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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Thackeray

ihm die Geschichte bald nach christlicher Anschauung als ein Ergebnis eines
göttlichen Ratschlusses, bald sieht er darin das geheimnisvolle Wirken einer
Macht, die nach antiker Vorstellung das Geschick der Meuscheu oft grausam
lenkt, und das Leben erscheint ihm bald nach dem Texte des Propheten als
ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, bald als der tolle Reigen eines römischen
Bacchanals. Um uns durch ein Beispiel dieses moderne Heidentum Thackerays
zu versinnlichen, sei eine Stelle ans den ISuZIisd Humorist" angeführt.

"Ich habe eine Komödie Congreves, des Lustspieldichters, gelesen, und meine
Gefühle waren ganz jenen gleich, die wohl jeder von uns gehabt hat, indem
er zu Pompeji das Haus des Sallust betrachtete und die Überreste eines
Gelages: ein paar ausgetrocknete Weiukrüge, eine verkohlte Tafel, das Haupt
einer Tänzerin, gegen die Asche gedrückt, den grinsenden Schädel eines Lustig¬
machers, und ihn Todesstille rings umfing, während der Cicerone seine Er¬
klärung radebrecht, und sich über der Ruine das feierliche Blau des Himmels
wölbt. Die Muse Cougreves ist tot, und ihr Sang ist in der Zeiten Asche
erstickt. Wir starren das Knochengerüst an und wundern uns ob des Lebens,
das einst in ihren Adern tollte. Wir nehmen den Schädel auf, und es ergreift
uns seltsam bei dem Gedanken an die wilde Ausgelassenheit, den Witz, deu
Hohn, die Leidenschaft, Hoffnung, Begierde, die einst in dieser leeren Schale
aufgegoren. Wir gedenken der Blicke mit ihrem Feuer, der Tränen mit ihrem
Schmelz, der hellen Augen, die aus diesen Höhlen geleuchtet, der Lippen mit
ihrem Liebesgeflüster. Statt eines Festes finden wir einen Grabstein -- statt
eines schönen Frauenbildes ein paar Gebeine."

In der leisen Ironie, dem Pathos und der Resignation solcher Betrachtungen
finden wir den Moralisten Thackeray, zu dem der Satiriker die Brücke bildet.
Von jeher ist diese Art der Literatur in England ganz anders als in der
deutschen Literatur, wo der ästhetische Kanon das Moralische in Mißkredit
gebracht hat, ausgiebig gepflegt worden. Das stark entwickelte ethische Gefühl,
und noch mehr ein bis zum Exzeß gesteigerter Rechtssinn, vor allem das
nordische Klima, das den Menschen auf sich selbst anweist und den Sinn nach
innen kehrt, haben die Vorliebe für das Moralische in dem englischen Schrifttum
begünstigt. Thackeray trat als Moralist in die Fußtapfen der großen Moralisten
des achtzehnten Jahrhunderts, deren Bestes er in sich aufgenommen hatte; die
liebenswürdige Geschwätzigkeit und Gemütstiefe Steeles, die morgenländische
Beschaulichkeit und den vornehmen weltmännischen Ton Addisons, die klassische
Derbheit Fieldings, die Formgewandtheit und den überlegueu Witz Popes,
indem er von seinem Eignen einen leisen Anhang von Selbstironie und das
starke religiöse Gefühl hinzutat, das ihn berechtigte, sich den ^VösKä^ xreuvlisr,
den Werkeltagsprediger, zu nennen. Aber er ist weit davon entfernt, die Moral
mit der bewußten Selbstgefälligkeit des englischen Kanzelredners vorzutragen,
sondern sie löst sich gleichsam von selbst vou dem Gegenstande ab, der sie
veranlaßt. Eine Szene in dem Lustgarten von Vauxhall, irgendein kleines


Thackeray

ihm die Geschichte bald nach christlicher Anschauung als ein Ergebnis eines
göttlichen Ratschlusses, bald sieht er darin das geheimnisvolle Wirken einer
Macht, die nach antiker Vorstellung das Geschick der Meuscheu oft grausam
lenkt, und das Leben erscheint ihm bald nach dem Texte des Propheten als
ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, bald als der tolle Reigen eines römischen
Bacchanals. Um uns durch ein Beispiel dieses moderne Heidentum Thackerays
zu versinnlichen, sei eine Stelle ans den ISuZIisd Humorist« angeführt.

„Ich habe eine Komödie Congreves, des Lustspieldichters, gelesen, und meine
Gefühle waren ganz jenen gleich, die wohl jeder von uns gehabt hat, indem
er zu Pompeji das Haus des Sallust betrachtete und die Überreste eines
Gelages: ein paar ausgetrocknete Weiukrüge, eine verkohlte Tafel, das Haupt
einer Tänzerin, gegen die Asche gedrückt, den grinsenden Schädel eines Lustig¬
machers, und ihn Todesstille rings umfing, während der Cicerone seine Er¬
klärung radebrecht, und sich über der Ruine das feierliche Blau des Himmels
wölbt. Die Muse Cougreves ist tot, und ihr Sang ist in der Zeiten Asche
erstickt. Wir starren das Knochengerüst an und wundern uns ob des Lebens,
das einst in ihren Adern tollte. Wir nehmen den Schädel auf, und es ergreift
uns seltsam bei dem Gedanken an die wilde Ausgelassenheit, den Witz, deu
Hohn, die Leidenschaft, Hoffnung, Begierde, die einst in dieser leeren Schale
aufgegoren. Wir gedenken der Blicke mit ihrem Feuer, der Tränen mit ihrem
Schmelz, der hellen Augen, die aus diesen Höhlen geleuchtet, der Lippen mit
ihrem Liebesgeflüster. Statt eines Festes finden wir einen Grabstein — statt
eines schönen Frauenbildes ein paar Gebeine."

