu be¬ seitigen droht. Denn nicht darum wird hier die Unsterblichkeit des Geistes als eine persönliche Fortdauer gedacht, weil für uns nur in der Form des per¬ sönlichen Wirkens ein geistiges Sein und Geschehen denkbar ist, sondern allein deshalb, weil man meint, nur auf diesen, Wege könne das unbegrenzte subjektive Glücksbedürfnis seine Befriedigung finden. Der Geist soll unsterblich sein, nicht um des unvergänglichen objektiven Wertes der geistigen Güter willen, sondern damit jedes Subjekt diese Unsterblichkeit genießen könne." Unter der UnVergänglichkeit des Geistes, an die der Christ glauben soll, sei nichts andres zu verstehen, als „daß, weil der Geist selbst nur als unablässiges Werden und Schaffen zu denken ist, jede geistige Kraft ihren bleibenden Wert in einem nie endenden Werdeprozeß des Geistes behauptet". So ende die philosophische Betrachtung der Religion ebenso wie die Untersuchung des sittlichen Lebens bei dem Begriff des objektiven geistigen Wertes. Diese vermeintlichen objektiven Werte habe ich schon im 40. und 41. Heft des Jahrgangs 1897 der Grenz¬ boten beleuchtet. Die platonischen Dialoge sind ein Gegenstand von unbestrittncm Werte, und weil auf Papier gedruckt oder geschrieben, gegenstündliche Werte, objektiv im körperlichen Sinne des Wortes. Nehmen wir nun an, in der Völkerwanderung seien alle Exemplare vernichtet worden bis auf eins, dieses eine aber sei mit den übrigen Büchern einer Klosterbibliothek zusammen wegen eines drohenden Überfalls vergraben und dann nicht mehr aufgefunden worden, so hätten die platonischen Dialoge, weil keine wirkliche Existenz, auch keinen Wert mehr. Wirkliche Existenz haben Schriftwerke nur im Geiste ihres Schöpfers, und das zweitemal gewinnen sie sie in dem Geiste dessen, der sie lesend genießt. Objektive Werte, die nicht von einem Subjekt genossen werden, sind gar keine Werte, gleichen Früchten, die ungenossen verfaulen. Die Objektivität zu be¬ tonen hat nur dann einen Sinn, wenn man damit die Anmaßung beliebiger Subjekte zurückweisen will, von ihrem persönlichen Geschmack oder Nutzen aus zu bestimmen, welcher Wert oder Unwert den Gegenstände zukomme, wenn man nur der Vernunft, das heißt praktisch genommen der Übereinstimmung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/427>, abgerufen am 24.08.2024.