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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Goethes letztes Lebensjahr

Ein liebenswürdiges Anhängsel von Ottilie werde hier erwähnt, deren
wesentlich jüngere Schwester Ulrike, die eine Zeit lang die Hausgenossin des
Dichters gewesen war, seit 1828 aber wieder bei ihrer Mutter wohnte. Der
alte Zelter bezeichnet sie, die öfters bei ihm gewohnt hatte, in zärtlichen
Wendungen als die "schöne Ulrike". Förster hat sie 1825 "reizend, voll Geist
und Lebendigkeit" gefunden (Biedermann, Gespräche V, 242). In den Ge¬
sprächen wird sie als ein durch Natürlichkeit und Munterkeit belebendes Element
bei Goethes Gesellschaften oftmals erwähnt, auch bezeugt, daß der Dichter gern
mit ihr gescherzt habe, ja Will). Zahn nennt sie in der Mitteilung vom
September 1827 geradezu einen Liebling des Dichters (Biedermann, Ge¬
spräche VI, 202). Auch 1331 hielt sie sich, soweit sie überhaupt in Weimar
weilte, treulich zum Hause Goethe, war in diesem öfters Tischgast, noch öfter
willkommner Besuch.

Der Verkehr des Dichters mit seinen drei Enkeln zeigt den großen Mann
rührend zärtlich und anteilnehmend. Sogar die vierjährige Alma duldet er
nachsichtig auf Stunden in seinem Studierzimmer, so zum Beispiel am 31. Mai,
am 12. Juli, am 24. November 1831, indem er sich bemüht, sie zu beschäftigen.
Wesentlich mehr widmet er sich natürlich den beiden Knaben. Die ihm an-
geborne Liebe zu Kindern, die er schon in Wetzlar, später seinem Pflegling
Fritz von Stein und dem Sohne August gegenüber erwiesen hat, wurde mit
den höhern Jahren nicht vermindert, sondern gesteigert. Er kümmert sich ein¬
gehend um die Fortschritte und Hausarbeiten der Enkel, lauscht ihren kindlichen
Erzählungen, läßt sich von ihnen aus ihren Lieblingsbüchem vorlesen, erfreut
sich an Walthers Musizieren und kleinen Zauberkünsten, speist oftmals mit
beiden Enkeln oder einem von ihnen allein oder zieht einen von ihnen zu, wenn
Eckermann Tischgast ist. Ergötzlichkeiten aller Art wurden den Knaben reichlich
gewährt. Als Gespielen des 1818 gebornen Erbprinzen Karl Alexander wurden
sie öfters an den Hof eingeladen, auch besuchten sie, wie wir schon erwähnt
haben, häufig das Theater (am 8. Januar 1831 das elfjährige Wölfchen sogar
eine Aufführung von König Lear), dazu kamen Eisbahnfreuden bei Fackelschein,
Lustbarkeiten zu Zeiten des Jahrmarkts und Vogelschießens u. tgi. Die lebhafte
Anteilnahme des Großvaters an alledem bezeugt die Erwähnung von derartigem
im Tagebuch. Hoch war es sicher auch dem Dreiundachtizjährigen anzurechnen,
daß er die lebhaften Knaben im August 1831 mit nach Ilmenau nahm und
darauf bedacht war, daß sie bei diesem Ausfluge Vergnügen nach ihrem Ge¬
schmack fanden.

Der entschiedn? Liebling des Großvaters war seit Jahren der jüngere
Enkel, sein Wölfchcn. Ihm, dem Mitteilsamen, herzhaft Zutraulichern, An¬
schließendem, beweist er absonderliche Nachsicht, räumt er weitgehende Rechte
ein. Auf seine Begabung setzt er augenscheinlich große Hoffnungen. Mit ihm
speist er besonders oft allein; das Tagebuch erwähnt ihn am häufigsten, nicht
selten in höchst liebevollen Wendungen.


Goethes letztes Lebensjahr

Ein liebenswürdiges Anhängsel von Ottilie werde hier erwähnt, deren
wesentlich jüngere Schwester Ulrike, die eine Zeit lang die Hausgenossin des
Dichters gewesen war, seit 1828 aber wieder bei ihrer Mutter wohnte. Der
alte Zelter bezeichnet sie, die öfters bei ihm gewohnt hatte, in zärtlichen
Wendungen als die „schöne Ulrike". Förster hat sie 1825 „reizend, voll Geist
und Lebendigkeit" gefunden (Biedermann, Gespräche V, 242). In den Ge¬
sprächen wird sie als ein durch Natürlichkeit und Munterkeit belebendes Element
bei Goethes Gesellschaften oftmals erwähnt, auch bezeugt, daß der Dichter gern
mit ihr gescherzt habe, ja Will). Zahn nennt sie in der Mitteilung vom
September 1827 geradezu einen Liebling des Dichters (Biedermann, Ge¬
spräche VI, 202). Auch 1331 hielt sie sich, soweit sie überhaupt in Weimar
weilte, treulich zum Hause Goethe, war in diesem öfters Tischgast, noch öfter
willkommner Besuch.