In der leisen Ironie, dem Pathos und der Resignation solcher Betrachtungen
finden wir den Moralisten Thackeray, zu dem der Satiriker die Brücke bildet.
Von jeher ist diese Art der Literatur in England ganz anders als in der
deutschen Literatur, wo der ästhetische Kanon das Moralische in Mißkredit
gebracht hat, ausgiebig gepflegt worden. Das stark entwickelte ethische Gefühl,
und noch mehr ein bis zum Exzeß gesteigerter Rechtssinn, vor allem das
nordische Klima, das den Menschen auf sich selbst anweist und den Sinn nach
innen kehrt, haben die Vorliebe für das Moralische in dem englischen Schrifttum
begünstigt. Thackeray trat als Moralist in die Fußtapfen der großen Moralisten
des achtzehnten Jahrhunderts, deren Bestes er in sich aufgenommen hatte; die
liebenswürdige Geschwätzigkeit und Gemütstiefe Steeles, die morgenländische
Beschaulichkeit und den vornehmen weltmännischen Ton Addisons, die klassische
Derbheit Fieldings, die Formgewandtheit und den überlegueu Witz Popes,
indem er von seinem Eignen einen leisen Anhang von Selbstironie und das
starke religiöse Gefühl hinzutat, das ihn berechtigte, sich den ^VösKä^ xreuvlisr,
den Werkeltagsprediger, zu nennen. Aber er ist weit davon entfernt, die Moral
mit der bewußten Selbstgefälligkeit des englischen Kanzelredners vorzutragen,
sondern sie löst sich gleichsam von selbst vou dem Gegenstande ab, der sie
veranlaßt. Eine Szene in dem Lustgarten von Vauxhall, irgendein kleines


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[0384] Thackeray ihm die Geschichte bald nach christlicher Anschauung als ein Ergebnis eines göttlichen Ratschlusses, bald sieht er darin das geheimnisvolle Wirken einer Macht, die nach antiker Vorstellung das Geschick der Meuscheu oft grausam lenkt, und das Leben erscheint ihm bald nach dem Texte des Propheten als ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, bald als der tolle Reigen eines römischen Bacchanals. Um uns durch ein Beispiel dieses moderne Heidentum Thackerays zu versinnlichen, sei eine Stelle ans den ISuZIisd Humorist« angeführt. „Ich habe eine Komödie Congreves, des Lustspieldichters, gelesen, und meine Gefühle waren ganz jenen gleich, die wohl jeder von uns gehabt hat, indem er zu Pompeji das Haus des Sallust betrachtete und die Überreste eines Gelages: ein paar ausgetrocknete Weiukrüge, eine verkohlte Tafel, das Haupt einer Tänzerin, gegen die Asche gedrückt, den grinsenden Schädel eines Lustig¬ machers, und ihn Todesstille rings umfing, während der Cicerone seine Er¬ klärung radebrecht, und sich über der Ruine das feierliche Blau des Himmels wölbt. Die Muse Cougreves ist tot, und ihr Sang ist in der Zeiten Asche erstickt. Wir starren das Knochengerüst an und wundern uns ob des Lebens, das einst in ihren Adern tollte. Wir nehmen den Schädel auf, und es ergreift uns seltsam bei dem Gedanken an die wilde Ausgelassenheit, den Witz, deu Hohn, die Leidenschaft, Hoffnung, Begierde, die einst in dieser leeren Schale aufgegoren. Wir gedenken der Blicke mit ihrem Feuer, der Tränen mit ihrem Schmelz, der hellen Augen, die aus diesen Höhlen geleuchtet, der Lippen mit ihrem Liebesgeflüster. Statt eines Festes finden wir einen Grabstein — statt eines schönen Frauenbildes ein paar Gebeine." In der leisen Ironie, dem Pathos und der Resignation solcher Betrachtungen finden wir den Moralisten Thackeray, zu dem der Satiriker die Brücke bildet. Von jeher ist diese Art der Literatur in England ganz anders als in der deutschen Literatur, wo der ästhetische Kanon das Moralische in Mißkredit gebracht hat, ausgiebig gepflegt worden. Das stark entwickelte ethische Gefühl, und noch mehr ein bis zum Exzeß gesteigerter Rechtssinn, vor allem das nordische Klima, das den Menschen auf sich selbst anweist und den Sinn nach innen kehrt, haben die Vorliebe für das Moralische in dem englischen Schrifttum begünstigt. Thackeray trat als Moralist in die Fußtapfen der großen Moralisten des achtzehnten Jahrhunderts, deren Bestes er in sich aufgenommen hatte; die liebenswürdige Geschwätzigkeit und Gemütstiefe Steeles, die morgenländische Beschaulichkeit und den vornehmen weltmännischen Ton Addisons, die klassische Derbheit Fieldings, die Formgewandtheit und den überlegueu Witz Popes, indem er von seinem Eignen einen leisen Anhang von Selbstironie und das starke religiöse Gefühl hinzutat, das ihn berechtigte, sich den ^VösKä^ xreuvlisr, den Werkeltagsprediger, zu nennen. Aber er ist weit davon entfernt, die Moral mit der bewußten Selbstgefälligkeit des englischen Kanzelredners vorzutragen, sondern sie löst sich gleichsam von selbst vou dem Gegenstande ab, der sie veranlaßt. Eine Szene in dem Lustgarten von Vauxhall, irgendein kleines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/384>, abgerufen am 22.07.2024.