Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Johann Friedrich von schütte

etwas Widerstand zu leisten. Übrigens habe die diplomatische Vertretung in
Rom beim heutigen ungehinderten unmittelbaren Verkehr der Bischöfe und aller
Katholiken mit dem Papste nicht mehr die frühere Bedeutung, und Bismarck
habe wohl auch gar nicht erwartet, daß man seinen Vorschlag annehmen werde.

Auf seiner Rundreise zu den Bischöfen hatte Schulte in Wien eine Audienz
beim Kultusminister Grafen Thun gehabt. Diesem gefiel er so gut, daß er
ihn noch in demselben Jahre 1854 als Lehrer des Kirchenrechts nach Prag
berief. Zwei Jahre darauf ernannte ihn der Kardinal Erzbischof Fürst Schwarzen¬
berg zum Rat am geistlichen Ehegerichte der Prager Diözese in allen drei
Instanzen und zum Titularkonsistorialrat. Er war "der einzige Laie, nicht bloß
in Österreich, der mit vollem Stimmrecht Mitglied eines geistlichen Gerichts
war". Seine Lehrtätigkeit befriedigte ihn sehr. Den Studenten, ihrem Fleiß
und ihrer Begabung, stellt er wiederholt das beste Zeugnis ans, ohne dabei
einen Unterschied zwischen Deutschen und Tscheche" zu machen. Dagegen kommen
die Kollegen sehr schlecht weg in seinen scharfen Charakteristiken; bei mehreren
verzichtet er lieber ganz auf eine solche. Von den Anekdoten, die der Charakteristik
dienen, mag eine angeführt werden. Schulte war einer der wenigen Professoren,
die regelmäßig den Universitätsgottesdienst besuchten. Eines Sonntags fanden
sich viele ein -- in gelben Glacehandschuhen sogar. Auf seine verwunderte
Frage, was das zu bedeuten habe, erhielt er die Antwort: Graf Thun weile
in Prag und habe den Besuch des akademischen Gottesdienstes in Aussicht
gestellt. So nächtens ausgesprochnc Atheisten! ruft Schulte; deu Herren aber
sagte er: "hätten Sie mich gefragt, so hätten Sie sich die Mühe erspart; der
Minister ist gestern abend abgereist." Viele Nöte verursachte ihm der in Osterreich
noch dazu schlampige Bureaukratismus der Behörden; aber er trieb mit echt
bismarckischcr Schneidigkeit das Schreibervolk zu Paaren. Die Erzählung einiger
Konflikte schließt er mit den Worten: "Diese Fälle liefern den Beweis, daß mit
Energie alles zu erreichen war; an Energie hat es mir nie gefehlt."

Die zeigte er denn auch den Studenten in dem beginnenden nationalen
Konflikte. In seine Zeit fallen die ersten Schritte der Tschechen zur Eroberung
der Universität. Palaeky setzte eine Petition in Umlauf, die verlangte, daß über
die juristischen Hauptfächer auch in tschechischer Sprache gelesen werde. Schulte
schrieb an Thun: er habe an sich nichts dagegen, es betrübe ihn nur, daß mit
dieser Agitation die nationale Spaltung in die Korporation gebracht werde, die
ihren Ruin herbeiführen müsse, und daß man die Universität als bloße Ab-
richtungsanstalt behandle (man hatte sich auf das Bedürfnis der Praxis berufen),
was den Tod der Wissenschaft bedeute. Julius Grocger, der sich später zum
rabiater Tschechenführer entwickelt hat, war der erste, der sich bei der Doktor¬
disputation der tschechischen Sprache bedienen wollte, weil er des Deutschen
nicht genügend mächtig sei. Schulte als Dekan lachte ihn aus, da ja seiue
Mutter eine Deutsche und er in einer deutschen Gegend geboren sei, stellte ihm
jedoch anheim, ein schriftliches Gesuch einzureichen. Dieses wurde schriftlich


Johann Friedrich von schütte

etwas Widerstand zu leisten. Übrigens habe die diplomatische Vertretung in
Rom beim heutigen ungehinderten unmittelbaren Verkehr der Bischöfe und aller
Katholiken mit dem Papste nicht mehr die frühere Bedeutung, und Bismarck
habe wohl auch gar nicht erwartet, daß man seinen Vorschlag annehmen werde.

