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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Goethes letztes Lebensjahr

Zähle ich recht, so hat Goethe von März 1831 bis 1832 nur zwölfmal
allein gespeist, meist "mit der Familie" oder mit deren einzelnen Gliedern
allein. Häufig genug wurden aber auch einzelne Hausfreunde zugezogen, oder
der Dichter speiste allein mit diesen. Am häufigsten ist der unverheiratete
Eckermann Tischgast, so 1831 allein im November und Dezember zehnmal. In
Zwischenräumen werden Heinrich Meyer, der Kanzler von Müller, Riemer,
Oberbaudirektor Coudrey, der Leibarzt Hofrat Vogel geladen, während der durch
seine Hofstellung gebundne Soret fast immer zu andern Tageszeiten erscheint.

Außer den Genannten werden dann und wann Besucher von auswärts,
Jenaer Professoren und Bibliothekare, weimarische Beamte verschiedner Art,
ferner Ottiliens oben erwähnte Schwester Ulrike, die Malerin Luise Seidler,
Atome Frommann, beide zu den Juliner des Hauses gehörend, und andre
zur Mittagstafel zugezogen. Größere Diners finden nicht mehr statt wegen der
Trauer, der Schonungsbedürftigkeit des Hausherrn, auch aus Rücksichten der
Sparsamkeit, zu der, wie schon angedeutet, Anlaß vorlag. Die Abende bis zu
seiner zeitigen Bettstunde verlebt der Dichter regelmäßig ganz still, meist mit
Ottilie, die ihm vorliest, öfters in Gesellschaft eines der Getreuen; auch den
Enkeln wird vor dem Schlafengehn häufig einige Zeit gewidmet. Vom Herbst
1831 sieht die stark gesellige, im Mittelpunkt eines großen Bekanntenkreises
stehende Ottilie öfters Teegesellschaft in ihren Mansardenzimmern, von denen
sich der Schwiegervater fast immer fernhält.

Im Juli beehrte der König von Württemberg, im September die Königin
von Bayern den Dichtergreis mit einem Besuch. Der Großherzog Karl Friedrich
erschien mit ziemlicher Regelmäßigkeit am Donnerstag und Sonntag, die Kaiser¬
liche Hoheit Großherzogin Maria Paulowna mit ihrem Fräulein Mazolet
getreulich am Donnerstag. In vierteljährigen Zwischenrüumen machte auch der
dreizehnjährige Erbprinz Karl Alexander mit seinem Hofmeister Soret seine
Aufwartung. So beflissen zeigten sich die hohen Herrschaften, den bewährten
Freund ihres Hauses möglichst oft zu sprechen, ohne ihn seinem Stilleben zu
entreißen.

So blieb der Dichter bis ins höchste Alter in stetem Zusammenhang mit
den hohen und höchsten Kreisen Weimars, somit auch hinsichtlich der Formen
der feinern Geselligkeit in steter Übung. Bemerkenswert ist, daß er, je älter
er wurde, um so mehr das Bedürfnis empfand, sich von Zeit zu Zeit durch
Verkehr mit Jüngern (Ottilie, Ulrike, Eckermann, Soret, Göttling) aufzufrischen.
Treten ihm vollends schöne junge Mädchen und Frauen entgegen, wie die um
1811 geborne schöne Jenny von Pappenheim, ^) die junge Frau des französischen
Gesandten Vciudreuil (Tagebuch vom 29. Juli u. ä.), deren Bildnis ihn noch
auf dem Sterbebette entzückte, so vergaß der Greis gern seine Jahre.



*) Stieftochter des Ministers von Gersdorff, später Freifrau von Gustedt, innig befreundet
seit 1826 mit Ottilie (Goethe-Jahrbuch XII, 181 usw.).
Goethes letztes Lebensjahr

Zähle ich recht, so hat Goethe von März 1831 bis 1832 nur zwölfmal
allein gespeist, meist „mit der Familie" oder mit deren einzelnen Gliedern
allein. Häufig genug wurden aber auch einzelne Hausfreunde zugezogen, oder
der Dichter speiste allein mit diesen. Am häufigsten ist der unverheiratete
Eckermann Tischgast, so 1831 allein im November und Dezember zehnmal. In
Zwischenräumen werden Heinrich Meyer, der Kanzler von Müller, Riemer,
Oberbaudirektor Coudrey, der Leibarzt Hofrat Vogel geladen, während der durch
seine Hofstellung gebundne Soret fast immer zu andern Tageszeiten erscheint.

Außer den Genannten werden dann und wann Besucher von auswärts,
Jenaer Professoren und Bibliothekare, weimarische Beamte verschiedner Art,
ferner Ottiliens oben erwähnte Schwester Ulrike, die Malerin Luise Seidler,
Atome Frommann, beide zu den Juliner des Hauses gehörend, und andre
zur Mittagstafel zugezogen. Größere Diners finden nicht mehr statt wegen der
Trauer, der Schonungsbedürftigkeit des Hausherrn, auch aus Rücksichten der
Sparsamkeit, zu der, wie schon angedeutet, Anlaß vorlag. Die Abende bis zu
seiner zeitigen Bettstunde verlebt der Dichter regelmäßig ganz still, meist mit
Ottilie, die ihm vorliest, öfters in Gesellschaft eines der Getreuen; auch den
Enkeln wird vor dem Schlafengehn häufig einige Zeit gewidmet. Vom Herbst
1831 sieht die stark gesellige, im Mittelpunkt eines großen Bekanntenkreises
stehende Ottilie öfters Teegesellschaft in ihren Mansardenzimmern, von denen
sich der Schwiegervater fast immer fernhält.

