Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Denkschrift aus dem Jahre ^350

Konsequenzen erwartet. Die Verstimmung führt leider öfter zu taktlosen Äuße¬
rungen, welche einen Fremden zu dem Schlüsse berechtigen, daß der einheitliche
Geist der Armee nicht mehr überall in der früheren Stärke vorhanden sei.

Die vielfach verbreiteten Einzelheiten über und aus dem Leben der Prinzessin
von Preußen mögen hier unerwähnt bleiben; nur die eine Tatsache muß als
Kriterium der Koblenzer Agitation hervorgehoben werden, daß in allen politischen
Gesprächen und Unterredungen von der Prinzessin geltend gemacht wird, wie
durch die konstitutionelle Staatsverfassung dem Talente, dem Ehrgeize und der
Bildung ein ungleich größeres und hoffnungsreicheres Feld der Tätigkeit eröffnet
werde, als durch jede andere Staatsform. Ans der vorherrschenden Hinneigung
der Rheinländer zu einer konsequenten Durchführung des französisch-belgischen
Liberalismus und aus der Unzufriedenheit so vieler Beamten aus dem Zivil-
und Militärstande, denen die aus einem solchen Munde erweckten Hoffnungen
für eine bessere Lebenssituation die unbedingteste Ergebenheit motiviert, läßt sich
leicht ermessen, warum der Anhang bereits so bedeutend und so tätig für eine
weitere Ausbreitung geworden ist.

Die Rheinländer rühmen das große Talent der Prinzessin, sich populär
zu machen, die treu gebliebenen Patrioten tadeln dagegen die Geschicklichkeit,
jedes unzufriedene und verstimmte Gemüt sowie jede zwischen Pflicht und augen¬
blicklichem Gewinn schwankende Persönlichkeit zu sich herüberzuziehen. So hat
eine Anzahl der für einen bestimmten Zweck und ein vorgestecktes Ziel betörten
Menschen die Schar derer am Rhein vermehrt, welchen der Widerspruchsgeist
und die Oppositionstütigkeit gegen die Königliche Regierung fast angeboren,
wenigstens von früher Jugend angelernt ist -- eine Koalition, deren Ursprung
und Tendenz notwendigerweise nachteilig auf die Stellung der damit in Ver¬
bindung gebrachten höchsten Herrschaften rückwirkt.

Daß die im Munde der rheinischen Bevölkerung umlaufenden Äußerungen
der Prinzessin von Preußen wirklich alle in der Ausdehnung und Schärfe
gemacht sind, wie sie mit sichtlicher Freude wiederholt werden, bezweifeln wir
gerne; allein der Umstand, daß sie als wahr angesehen werden, beweist die
Gefahr, für das Gouvernement in Koblenz länger einen Zentralpuukt zu dulden,
welcher der Opposition eine Unterstützung leiht.

Zu den Anhängern und tätigen Arbeitern für jenes System gehören in
Koblenz der Oberpräsident von Auerswald, Obrist von Griesheim, Obrist Fischer,
General a. D. von Bardeleben, Oberpräsidialrat Braunemann, Hofdame Gräfin
Oriolla, der Generalarzt und Intendant des achten Armeekorps, sowie die
Adjutanten des Prinzen -- in Köln der Regierungspräsident von Möller --
in Trier General von Bonin, welcher jedoch neuerdings zu konservativeren und
regierungsfreundlicheren Ansichten sich bequemen soll.

Oberpräsident von Auerswald, an und für sich regierungsfeindlich durch
seine politische Richtung und seine Antezedentien, wird außerdem als unfähig
zu seiner hohen Stellung bezeichnet; er ist zu bequem, um den Beruf in seiner


Line Denkschrift aus dem Jahre ^350

Konsequenzen erwartet. Die Verstimmung führt leider öfter zu taktlosen Äuße¬
rungen, welche einen Fremden zu dem Schlüsse berechtigen, daß der einheitliche
Geist der Armee nicht mehr überall in der früheren Stärke vorhanden sei.

Die vielfach verbreiteten Einzelheiten über und aus dem Leben der Prinzessin
von Preußen mögen hier unerwähnt bleiben; nur die eine Tatsache muß als
Kriterium der Koblenzer Agitation hervorgehoben werden, daß in allen politischen
Gesprächen und Unterredungen von der Prinzessin geltend gemacht wird, wie
durch die konstitutionelle Staatsverfassung dem Talente, dem Ehrgeize und der
Bildung ein ungleich größeres und hoffnungsreicheres Feld der Tätigkeit eröffnet
werde, als durch jede andere Staatsform. Ans der vorherrschenden Hinneigung
der Rheinländer zu einer konsequenten Durchführung des französisch-belgischen
Liberalismus und aus der Unzufriedenheit so vieler Beamten aus dem Zivil-
und Militärstande, denen die aus einem solchen Munde erweckten Hoffnungen
für eine bessere Lebenssituation die unbedingteste Ergebenheit motiviert, läßt sich
leicht ermessen, warum der Anhang bereits so bedeutend und so tätig für eine
weitere Ausbreitung geworden ist.