Auf seiner Rundreise zu den Bischöfen hatte Schulte in Wien eine Audienz
beim Kultusminister Grafen Thun gehabt. Diesem gefiel er so gut, daß er
ihn noch in demselben Jahre 1854 als Lehrer des Kirchenrechts nach Prag
berief. Zwei Jahre darauf ernannte ihn der Kardinal Erzbischof Fürst Schwarzen¬
berg zum Rat am geistlichen Ehegerichte der Prager Diözese in allen drei
Instanzen und zum Titularkonsistorialrat. Er war „der einzige Laie, nicht bloß
in Österreich, der mit vollem Stimmrecht Mitglied eines geistlichen Gerichts
war". Seine Lehrtätigkeit befriedigte ihn sehr. Den Studenten, ihrem Fleiß
und ihrer Begabung, stellt er wiederholt das beste Zeugnis ans, ohne dabei
einen Unterschied zwischen Deutschen und Tscheche» zu machen. Dagegen kommen
die Kollegen sehr schlecht weg in seinen scharfen Charakteristiken; bei mehreren
verzichtet er lieber ganz auf eine solche. Von den Anekdoten, die der Charakteristik
dienen, mag eine angeführt werden. Schulte war einer der wenigen Professoren,
die regelmäßig den Universitätsgottesdienst besuchten. Eines Sonntags fanden
sich viele ein — in gelben Glacehandschuhen sogar. Auf seine verwunderte
Frage, was das zu bedeuten habe, erhielt er die Antwort: Graf Thun weile
in Prag und habe den Besuch des akademischen Gottesdienstes in Aussicht
gestellt. So nächtens ausgesprochnc Atheisten! ruft Schulte; deu Herren aber
sagte er: „hätten Sie mich gefragt, so hätten Sie sich die Mühe erspart; der
Minister ist gestern abend abgereist." Viele Nöte verursachte ihm der in Osterreich
noch dazu schlampige Bureaukratismus der Behörden; aber er trieb mit echt
bismarckischcr Schneidigkeit das Schreibervolk zu Paaren. Die Erzählung einiger
Konflikte schließt er mit den Worten: „Diese Fälle liefern den Beweis, daß mit
Energie alles zu erreichen war; an Energie hat es mir nie gefehlt."

