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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Johann Friedrich von Schulte

"Euer Eminenz gestatte ich mir die ergebenste Anfrage: Wenn ein Katholik
mit der großen Exkommunikation belegt ohne Beichte und Absolution stirbt,
kann er dann in den Himmel kommen?" Schulte, den Hye ans den Fuß trat,
mußte das Taschentuch vors Gesicht nehmen, um nicht auszuplatzen, Rauscher
aber steckte eine Miene auf, die zu fragen schien: bist du wirklich so kindlich
fromm, oder willst du mir weis machen, du seist es, und antwortete: "Euer
Exzellenz, das kann ich nicht wissen; nur Gott, der Herzen und Nieren durch¬
forscht, weiß, ob eine Exkommunikation gerecht oder ungerecht ist, und ob ein
Mensch im Zustande der Todsünde stirbt." Was kann, fragt Schulte, ein solcher
Diplomat bei den geriebnen Römern ausrichten? Sehr wichtig ist folgende
Äußerung Rauschers: "Beim Konkordat handle es sich nicht bloß um den
Inhalt, sondern es stehe hier die weltgeschichtliche Stellung der katholischen
Kirche auf dem Spiele. Es handle sich um die Frage: Ist die Kirche noch als
eine Gesellschaft anerkannt, die selbständig mit dem Staate verhandeln kann,
oder nicht? Falle auch das österreichische Konkordat, so sei diese Frage ver¬
neint, damit die historische Stellung der Kirche vernichtet." In der Tat, so
ist es, nur muß man für "Kirche" Papsttum setzen und daran erinnern, daß,
was Rauscher nicht voraussehn konnte, für das versagende Österreich später
Bismarck eingetreten ist. Bismarck hat in den Herzen der deutschen Katholiken
den Glauben an den Papst auf ein Jahrhundert hinaus wie einen rooder as
breues stabiliere. Er hat den vermeintlich weltgeschichtlichen Kampf, der mit dem
Zwist zwischen Agamemnon und Kalchas begonnen habe (in Wirklichkeit handelte
es sich um ganz andre Dinge), wieder aufgenommen und ist unterlegen. Als
die Niederlage offenbar wurde, hat er sich nicht mit den katholischen Abgeordneten
verständigt (was der Niederlage ihr Beschämendes genommen Hütte; Gesetze
zurücknehmen, durch die sich ein Volksteil geschädigt fühlt, gereicht dem Gesetz¬
geber nicht zur Schande, sondern zur Ehre), sondern über die Köpfe des Zentrums
hinweg mit dem Papste unterhandelt. Dann hat er dessen Intervention im
Septennatstreit nachgesucht, was an sich einen verwerflichen Mißbrauch der
Religion zu politischen Zwecken bedeutete und außerdem den Katholiken zu¬
mutete, ihr politisches Verhalten nach päpstlichen Befehlen einzurichten; daß
sie dieses täten, wird ihnen bekanntlich von ihren Gegnern nachgesagt, aber
zu beweisen, daß es Verleumdung ist, hat ihnen damals Bismarck die erwünschte
Gelegenheit gegeben. Endlich hat er den Papst als Schiedsrichter in einem
internationalen Streit angerufen. Das Endergebnis von alledem lautete in
der Auffassung der deutschen Katholiken: der größte Staatsmann des Jahr¬
hunderts ist im Kampfe gegen den Papst (in Wirklichkeit war es ein Kampf
gegen die Gewissen der katholischen Untertanen) unterlegen und hat dessen ihm
von Gott verliehene Autorität anerkennen müssen. Den richtigen Weg hat
Frankreich beschritten: es hat seine Kirchengesetze autonom gemacht, hat den
Papst einfach ignoriert, und siehe da: es geht ganz famos! Freilich gibt es
auch in der französischen Kammer eine klerikale Opposition, die über Ver-


