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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Internationale Wirtschaftspolitik

Lehre von der Entwicklung und den Gesetzen jener Anschauungen, Bestrebungen,
Maßnahmen des Staates und der Einzelpersonen, die sich auf den Persouen-
und den Sachverkehr eines Landes (einer Nationalwirtschaft) mit dem Aus¬
lande beziehen, und die, insoweit der Staat (Gesetzgebung und Regierung) in
Betracht kommt, diesen Verkehr im allgemeinen Interesse der eignen National¬
wirtschaft zu beeinflussen und zu regeln suchen". Im Vorwort bringt
Kobatsch den Befähigungsnachweis für die Aufgabe, die er sich gestellt hat.
Er hat sich in den Seminarien von Karl Menger, Juana-Sternegg, Böhm-
Bawerk und Philippovich sowie im Kommunaldienst der Stadt Wien und als
Konzipient der Niederösterreichischen Handels- und Gewcrbekammer vorbereitet,
ist jetzt erster Sekretär des Niederösterreichischen Gewerbevereins und hat in
dessen Auftrage sowie auch selbständig die österreichische Monarchie und das
Ausland bereist, um sich über die wirtschaftlichen Zustünde und Verhältnisse
zu unterrichten.

In langen methodologischen Abhandlungen kommt er zu dem Ergebnis,
daß die Internationale Wirtschaftspolitik, da sie nicht feste und unveränderliche
Dinge, sondern fließende Zustände, deren jeder seine Ursachen in den vorher-
gegangnen hat, zum Gegenstande habe, entwicklungsgeschichtlich behandelt werden
müsse, und er zeigt in einer besondern Reihe von Kapiteln, wie das geschehen
könne. Entwicklung setzt ein Ziel voraus, und dem Verfasser schwebt, wie
wir sehen werden, ein solches vor; noch so lange Reihen von Veränderungen,
die keinem erkennbaren Ziele zustreben, dürfen nicht Entwicklung genannt
werden. Der praktische Staatsmann nun wird sich zwar die entwicklungs¬
theoretische Darstellung gern gefallen lassen, der bequemen Übersicht wegen,
die jede systematische Gliederung des Stoffes gewährt, und weil gerade diese
sowohl den Erkenntnistrieb wie das ästhetische Bedürfnis befriedigt. In der
Praxis aber wird er wohl noch lange Zeit reiner Opportunist bleiben,
d. h. jedesmal die Maßregel ergreifen, die augenblicklich dem eignen Staate
oder der eignen Volkswirtschaft am wenigsten zu schaden oder am meisten zu
nützen scheint. Seiner entwicklungstheoretischen Überzeugung, falls er sie ge¬
wonnen haben sollte, wird er höchstens in der Weise Rechnung tragen, daß
er von zwei im übrigen gleichwertigen Maßregeln die wählt, die der erkannten
oder angenommnen Entwicklungstendenz am besten entspricht oder wenigstens
nicht widerspricht. Wie wir sogleich sehen werden, mutet auch Kobatsch dem
praktischen Politiker kein andres Verhalten zu. Der eigentliche Stoff der
vorgeschlagnen Wissenschaft nun wird in folgenden Hauptabschnitten ab¬
gehandelt: Internationaler Personenverkehr; Internationaler Sachverkehr; Zoll¬
politik (als Wirkung der Interessenkonflikte im internationalen Warenverkehr);
Entwicklungsgesetze der internationalen Wirtschaftspolitik; Entwicklungsstufen
der internationalen Wirtschaftspolitik; Internationalismus.

Mit dem letzten Worte ist das Ideal des Verfassers ausgesprochen, das
er schon von vornherein angekündigt hat, und das dann die Reihenfolge der


Internationale Wirtschaftspolitik

Lehre von der Entwicklung und den Gesetzen jener Anschauungen, Bestrebungen,
Maßnahmen des Staates und der Einzelpersonen, die sich auf den Persouen-
und den Sachverkehr eines Landes (einer Nationalwirtschaft) mit dem Aus¬
lande beziehen, und die, insoweit der Staat (Gesetzgebung und Regierung) in
Betracht kommt, diesen Verkehr im allgemeinen Interesse der eignen National¬
wirtschaft zu beeinflussen und zu regeln suchen". Im Vorwort bringt
Kobatsch den Befähigungsnachweis für die Aufgabe, die er sich gestellt hat.
Er hat sich in den Seminarien von Karl Menger, Juana-Sternegg, Böhm-
Bawerk und Philippovich sowie im Kommunaldienst der Stadt Wien und als
Konzipient der Niederösterreichischen Handels- und Gewcrbekammer vorbereitet,
ist jetzt erster Sekretär des Niederösterreichischen Gewerbevereins und hat in
dessen Auftrage sowie auch selbständig die österreichische Monarchie und das
Ausland bereist, um sich über die wirtschaftlichen Zustünde und Verhältnisse
zu unterrichten.

