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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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und ohne Erdenrest in die jubelnde Harmonie dieser Stunde aufgegangen.
Mutter und Kind vor der freien leuchtenden Landschaft, über der in gro߬
artiger Schöpferpracht Gottvater thront, umgeben und umspielt von den himm¬
lischen Heerscharen. Dicht vor der Mutter aber in phantastischem Tabernakel
ein Chor himmlischer Musikanten. Das Ganze in seiner bildlichen Form vielleicht
nicht ganz so geschlossen und einheitlich wie die andern beiden Stücke, in seiner
Feststimmung aber überaus prächtig und frei von klcinmcisterlicher Enge. Wer
diese Kontraste mit solchen Höhen und Tiefen herausarbeiten konnte, dessen
künstlerisches Reich scheint unbegrenzt und voll unendlicher Perspektiven. Es
hat einen wehmütigen Reiz, sich auszumalen, was der rätselhafte verschollne
Meister wohl noch geschaffen haben könnte. Denn was auf uns gekommen
ist, erscheint in seinen letzten Grenzen noch ungewiß und wird wohl erst in
den nächsten Jahren unanfechtbar festgestellt werden.

Es ist das Verdienst Heinrich Alfred Schmids in Prag, durch eine
wahrhaft monumentale und mustergiltige Publikation den Umkreis dieser Kunst
vor Augen geführt zu haben. Die 62 Lichtdrucktafeln mit schönen Einzel¬
ausschnitten aus Hauptwerken stellen auch der Opferwilligkeit des Verlegers
C. W. Heinrich in Wiesbaden das beste Zeugnis aus. Der Textband zu dieser
Mappe (60 Mark) steht noch aus. Inzwischen ist vom Verlage Bruckmann in
München auch eine farbige Wiedergabe des Isenheimer Altars (6 Farben¬
tafeln, Jay. 59:72, ein Lichtdruck) in riesigem Format ausgegeben worden,
ein Werk, das zu gar keiner bessern Zeit erscheinen konnte, um als vortreffliches
Hilfsmittel allen zu dienen, die dem Meister von der Farbe her näher kommen
möchten. Bei aller Gebrechlichkeit der Farbendrucktechnik namentlich in kleinen
Formaten kann man diesen großen Tafeln schon vertraue", daß sie bieten, was
heute an genauer Wiedergabe der Tonwerke überhaupt zu bieten ist. Max
Friedländer hat einen kurzen einleitenden Text beigesteuert, von dem nur
zu bedauern ist, daß er auf riesige Blätter von demselben Umfange des Bilder¬
kartons gedruckt wurde (das Ganze in Mappe 120 Mark). Endlich sei als
populärstes Anschauungsmaterial die Grünewaldmappe des Kunstwarts hervor¬
gehoben (München, Callwey, 2,50 Mark), zu der Paul Schubring die Er¬
läuterungen gibt. Sie enthält in Doppeltondrucken die sechs Hauptwerke des
Isenheimer Altars; eine besser ausgestattete Liebhaberausgabe liegt ebenfalls
vor. Avenarius verlangt in seiner Vorrede originalgroße farbige Kopien von
Meisterhand in unsre großen Museen, vor allem nach Berlin: ein sehr berechtigter
Wunsch. Unsre staatliche Kunstpflege, die 50000 Mark für die Reproduktionen
der Sixtinischen Kapelle erübrigen konnte, hat für die Popularisierung unsrer
deutschen Meister noch ein reichlich offnes Programm vor sich.


Eugen Kalkschmidt


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und ohne Erdenrest in die jubelnde Harmonie dieser Stunde aufgegangen.
Mutter und Kind vor der freien leuchtenden Landschaft, über der in gro߬
artiger Schöpferpracht Gottvater thront, umgeben und umspielt von den himm¬
lischen Heerscharen. Dicht vor der Mutter aber in phantastischem Tabernakel
ein Chor himmlischer Musikanten. Das Ganze in seiner bildlichen Form vielleicht
nicht ganz so geschlossen und einheitlich wie die andern beiden Stücke, in seiner
Feststimmung aber überaus prächtig und frei von klcinmcisterlicher Enge. Wer
diese Kontraste mit solchen Höhen und Tiefen herausarbeiten konnte, dessen
künstlerisches Reich scheint unbegrenzt und voll unendlicher Perspektiven. Es
hat einen wehmütigen Reiz, sich auszumalen, was der rätselhafte verschollne
Meister wohl noch geschaffen haben könnte. Denn was auf uns gekommen
ist, erscheint in seinen letzten Grenzen noch ungewiß und wird wohl erst in
den nächsten Jahren unanfechtbar festgestellt werden.

Es ist das Verdienst Heinrich Alfred Schmids in Prag, durch eine
wahrhaft monumentale und mustergiltige Publikation den Umkreis dieser Kunst
vor Augen geführt zu haben. Die 62 Lichtdrucktafeln mit schönen Einzel¬
ausschnitten aus Hauptwerken stellen auch der Opferwilligkeit des Verlegers
C. W. Heinrich in Wiesbaden das beste Zeugnis aus. Der Textband zu dieser
Mappe (60 Mark) steht noch aus. Inzwischen ist vom Verlage Bruckmann in
München auch eine farbige Wiedergabe des Isenheimer Altars (6 Farben¬
tafeln, Jay. 59:72, ein Lichtdruck) in riesigem Format ausgegeben worden,
ein Werk, das zu gar keiner bessern Zeit erscheinen konnte, um als vortreffliches
Hilfsmittel allen zu dienen, die dem Meister von der Farbe her näher kommen
möchten. Bei aller Gebrechlichkeit der Farbendrucktechnik namentlich in kleinen
Formaten kann man diesen großen Tafeln schon vertraue», daß sie bieten, was
heute an genauer Wiedergabe der Tonwerke überhaupt zu bieten ist. Max
Friedländer hat einen kurzen einleitenden Text beigesteuert, von dem nur
zu bedauern ist, daß er auf riesige Blätter von demselben Umfange des Bilder¬
kartons gedruckt wurde (das Ganze in Mappe 120 Mark). Endlich sei als
populärstes Anschauungsmaterial die Grünewaldmappe des Kunstwarts hervor¬
gehoben (München, Callwey, 2,50 Mark), zu der Paul Schubring die Er¬
läuterungen gibt. Sie enthält in Doppeltondrucken die sechs Hauptwerke des
Isenheimer Altars; eine besser ausgestattete Liebhaberausgabe liegt ebenfalls
vor. Avenarius verlangt in seiner Vorrede originalgroße farbige Kopien von
Meisterhand in unsre großen Museen, vor allem nach Berlin: ein sehr berechtigter
Wunsch. Unsre staatliche Kunstpflege, die 50000 Mark für die Reproduktionen
der Sixtinischen Kapelle erübrigen konnte, hat für die Popularisierung unsrer
deutschen Meister noch ein reichlich offnes Programm vor sich.


Eugen Kalkschmidt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/648>, abgerufen am 22.07.2024.