Johann Friedrich von Schulte

„Euer Eminenz gestatte ich mir die ergebenste Anfrage: Wenn ein Katholik
mit der großen Exkommunikation belegt ohne Beichte und Absolution stirbt,
kann er dann in den Himmel kommen?" Schulte, den Hye ans den Fuß trat,
mußte das Taschentuch vors Gesicht nehmen, um nicht auszuplatzen, Rauscher
aber steckte eine Miene auf, die zu fragen schien: bist du wirklich so kindlich
fromm, oder willst du mir weis machen, du seist es, und antwortete: „Euer
Exzellenz, das kann ich nicht wissen; nur Gott, der Herzen und Nieren durch¬
forscht, weiß, ob eine Exkommunikation gerecht oder ungerecht ist, und ob ein
Mensch im Zustande der Todsünde stirbt." Was kann, fragt Schulte, ein solcher
Diplomat bei den geriebnen Römern ausrichten? Sehr wichtig ist folgende
Äußerung Rauschers: „Beim Konkordat handle es sich nicht bloß um den
Inhalt, sondern es stehe hier die weltgeschichtliche Stellung der katholischen
Kirche auf dem Spiele. Es handle sich um die Frage: Ist die Kirche noch als
eine Gesellschaft anerkannt, die selbständig mit dem Staate verhandeln kann,
oder nicht? Falle auch das österreichische Konkordat, so sei diese Frage ver¬
neint, damit die historische Stellung der Kirche vernichtet." In der Tat, so
ist es, nur muß man für „Kirche" Papsttum setzen und daran erinnern, daß,
was Rauscher nicht voraussehn konnte, für das versagende Österreich später
Bismarck eingetreten ist. Bismarck hat in den Herzen der deutschen Katholiken
den Glauben an den Papst auf ein Jahrhundert hinaus wie einen rooder as
breues stabiliere. Er hat den vermeintlich weltgeschichtlichen Kampf, der mit dem
Zwist zwischen Agamemnon und Kalchas begonnen habe (in Wirklichkeit handelte
es sich um ganz andre Dinge), wieder aufgenommen und ist unterlegen. Als
die Niederlage offenbar wurde, hat er sich nicht mit den katholischen Abgeordneten
verständigt (was der Niederlage ihr Beschämendes genommen Hütte; Gesetze
zurücknehmen, durch die sich ein Volksteil geschädigt fühlt, gereicht dem Gesetz¬
geber nicht zur Schande, sondern zur Ehre), sondern über die Köpfe des Zentrums
hinweg mit dem Papste unterhandelt. Dann hat er dessen Intervention im
Septennatstreit nachgesucht, was an sich einen verwerflichen Mißbrauch der
Religion zu politischen Zwecken bedeutete und außerdem den Katholiken zu¬
mutete, ihr politisches Verhalten nach päpstlichen Befehlen einzurichten; daß
sie dieses täten, wird ihnen bekanntlich von ihren Gegnern nachgesagt, aber
zu beweisen, daß es Verleumdung ist, hat ihnen damals Bismarck die erwünschte
Gelegenheit gegeben. Endlich hat er den Papst als Schiedsrichter in einem
internationalen Streit angerufen. Das Endergebnis von alledem lautete in
der Auffassung der deutschen Katholiken: der größte Staatsmann des Jahr¬
hunderts ist im Kampfe gegen den Papst (in Wirklichkeit war es ein Kampf
gegen die Gewissen der katholischen Untertanen) unterlegen und hat dessen ihm
von Gott verliehene Autorität anerkennen müssen. Den richtigen Weg hat
Frankreich beschritten: es hat seine Kirchengesetze autonom gemacht, hat den
Papst einfach ignoriert, und siehe da: es geht ganz famos! Freilich gibt es
auch in der französischen Kammer eine klerikale Opposition, die über Ver-


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[0644] Johann Friedrich von Schulte „Euer Eminenz gestatte ich mir die ergebenste Anfrage: Wenn ein Katholik mit der großen Exkommunikation belegt ohne Beichte und Absolution stirbt, kann er dann in den Himmel kommen?" Schulte, den Hye ans den Fuß trat, mußte das Taschentuch vors Gesicht nehmen, um nicht auszuplatzen, Rauscher aber steckte eine Miene auf, die zu fragen schien: bist du wirklich so kindlich fromm, oder willst du mir weis machen, du seist es, und antwortete: „Euer Exzellenz, das kann ich nicht wissen; nur Gott, der Herzen und Nieren durch¬ forscht, weiß, ob eine Exkommunikation gerecht oder ungerecht ist, und ob ein Mensch im Zustande der Todsünde stirbt." Was kann, fragt Schulte, ein solcher Diplomat bei den geriebnen Römern ausrichten? Sehr wichtig ist folgende Äußerung Rauschers: „Beim Konkordat handle es sich nicht bloß um den Inhalt, sondern es stehe hier die weltgeschichtliche Stellung der katholischen Kirche auf dem Spiele. Es handle sich um die Frage: Ist die Kirche noch als eine Gesellschaft anerkannt, die selbständig mit dem Staate verhandeln kann, oder nicht? Falle auch das österreichische Konkordat, so sei diese Frage ver¬ neint, damit die historische Stellung der Kirche vernichtet." In der Tat, so ist es, nur muß man für „Kirche" Papsttum setzen und daran erinnern, daß, was Rauscher nicht voraussehn konnte, für das versagende Österreich später Bismarck eingetreten ist. Bismarck hat in den Herzen der deutschen Katholiken den Glauben an den Papst auf ein Jahrhundert hinaus wie einen rooder as breues stabiliere. Er hat den vermeintlich weltgeschichtlichen Kampf, der mit dem Zwist zwischen Agamemnon und Kalchas begonnen habe (in Wirklichkeit handelte es sich um ganz andre Dinge), wieder aufgenommen und ist unterlegen. Als die Niederlage offenbar wurde, hat er sich nicht mit den katholischen Abgeordneten verständigt (was der Niederlage ihr Beschämendes genommen Hütte; Gesetze zurücknehmen, durch die sich ein Volksteil geschädigt fühlt, gereicht dem Gesetz¬ geber nicht zur Schande, sondern zur Ehre), sondern über die Köpfe des Zentrums hinweg mit dem Papste unterhandelt. Dann hat er dessen Intervention im Septennatstreit nachgesucht, was an sich einen verwerflichen Mißbrauch der Religion zu politischen Zwecken bedeutete und außerdem den Katholiken zu¬ mutete, ihr politisches Verhalten nach päpstlichen Befehlen einzurichten; daß sie dieses täten, wird ihnen bekanntlich von ihren Gegnern nachgesagt, aber zu beweisen, daß es Verleumdung ist, hat ihnen damals Bismarck die erwünschte Gelegenheit gegeben. Endlich hat er den Papst als Schiedsrichter in einem internationalen Streit angerufen. Das Endergebnis von alledem lautete in der Auffassung der deutschen Katholiken: der größte Staatsmann des Jahr¬ hunderts ist im Kampfe gegen den Papst (in Wirklichkeit war es ein Kampf gegen die Gewissen der katholischen Untertanen) unterlegen und hat dessen ihm von Gott verliehene Autorität anerkennen müssen. Den richtigen Weg hat Frankreich beschritten: es hat seine Kirchengesetze autonom gemacht, hat den Papst einfach ignoriert, und siehe da: es geht ganz famos! Freilich gibt es auch in der französischen Kammer eine klerikale Opposition, die über Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/644>, abgerufen am 22.07.2024.