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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die neue Armada -- gegen Japan

Aber mit einer so kleinen Flotte eine Küste von New-Orleans bis nach Boston
decken zu wollen, das ist selbst unter dem Vorteil, daß der Feind die Schwierig¬
keit der Kohlenversorgnng hat, eine nicht ernsthaft zu nehmende Idee. Die
Fahrt von Hampton Noads nach Rio de Janeiro hat einen Monat gedauert.
Demnach wird die ganze Reise nach San Franzisko drei Monate beanspruchen,
vielleicht mehr, denn die Zeit für mehrmalige Kohlenübernahme kommt auch noch
hinzu. Ausreise und Heimreise erfordern ein halbes Jahr -- nein mehr, denn
nach halbjähriger Fahrt ist es höchste Zeit, die Schiffe ins Trockendock zu
bringen, damit der Boden gereinigt wird. Die Vewachsung mit Muscheln und
Tang verkümmert sonst die Geschwindigkeit zu sehr. Liegt die Flotte in San
Franzisko, und will der Präsident sie an der atlantischen Küste verwenden, so
vergehn mehr als drei Monate, ehe sie dort einen Schuß abfeuern kann. Mit
andern Worten: für die praktische Verwendung an der Ostküste kommt die Flotte
längere Zeit gar nicht in Frage. Präsident Noosevelt hat sich um ihre Schaffung
alle erdenkliche Mühe gegeben. Um so ernster muß er den Anlaß einsehn. aus
dem er die Verfügung über sie so lange Zeit aus der Hand gibt. Der
Anlaß ist kein andrer als die beträchtliche See- und Landmacht Japans, die
Dringlichkeit seiner Auswandrungspolitik, die Gedanken, die man sich in Washington
über die Möglichkeit einer Verwicklung mit Japan macht. Die empfindlichen
Punkte der amerikanischen Politik heißen heute San Franzisko, Honolulu, Manila.

Nachdem die Sache einmal aufgerollt ist, drängen sich natürlich viele Dinge
in den Vordergrund, an die sonst kaum gedacht zu werden braucht. Jetzt reist
die amerikanische Flotte in schönster Ungeniertheit nach dem fernen Westen. Es
herrscht ja tiefer Friede. Überall, wohin sie kommt, wird sie gern aufgenommen.
Der Versorgung mit Kohlen steht nicht das kleinste völkerrechtliche Bedenken
entgegen. Ohne alle Belästigung durch solche haben die nötigen Vorkehrungen
getroffen werden können. Eine ganze Handelsflotte mit Kohlen ist abgesandt,
um den nötigen Brennstoff bereit zu halten. Aber wie geht es im Kriege? Da
ist die Frage der Gestattung der Kohlenübernahme in neutralen Hafen nicht so
einfach. Namentlich die kleinen Staaten der Westküste dürften sich erinnern, daß
Japan dann doch in der Lage sein könnte, einen Neutralitätsbruch zugunsten der
Vereinigten Staaten zu ahnden. Leicht werden sie sich nicht entschließen. Eigne
Stützpunkte haben die Nordamerikaner südlich von Florida nicht. Bei der
Umschiffung der Südhälfte ihres Kontinents können sie nur auf Häfen unter
fremder Herrschaft zurückgreifen. England ist viel besser daran. Es hat auf der
Höhe der Chesapeakebai die Bermudasinseln, viele westindische Besitzungen, auf
dem südamerikanischen Festlande Guayana, im Atlantischen Ozean Se. Helena,
Ascension und nahe vor der Südspitze des Festlandes die vielleicht noch einmal
großer Bedeutung vorbehaltnen Falklandinseln. Östlich von Südamerika haben
beide Mächte nichts. Es liegt nahe, daß sich die Vereinigten Staaten bemühen,
die Gelegenheit auszunutzen, um einige Stützpunkte zu erlangen. Sie stehn
augenblicklich in glänzendem'Prestige bei allen kleinern Staaten, zumal seit sie


