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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die vinetasage

autoritäre Unterordnung fast auf mit der Schulentlassung im vierzehnten
Lebensjahre.

Wie diese autoritären Gewalten gestärkt werden können, dies zu beantworten,
ist sehr schwierig. Zu fordern ist Stärkung der Disziplinargewalt des Fort¬
bildungsschullehrers, Anerkennung und Berücksichtigung der Fortbildungsschul¬
zeugnisse, vor allem auch der sittlichen Führung, beim Militär, bei Verwaltungs¬
und Gerichtsbehörden.

Ob sich die geschilderten Verhältnisse auch anderwärts finden, sich viel¬
leicht sogar oft wiederholen, vermag ich nicht zu sagen, glaube ich auch nicht.
Die Zeit ist noch zu kurz, als daß der planmäßig geleitete Angriffsfeldzug gegen
die Landbevölkerung schon allerorten Sieg melden könnte; in meinem Dorfe
lagen eben sehr günstige Bedingungen vor. Aber das Beispiel gibt doch zu
denken. Wer unter den heutigen Verhältnissen siegen wird, ist mir unzweifelhaft.
Ich vermag es aber nicht auszudenken, was aus unserm Heer, unsrer Nation
überhaupt werden soll, wenn das Mark eines Volks, das Bauerntum, sozial¬
demokratisch zerfressen und somit angefault ist.




Die Oinetasage
Wilhelm von Massow von

ledermann kennt die wunderbar stimmungsvolle Sage von der
glänzenden, üppigen Handelsstadt Vineta am Gestade der Ostsee,
der Wunderstadt, die eines Tages zur Strafe für sündigen Über¬
mut von den Fluten des Meeres verschlungen wurde. Seitdem
Iruht ihre versunkne Pracht auf dem Meeresgrunde, nur Sonntags¬
kinder dürfen zuzeiten etwas von dieser Herrlichkeit schauen, und geheimnis¬
volle Glockenklange, die heraufschallen, legen Zeugnis ab von den Wundern,
die in der Tiefe verborgen sind.

Die Sage bezeichnet uns auch den Ort, wo wir das versunkne Vineta
zu suchen haben. In drei Armen strömt bekanntlich die Oder aus dem großen
Wasserbecken des Haffs der Ostsee zu und bildet dadurch zwei große Inseln,
Usedom und Wollin. Wer auf der westlichen dieser beiden Inseln, Usedom,
an der waldumsäumten Ostseeküste entlang wandert, trifft ungefähr in der
Mitte der ganzen Küstenstrecke auf eine von herrlichem Laubwald bestandne
Erhebung des Dünengürtels, die schroff nach dem Meere abfällt. Neuerdings
ist der steile Abhang nach Möglichkeit gegen die den schönen Wald bedrohende,
unterwühlende Tätigkeit der Fluten geschützt worden. Wer auf der Höhe dieses


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autoritäre Unterordnung fast auf mit der Schulentlassung im vierzehnten
Lebensjahre.

Wie diese autoritären Gewalten gestärkt werden können, dies zu beantworten,
ist sehr schwierig. Zu fordern ist Stärkung der Disziplinargewalt des Fort¬
bildungsschullehrers, Anerkennung und Berücksichtigung der Fortbildungsschul¬
zeugnisse, vor allem auch der sittlichen Führung, beim Militär, bei Verwaltungs¬
und Gerichtsbehörden.

Ob sich die geschilderten Verhältnisse auch anderwärts finden, sich viel¬
leicht sogar oft wiederholen, vermag ich nicht zu sagen, glaube ich auch nicht.
Die Zeit ist noch zu kurz, als daß der planmäßig geleitete Angriffsfeldzug gegen
die Landbevölkerung schon allerorten Sieg melden könnte; in meinem Dorfe
lagen eben sehr günstige Bedingungen vor. Aber das Beispiel gibt doch zu
denken. Wer unter den heutigen Verhältnissen siegen wird, ist mir unzweifelhaft.
Ich vermag es aber nicht auszudenken, was aus unserm Heer, unsrer Nation
überhaupt werden soll, wenn das Mark eines Volks, das Bauerntum, sozial¬
demokratisch zerfressen und somit angefault ist.