Der Verkehr des Dichters mit seinen drei Enkeln zeigt den großen Mann
rührend zärtlich und anteilnehmend. Sogar die vierjährige Alma duldet er
nachsichtig auf Stunden in seinem Studierzimmer, so zum Beispiel am 31. Mai,
am 12. Juli, am 24. November 1831, indem er sich bemüht, sie zu beschäftigen.
Wesentlich mehr widmet er sich natürlich den beiden Knaben. Die ihm an-
geborne Liebe zu Kindern, die er schon in Wetzlar, später seinem Pflegling
Fritz von Stein und dem Sohne August gegenüber erwiesen hat, wurde mit
den höhern Jahren nicht vermindert, sondern gesteigert. Er kümmert sich ein¬
gehend um die Fortschritte und Hausarbeiten der Enkel, lauscht ihren kindlichen
Erzählungen, läßt sich von ihnen aus ihren Lieblingsbüchem vorlesen, erfreut
sich an Walthers Musizieren und kleinen Zauberkünsten, speist oftmals mit
beiden Enkeln oder einem von ihnen allein oder zieht einen von ihnen zu, wenn
Eckermann Tischgast ist. Ergötzlichkeiten aller Art wurden den Knaben reichlich
gewährt. Als Gespielen des 1818 gebornen Erbprinzen Karl Alexander wurden
sie öfters an den Hof eingeladen, auch besuchten sie, wie wir schon erwähnt
haben, häufig das Theater (am 8. Januar 1831 das elfjährige Wölfchen sogar
eine Aufführung von König Lear), dazu kamen Eisbahnfreuden bei Fackelschein,
Lustbarkeiten zu Zeiten des Jahrmarkts und Vogelschießens u. tgi. Die lebhafte
Anteilnahme des Großvaters an alledem bezeugt die Erwähnung von derartigem
im Tagebuch. Hoch war es sicher auch dem Dreiundachtizjährigen anzurechnen,
daß er die lebhaften Knaben im August 1831 mit nach Ilmenau nahm und
darauf bedacht war, daß sie bei diesem Ausfluge Vergnügen nach ihrem Ge¬
schmack fanden.

Der entschiedn? Liebling des Großvaters war seit Jahren der jüngere
Enkel, sein Wölfchcn. Ihm, dem Mitteilsamen, herzhaft Zutraulichern, An¬
schließendem, beweist er absonderliche Nachsicht, räumt er weitgehende Rechte
ein. Auf seine Begabung setzt er augenscheinlich große Hoffnungen. Mit ihm
speist er besonders oft allein; das Tagebuch erwähnt ihn am häufigsten, nicht
selten in höchst liebevollen Wendungen.


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[0081] Goethes letztes Lebensjahr Ein liebenswürdiges Anhängsel von Ottilie werde hier erwähnt, deren wesentlich jüngere Schwester Ulrike, die eine Zeit lang die Hausgenossin des Dichters gewesen war, seit 1828 aber wieder bei ihrer Mutter wohnte. Der alte Zelter bezeichnet sie, die öfters bei ihm gewohnt hatte, in zärtlichen Wendungen als die „schöne Ulrike". Förster hat sie 1825 „reizend, voll Geist und Lebendigkeit" gefunden (Biedermann, Gespräche V, 242). In den Ge¬ sprächen wird sie als ein durch Natürlichkeit und Munterkeit belebendes Element bei Goethes Gesellschaften oftmals erwähnt, auch bezeugt, daß der Dichter gern mit ihr gescherzt habe, ja Will). Zahn nennt sie in der Mitteilung vom September 1827 geradezu einen Liebling des Dichters (Biedermann, Ge¬ spräche VI, 202). Auch 1331 hielt sie sich, soweit sie überhaupt in Weimar weilte, treulich zum Hause Goethe, war in diesem öfters Tischgast, noch öfter willkommner Besuch. Der Verkehr des Dichters mit seinen drei Enkeln zeigt den großen Mann rührend zärtlich und anteilnehmend. Sogar die vierjährige Alma duldet er nachsichtig auf Stunden in seinem Studierzimmer, so zum Beispiel am 31. Mai, am 12. Juli, am 24. November 1831, indem er sich bemüht, sie zu beschäftigen. Wesentlich mehr widmet er sich natürlich den beiden Knaben. Die ihm an- geborne Liebe zu Kindern, die er schon in Wetzlar, später seinem Pflegling Fritz von Stein und dem Sohne August gegenüber erwiesen hat, wurde mit den höhern Jahren nicht vermindert, sondern gesteigert. Er kümmert sich ein¬ gehend um die Fortschritte und Hausarbeiten der Enkel, lauscht ihren kindlichen Erzählungen, läßt sich von ihnen aus ihren Lieblingsbüchem vorlesen, erfreut sich an Walthers Musizieren und kleinen Zauberkünsten, speist oftmals mit beiden Enkeln oder einem von ihnen allein oder zieht einen von ihnen zu, wenn Eckermann Tischgast ist. Ergötzlichkeiten aller Art wurden den Knaben reichlich gewährt. Als Gespielen des 1818 gebornen Erbprinzen Karl Alexander wurden sie öfters an den Hof eingeladen, auch besuchten sie, wie wir schon erwähnt haben, häufig das Theater (am 8. Januar 1831 das elfjährige Wölfchen sogar eine Aufführung von König Lear), dazu kamen Eisbahnfreuden bei Fackelschein, Lustbarkeiten zu Zeiten des Jahrmarkts und Vogelschießens u. tgi. Die lebhafte Anteilnahme des Großvaters an alledem bezeugt die Erwähnung von derartigem im Tagebuch. Hoch war es sicher auch dem Dreiundachtizjährigen anzurechnen, daß er die lebhaften Knaben im August 1831 mit nach Ilmenau nahm und darauf bedacht war, daß sie bei diesem Ausfluge Vergnügen nach ihrem Ge¬ schmack fanden. Der entschiedn? Liebling des Großvaters war seit Jahren der jüngere Enkel, sein Wölfchcn. Ihm, dem Mitteilsamen, herzhaft Zutraulichern, An¬ schließendem, beweist er absonderliche Nachsicht, räumt er weitgehende Rechte ein. Auf seine Begabung setzt er augenscheinlich große Hoffnungen. Mit ihm speist er besonders oft allein; das Tagebuch erwähnt ihn am häufigsten, nicht selten in höchst liebevollen Wendungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/81>, abgerufen am 22.07.2024.