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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Goethes letztes Lebensjahr

Mit seltnen Ausnahmen waren Appetit und Schlaf bis zuletzt ganz vor¬
züglich. Im Trinken legte sich nach dem Zeugnisse des Hausarztes Goethe
seit dem Überschreiten der siebziger Jahre eine gewisse Beschränkung auf, indem
er sich täglich mit einer Flasche Wein begnügte, dagegen genoß er die Tafel¬
freuden bis zu seinem Tode mit großem Behagen ohne Rücksichtnahme auf die
Bekömmlichkeit.

Von Jahr zu Jahr war die Lebensführung regelmäßiger geworden,
beherrscht von den vier Losungen: früh am Tage aufstehn, tagtäglich ein tüchtiges
Arbeitspensum bewältigen, für die Erholung eine feste Ordnung einhalten,
frühzeitig (bald nach 9 Uhr) zu Bette gehn. Von Jahr zu Jahr wetteiferten
auch die Näherstehenden mehr in dem Bestreben, dem leicht Erregbaren er¬
freuliche Eindrücke zu verschaffen und Widerwärtiges von ihm fernzuhalten;
zugleich hatte sich bei diesem nach und nach die Kunst, Unerfreuliches rasch zu
überwinden, bis zur Meisterschaft entwickelt. Weiteres hierher gehörende wird
in anderen Zusammenhange nachzutragen sein.

Vornehm behaglich genug war das Leben, das der Dichter 1831 in seinem
im Mai 1792 von ihm bezognen, ihm vom Herzog geschenkten Hause am
Frauenplan führte. Wie es 1831 um die Einrichtung dieses Hauses und den
Stand der großartigen Sammlungen bestellt war, die in ihm durch Anschaffungen
(nach eignem Geständnis hatte Goethe seit sechzig Jahren auf diese jährlich
wenigstens hundert Dukaten verwandt) und Schenkungen allmählich ent¬
standen waren, darüber sind wir durch das 27 Rubriken umfassende Repertorium
über des Dichters schriftlichen Nachlaß, die Jnventurcmfncchme vom 28. März
bis 21. April 1832 und die Aufzeichnungen von Nahestehenden genau unter¬
richtet. Ziehn wir aus alledem die Summe, so ergibt sich etwa folgendes.
In Möbeln, Tapeten, der Zimmereinrichtung herrschte die größte Einfachheit.
Dagegen stellten die naturwissenschaftlichen Sammlungen, von denen die
mineralogische allein über 17870 Nummern zählte, und die künstlerischen Schätze
an Gemälden, Handzeichnungen, Kupferstichen, Büsten, Majoliken usw. zusammen
genommen ein Besitztum dar, wie es sonst nur Museen aufweisen. So hatte
Goethe 1831 in seiner Häuslichkeit eine schier unerschöpfliche Quelle der wissen¬
schaftlichen Anregung und des künstlerischen Genusses. Und dazu kamen auch
in diesem Jahre zahlreiche Sendungen von Freunden und Verehrern (unter
anderm von Frankfurt, von Paris und von den Bewundrern in England), die
seinen Schätzen Zuwachs brachten. Die Kolossalbüste des Dichters von David
d'Angers in Paris wurde am Geburtstage 1831 feierlich aufgestellt; für diesen
Tag erschien als kostbare weitere Festgabe das kunstvolle Petschaft mit der
sinnigen Aufschrift "ohne Rast, doch ohne Hast" trora triencls in lZnAlauct, das
jetzt eine der Kostbarkeiten des Junozimmers ist. -- Nach dem Tode des Sohnes
bestand die engere Familie außer dem Dichter, dem das erste Stockwerk zur
Verfügung blieb, aus der damals im fünfunddreißigsten Lebensjahre stehenden
Schwiegertochter Ottilie, ihrem dreizehnjährigen Sohne Walther, dem elfjährigen


Goethes letztes Lebensjahr

Mit seltnen Ausnahmen waren Appetit und Schlaf bis zuletzt ganz vor¬
züglich. Im Trinken legte sich nach dem Zeugnisse des Hausarztes Goethe
seit dem Überschreiten der siebziger Jahre eine gewisse Beschränkung auf, indem
er sich täglich mit einer Flasche Wein begnügte, dagegen genoß er die Tafel¬
freuden bis zu seinem Tode mit großem Behagen ohne Rücksichtnahme auf die
Bekömmlichkeit.

Von Jahr zu Jahr war die Lebensführung regelmäßiger geworden,
beherrscht von den vier Losungen: früh am Tage aufstehn, tagtäglich ein tüchtiges
Arbeitspensum bewältigen, für die Erholung eine feste Ordnung einhalten,
frühzeitig (bald nach 9 Uhr) zu Bette gehn. Von Jahr zu Jahr wetteiferten
auch die Näherstehenden mehr in dem Bestreben, dem leicht Erregbaren er¬
freuliche Eindrücke zu verschaffen und Widerwärtiges von ihm fernzuhalten;
zugleich hatte sich bei diesem nach und nach die Kunst, Unerfreuliches rasch zu
überwinden, bis zur Meisterschaft entwickelt. Weiteres hierher gehörende wird
in anderen Zusammenhange nachzutragen sein.

