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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Grünewald

Bibliotheken und Archiven die liebenswürdigste Dienstwilligkeit fand, ohne
Umstände geschickt hatte. Bei der Berufung Schuttes nach Bonn im Jahre 1872
und bei der Entbindung von der Verpflichtung zu Vorlesungen, die Schulte
in seinem achtzigsten Lebensjahre (1906) nachgesucht hatte, verbündeten sich,
das einemal die Angst vor dem Kölner Erzbischof, das andremal die Ungnade,
der die Altkatholiken verfallen sind, mit dem berüchtigten Heiligen, die Sache
ungebührlich zu verzögern. Eine spaßhafte Anekdote mag den Schluß machen.
Als Korum im Jahre 1881 "inthronisiert" wurde, feierte ihn Trier mit einer
glänzenden Illumination. Vier Wochen darauf besuchte der Kronprinz die
Stadt; die diesem zu Ehren veranstaltete Illumination fiel bedeutend weniger
glänzend aus. Bei der für Korum hatte sich besonders ein jüdischer Geschäfts¬
mann hervorgetan. Als diesen nun jemand fragte, warum er sich gerade für
den katholischen Bischof so angestrengt habe, antwortete er mit der Gebärde des
G Carl Ientsch eldzühlens: "Korum, worum? Dorum."




Grünewald

> in geheimes und scheinbar unergründliches Gesetz beherrscht Auf-
und Niedergang der Gestirne am Firmament der Kunst. Meister,
deren Glanz Generationen blendete, und die als leuchtende Fix¬
sterne gepriesen wurden, beginnen plötzlich vor den prüfenden
I Augen eines andern Geschlechts zu erblassen und ganz unscheinbar
zu werden. Und zugleich wachsen aus dem Gewimmel der kleinen Lichter Sterne
erster Ordnung heraus. Sie erstrahlen so gewaltig von innerer Majestät, daß
auch das unbewaffnete Auge sie wahrnehmen muß. Man wundert sich dann
und fragt, wie war es möglich, diesen Weltkörper solange zu übersehen? Wo
hatten unsre Astronomen der Kunst ihre Augen? Die Sterngucker und Stern¬
deuter aber zucken die Achseln: Wie sollen wir ergründen können, was vorher
so noch nicht zu sehen war? Wo nicht die Gläser und Apparate, sondern
Auge und Formensinn das Entscheidende sind? Wo Auge und Fassungskraft,
Entwicklung und Neigung der Zeit den Gesichtswinkel bestimmen, unter dein
die Gestirne der Kunst aufleuchten oder ins Dunkel treten?

Ein solcher neuer Fixstern ist Matthias Grünewald. Wir können getrost
sagen: Böcklin hat ihn uns entdeckt und damit das Himmelsbild deutscher
Kunst um ein blendendes Stück erweitert. Er ist zu Grünewalds Isenheimer
Altar nach Kolmar gepilgert beinahe Jahr um Jahr, wenn er diesseits der
Alpen hauste. Er hat in dem alten Meister der Dürerzeit einen Ahnen der
eignen kraftvollen Ph'mtasiekunst gegrüßt. Heute nun fangen auch die Kunst¬
historiker an, aus den Grenzen eines kühlen Respekts vor dieser eigentümlich


Grünewald

Bibliotheken und Archiven die liebenswürdigste Dienstwilligkeit fand, ohne
Umstände geschickt hatte. Bei der Berufung Schuttes nach Bonn im Jahre 1872
und bei der Entbindung von der Verpflichtung zu Vorlesungen, die Schulte
in seinem achtzigsten Lebensjahre (1906) nachgesucht hatte, verbündeten sich,
das einemal die Angst vor dem Kölner Erzbischof, das andremal die Ungnade,
der die Altkatholiken verfallen sind, mit dem berüchtigten Heiligen, die Sache
ungebührlich zu verzögern. Eine spaßhafte Anekdote mag den Schluß machen.
Als Korum im Jahre 1881 „inthronisiert" wurde, feierte ihn Trier mit einer
glänzenden Illumination. Vier Wochen darauf besuchte der Kronprinz die
Stadt; die diesem zu Ehren veranstaltete Illumination fiel bedeutend weniger
glänzend aus. Bei der für Korum hatte sich besonders ein jüdischer Geschäfts¬
mann hervorgetan. Als diesen nun jemand fragte, warum er sich gerade für
den katholischen Bischof so angestrengt habe, antwortete er mit der Gebärde des
G Carl Ientsch eldzühlens: „Korum, worum? Dorum."




