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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die neue Armada -- gegen Japan

die Weltverhältnisse übersehen können. Sie verstehn europäische Zeitungen zu
lesen, sie wissen, wie schwach die Streitkräfte sind, mit denen England sein
riesiges indisches Reich im Zaum hält. Ihr Zukunftsträum ist: "Indien für
die Inder." Sie sind fest überzeugt, daß sie einst ein Reich von 300 Millionen
Seelen bilden werden, das die Fesseln der europäischen Herrschaft wie Spinnen¬
faden zerreißt. Ja, die Zukunft scheint ihnen recht nahe zu sein. Die Agitation
bezieht sich schon auf die Gegenwart. Sie verlangen dasselbe Recht wie andre
britische Kolonien: Selbstverwaltung, ein indisches Parlament, ohne dessen Zu¬
stimmung keine Gesetze erlassen werden, keine Steuern erhoben, keine Ausgaben
gemacht werden dürfen. Alle Posten in der Zivilverwaltung wie im Heere
und der zu schaffenden Flotte sollen nur durch Inder besetzt werden. Unruhen
im Sinne dieser Ansichten sind eingetreten und noch leicht unterdrückt worden.
Die Richtung der Geister bleibt. Die Inder rechnen auf japanische Hilfe. Auf
alle Fälle muß England darauf gefaßt sein, daß die Inder eine etwaige aus¬
wärtige Verwicklung benutzen, um sich zu empören. Und daß England darauf
rechnet, daß die japanische Flotte auch einmal einen unerwünschten Besuch machen
könnte, beweist die Befestigung Singapores.

Japan zweifelt nicht daran, daß es wesentlich auf sich selbst angewiesen
sein wird, wenn es je versuchen sollte, das Monopol der kaukasischen Rasse in
Amerika und Australien zu brechen. Dennoch hat es mit Genugtuung kon¬
statieren können, daß die öffentliche Meinung Englands -- die Regierung hat
öffentlich noch nicht gesprochen -- den Gedanken zurückgewiesen hat, daß Eng¬
land wegen der Abneigung Westkanadas gegen Farbige gemeinsame Sache mit
den Amerikanern machen werde. Newyorker Zeitungen nahmen das als aus¬
gemacht an. Höhnisch verkündeten sie, ein Machtwort Englands an seinen
Verbündeten werde diesen in seinen Schranken halten. So weit denkt Eng¬
land denn doch nicht zu gehn. Die Londoner Presse hat der amerikanischen
Kollegin sehr deutlich zu verstehn gegeben, die Vereinigten Staaten möchten
ihren Streit mit Japan allein erledigen. Für England sei das Bündnis mit
Japan eine der Grundsäulen der politischen Lage; es wünsche diese erhalten
zu sehen und zweifle nicht, daß es die Differenzen wegen der Einwcmdrung
Farbiger nach Britisch-Kolumbien freundschaftlich werde regeln können. Eng¬
land wünscht also, daß die beiden meistbeteiligten Mächte ihren Zwiespalt ohne
sein Zutun zum Austrag bringen. Ihm kann es nur lieb sein, wenn sie sich
das Gleichgewicht halten. Träte es auf Japans Seite, so riskierte es nicht
nur die Treue Westkanadas sondern einen Verlust seiner sämtlichen kanadischen
Besitzungen an die Union. Wendete es sich gegen Japan, so käme die Ruhe
Indiens in Gefahr. Überhaupt entspricht es englischen Traditionen, dem Streit
zweier andrer zuzusehn, Traditionen, die nicht ohne weiteres verdammt werden
können, auch wenn sie wie alle Politik ihren Ursprung im Eigennutz haben.

Präsident Noosevelt sah nicht sobald seine Bemühungen um Beschwichtigung
des Rassenhasses in Kalifornien in vollständigem Mißerfolg enden, als er ein


Die neue Armada — gegen Japan

die Weltverhältnisse übersehen können. Sie verstehn europäische Zeitungen zu
lesen, sie wissen, wie schwach die Streitkräfte sind, mit denen England sein
riesiges indisches Reich im Zaum hält. Ihr Zukunftsträum ist: „Indien für
die Inder." Sie sind fest überzeugt, daß sie einst ein Reich von 300 Millionen
Seelen bilden werden, das die Fesseln der europäischen Herrschaft wie Spinnen¬
faden zerreißt. Ja, die Zukunft scheint ihnen recht nahe zu sein. Die Agitation
bezieht sich schon auf die Gegenwart. Sie verlangen dasselbe Recht wie andre
britische Kolonien: Selbstverwaltung, ein indisches Parlament, ohne dessen Zu¬
stimmung keine Gesetze erlassen werden, keine Steuern erhoben, keine Ausgaben
gemacht werden dürfen. Alle Posten in der Zivilverwaltung wie im Heere
und der zu schaffenden Flotte sollen nur durch Inder besetzt werden. Unruhen
im Sinne dieser Ansichten sind eingetreten und noch leicht unterdrückt worden.
Die Richtung der Geister bleibt. Die Inder rechnen auf japanische Hilfe. Auf
alle Fälle muß England darauf gefaßt sein, daß die Inder eine etwaige aus¬
wärtige Verwicklung benutzen, um sich zu empören. Und daß England darauf
rechnet, daß die japanische Flotte auch einmal einen unerwünschten Besuch machen
könnte, beweist die Befestigung Singapores.

