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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Haut

Wels hat denn Julius nur? fragte Frau Haut besorgt.

Ach, pfui! Er geht da oben umher und wirft mit Steinen nach den kleinen
Vögeln. Ich kam gerade vom Brunnen, als er warf. Ums Haar hätte er so
ein armes Tierchen getroffen! Als er wieder werfen wollte, nahm ich ihm den
Stein weg -- ich mußte ihn mit einem tüchtigen Klapps auf die Finger zwingen,
ihn loszulassen.

Aber Berry, ich bin sehr verwundert, daß du so gewaltsam gegen deinen
kleinen Bruder vorgehn kannst!

Mutter, er warf nach --

Julius und ich haben hier eben gesessen und die kleinen Vögel studiert. Wenn
er nun versucht hat, einen von ihnen aus der Nähe zu betrachten, so ist das
keineswegs die Roheit und Häßlichkeit gewesen, die du ihm so hastig unterschieben
willst. Es ist im Gegenteil das tiefe Interesse für das gewesen, was er eben
gehört hat. Unsre Kenntnis von den Blumen des Feldes würde nie tief genug
sein, wenn wir nicht gezwungen wären, sie abzupflücken und auf diese Weise wahr¬
scheinlich ihr Leben abzuschneiden --

Aber die Singvögel, Mutter -- hier draußen in unserm eignen Birkenhain --

Wir müssen uns darein finden, auch die zu opfern, wenn höhere Zwecke da¬
durch gefördert werden. Aber ich werde mit Julius selbst reden.

Frau Haut ging.

Berry war unten an der Verandatreppe stehn geblieben. Sie hatte Svend
Bugge schon begrüßt.

Ein ungezogner Junge ist er! sagte sie. Denken Sie nur, mit Steinen nach
den Vögeln zu werfen!

Svend Bugge stand da, ohne zu antworten.

Müßte er nicht Prügel bekommen?

Ich -- ich wage kein Urteil über Ihren Bruder abzugeben, gnädiges Fräulein.
Er hat wohl wissenschaftliche Interessen --

Berry errötete.

Sie sollten nicht so boshaft sein -- gegen mich.
--

Ich ich? Ach nein, ich bin nicht boshaft. Ich komme nur, um Abschied
zu nehmen. Und darin liegt doch sicher nichts Boshaftes -- gegen Sie!

Abschied! Sie wollten aber doch nicht vor Montag reisen!

Heute abend um zwölf Uhr geht ein Postdampfer.

Und damit -- ?

Man kommt immer zwei Tage früher an, als wenn man auf den Schnell¬
dampfer wartete. Und darum will ich lieber damit reisen.

Nun ja, dann tun Sie das nur! sagte Berry. Sie wandte den Kopf ab
und sah in die Ferne. Ihr Ausdruck wurde hart und müde.

Es ist ja ganz natürlich! fügte sie nach einer Weile hinzu.

Ich habe mich hier ja lange genug umhergetrieben!

Sie lächelte, aber nicht heiter, und sagte dann: Ja, das denken Sie wohl!

Sie denken das doch wohl auch?

Ich finde, es ist sehr traurig, daß Sie reisen wollen! Schrecklich traurig.
Aber es ist ja nichts dabei zu machen! bemerkte sie wieder lächelnd, wehmütig und
munter zugleich. Sie stellte die Gartenspritze hin und stand in Gedanken ver¬
sunken da.

Sie müssen nicht denken, daß ich nicht unbeschreiblich glücklich bin, daheim zu
sein! sagte sie endlich. Aber Sie waren nun doch noch so ein klein wenig vom
Ausland. Und nun reisen Sie. Und wir sind so weit, weit weg!


Oberlehrer Haut

Wels hat denn Julius nur? fragte Frau Haut besorgt.

Ach, pfui! Er geht da oben umher und wirft mit Steinen nach den kleinen
Vögeln. Ich kam gerade vom Brunnen, als er warf. Ums Haar hätte er so
ein armes Tierchen getroffen! Als er wieder werfen wollte, nahm ich ihm den
Stein weg — ich mußte ihn mit einem tüchtigen Klapps auf die Finger zwingen,
ihn loszulassen.

Aber Berry, ich bin sehr verwundert, daß du so gewaltsam gegen deinen
kleinen Bruder vorgehn kannst!

Mutter, er warf nach —

Julius und ich haben hier eben gesessen und die kleinen Vögel studiert. Wenn
er nun versucht hat, einen von ihnen aus der Nähe zu betrachten, so ist das
keineswegs die Roheit und Häßlichkeit gewesen, die du ihm so hastig unterschieben
willst. Es ist im Gegenteil das tiefe Interesse für das gewesen, was er eben
gehört hat. Unsre Kenntnis von den Blumen des Feldes würde nie tief genug
sein, wenn wir nicht gezwungen wären, sie abzupflücken und auf diese Weise wahr¬
scheinlich ihr Leben abzuschneiden —

Aber die Singvögel, Mutter — hier draußen in unserm eignen Birkenhain —

Wir müssen uns darein finden, auch die zu opfern, wenn höhere Zwecke da¬
durch gefördert werden. Aber ich werde mit Julius selbst reden.

Frau Haut ging.

Berry war unten an der Verandatreppe stehn geblieben. Sie hatte Svend
Bugge schon begrüßt.

Ein ungezogner Junge ist er! sagte sie. Denken Sie nur, mit Steinen nach
den Vögeln zu werfen!

