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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

hinter der Linie der neu zu erbauenden Forts. Für den Kriegsfall steht ein
transportabler Eisenbahnpark zur Verfügung. Die Besatzung der Festung
beträgt etwa 42000 Mann, als mobile Reserve des Waffenplatzes Weichsel-Bug
sind etwa 60000 Mann zu zählen. Die Armierung besteht aus etwa 1400 Ge¬
schützen, worunter sich auch eine fahrbare Eisenbahnpanzerbatterie findet. An
Anstalten besitzt Warschau: 15 Verpflegungsmagazine zu 100000 Hektolitern,
eine große Zahl von Militürdampfbäckereien (täglich 135000 Portionen), eine
Militärdampfmühle, ein großes Zwiebackdepot; für die Verproviantierung werden
Vorräte für etwa 100000 Mann auf sechs Monate bereit gehalten. Warschau
enthält ein ausgebreitetes Netz telegraphischer Verbindungen, ist mit elektrischen
Lichtmaschinen, Luftschiffer, Vrieftaubenstationen, zahlreichen eisernen Be¬
obachtungsständen ausgerüstet; für die Instandsetzung der Festung sind mehrere
Arbeiterbataillone organisiert.

Warschau hat somit einen hohen Grad von Kriegsbereitschaft; die weite
Ausdehnung des Gürtels bietet im Verein mit umfassenden Vorkehrungen für
die Unterbringung von Truppen hinreichend Raum für das gesicherte Lagern
sehr großer Kräfte, die in den reichen Hilfsquellen des Landes und der Stadt
für mehrere Monate versorgt erscheinen; die große Entfernung des Gürtels
von den Brückenstellen sichert den Uferwechsel, für den überdies das Material
für eine Zylinder- und mehrere Floßbrücken bereit gehalten wird. Der Gürtel
ist am linken Weichselufer fortifikatorisch stärker gehalten und hierdurch die
durch das Gelände begünstigte Annäherung wett gemacht, dagegen ist die nord¬
westliche Zone des Gürtels minder widerstandsfähig, doch gestaltet hier das
Gelände das Vorgehn eines Angreifers zu einem sehr schwierigen Unternehmen.
Der fortifikatorische Zusammenhang mit den beiden befestigten Plätzen am Bug
und mit Rooo Georgiewsk zwingt den Angreifer auch aus diese Plätze mindestens
Rücksicht zu nehmen, also zu Detachierungen, die eine Kräfteverminderung zur
Folge haben müssen. Diesen Vorteilen, die Warschau dem Verteidiger bietet,
stehn jedoch eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die sich dahin zusammen¬
fassen lassen, daß der fortifikatorische Charakter der Gürtelwerke mit der Wirkung
moderner schwerer Kaliber nicht in Einklang gebracht wurde, wiewohl in den
letzten Jahren so manches für diese Zwecke geschehn sein mag, wie durch Be¬
tonierung und Panzerung und durch das Einschieben mehrerer Zwischenwerke
und durch Vermehrung der vorgeschobnen Forts. Der Ostteil des Gürtels
wird von einer großen, zum Teil versumpften Waldzvne umschlossen, und hier¬
durch wird die Bewegungsfreiheit des Verteidigers beeinträchtigt; als besondre
Schwäche muß die isolierte Lage mehrerer Forts im Südwestteil des Gürtels
bezeichnet werden, wie überhaupt der Gürtelabschnitt am westlichen Wcichselufer
einerseits zu nahe an die Stadtumfassung heranreicht, sodaß der Angreifer in
die Möglichkeit versetzt wird, über den Gürtel in die Räume der Bezirks- und
Hauptreserven zu wirken, andrerseits fortifikatorisch schwächer als jener am
östlichen Ufer ist.


Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

hinter der Linie der neu zu erbauenden Forts. Für den Kriegsfall steht ein
transportabler Eisenbahnpark zur Verfügung. Die Besatzung der Festung
beträgt etwa 42000 Mann, als mobile Reserve des Waffenplatzes Weichsel-Bug
sind etwa 60000 Mann zu zählen. Die Armierung besteht aus etwa 1400 Ge¬
schützen, worunter sich auch eine fahrbare Eisenbahnpanzerbatterie findet. An
Anstalten besitzt Warschau: 15 Verpflegungsmagazine zu 100000 Hektolitern,
eine große Zahl von Militürdampfbäckereien (täglich 135000 Portionen), eine
Militärdampfmühle, ein großes Zwiebackdepot; für die Verproviantierung werden
Vorräte für etwa 100000 Mann auf sechs Monate bereit gehalten. Warschau
enthält ein ausgebreitetes Netz telegraphischer Verbindungen, ist mit elektrischen
Lichtmaschinen, Luftschiffer, Vrieftaubenstationen, zahlreichen eisernen Be¬
obachtungsständen ausgerüstet; für die Instandsetzung der Festung sind mehrere
Arbeiterbataillone organisiert.