Japan zweifelt nicht daran, daß es wesentlich auf sich selbst angewiesen
sein wird, wenn es je versuchen sollte, das Monopol der kaukasischen Rasse in
Amerika und Australien zu brechen. Dennoch hat es mit Genugtuung kon¬
statieren können, daß die öffentliche Meinung Englands — die Regierung hat
öffentlich noch nicht gesprochen — den Gedanken zurückgewiesen hat, daß Eng¬
land wegen der Abneigung Westkanadas gegen Farbige gemeinsame Sache mit
den Amerikanern machen werde. Newyorker Zeitungen nahmen das als aus¬
gemacht an. Höhnisch verkündeten sie, ein Machtwort Englands an seinen
Verbündeten werde diesen in seinen Schranken halten. So weit denkt Eng¬
land denn doch nicht zu gehn. Die Londoner Presse hat der amerikanischen
Kollegin sehr deutlich zu verstehn gegeben, die Vereinigten Staaten möchten
ihren Streit mit Japan allein erledigen. Für England sei das Bündnis mit
Japan eine der Grundsäulen der politischen Lage; es wünsche diese erhalten
zu sehen und zweifle nicht, daß es die Differenzen wegen der Einwcmdrung
Farbiger nach Britisch-Kolumbien freundschaftlich werde regeln können. Eng¬
land wünscht also, daß die beiden meistbeteiligten Mächte ihren Zwiespalt ohne
sein Zutun zum Austrag bringen. Ihm kann es nur lieb sein, wenn sie sich
das Gleichgewicht halten. Träte es auf Japans Seite, so riskierte es nicht
nur die Treue Westkanadas sondern einen Verlust seiner sämtlichen kanadischen
Besitzungen an die Union. Wendete es sich gegen Japan, so käme die Ruhe
Indiens in Gefahr. Überhaupt entspricht es englischen Traditionen, dem Streit
zweier andrer zuzusehn, Traditionen, die nicht ohne weiteres verdammt werden
können, auch wenn sie wie alle Politik ihren Ursprung im Eigennutz haben.

Präsident Noosevelt sah nicht sobald seine Bemühungen um Beschwichtigung
des Rassenhasses in Kalifornien in vollständigem Mißerfolg enden, als er ein


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[0264] Die neue Armada — gegen Japan die Weltverhältnisse übersehen können. Sie verstehn europäische Zeitungen zu lesen, sie wissen, wie schwach die Streitkräfte sind, mit denen England sein riesiges indisches Reich im Zaum hält. Ihr Zukunftsträum ist: „Indien für die Inder." Sie sind fest überzeugt, daß sie einst ein Reich von 300 Millionen Seelen bilden werden, das die Fesseln der europäischen Herrschaft wie Spinnen¬ faden zerreißt. Ja, die Zukunft scheint ihnen recht nahe zu sein. Die Agitation bezieht sich schon auf die Gegenwart. Sie verlangen dasselbe Recht wie andre britische Kolonien: Selbstverwaltung, ein indisches Parlament, ohne dessen Zu¬ stimmung keine Gesetze erlassen werden, keine Steuern erhoben, keine Ausgaben gemacht werden dürfen. Alle Posten in der Zivilverwaltung wie im Heere und der zu schaffenden Flotte sollen nur durch Inder besetzt werden. Unruhen im Sinne dieser Ansichten sind eingetreten und noch leicht unterdrückt worden. Die Richtung der Geister bleibt. Die Inder rechnen auf japanische Hilfe. Auf alle Fälle muß England darauf gefaßt sein, daß die Inder eine etwaige aus¬ wärtige Verwicklung benutzen, um sich zu empören. Und daß England darauf rechnet, daß die japanische Flotte auch einmal einen unerwünschten Besuch machen könnte, beweist die Befestigung Singapores. Japan zweifelt nicht daran, daß es wesentlich auf sich selbst angewiesen sein wird, wenn es je versuchen sollte, das Monopol der kaukasischen Rasse in Amerika und Australien zu brechen. Dennoch hat es mit Genugtuung kon¬ statieren können, daß die öffentliche Meinung Englands — die Regierung hat öffentlich noch nicht gesprochen — den Gedanken zurückgewiesen hat, daß Eng¬ land wegen der Abneigung Westkanadas gegen Farbige gemeinsame Sache mit den Amerikanern machen werde. Newyorker Zeitungen nahmen das als aus¬ gemacht an. Höhnisch verkündeten sie, ein Machtwort Englands an seinen Verbündeten werde diesen in seinen Schranken halten. So weit denkt Eng¬ land denn doch nicht zu gehn. Die Londoner Presse hat der amerikanischen Kollegin sehr deutlich zu verstehn gegeben, die Vereinigten Staaten möchten ihren Streit mit Japan allein erledigen. Für England sei das Bündnis mit Japan eine der Grundsäulen der politischen Lage; es wünsche diese erhalten zu sehen und zweifle nicht, daß es die Differenzen wegen der Einwcmdrung Farbiger nach Britisch-Kolumbien freundschaftlich werde regeln können. Eng¬ land wünscht also, daß die beiden meistbeteiligten Mächte ihren Zwiespalt ohne sein Zutun zum Austrag bringen. Ihm kann es nur lieb sein, wenn sie sich das Gleichgewicht halten. Träte es auf Japans Seite, so riskierte es nicht nur die Treue Westkanadas sondern einen Verlust seiner sämtlichen kanadischen Besitzungen an die Union. Wendete es sich gegen Japan, so käme die Ruhe Indiens in Gefahr. Überhaupt entspricht es englischen Traditionen, dem Streit zweier andrer zuzusehn, Traditionen, die nicht ohne weiteres verdammt werden können, auch wenn sie wie alle Politik ihren Ursprung im Eigennutz haben. Präsident Noosevelt sah nicht sobald seine Bemühungen um Beschwichtigung des Rassenhasses in Kalifornien in vollständigem Mißerfolg enden, als er ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/264>, abgerufen am 23.06.2024.