Svend Bugge stand da, ohne zu antworten.

Müßte er nicht Prügel bekommen?

Ich — ich wage kein Urteil über Ihren Bruder abzugeben, gnädiges Fräulein.
Er hat wohl wissenschaftliche Interessen —

Berry errötete.

Sie sollten nicht so boshaft sein — gegen mich.

Ich ich? Ach nein, ich bin nicht boshaft. Ich komme nur, um Abschied
zu nehmen. Und darin liegt doch sicher nichts Boshaftes — gegen Sie!

Abschied! Sie wollten aber doch nicht vor Montag reisen!

Heute abend um zwölf Uhr geht ein Postdampfer.

Und damit — ?

Man kommt immer zwei Tage früher an, als wenn man auf den Schnell¬
dampfer wartete. Und darum will ich lieber damit reisen.

Nun ja, dann tun Sie das nur! sagte Berry. Sie wandte den Kopf ab
und sah in die Ferne. Ihr Ausdruck wurde hart und müde.

Es ist ja ganz natürlich! fügte sie nach einer Weile hinzu.

Ich habe mich hier ja lange genug umhergetrieben!

Sie lächelte, aber nicht heiter, und sagte dann: Ja, das denken Sie wohl!

Sie denken das doch wohl auch?

Ich finde, es ist sehr traurig, daß Sie reisen wollen! Schrecklich traurig.
Aber es ist ja nichts dabei zu machen! bemerkte sie wieder lächelnd, wehmütig und
munter zugleich. Sie stellte die Gartenspritze hin und stand in Gedanken ver¬
sunken da.

Sie müssen nicht denken, daß ich nicht unbeschreiblich glücklich bin, daheim zu
sein! sagte sie endlich. Aber Sie waren nun doch noch so ein klein wenig vom
Ausland. Und nun reisen Sie. Und wir sind so weit, weit weg!


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[0099] Oberlehrer Haut Wels hat denn Julius nur? fragte Frau Haut besorgt. Ach, pfui! Er geht da oben umher und wirft mit Steinen nach den kleinen Vögeln. Ich kam gerade vom Brunnen, als er warf. Ums Haar hätte er so ein armes Tierchen getroffen! Als er wieder werfen wollte, nahm ich ihm den Stein weg — ich mußte ihn mit einem tüchtigen Klapps auf die Finger zwingen, ihn loszulassen. Aber Berry, ich bin sehr verwundert, daß du so gewaltsam gegen deinen kleinen Bruder vorgehn kannst! Mutter, er warf nach — Julius und ich haben hier eben gesessen und die kleinen Vögel studiert. Wenn er nun versucht hat, einen von ihnen aus der Nähe zu betrachten, so ist das keineswegs die Roheit und Häßlichkeit gewesen, die du ihm so hastig unterschieben willst. Es ist im Gegenteil das tiefe Interesse für das gewesen, was er eben gehört hat. Unsre Kenntnis von den Blumen des Feldes würde nie tief genug sein, wenn wir nicht gezwungen wären, sie abzupflücken und auf diese Weise wahr¬ scheinlich ihr Leben abzuschneiden — Aber die Singvögel, Mutter — hier draußen in unserm eignen Birkenhain — Wir müssen uns darein finden, auch die zu opfern, wenn höhere Zwecke da¬ durch gefördert werden. Aber ich werde mit Julius selbst reden. Frau Haut ging. Berry war unten an der Verandatreppe stehn geblieben. Sie hatte Svend Bugge schon begrüßt. Ein ungezogner Junge ist er! sagte sie. Denken Sie nur, mit Steinen nach den Vögeln zu werfen! Svend Bugge stand da, ohne zu antworten. Müßte er nicht Prügel bekommen? Ich — ich wage kein Urteil über Ihren Bruder abzugeben, gnädiges Fräulein. Er hat wohl wissenschaftliche Interessen — Berry errötete. Sie sollten nicht so boshaft sein — gegen mich. — Ich ich? Ach nein, ich bin nicht boshaft. Ich komme nur, um Abschied zu nehmen. Und darin liegt doch sicher nichts Boshaftes — gegen Sie! Abschied! Sie wollten aber doch nicht vor Montag reisen! Heute abend um zwölf Uhr geht ein Postdampfer. Und damit — ? Man kommt immer zwei Tage früher an, als wenn man auf den Schnell¬ dampfer wartete. Und darum will ich lieber damit reisen. Nun ja, dann tun Sie das nur! sagte Berry. Sie wandte den Kopf ab und sah in die Ferne. Ihr Ausdruck wurde hart und müde. Es ist ja ganz natürlich! fügte sie nach einer Weile hinzu. Ich habe mich hier ja lange genug umhergetrieben! Sie lächelte, aber nicht heiter, und sagte dann: Ja, das denken Sie wohl! Sie denken das doch wohl auch? Ich finde, es ist sehr traurig, daß Sie reisen wollen! Schrecklich traurig. Aber es ist ja nichts dabei zu machen! bemerkte sie wieder lächelnd, wehmütig und munter zugleich. Sie stellte die Gartenspritze hin und stand in Gedanken ver¬ sunken da. Sie müssen nicht denken, daß ich nicht unbeschreiblich glücklich bin, daheim zu sein! sagte sie endlich. Aber Sie waren nun doch noch so ein klein wenig vom Ausland. Und nun reisen Sie. Und wir sind so weit, weit weg!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/99>, abgerufen am 24.08.2024.