Die Oinetasage
Wilhelm von Massow von

ledermann kennt die wunderbar stimmungsvolle Sage von der
glänzenden, üppigen Handelsstadt Vineta am Gestade der Ostsee,
der Wunderstadt, die eines Tages zur Strafe für sündigen Über¬
mut von den Fluten des Meeres verschlungen wurde. Seitdem
Iruht ihre versunkne Pracht auf dem Meeresgrunde, nur Sonntags¬
kinder dürfen zuzeiten etwas von dieser Herrlichkeit schauen, und geheimnis¬
volle Glockenklange, die heraufschallen, legen Zeugnis ab von den Wundern,
die in der Tiefe verborgen sind.

Die Sage bezeichnet uns auch den Ort, wo wir das versunkne Vineta
zu suchen haben. In drei Armen strömt bekanntlich die Oder aus dem großen
Wasserbecken des Haffs der Ostsee zu und bildet dadurch zwei große Inseln,
Usedom und Wollin. Wer auf der westlichen dieser beiden Inseln, Usedom,
an der waldumsäumten Ostseeküste entlang wandert, trifft ungefähr in der
Mitte der ganzen Küstenstrecke auf eine von herrlichem Laubwald bestandne
Erhebung des Dünengürtels, die schroff nach dem Meere abfällt. Neuerdings
ist der steile Abhang nach Möglichkeit gegen die den schönen Wald bedrohende,
unterwühlende Tätigkeit der Fluten geschützt worden. Wer auf der Höhe dieses


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[0022] Die vinetasage autoritäre Unterordnung fast auf mit der Schulentlassung im vierzehnten Lebensjahre. Wie diese autoritären Gewalten gestärkt werden können, dies zu beantworten, ist sehr schwierig. Zu fordern ist Stärkung der Disziplinargewalt des Fort¬ bildungsschullehrers, Anerkennung und Berücksichtigung der Fortbildungsschul¬ zeugnisse, vor allem auch der sittlichen Führung, beim Militär, bei Verwaltungs¬ und Gerichtsbehörden. Ob sich die geschilderten Verhältnisse auch anderwärts finden, sich viel¬ leicht sogar oft wiederholen, vermag ich nicht zu sagen, glaube ich auch nicht. Die Zeit ist noch zu kurz, als daß der planmäßig geleitete Angriffsfeldzug gegen die Landbevölkerung schon allerorten Sieg melden könnte; in meinem Dorfe lagen eben sehr günstige Bedingungen vor. Aber das Beispiel gibt doch zu denken. Wer unter den heutigen Verhältnissen siegen wird, ist mir unzweifelhaft. Ich vermag es aber nicht auszudenken, was aus unserm Heer, unsrer Nation überhaupt werden soll, wenn das Mark eines Volks, das Bauerntum, sozial¬ demokratisch zerfressen und somit angefault ist. Die Oinetasage Wilhelm von Massow von ledermann kennt die wunderbar stimmungsvolle Sage von der glänzenden, üppigen Handelsstadt Vineta am Gestade der Ostsee, der Wunderstadt, die eines Tages zur Strafe für sündigen Über¬ mut von den Fluten des Meeres verschlungen wurde. Seitdem Iruht ihre versunkne Pracht auf dem Meeresgrunde, nur Sonntags¬ kinder dürfen zuzeiten etwas von dieser Herrlichkeit schauen, und geheimnis¬ volle Glockenklange, die heraufschallen, legen Zeugnis ab von den Wundern, die in der Tiefe verborgen sind. Die Sage bezeichnet uns auch den Ort, wo wir das versunkne Vineta zu suchen haben. In drei Armen strömt bekanntlich die Oder aus dem großen Wasserbecken des Haffs der Ostsee zu und bildet dadurch zwei große Inseln, Usedom und Wollin. Wer auf der westlichen dieser beiden Inseln, Usedom, an der waldumsäumten Ostseeküste entlang wandert, trifft ungefähr in der Mitte der ganzen Küstenstrecke auf eine von herrlichem Laubwald bestandne Erhebung des Dünengürtels, die schroff nach dem Meere abfällt. Neuerdings ist der steile Abhang nach Möglichkeit gegen die den schönen Wald bedrohende, unterwühlende Tätigkeit der Fluten geschützt worden. Wer auf der Höhe dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/22>, abgerufen am 22.07.2024.