In langen methodologischen Abhandlungen kommt er zu dem Ergebnis,
daß die Internationale Wirtschaftspolitik, da sie nicht feste und unveränderliche
Dinge, sondern fließende Zustände, deren jeder seine Ursachen in den vorher-
gegangnen hat, zum Gegenstande habe, entwicklungsgeschichtlich behandelt werden
müsse, und er zeigt in einer besondern Reihe von Kapiteln, wie das geschehen
könne. Entwicklung setzt ein Ziel voraus, und dem Verfasser schwebt, wie
wir sehen werden, ein solches vor; noch so lange Reihen von Veränderungen,
die keinem erkennbaren Ziele zustreben, dürfen nicht Entwicklung genannt
werden. Der praktische Staatsmann nun wird sich zwar die entwicklungs¬
theoretische Darstellung gern gefallen lassen, der bequemen Übersicht wegen,
die jede systematische Gliederung des Stoffes gewährt, und weil gerade diese
sowohl den Erkenntnistrieb wie das ästhetische Bedürfnis befriedigt. In der
Praxis aber wird er wohl noch lange Zeit reiner Opportunist bleiben,
d. h. jedesmal die Maßregel ergreifen, die augenblicklich dem eignen Staate
oder der eignen Volkswirtschaft am wenigsten zu schaden oder am meisten zu
nützen scheint. Seiner entwicklungstheoretischen Überzeugung, falls er sie ge¬
wonnen haben sollte, wird er höchstens in der Weise Rechnung tragen, daß
er von zwei im übrigen gleichwertigen Maßregeln die wählt, die der erkannten
oder angenommnen Entwicklungstendenz am besten entspricht oder wenigstens
nicht widerspricht. Wie wir sogleich sehen werden, mutet auch Kobatsch dem
praktischen Politiker kein andres Verhalten zu. Der eigentliche Stoff der
vorgeschlagnen Wissenschaft nun wird in folgenden Hauptabschnitten ab¬
gehandelt: Internationaler Personenverkehr; Internationaler Sachverkehr; Zoll¬
politik (als Wirkung der Interessenkonflikte im internationalen Warenverkehr);
Entwicklungsgesetze der internationalen Wirtschaftspolitik; Entwicklungsstufen
der internationalen Wirtschaftspolitik; Internationalismus.

Mit dem letzten Worte ist das Ideal des Verfassers ausgesprochen, das
er schon von vornherein angekündigt hat, und das dann die Reihenfolge der


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[0224] Internationale Wirtschaftspolitik Lehre von der Entwicklung und den Gesetzen jener Anschauungen, Bestrebungen, Maßnahmen des Staates und der Einzelpersonen, die sich auf den Persouen- und den Sachverkehr eines Landes (einer Nationalwirtschaft) mit dem Aus¬ lande beziehen, und die, insoweit der Staat (Gesetzgebung und Regierung) in Betracht kommt, diesen Verkehr im allgemeinen Interesse der eignen National¬ wirtschaft zu beeinflussen und zu regeln suchen". Im Vorwort bringt Kobatsch den Befähigungsnachweis für die Aufgabe, die er sich gestellt hat. Er hat sich in den Seminarien von Karl Menger, Juana-Sternegg, Böhm- Bawerk und Philippovich sowie im Kommunaldienst der Stadt Wien und als Konzipient der Niederösterreichischen Handels- und Gewcrbekammer vorbereitet, ist jetzt erster Sekretär des Niederösterreichischen Gewerbevereins und hat in dessen Auftrage sowie auch selbständig die österreichische Monarchie und das Ausland bereist, um sich über die wirtschaftlichen Zustünde und Verhältnisse zu unterrichten. In langen methodologischen Abhandlungen kommt er zu dem Ergebnis, daß die Internationale Wirtschaftspolitik, da sie nicht feste und unveränderliche Dinge, sondern fließende Zustände, deren jeder seine Ursachen in den vorher- gegangnen hat, zum Gegenstande habe, entwicklungsgeschichtlich behandelt werden müsse, und er zeigt in einer besondern Reihe von Kapiteln, wie das geschehen könne. Entwicklung setzt ein Ziel voraus, und dem Verfasser schwebt, wie wir sehen werden, ein solches vor; noch so lange Reihen von Veränderungen, die keinem erkennbaren Ziele zustreben, dürfen nicht Entwicklung genannt werden. Der praktische Staatsmann nun wird sich zwar die entwicklungs¬ theoretische Darstellung gern gefallen lassen, der bequemen Übersicht wegen, die jede systematische Gliederung des Stoffes gewährt, und weil gerade diese sowohl den Erkenntnistrieb wie das ästhetische Bedürfnis befriedigt. In der Praxis aber wird er wohl noch lange Zeit reiner Opportunist bleiben, d. h. jedesmal die Maßregel ergreifen, die augenblicklich dem eignen Staate oder der eignen Volkswirtschaft am wenigsten zu schaden oder am meisten zu nützen scheint. Seiner entwicklungstheoretischen Überzeugung, falls er sie ge¬ wonnen haben sollte, wird er höchstens in der Weise Rechnung tragen, daß er von zwei im übrigen gleichwertigen Maßregeln die wählt, die der erkannten oder angenommnen Entwicklungstendenz am besten entspricht oder wenigstens nicht widerspricht. Wie wir sogleich sehen werden, mutet auch Kobatsch dem praktischen Politiker kein andres Verhalten zu. Der eigentliche Stoff der vorgeschlagnen Wissenschaft nun wird in folgenden Hauptabschnitten ab¬ gehandelt: Internationaler Personenverkehr; Internationaler Sachverkehr; Zoll¬ politik (als Wirkung der Interessenkonflikte im internationalen Warenverkehr); Entwicklungsgesetze der internationalen Wirtschaftspolitik; Entwicklungsstufen der internationalen Wirtschaftspolitik; Internationalismus. Mit dem letzten Worte ist das Ideal des Verfassers ausgesprochen, das er schon von vornherein angekündigt hat, und das dann die Reihenfolge der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/224>, abgerufen am 22.07.2024.