Im Juli beehrte der König von Württemberg, im September die Königin
von Bayern den Dichtergreis mit einem Besuch. Der Großherzog Karl Friedrich
erschien mit ziemlicher Regelmäßigkeit am Donnerstag und Sonntag, die Kaiser¬
liche Hoheit Großherzogin Maria Paulowna mit ihrem Fräulein Mazolet
getreulich am Donnerstag. In vierteljährigen Zwischenrüumen machte auch der
dreizehnjährige Erbprinz Karl Alexander mit seinem Hofmeister Soret seine
Aufwartung. So beflissen zeigten sich die hohen Herrschaften, den bewährten
Freund ihres Hauses möglichst oft zu sprechen, ohne ihn seinem Stilleben zu
entreißen.

So blieb der Dichter bis ins höchste Alter in stetem Zusammenhang mit
den hohen und höchsten Kreisen Weimars, somit auch hinsichtlich der Formen
der feinern Geselligkeit in steter Übung. Bemerkenswert ist, daß er, je älter
er wurde, um so mehr das Bedürfnis empfand, sich von Zeit zu Zeit durch
Verkehr mit Jüngern (Ottilie, Ulrike, Eckermann, Soret, Göttling) aufzufrischen.
Treten ihm vollends schöne junge Mädchen und Frauen entgegen, wie die um
1811 geborne schöne Jenny von Pappenheim, ^) die junge Frau des französischen
Gesandten Vciudreuil (Tagebuch vom 29. Juli u. ä.), deren Bildnis ihn noch
auf dem Sterbebette entzückte, so vergaß der Greis gern seine Jahre.



*) Stieftochter des Ministers von Gersdorff, später Freifrau von Gustedt, innig befreundet
seit 1826 mit Ottilie (Goethe-Jahrbuch XII, 181 usw.).
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[0082] Goethes letztes Lebensjahr Zähle ich recht, so hat Goethe von März 1831 bis 1832 nur zwölfmal allein gespeist, meist „mit der Familie" oder mit deren einzelnen Gliedern allein. Häufig genug wurden aber auch einzelne Hausfreunde zugezogen, oder der Dichter speiste allein mit diesen. Am häufigsten ist der unverheiratete Eckermann Tischgast, so 1831 allein im November und Dezember zehnmal. In Zwischenräumen werden Heinrich Meyer, der Kanzler von Müller, Riemer, Oberbaudirektor Coudrey, der Leibarzt Hofrat Vogel geladen, während der durch seine Hofstellung gebundne Soret fast immer zu andern Tageszeiten erscheint. Außer den Genannten werden dann und wann Besucher von auswärts, Jenaer Professoren und Bibliothekare, weimarische Beamte verschiedner Art, ferner Ottiliens oben erwähnte Schwester Ulrike, die Malerin Luise Seidler, Atome Frommann, beide zu den Juliner des Hauses gehörend, und andre zur Mittagstafel zugezogen. Größere Diners finden nicht mehr statt wegen der Trauer, der Schonungsbedürftigkeit des Hausherrn, auch aus Rücksichten der Sparsamkeit, zu der, wie schon angedeutet, Anlaß vorlag. Die Abende bis zu seiner zeitigen Bettstunde verlebt der Dichter regelmäßig ganz still, meist mit Ottilie, die ihm vorliest, öfters in Gesellschaft eines der Getreuen; auch den Enkeln wird vor dem Schlafengehn häufig einige Zeit gewidmet. Vom Herbst 1831 sieht die stark gesellige, im Mittelpunkt eines großen Bekanntenkreises stehende Ottilie öfters Teegesellschaft in ihren Mansardenzimmern, von denen sich der Schwiegervater fast immer fernhält. Im Juli beehrte der König von Württemberg, im September die Königin von Bayern den Dichtergreis mit einem Besuch. Der Großherzog Karl Friedrich erschien mit ziemlicher Regelmäßigkeit am Donnerstag und Sonntag, die Kaiser¬ liche Hoheit Großherzogin Maria Paulowna mit ihrem Fräulein Mazolet getreulich am Donnerstag. In vierteljährigen Zwischenrüumen machte auch der dreizehnjährige Erbprinz Karl Alexander mit seinem Hofmeister Soret seine Aufwartung. So beflissen zeigten sich die hohen Herrschaften, den bewährten Freund ihres Hauses möglichst oft zu sprechen, ohne ihn seinem Stilleben zu entreißen. So blieb der Dichter bis ins höchste Alter in stetem Zusammenhang mit den hohen und höchsten Kreisen Weimars, somit auch hinsichtlich der Formen der feinern Geselligkeit in steter Übung. Bemerkenswert ist, daß er, je älter er wurde, um so mehr das Bedürfnis empfand, sich von Zeit zu Zeit durch Verkehr mit Jüngern (Ottilie, Ulrike, Eckermann, Soret, Göttling) aufzufrischen. Treten ihm vollends schöne junge Mädchen und Frauen entgegen, wie die um 1811 geborne schöne Jenny von Pappenheim, ^) die junge Frau des französischen Gesandten Vciudreuil (Tagebuch vom 29. Juli u. ä.), deren Bildnis ihn noch auf dem Sterbebette entzückte, so vergaß der Greis gern seine Jahre. *) Stieftochter des Ministers von Gersdorff, später Freifrau von Gustedt, innig befreundet seit 1826 mit Ottilie (Goethe-Jahrbuch XII, 181 usw.).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/82>, abgerufen am 24.08.2024.