Die Rheinländer rühmen das große Talent der Prinzessin, sich populär
zu machen, die treu gebliebenen Patrioten tadeln dagegen die Geschicklichkeit,
jedes unzufriedene und verstimmte Gemüt sowie jede zwischen Pflicht und augen¬
blicklichem Gewinn schwankende Persönlichkeit zu sich herüberzuziehen. So hat
eine Anzahl der für einen bestimmten Zweck und ein vorgestecktes Ziel betörten
Menschen die Schar derer am Rhein vermehrt, welchen der Widerspruchsgeist
und die Oppositionstütigkeit gegen die Königliche Regierung fast angeboren,
wenigstens von früher Jugend angelernt ist — eine Koalition, deren Ursprung
und Tendenz notwendigerweise nachteilig auf die Stellung der damit in Ver¬
bindung gebrachten höchsten Herrschaften rückwirkt.

Daß die im Munde der rheinischen Bevölkerung umlaufenden Äußerungen
der Prinzessin von Preußen wirklich alle in der Ausdehnung und Schärfe
gemacht sind, wie sie mit sichtlicher Freude wiederholt werden, bezweifeln wir
gerne; allein der Umstand, daß sie als wahr angesehen werden, beweist die
Gefahr, für das Gouvernement in Koblenz länger einen Zentralpuukt zu dulden,
welcher der Opposition eine Unterstützung leiht.

Zu den Anhängern und tätigen Arbeitern für jenes System gehören in
Koblenz der Oberpräsident von Auerswald, Obrist von Griesheim, Obrist Fischer,
General a. D. von Bardeleben, Oberpräsidialrat Braunemann, Hofdame Gräfin
Oriolla, der Generalarzt und Intendant des achten Armeekorps, sowie die
Adjutanten des Prinzen — in Köln der Regierungspräsident von Möller —
in Trier General von Bonin, welcher jedoch neuerdings zu konservativeren und
regierungsfreundlicheren Ansichten sich bequemen soll.