Die neue Armada — gegen Japan

Aber mit einer so kleinen Flotte eine Küste von New-Orleans bis nach Boston
decken zu wollen, das ist selbst unter dem Vorteil, daß der Feind die Schwierig¬
keit der Kohlenversorgnng hat, eine nicht ernsthaft zu nehmende Idee. Die
Fahrt von Hampton Noads nach Rio de Janeiro hat einen Monat gedauert.
Demnach wird die ganze Reise nach San Franzisko drei Monate beanspruchen,
vielleicht mehr, denn die Zeit für mehrmalige Kohlenübernahme kommt auch noch
hinzu. Ausreise und Heimreise erfordern ein halbes Jahr — nein mehr, denn
nach halbjähriger Fahrt ist es höchste Zeit, die Schiffe ins Trockendock zu
bringen, damit der Boden gereinigt wird. Die Vewachsung mit Muscheln und
Tang verkümmert sonst die Geschwindigkeit zu sehr. Liegt die Flotte in San
Franzisko, und will der Präsident sie an der atlantischen Küste verwenden, so
vergehn mehr als drei Monate, ehe sie dort einen Schuß abfeuern kann. Mit
andern Worten: für die praktische Verwendung an der Ostküste kommt die Flotte
längere Zeit gar nicht in Frage. Präsident Noosevelt hat sich um ihre Schaffung
alle erdenkliche Mühe gegeben. Um so ernster muß er den Anlaß einsehn. aus
dem er die Verfügung über sie so lange Zeit aus der Hand gibt. Der
Anlaß ist kein andrer als die beträchtliche See- und Landmacht Japans, die
Dringlichkeit seiner Auswandrungspolitik, die Gedanken, die man sich in Washington
über die Möglichkeit einer Verwicklung mit Japan macht. Die empfindlichen
Punkte der amerikanischen Politik heißen heute San Franzisko, Honolulu, Manila.

Nachdem die Sache einmal aufgerollt ist, drängen sich natürlich viele Dinge
in den Vordergrund, an die sonst kaum gedacht zu werden braucht. Jetzt reist
die amerikanische Flotte in schönster Ungeniertheit nach dem fernen Westen. Es
herrscht ja tiefer Friede. Überall, wohin sie kommt, wird sie gern aufgenommen.
Der Versorgung mit Kohlen steht nicht das kleinste völkerrechtliche Bedenken
entgegen. Ohne alle Belästigung durch solche haben die nötigen Vorkehrungen
getroffen werden können. Eine ganze Handelsflotte mit Kohlen ist abgesandt,
um den nötigen Brennstoff bereit zu halten. Aber wie geht es im Kriege? Da
ist die Frage der Gestattung der Kohlenübernahme in neutralen Hafen nicht so
einfach. Namentlich die kleinen Staaten der Westküste dürften sich erinnern, daß
Japan dann doch in der Lage sein könnte, einen Neutralitätsbruch zugunsten der
Vereinigten Staaten zu ahnden. Leicht werden sie sich nicht entschließen. Eigne
Stützpunkte haben die Nordamerikaner südlich von Florida nicht. Bei der
Umschiffung der Südhälfte ihres Kontinents können sie nur auf Häfen unter
fremder Herrschaft zurückgreifen. England ist viel besser daran. Es hat auf der
Höhe der Chesapeakebai die Bermudasinseln, viele westindische Besitzungen, auf
dem südamerikanischen Festlande Guayana, im Atlantischen Ozean Se. Helena,
Ascension und nahe vor der Südspitze des Festlandes die vielleicht noch einmal
großer Bedeutung vorbehaltnen Falklandinseln. Östlich von Südamerika haben
beide Mächte nichts. Es liegt nahe, daß sich die Vereinigten Staaten bemühen,
die Gelegenheit auszunutzen, um einige Stützpunkte zu erlangen. Sie stehn
augenblicklich in glänzendem'Prestige bei allen kleinern Staaten, zumal seit sie


