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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die vinetasage

den bestimmten Glauben hegte und nährte, daß die Überreste von Vineta an
der Usedomer Küste entdeckt seien. Bei der Autorität, die Kantzow später
dnrch seine gelehrten Werke gewann, ist es nicht zu verwundern, daß diese
Meinung von seinen zahlreichen Schülern allgemein angenommen wurde, und
daß auch die Fischer der Gegend, durch den häufigen Besuch vornehmer und
gelehrter Herren aufmerksam gemacht und durch Fragen beeinflußt, schließlich
selbst glaubten, was ihnen suggeriert worden war, und für Überlieferung und
Tatsachen hielten, was sie noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit nicht ge¬
ahnt hatten.

Es ist nicht nötig, den weitern Nachweisen Vartholds, wie die Gelehrten¬
phantasie die vermeintlichen Funde immer weiter ausschmückte, in allen Einzel¬
heiten zu folgen. Während zu Kantzows Zeit noch die Vorstellung festgehalten
wurde, daß Vineta durch einen Dänenkönig zerstört und die verlassene Stätte
erst später zufällig durch Sturmfluten überschwemmt wurde, ist schon am Ende
des sechzehnten Jahrhunderts die Erzählung fertig, daß Vineta mitten in
seinem Glänze vom Meere weggespült worden sei. So erzählte es ein Geist¬
licher aus Wolgast einem jungen Herzog von Braunschweig, den er nach der
Stätte von Vineta begleitete. Die Schweden seien dann gekommen und
hätten alles, was sie um Marmor, Erz, Gold und Silber Hütten retten können,
nach Wisby geschafft.

Immer abenteuerlicher werden die Erzählungen. Hundert Jahre später
erkennt der Bürgermeister von Treptow an der Rega, Johannes Lubbochius,
sogar Spuren des Straßenpflasters (!) und die Ecken der Straßen, die
Fundamente großer Gebäude und ähnliches, und entwirft einen Plan von
Vineta! Schon kann er sich auf einen alten, mehr als neunzigjährigen
Fischer berufen, der ihn dorthin geführt und ihm allerhand Wunderdinge
erzählt hat. Bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein dauert die Lieferung
von weitern Beiträgen zur Ausschmückung der Sage. Präsident von Keffen-
brink erwähnt noch um 1770 in seiner Beschreibung von Vineta "die an¬
sehnlichste Festung des ganzen Nordens, die kunstreichste Zitadelle, ein Zeug¬
haus für das grobe Geschütz, Kasernen für die gemeinen Soldaten, ein
Admiralitätskollegium u. tgi." Schließlich verzeichnet Barthold noch ein merk¬
würdiges Vorkommnis, das ich mit seinen Worten hier wiedergebe: "Als
am 14. August 1771 zwei holländische Schiffe an dem Steinriff unweit
Damerow strandeten, nahmen forschbegierige Männer aus Swinemünde Gelegen¬
heit, die rätselhaften Trümmer zu besuchen, und hatten eine Vision unbegreif¬
licher Art. Sie erblickten drei im Dreieck stehende, runde Pfeiler von weißem
Marmor oder Alabaster, an welchem jene Fahrzeuge verunglückt waren, von
denen der eine durch den Stoß des Schiffes eine schiefe Richtung bekommen
hatte, bemerkten eine Abweichung der Magnetnadel auf dieser Stelle und er¬
weckten durch ihre Erzählungen den, wie es scheint, eingeschlafnen Glauben
an die Wunderstadt in der Weise, daß man bald wieder von Stadtmauern


Die vinetasage

den bestimmten Glauben hegte und nährte, daß die Überreste von Vineta an
der Usedomer Küste entdeckt seien. Bei der Autorität, die Kantzow später
dnrch seine gelehrten Werke gewann, ist es nicht zu verwundern, daß diese
Meinung von seinen zahlreichen Schülern allgemein angenommen wurde, und
daß auch die Fischer der Gegend, durch den häufigen Besuch vornehmer und
gelehrter Herren aufmerksam gemacht und durch Fragen beeinflußt, schließlich
selbst glaubten, was ihnen suggeriert worden war, und für Überlieferung und
Tatsachen hielten, was sie noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit nicht ge¬
ahnt hatten.

Es ist nicht nötig, den weitern Nachweisen Vartholds, wie die Gelehrten¬
phantasie die vermeintlichen Funde immer weiter ausschmückte, in allen Einzel¬
heiten zu folgen. Während zu Kantzows Zeit noch die Vorstellung festgehalten
wurde, daß Vineta durch einen Dänenkönig zerstört und die verlassene Stätte
erst später zufällig durch Sturmfluten überschwemmt wurde, ist schon am Ende
des sechzehnten Jahrhunderts die Erzählung fertig, daß Vineta mitten in
seinem Glänze vom Meere weggespült worden sei. So erzählte es ein Geist¬
licher aus Wolgast einem jungen Herzog von Braunschweig, den er nach der
Stätte von Vineta begleitete. Die Schweden seien dann gekommen und
hätten alles, was sie um Marmor, Erz, Gold und Silber Hütten retten können,
nach Wisby geschafft.

Immer abenteuerlicher werden die Erzählungen. Hundert Jahre später
erkennt der Bürgermeister von Treptow an der Rega, Johannes Lubbochius,
sogar Spuren des Straßenpflasters (!) und die Ecken der Straßen, die
Fundamente großer Gebäude und ähnliches, und entwirft einen Plan von
Vineta! Schon kann er sich auf einen alten, mehr als neunzigjährigen
Fischer berufen, der ihn dorthin geführt und ihm allerhand Wunderdinge
erzählt hat. Bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein dauert die Lieferung
von weitern Beiträgen zur Ausschmückung der Sage. Präsident von Keffen-
brink erwähnt noch um 1770 in seiner Beschreibung von Vineta „die an¬
sehnlichste Festung des ganzen Nordens, die kunstreichste Zitadelle, ein Zeug¬
haus für das grobe Geschütz, Kasernen für die gemeinen Soldaten, ein
Admiralitätskollegium u. tgi." Schließlich verzeichnet Barthold noch ein merk¬
würdiges Vorkommnis, das ich mit seinen Worten hier wiedergebe: „Als
am 14. August 1771 zwei holländische Schiffe an dem Steinriff unweit
Damerow strandeten, nahmen forschbegierige Männer aus Swinemünde Gelegen¬
heit, die rätselhaften Trümmer zu besuchen, und hatten eine Vision unbegreif¬
licher Art. Sie erblickten drei im Dreieck stehende, runde Pfeiler von weißem
Marmor oder Alabaster, an welchem jene Fahrzeuge verunglückt waren, von
denen der eine durch den Stoß des Schiffes eine schiefe Richtung bekommen
hatte, bemerkten eine Abweichung der Magnetnadel auf dieser Stelle und er¬
weckten durch ihre Erzählungen den, wie es scheint, eingeschlafnen Glauben
an die Wunderstadt in der Weise, daß man bald wieder von Stadtmauern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/183>, abgerufen am 29.06.2024.