Grünewald

> in geheimes und scheinbar unergründliches Gesetz beherrscht Auf-
und Niedergang der Gestirne am Firmament der Kunst. Meister,
deren Glanz Generationen blendete, und die als leuchtende Fix¬
sterne gepriesen wurden, beginnen plötzlich vor den prüfenden
I Augen eines andern Geschlechts zu erblassen und ganz unscheinbar
zu werden. Und zugleich wachsen aus dem Gewimmel der kleinen Lichter Sterne
erster Ordnung heraus. Sie erstrahlen so gewaltig von innerer Majestät, daß
auch das unbewaffnete Auge sie wahrnehmen muß. Man wundert sich dann
und fragt, wie war es möglich, diesen Weltkörper solange zu übersehen? Wo
hatten unsre Astronomen der Kunst ihre Augen? Die Sterngucker und Stern¬
deuter aber zucken die Achseln: Wie sollen wir ergründen können, was vorher
so noch nicht zu sehen war? Wo nicht die Gläser und Apparate, sondern
Auge und Formensinn das Entscheidende sind? Wo Auge und Fassungskraft,
Entwicklung und Neigung der Zeit den Gesichtswinkel bestimmen, unter dein
die Gestirne der Kunst aufleuchten oder ins Dunkel treten?

Ein solcher neuer Fixstern ist Matthias Grünewald. Wir können getrost
sagen: Böcklin hat ihn uns entdeckt und damit das Himmelsbild deutscher
Kunst um ein blendendes Stück erweitert. Er ist zu Grünewalds Isenheimer
Altar nach Kolmar gepilgert beinahe Jahr um Jahr, wenn er diesseits der
Alpen hauste. Er hat in dem alten Meister der Dürerzeit einen Ahnen der
eignen kraftvollen Ph'mtasiekunst gegrüßt. Heute nun fangen auch die Kunst¬
historiker an, aus den Grenzen eines kühlen Respekts vor dieser eigentümlich


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[0646] Grünewald Bibliotheken und Archiven die liebenswürdigste Dienstwilligkeit fand, ohne Umstände geschickt hatte. Bei der Berufung Schuttes nach Bonn im Jahre 1872 und bei der Entbindung von der Verpflichtung zu Vorlesungen, die Schulte in seinem achtzigsten Lebensjahre (1906) nachgesucht hatte, verbündeten sich, das einemal die Angst vor dem Kölner Erzbischof, das andremal die Ungnade, der die Altkatholiken verfallen sind, mit dem berüchtigten Heiligen, die Sache ungebührlich zu verzögern. Eine spaßhafte Anekdote mag den Schluß machen. Als Korum im Jahre 1881 „inthronisiert" wurde, feierte ihn Trier mit einer glänzenden Illumination. Vier Wochen darauf besuchte der Kronprinz die Stadt; die diesem zu Ehren veranstaltete Illumination fiel bedeutend weniger glänzend aus. Bei der für Korum hatte sich besonders ein jüdischer Geschäfts¬ mann hervorgetan. Als diesen nun jemand fragte, warum er sich gerade für den katholischen Bischof so angestrengt habe, antwortete er mit der Gebärde des G Carl Ientsch eldzühlens: „Korum, worum? Dorum." Grünewald > in geheimes und scheinbar unergründliches Gesetz beherrscht Auf- und Niedergang der Gestirne am Firmament der Kunst. Meister, deren Glanz Generationen blendete, und die als leuchtende Fix¬ sterne gepriesen wurden, beginnen plötzlich vor den prüfenden I Augen eines andern Geschlechts zu erblassen und ganz unscheinbar zu werden. Und zugleich wachsen aus dem Gewimmel der kleinen Lichter Sterne erster Ordnung heraus. Sie erstrahlen so gewaltig von innerer Majestät, daß auch das unbewaffnete Auge sie wahrnehmen muß. Man wundert sich dann und fragt, wie war es möglich, diesen Weltkörper solange zu übersehen? Wo hatten unsre Astronomen der Kunst ihre Augen? Die Sterngucker und Stern¬ deuter aber zucken die Achseln: Wie sollen wir ergründen können, was vorher so noch nicht zu sehen war? Wo nicht die Gläser und Apparate, sondern Auge und Formensinn das Entscheidende sind? Wo Auge und Fassungskraft, Entwicklung und Neigung der Zeit den Gesichtswinkel bestimmen, unter dein die Gestirne der Kunst aufleuchten oder ins Dunkel treten? Ein solcher neuer Fixstern ist Matthias Grünewald. Wir können getrost sagen: Böcklin hat ihn uns entdeckt und damit das Himmelsbild deutscher Kunst um ein blendendes Stück erweitert. Er ist zu Grünewalds Isenheimer Altar nach Kolmar gepilgert beinahe Jahr um Jahr, wenn er diesseits der Alpen hauste. Er hat in dem alten Meister der Dürerzeit einen Ahnen der eignen kraftvollen Ph'mtasiekunst gegrüßt. Heute nun fangen auch die Kunst¬ historiker an, aus den Grenzen eines kühlen Respekts vor dieser eigentümlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/646>, abgerufen am 22.07.2024.