Oberpräsident von Auerswald, an und für sich regierungsfeindlich durch
seine politische Richtung und seine Antezedentien, wird außerdem als unfähig
zu seiner hohen Stellung bezeichnet; er ist zu bequem, um den Beruf in seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311303"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Denkschrift aus dem Jahre ^350</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1042" prev="#ID_1041"> Konsequenzen erwartet. Die Verstimmung führt leider öfter zu taktlosen Äuße¬<lb/>
rungen, welche einen Fremden zu dem Schlüsse berechtigen, daß der einheitliche<lb/>
Geist der Armee nicht mehr überall in der früheren Stärke vorhanden sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1043"> Die vielfach verbreiteten Einzelheiten über und aus dem Leben der Prinzessin<lb/>
von Preußen mögen hier unerwähnt bleiben; nur die eine Tatsache muß als<lb/>
Kriterium der Koblenzer Agitation hervorgehoben werden, daß in allen politischen<lb/>
Gesprächen und Unterredungen von der Prinzessin geltend gemacht wird, wie<lb/>
durch die konstitutionelle Staatsverfassung dem Talente, dem Ehrgeize und der<lb/>
Bildung ein ungleich größeres und hoffnungsreicheres Feld der Tätigkeit eröffnet<lb/>
werde, als durch jede andere Staatsform. Ans der vorherrschenden Hinneigung<lb/>
der Rheinländer zu einer konsequenten Durchführung des französisch-belgischen<lb/>
Liberalismus und aus der Unzufriedenheit so vieler Beamten aus dem Zivil-<lb/>
und Militärstande, denen die aus einem solchen Munde erweckten Hoffnungen<lb/>
für eine bessere Lebenssituation die unbedingteste Ergebenheit motiviert, läßt sich<lb/>
leicht ermessen, warum der Anhang bereits so bedeutend und so tätig für eine<lb/>
weitere Ausbreitung geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1044"> Die Rheinländer rühmen das große Talent der Prinzessin, sich populär<lb/>
zu machen, die treu gebliebenen Patrioten tadeln dagegen die Geschicklichkeit,<lb/>
jedes unzufriedene und verstimmte Gemüt sowie jede zwischen Pflicht und augen¬<lb/>
blicklichem Gewinn schwankende Persönlichkeit zu sich herüberzuziehen. So hat<lb/>
eine Anzahl der für einen bestimmten Zweck und ein vorgestecktes Ziel betörten<lb/>
Menschen die Schar derer am Rhein vermehrt, welchen der Widerspruchsgeist<lb/>
und die Oppositionstütigkeit gegen die Königliche Regierung fast angeboren,<lb/>
wenigstens von früher Jugend angelernt ist &#x2014; eine Koalition, deren Ursprung<lb/>
und Tendenz notwendigerweise nachteilig auf die Stellung der damit in Ver¬<lb/>
bindung gebrachten höchsten Herrschaften rückwirkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1045"> Daß die im Munde der rheinischen Bevölkerung umlaufenden Äußerungen<lb/>
der Prinzessin von Preußen wirklich alle in der Ausdehnung und Schärfe<lb/>
gemacht sind, wie sie mit sichtlicher Freude wiederholt werden, bezweifeln wir<lb/>
gerne; allein der Umstand, daß sie als wahr angesehen werden, beweist die<lb/>
Gefahr, für das Gouvernement in Koblenz länger einen Zentralpuukt zu dulden,<lb/>
welcher der Opposition eine Unterstützung leiht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1046"> Zu den Anhängern und tätigen Arbeitern für jenes System gehören in<lb/>
Koblenz der Oberpräsident von Auerswald, Obrist von Griesheim, Obrist Fischer,<lb/>
General a. D. von Bardeleben, Oberpräsidialrat Braunemann, Hofdame Gräfin<lb/>
Oriolla, der Generalarzt und Intendant des achten Armeekorps, sowie die<lb/>
Adjutanten des Prinzen &#x2014; in Köln der Regierungspräsident von Möller &#x2014;<lb/>
in Trier General von Bonin, welcher jedoch neuerdings zu konservativeren und<lb/>
regierungsfreundlicheren Ansichten sich bequemen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1047" next="#ID_1048"> Oberpräsident von Auerswald, an und für sich regierungsfeindlich durch<lb/>
seine politische Richtung und seine Antezedentien, wird außerdem als unfähig<lb/>
zu seiner hohen Stellung bezeichnet; er ist zu bequem, um den Beruf in seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] Line Denkschrift aus dem Jahre ^350 Konsequenzen erwartet. Die Verstimmung führt leider öfter zu taktlosen Äuße¬ rungen, welche einen Fremden zu dem Schlüsse berechtigen, daß der einheitliche Geist der Armee nicht mehr überall in der früheren Stärke vorhanden sei. Die vielfach verbreiteten Einzelheiten über und aus dem Leben der Prinzessin von Preußen mögen hier unerwähnt bleiben; nur die eine Tatsache muß als Kriterium der Koblenzer Agitation hervorgehoben werden, daß in allen politischen Gesprächen und Unterredungen von der Prinzessin geltend gemacht wird, wie durch die konstitutionelle Staatsverfassung dem Talente, dem Ehrgeize und der Bildung ein ungleich größeres und hoffnungsreicheres Feld der Tätigkeit eröffnet werde, als durch jede andere Staatsform. Ans der vorherrschenden Hinneigung der Rheinländer zu einer konsequenten Durchführung des französisch-belgischen Liberalismus und aus der Unzufriedenheit so vieler Beamten aus dem Zivil- und Militärstande, denen die aus einem solchen Munde erweckten Hoffnungen für eine bessere Lebenssituation die unbedingteste Ergebenheit motiviert, läßt sich leicht ermessen, warum der Anhang bereits so bedeutend und so tätig für eine weitere Ausbreitung geworden ist. Die Rheinländer rühmen das große Talent der Prinzessin, sich populär zu machen, die treu gebliebenen Patrioten tadeln dagegen die Geschicklichkeit, jedes unzufriedene und verstimmte Gemüt sowie jede zwischen Pflicht und augen¬ blicklichem Gewinn schwankende Persönlichkeit zu sich herüberzuziehen. So hat eine Anzahl der für einen bestimmten Zweck und ein vorgestecktes Ziel betörten Menschen die Schar derer am Rhein vermehrt, welchen der Widerspruchsgeist und die Oppositionstütigkeit gegen die Königliche Regierung fast angeboren, wenigstens von früher Jugend angelernt ist — eine Koalition, deren Ursprung und Tendenz notwendigerweise nachteilig auf die Stellung der damit in Ver¬ bindung gebrachten höchsten Herrschaften rückwirkt. Daß die im Munde der rheinischen Bevölkerung umlaufenden Äußerungen der Prinzessin von Preußen wirklich alle in der Ausdehnung und Schärfe gemacht sind, wie sie mit sichtlicher Freude wiederholt werden, bezweifeln wir gerne; allein der Umstand, daß sie als wahr angesehen werden, beweist die Gefahr, für das Gouvernement in Koblenz länger einen Zentralpuukt zu dulden, welcher der Opposition eine Unterstützung leiht. Zu den Anhängern und tätigen Arbeitern für jenes System gehören in Koblenz der Oberpräsident von Auerswald, Obrist von Griesheim, Obrist Fischer, General a. D. von Bardeleben, Oberpräsidialrat Braunemann, Hofdame Gräfin Oriolla, der Generalarzt und Intendant des achten Armeekorps, sowie die Adjutanten des Prinzen — in Köln der Regierungspräsident von Möller — in Trier General von Bonin, welcher jedoch neuerdings zu konservativeren und regierungsfreundlicheren Ansichten sich bequemen soll. Oberpräsident von Auerswald, an und für sich regierungsfeindlich durch seine politische Richtung und seine Antezedentien, wird außerdem als unfähig zu seiner hohen Stellung bezeichnet; er ist zu bequem, um den Beruf in seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/222>, abgerufen am 22.07.2024.