Die zeigte er denn auch den Studenten in dem beginnenden nationalen
Konflikte. In seine Zeit fallen die ersten Schritte der Tschechen zur Eroberung
der Universität. Palaeky setzte eine Petition in Umlauf, die verlangte, daß über
die juristischen Hauptfächer auch in tschechischer Sprache gelesen werde. Schulte
schrieb an Thun: er habe an sich nichts dagegen, es betrübe ihn nur, daß mit
dieser Agitation die nationale Spaltung in die Korporation gebracht werde, die
ihren Ruin herbeiführen müsse, und daß man die Universität als bloße Ab-
richtungsanstalt behandle (man hatte sich auf das Bedürfnis der Praxis berufen),
was den Tod der Wissenschaft bedeute. Julius Grocger, der sich später zum
rabiater Tschechenführer entwickelt hat, war der erste, der sich bei der Doktor¬
disputation der tschechischen Sprache bedienen wollte, weil er des Deutschen
nicht genügend mächtig sei. Schulte als Dekan lachte ihn aus, da ja seiue
Mutter eine Deutsche und er in einer deutschen Gegend geboren sei, stellte ihm
jedoch anheim, ein schriftliches Gesuch einzureichen. Dieses wurde schriftlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0640" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311051"/>
          <fw type="header" place="top"> Johann Friedrich von schütte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3302" prev="#ID_3301"> etwas Widerstand zu leisten. Übrigens habe die diplomatische Vertretung in<lb/>
Rom beim heutigen ungehinderten unmittelbaren Verkehr der Bischöfe und aller<lb/>
Katholiken mit dem Papste nicht mehr die frühere Bedeutung, und Bismarck<lb/>
habe wohl auch gar nicht erwartet, daß man seinen Vorschlag annehmen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3303"> Auf seiner Rundreise zu den Bischöfen hatte Schulte in Wien eine Audienz<lb/>
beim Kultusminister Grafen Thun gehabt. Diesem gefiel er so gut, daß er<lb/>
ihn noch in demselben Jahre 1854 als Lehrer des Kirchenrechts nach Prag<lb/>
berief. Zwei Jahre darauf ernannte ihn der Kardinal Erzbischof Fürst Schwarzen¬<lb/>
berg zum Rat am geistlichen Ehegerichte der Prager Diözese in allen drei<lb/>
Instanzen und zum Titularkonsistorialrat. Er war &#x201E;der einzige Laie, nicht bloß<lb/>
in Österreich, der mit vollem Stimmrecht Mitglied eines geistlichen Gerichts<lb/>
war". Seine Lehrtätigkeit befriedigte ihn sehr. Den Studenten, ihrem Fleiß<lb/>
und ihrer Begabung, stellt er wiederholt das beste Zeugnis ans, ohne dabei<lb/>
einen Unterschied zwischen Deutschen und Tscheche» zu machen. Dagegen kommen<lb/>
die Kollegen sehr schlecht weg in seinen scharfen Charakteristiken; bei mehreren<lb/>
verzichtet er lieber ganz auf eine solche. Von den Anekdoten, die der Charakteristik<lb/>
dienen, mag eine angeführt werden. Schulte war einer der wenigen Professoren,<lb/>
die regelmäßig den Universitätsgottesdienst besuchten. Eines Sonntags fanden<lb/>
sich viele ein &#x2014; in gelben Glacehandschuhen sogar. Auf seine verwunderte<lb/>
Frage, was das zu bedeuten habe, erhielt er die Antwort: Graf Thun weile<lb/>
in Prag und habe den Besuch des akademischen Gottesdienstes in Aussicht<lb/>
gestellt. So nächtens ausgesprochnc Atheisten! ruft Schulte; deu Herren aber<lb/>
sagte er: &#x201E;hätten Sie mich gefragt, so hätten Sie sich die Mühe erspart; der<lb/>
Minister ist gestern abend abgereist." Viele Nöte verursachte ihm der in Osterreich<lb/>
noch dazu schlampige Bureaukratismus der Behörden; aber er trieb mit echt<lb/>
bismarckischcr Schneidigkeit das Schreibervolk zu Paaren. Die Erzählung einiger<lb/>
Konflikte schließt er mit den Worten: &#x201E;Diese Fälle liefern den Beweis, daß mit<lb/>
Energie alles zu erreichen war; an Energie hat es mir nie gefehlt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3304" next="#ID_3305"> Die zeigte er denn auch den Studenten in dem beginnenden nationalen<lb/>
Konflikte. In seine Zeit fallen die ersten Schritte der Tschechen zur Eroberung<lb/>
der Universität. Palaeky setzte eine Petition in Umlauf, die verlangte, daß über<lb/>
die juristischen Hauptfächer auch in tschechischer Sprache gelesen werde. Schulte<lb/>
schrieb an Thun: er habe an sich nichts dagegen, es betrübe ihn nur, daß mit<lb/>