Vornehm behaglich genug war das Leben, das der Dichter 1831 in seinem
im Mai 1792 von ihm bezognen, ihm vom Herzog geschenkten Hause am
Frauenplan führte. Wie es 1831 um die Einrichtung dieses Hauses und den
Stand der großartigen Sammlungen bestellt war, die in ihm durch Anschaffungen
(nach eignem Geständnis hatte Goethe seit sechzig Jahren auf diese jährlich
wenigstens hundert Dukaten verwandt) und Schenkungen allmählich ent¬
standen waren, darüber sind wir durch das 27 Rubriken umfassende Repertorium
über des Dichters schriftlichen Nachlaß, die Jnventurcmfncchme vom 28. März
bis 21. April 1832 und die Aufzeichnungen von Nahestehenden genau unter¬
richtet. Ziehn wir aus alledem die Summe, so ergibt sich etwa folgendes.
In Möbeln, Tapeten, der Zimmereinrichtung herrschte die größte Einfachheit.
Dagegen stellten die naturwissenschaftlichen Sammlungen, von denen die
mineralogische allein über 17870 Nummern zählte, und die künstlerischen Schätze
an Gemälden, Handzeichnungen, Kupferstichen, Büsten, Majoliken usw. zusammen
genommen ein Besitztum dar, wie es sonst nur Museen aufweisen. So hatte
Goethe 1831 in seiner Häuslichkeit eine schier unerschöpfliche Quelle der wissen¬
schaftlichen Anregung und des künstlerischen Genusses. Und dazu kamen auch
in diesem Jahre zahlreiche Sendungen von Freunden und Verehrern (unter
anderm von Frankfurt, von Paris und von den Bewundrern in England), die
seinen Schätzen Zuwachs brachten. Die Kolossalbüste des Dichters von David
d'Angers in Paris wurde am Geburtstage 1831 feierlich aufgestellt; für diesen
Tag erschien als kostbare weitere Festgabe das kunstvolle Petschaft mit der
sinnigen Aufschrift „ohne Rast, doch ohne Hast" trora triencls in lZnAlauct, das
jetzt eine der Kostbarkeiten des Junozimmers ist. — Nach dem Tode des Sohnes
bestand die engere Familie außer dem Dichter, dem das erste Stockwerk zur
Verfügung blieb, aus der damals im fünfunddreißigsten Lebensjahre stehenden
Schwiegertochter Ottilie, ihrem dreizehnjährigen Sohne Walther, dem elfjährigen


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[0078] Goethes letztes Lebensjahr Mit seltnen Ausnahmen waren Appetit und Schlaf bis zuletzt ganz vor¬ züglich. Im Trinken legte sich nach dem Zeugnisse des Hausarztes Goethe seit dem Überschreiten der siebziger Jahre eine gewisse Beschränkung auf, indem er sich täglich mit einer Flasche Wein begnügte, dagegen genoß er die Tafel¬ freuden bis zu seinem Tode mit großem Behagen ohne Rücksichtnahme auf die Bekömmlichkeit. Von Jahr zu Jahr war die Lebensführung regelmäßiger geworden, beherrscht von den vier Losungen: früh am Tage aufstehn, tagtäglich ein tüchtiges Arbeitspensum bewältigen, für die Erholung eine feste Ordnung einhalten, frühzeitig (bald nach 9 Uhr) zu Bette gehn. Von Jahr zu Jahr wetteiferten auch die Näherstehenden mehr in dem Bestreben, dem leicht Erregbaren er¬ freuliche Eindrücke zu verschaffen und Widerwärtiges von ihm fernzuhalten; zugleich hatte sich bei diesem nach und nach die Kunst, Unerfreuliches rasch zu überwinden, bis zur Meisterschaft entwickelt. Weiteres hierher gehörende wird in anderen Zusammenhange nachzutragen sein. Vornehm behaglich genug war das Leben, das der Dichter 1831 in seinem im Mai 1792 von ihm bezognen, ihm vom Herzog geschenkten Hause am Frauenplan führte. Wie es 1831 um die Einrichtung dieses Hauses und den Stand der großartigen Sammlungen bestellt war, die in ihm durch Anschaffungen (nach eignem Geständnis hatte Goethe seit sechzig Jahren auf diese jährlich wenigstens hundert Dukaten verwandt) und Schenkungen allmählich ent¬ standen waren, darüber sind wir durch das 27 Rubriken umfassende Repertorium über des Dichters schriftlichen Nachlaß, die Jnventurcmfncchme vom 28. März bis 21. April 1832 und die Aufzeichnungen von Nahestehenden genau unter¬ richtet. Ziehn wir aus alledem die Summe, so ergibt sich etwa folgendes. In Möbeln, Tapeten, der Zimmereinrichtung herrschte die größte Einfachheit. Dagegen stellten die naturwissenschaftlichen Sammlungen, von denen die mineralogische allein über 17870 Nummern zählte, und die künstlerischen Schätze an Gemälden, Handzeichnungen, Kupferstichen, Büsten, Majoliken usw. zusammen genommen ein Besitztum dar, wie es sonst nur Museen aufweisen. So hatte Goethe 1831 in seiner Häuslichkeit eine schier unerschöpfliche Quelle der wissen¬ schaftlichen Anregung und des künstlerischen Genusses. Und dazu kamen auch in diesem Jahre zahlreiche Sendungen von Freunden und Verehrern (unter anderm von Frankfurt, von Paris und von den Bewundrern in England), die seinen Schätzen Zuwachs brachten. Die Kolossalbüste des Dichters von David d'Angers in Paris wurde am Geburtstage 1831 feierlich aufgestellt; für diesen Tag erschien als kostbare weitere Festgabe das kunstvolle Petschaft mit der sinnigen Aufschrift „ohne Rast, doch ohne Hast" trora triencls in lZnAlauct, das jetzt eine der Kostbarkeiten des Junozimmers ist. — Nach dem Tode des Sohnes bestand die engere Familie außer dem Dichter, dem das erste Stockwerk zur Verfügung blieb, aus der damals im fünfunddreißigsten Lebensjahre stehenden Schwiegertochter Ottilie, ihrem dreizehnjährigen Sohne Walther, dem elfjährigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/78>, abgerufen am 22.07.2024.