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[0270] Die neue Armada — gegen Japan Aber mit einer so kleinen Flotte eine Küste von New-Orleans bis nach Boston decken zu wollen, das ist selbst unter dem Vorteil, daß der Feind die Schwierig¬ keit der Kohlenversorgnng hat, eine nicht ernsthaft zu nehmende Idee. Die Fahrt von Hampton Noads nach Rio de Janeiro hat einen Monat gedauert. Demnach wird die ganze Reise nach San Franzisko drei Monate beanspruchen, vielleicht mehr, denn die Zeit für mehrmalige Kohlenübernahme kommt auch noch hinzu. Ausreise und Heimreise erfordern ein halbes Jahr — nein mehr, denn nach halbjähriger Fahrt ist es höchste Zeit, die Schiffe ins Trockendock zu bringen, damit der Boden gereinigt wird. Die Vewachsung mit Muscheln und Tang verkümmert sonst die Geschwindigkeit zu sehr. Liegt die Flotte in San Franzisko, und will der Präsident sie an der atlantischen Küste verwenden, so vergehn mehr als drei Monate, ehe sie dort einen Schuß abfeuern kann. Mit andern Worten: für die praktische Verwendung an der Ostküste kommt die Flotte längere Zeit gar nicht in Frage. Präsident Noosevelt hat sich um ihre Schaffung alle erdenkliche Mühe gegeben. Um so ernster muß er den Anlaß einsehn. aus dem er die Verfügung über sie so lange Zeit aus der Hand gibt. Der Anlaß ist kein andrer als die beträchtliche See- und Landmacht Japans, die Dringlichkeit seiner Auswandrungspolitik, die Gedanken, die man sich in Washington über die Möglichkeit einer Verwicklung mit Japan macht. Die empfindlichen Punkte der amerikanischen Politik heißen heute San Franzisko, Honolulu, Manila. Nachdem die Sache einmal aufgerollt ist, drängen sich natürlich viele Dinge in den Vordergrund, an die sonst kaum gedacht zu werden braucht. Jetzt reist die amerikanische Flotte in schönster Ungeniertheit nach dem fernen Westen. Es herrscht ja tiefer Friede. Überall, wohin sie kommt, wird sie gern aufgenommen. Der Versorgung mit Kohlen steht nicht das kleinste völkerrechtliche Bedenken entgegen. Ohne alle Belästigung durch solche haben die nötigen Vorkehrungen getroffen werden können. Eine ganze Handelsflotte mit Kohlen ist abgesandt, um den nötigen Brennstoff bereit zu halten. Aber wie geht es im Kriege? Da ist die Frage der Gestattung der Kohlenübernahme in neutralen Hafen nicht so einfach. Namentlich die kleinen Staaten der Westküste dürften sich erinnern, daß Japan dann doch in der Lage sein könnte, einen Neutralitätsbruch zugunsten der Vereinigten Staaten zu ahnden. Leicht werden sie sich nicht entschließen. Eigne Stützpunkte haben die Nordamerikaner südlich von Florida nicht. Bei der Umschiffung der Südhälfte ihres Kontinents können sie nur auf Häfen unter fremder Herrschaft zurückgreifen. England ist viel besser daran. Es hat auf der Höhe der Chesapeakebai die Bermudasinseln, viele westindische Besitzungen, auf dem südamerikanischen Festlande Guayana, im Atlantischen Ozean Se. Helena, Ascension und nahe vor der Südspitze des Festlandes die vielleicht noch einmal großer Bedeutung vorbehaltnen Falklandinseln. Östlich von Südamerika haben beide Mächte nichts. Es liegt nahe, daß sich die Vereinigten Staaten bemühen, die Gelegenheit auszunutzen, um einige Stützpunkte zu erlangen. Sie stehn augenblicklich in glänzendem'Prestige bei allen kleinern Staaten, zumal seit sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/270>, abgerufen am 04.07.2024.