dieser Agitation die nationale Spaltung in die Korporation gebracht werde, die<lb/>
ihren Ruin herbeiführen müsse, und daß man die Universität als bloße Ab-<lb/>
richtungsanstalt behandle (man hatte sich auf das Bedürfnis der Praxis berufen),<lb/>
was den Tod der Wissenschaft bedeute. Julius Grocger, der sich später zum<lb/>
rabiater Tschechenführer entwickelt hat, war der erste, der sich bei der Doktor¬<lb/>
disputation der tschechischen Sprache bedienen wollte, weil er des Deutschen<lb/>
nicht genügend mächtig sei. Schulte als Dekan lachte ihn aus, da ja seiue<lb/>
Mutter eine Deutsche und er in einer deutschen Gegend geboren sei, stellte ihm<lb/>
jedoch anheim, ein schriftliches Gesuch einzureichen.  Dieses wurde schriftlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0640] Johann Friedrich von schütte etwas Widerstand zu leisten. Übrigens habe die diplomatische Vertretung in Rom beim heutigen ungehinderten unmittelbaren Verkehr der Bischöfe und aller Katholiken mit dem Papste nicht mehr die frühere Bedeutung, und Bismarck habe wohl auch gar nicht erwartet, daß man seinen Vorschlag annehmen werde. Auf seiner Rundreise zu den Bischöfen hatte Schulte in Wien eine Audienz beim Kultusminister Grafen Thun gehabt. Diesem gefiel er so gut, daß er ihn noch in demselben Jahre 1854 als Lehrer des Kirchenrechts nach Prag berief. Zwei Jahre darauf ernannte ihn der Kardinal Erzbischof Fürst Schwarzen¬ berg zum Rat am geistlichen Ehegerichte der Prager Diözese in allen drei Instanzen und zum Titularkonsistorialrat. Er war „der einzige Laie, nicht bloß in Österreich, der mit vollem Stimmrecht Mitglied eines geistlichen Gerichts war". Seine Lehrtätigkeit befriedigte ihn sehr. Den Studenten, ihrem Fleiß und ihrer Begabung, stellt er wiederholt das beste Zeugnis ans, ohne dabei einen Unterschied zwischen Deutschen und Tscheche» zu machen. Dagegen kommen die Kollegen sehr schlecht weg in seinen scharfen Charakteristiken; bei mehreren verzichtet er lieber ganz auf eine solche. Von den Anekdoten, die der Charakteristik dienen, mag eine angeführt werden. Schulte war einer der wenigen Professoren, die regelmäßig den Universitätsgottesdienst besuchten. Eines Sonntags fanden sich viele ein — in gelben Glacehandschuhen sogar. Auf seine verwunderte Frage, was das zu bedeuten habe, erhielt er die Antwort: Graf Thun weile in Prag und habe den Besuch des akademischen Gottesdienstes in Aussicht gestellt. So nächtens ausgesprochnc Atheisten! ruft Schulte; deu Herren aber sagte er: „hätten Sie mich gefragt, so hätten Sie sich die Mühe erspart; der Minister ist gestern abend abgereist." Viele Nöte verursachte ihm der in Osterreich noch dazu schlampige Bureaukratismus der Behörden; aber er trieb mit echt bismarckischcr Schneidigkeit das Schreibervolk zu Paaren. Die Erzählung einiger Konflikte schließt er mit den Worten: „Diese Fälle liefern den Beweis, daß mit Energie alles zu erreichen war; an Energie hat es mir nie gefehlt." Die zeigte er denn auch den Studenten in dem beginnenden nationalen Konflikte. In seine Zeit fallen die ersten Schritte der Tschechen zur Eroberung der Universität. Palaeky setzte eine Petition in Umlauf, die verlangte, daß über die juristischen Hauptfächer auch in tschechischer Sprache gelesen werde. Schulte schrieb an Thun: er habe an sich nichts dagegen, es betrübe ihn nur, daß mit dieser Agitation die nationale Spaltung in die Korporation gebracht werde, die ihren Ruin herbeiführen müsse, und daß man die Universität als bloße Ab- richtungsanstalt behandle (man hatte sich auf das Bedürfnis der Praxis berufen), was den Tod der Wissenschaft bedeute. Julius Grocger, der sich später zum rabiater Tschechenführer entwickelt hat, war der erste, der sich bei der Doktor¬ disputation der tschechischen Sprache bedienen wollte, weil er des Deutschen nicht genügend mächtig sei. Schulte als Dekan lachte ihn aus, da ja seiue Mutter eine Deutsche und er in einer deutschen Gegend geboren sei, stellte ihm jedoch anheim, ein schriftliches Gesuch einzureichen. Dieses wurde schriftlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/640
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/640>, abgerufen am 22.07.2024.