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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Zeh" Jahre deutscher Flottenentwicklung

Gerade an dieser Entwicklung zeigt sich die ungeheure Bedeutung der
gesetzlichen Fundamentierung unsrer Flotte. Denn wenn auch noch die Novelle
von 1900 zu parlamentarischen Kämpfen Anlaß gab, so beschränkten sich diese
doch mehr auf den Umfang der Forderungen an Schiffszahl und Geldbedarf
als auf die prinzipielle gesetzliche Festlegung, die nur noch von den Sozialdemo¬
kraten und einem Teil der Freisinnigen bekämpft wurde. Diese verharrten in
ihrer Ablehnung auch noch bei der Novelle von 1906, während nach den
offiziellen Erklärungen der vereinigten Freisinnigen im Reichstag zur Novelle
von 1907 deren Zustimmung diesmal zu erwarten ist. Vereinzelte Äußerungen
in der freisinnigen Presse gegen die gesetzliche Festlegung des Sollbestandes
und des Ersatzbaus weichen hoffentlich bald und dauernd einer bessern Einsicht.
Wie die Konservativen, die Reichspartei, die Nationalliberalen steht auch das
Zentrum nach wie vor auf dem Boden der gesetzlichen Fundamentierung und
Weiterentwicklung der Kriegsflotte. Die Überzeugung von der Notwendigkeit
einer starken Seemacht ist heute Gemeingut der Nation geworden, dies findet
seinen Ausdruck in der Zustimmung aller bürgerlichen Parteien im Reichstag.

Diese hocherfreuliche Tatsache als Ergebnis einer zehnjährigen Entwicklung
ist verschiednen Gründen zu danken. Allem voran steht die unermüdliche, weg¬
weisende Tätigkeit Kaiser Wilhelms des Zweiten, der für die Seewehr die
Bahn gebrochen hat wie sein erlauchter Großvater für die Armee. Er hat in
Admiral von Tirpitz den Mann an die Spitze des Marineamts gestellt, der
von Anfang an, nun seit mehr als zehn Jahren, klar und fest die Wege zum
Ziel abgesteckt hat. Sein historisches Verdienst ist die geschahe Festlegung
des Flottenbestandes mit allen ihren heilsamen Folgen. Seine Amtsführung
hat den Reichstag zum entschloßnen, opferwilligen Freunde der Marine gemacht,
und die Bewilligungen für die Flotte in den letzten zehn Jahren bilden ein
Ehrenblatt in der deutschen Parlamentsgeschichte. Daß dies aber geschehen
konnte, ist auch der Mitwirkung zahlreicher begeisterter Flottenfreunde im Reiche,
ihrer Organisation und Agitation zu danken. Als 1897 die erste Flottenvor¬
lage kam, da stellten sich in großer Zahl Männer aus der Elite der Nation
mit voller Hingebung in den Dienst der Sache: Gelehrte, alte Offiziere, Kauf¬
leute, Industrielle, Beamte, Geistliche, Lehrer reichten sich die Hände, um durch
Wort und Schrift Aufklärung in die Massen zu tragen und Begeisterung zu
wecken, die ihren hellen Schein dann in den Reichstag warf. Kurz vor dem
zweiten Flottengesetz wuchs aus zwei Wurzeln der Baum des Flottenvereins
auf, der seine Zweige bald über ganz Deutschland breiten sollte. Seine Ver¬
dienste um den Flottengedanken sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Wie
er die Massen angefeuert und begeistert hat, wirkt er auch mittelbar auf den
Bestand der flottenfreundlichen Mehrheit des Reichstags.

Gerade weil sich neuerdings im Flottenverein eine Tendenz offenbart, die
Entwicklung der Marine über das Maß der amtlichen Pläne hinaus zu treiben


Zeh» Jahre deutscher Flottenentwicklung

Gerade an dieser Entwicklung zeigt sich die ungeheure Bedeutung der
gesetzlichen Fundamentierung unsrer Flotte. Denn wenn auch noch die Novelle
von 1900 zu parlamentarischen Kämpfen Anlaß gab, so beschränkten sich diese
doch mehr auf den Umfang der Forderungen an Schiffszahl und Geldbedarf
als auf die prinzipielle gesetzliche Festlegung, die nur noch von den Sozialdemo¬
kraten und einem Teil der Freisinnigen bekämpft wurde. Diese verharrten in
ihrer Ablehnung auch noch bei der Novelle von 1906, während nach den
offiziellen Erklärungen der vereinigten Freisinnigen im Reichstag zur Novelle
von 1907 deren Zustimmung diesmal zu erwarten ist. Vereinzelte Äußerungen
in der freisinnigen Presse gegen die gesetzliche Festlegung des Sollbestandes
und des Ersatzbaus weichen hoffentlich bald und dauernd einer bessern Einsicht.
Wie die Konservativen, die Reichspartei, die Nationalliberalen steht auch das
Zentrum nach wie vor auf dem Boden der gesetzlichen Fundamentierung und
Weiterentwicklung der Kriegsflotte. Die Überzeugung von der Notwendigkeit
einer starken Seemacht ist heute Gemeingut der Nation geworden, dies findet
seinen Ausdruck in der Zustimmung aller bürgerlichen Parteien im Reichstag.

Diese hocherfreuliche Tatsache als Ergebnis einer zehnjährigen Entwicklung
ist verschiednen Gründen zu danken. Allem voran steht die unermüdliche, weg¬
weisende Tätigkeit Kaiser Wilhelms des Zweiten, der für die Seewehr die
Bahn gebrochen hat wie sein erlauchter Großvater für die Armee. Er hat in
Admiral von Tirpitz den Mann an die Spitze des Marineamts gestellt, der
von Anfang an, nun seit mehr als zehn Jahren, klar und fest die Wege zum
Ziel abgesteckt hat. Sein historisches Verdienst ist die geschahe Festlegung
des Flottenbestandes mit allen ihren heilsamen Folgen. Seine Amtsführung
hat den Reichstag zum entschloßnen, opferwilligen Freunde der Marine gemacht,
und die Bewilligungen für die Flotte in den letzten zehn Jahren bilden ein
Ehrenblatt in der deutschen Parlamentsgeschichte. Daß dies aber geschehen
konnte, ist auch der Mitwirkung zahlreicher begeisterter Flottenfreunde im Reiche,
ihrer Organisation und Agitation zu danken. Als 1897 die erste Flottenvor¬
lage kam, da stellten sich in großer Zahl Männer aus der Elite der Nation
mit voller Hingebung in den Dienst der Sache: Gelehrte, alte Offiziere, Kauf¬
leute, Industrielle, Beamte, Geistliche, Lehrer reichten sich die Hände, um durch
Wort und Schrift Aufklärung in die Massen zu tragen und Begeisterung zu
wecken, die ihren hellen Schein dann in den Reichstag warf. Kurz vor dem
zweiten Flottengesetz wuchs aus zwei Wurzeln der Baum des Flottenvereins
auf, der seine Zweige bald über ganz Deutschland breiten sollte. Seine Ver¬
dienste um den Flottengedanken sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Wie
er die Massen angefeuert und begeistert hat, wirkt er auch mittelbar auf den
Bestand der flottenfreundlichen Mehrheit des Reichstags.

Gerade weil sich neuerdings im Flottenverein eine Tendenz offenbart, die
Entwicklung der Marine über das Maß der amtlichen Pläne hinaus zu treiben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/120>, abgerufen am 22.07.2024.