Warschau hat somit einen hohen Grad von Kriegsbereitschaft; die weite
Ausdehnung des Gürtels bietet im Verein mit umfassenden Vorkehrungen für
die Unterbringung von Truppen hinreichend Raum für das gesicherte Lagern
sehr großer Kräfte, die in den reichen Hilfsquellen des Landes und der Stadt
für mehrere Monate versorgt erscheinen; die große Entfernung des Gürtels
von den Brückenstellen sichert den Uferwechsel, für den überdies das Material
für eine Zylinder- und mehrere Floßbrücken bereit gehalten wird. Der Gürtel
ist am linken Weichselufer fortifikatorisch stärker gehalten und hierdurch die
durch das Gelände begünstigte Annäherung wett gemacht, dagegen ist die nord¬
westliche Zone des Gürtels minder widerstandsfähig, doch gestaltet hier das
Gelände das Vorgehn eines Angreifers zu einem sehr schwierigen Unternehmen.
Der fortifikatorische Zusammenhang mit den beiden befestigten Plätzen am Bug
und mit Rooo Georgiewsk zwingt den Angreifer auch aus diese Plätze mindestens
Rücksicht zu nehmen, also zu Detachierungen, die eine Kräfteverminderung zur
Folge haben müssen. Diesen Vorteilen, die Warschau dem Verteidiger bietet,
stehn jedoch eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die sich dahin zusammen¬
fassen lassen, daß der fortifikatorische Charakter der Gürtelwerke mit der Wirkung
moderner schwerer Kaliber nicht in Einklang gebracht wurde, wiewohl in den
letzten Jahren so manches für diese Zwecke geschehn sein mag, wie durch Be¬
tonierung und Panzerung und durch das Einschieben mehrerer Zwischenwerke
und durch Vermehrung der vorgeschobnen Forts. Der Ostteil des Gürtels
wird von einer großen, zum Teil versumpften Waldzvne umschlossen, und hier¬
durch wird die Bewegungsfreiheit des Verteidigers beeinträchtigt; als besondre
Schwäche muß die isolierte Lage mehrerer Forts im Südwestteil des Gürtels
bezeichnet werden, wie überhaupt der Gürtelabschnitt am westlichen Wcichselufer
einerseits zu nahe an die Stadtumfassung heranreicht, sodaß der Angreifer in
die Möglichkeit versetzt wird, über den Gürtel in die Räume der Bezirks- und
Hauptreserven zu wirken, andrerseits fortifikatorisch schwächer als jener am
östlichen Ufer ist.


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[0314] Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands hinter der Linie der neu zu erbauenden Forts. Für den Kriegsfall steht ein transportabler Eisenbahnpark zur Verfügung. Die Besatzung der Festung beträgt etwa 42000 Mann, als mobile Reserve des Waffenplatzes Weichsel-Bug sind etwa 60000 Mann zu zählen. Die Armierung besteht aus etwa 1400 Ge¬ schützen, worunter sich auch eine fahrbare Eisenbahnpanzerbatterie findet. An Anstalten besitzt Warschau: 15 Verpflegungsmagazine zu 100000 Hektolitern, eine große Zahl von Militürdampfbäckereien (täglich 135000 Portionen), eine Militärdampfmühle, ein großes Zwiebackdepot; für die Verproviantierung werden Vorräte für etwa 100000 Mann auf sechs Monate bereit gehalten. Warschau enthält ein ausgebreitetes Netz telegraphischer Verbindungen, ist mit elektrischen Lichtmaschinen, Luftschiffer, Vrieftaubenstationen, zahlreichen eisernen Be¬ obachtungsständen ausgerüstet; für die Instandsetzung der Festung sind mehrere Arbeiterbataillone organisiert. Warschau hat somit einen hohen Grad von Kriegsbereitschaft; die weite Ausdehnung des Gürtels bietet im Verein mit umfassenden Vorkehrungen für die Unterbringung von Truppen hinreichend Raum für das gesicherte Lagern sehr großer Kräfte, die in den reichen Hilfsquellen des Landes und der Stadt für mehrere Monate versorgt erscheinen; die große Entfernung des Gürtels von den Brückenstellen sichert den Uferwechsel, für den überdies das Material für eine Zylinder- und mehrere Floßbrücken bereit gehalten wird. Der Gürtel ist am linken Weichselufer fortifikatorisch stärker gehalten und hierdurch die durch das Gelände begünstigte Annäherung wett gemacht, dagegen ist die nord¬ westliche Zone des Gürtels minder widerstandsfähig, doch gestaltet hier das Gelände das Vorgehn eines Angreifers zu einem sehr schwierigen Unternehmen. Der fortifikatorische Zusammenhang mit den beiden befestigten Plätzen am Bug und mit Rooo Georgiewsk zwingt den Angreifer auch aus diese Plätze mindestens Rücksicht zu nehmen, also zu Detachierungen, die eine Kräfteverminderung zur Folge haben müssen. Diesen Vorteilen, die Warschau dem Verteidiger bietet, stehn jedoch eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die sich dahin zusammen¬ fassen lassen, daß der fortifikatorische Charakter der Gürtelwerke mit der Wirkung moderner schwerer Kaliber nicht in Einklang gebracht wurde, wiewohl in den letzten Jahren so manches für diese Zwecke geschehn sein mag, wie durch Be¬ tonierung und Panzerung und durch das Einschieben mehrerer Zwischenwerke und durch Vermehrung der vorgeschobnen Forts. Der Ostteil des Gürtels wird von einer großen, zum Teil versumpften Waldzvne umschlossen, und hier¬ durch wird die Bewegungsfreiheit des Verteidigers beeinträchtigt; als besondre Schwäche muß die isolierte Lage mehrerer Forts im Südwestteil des Gürtels bezeichnet werden, wie überhaupt der Gürtelabschnitt am westlichen Wcichselufer einerseits zu nahe an die Stadtumfassung heranreicht, sodaß der Angreifer in die Möglichkeit versetzt wird, über den Gürtel in die Räume der Bezirks- und Hauptreserven zu wirken, andrerseits fortifikatorisch schwächer als jener am östlichen Ufer ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/314>, abgerufen am 22.07.2024.