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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Germanische Uunst für unser Volk in Massen

das Leben von dem schlichten Blatt als von dem stolzen Stein. Lieber sind
mir die deutschen Epheben in der Atenta als die griechischen Einjährig¬
freiwilligen in der Chlamys, lieber die bayrischen Kavalleriepferde aus Ost¬
preußen mit ihren grundguten Gesichtern, bei deren Anblick man begreift, daß
ein Reiter beim Abschied von seinem lieben Tier leiden und weinen kann, als
die Seepferdchengesichter der feinmäuligen, feurigen, aber, da der griechische
Künstler kein Auge für die Tierseele hatte, seelenlosen Rosse aus Attika.
Aber mancher wird doch ein Sakrileg darin sehen, daß ich das namenlose
moderne Kunstwerk neben das gefeierte antike gerückt habe, und wird es mir
übelnehmen, daß ich die feinste Blüte der athenischen Jugend mit derben
deutschen Bürger- und Bauernsöhnen vergleiche. Wer so fühlt und urteilt,
der lege doch selbst einmal das leicht erreichbare Blatt von Jcmk-- es ist
in der Nummer 30 der Jugend erschienen -- neben das antike Bildwerk, und
er wird mir zugeben, daß die aufmerksam Tier und Bahn beobachtenden,
energischen Reitergesichter der griechischen Einjährigfreiwilligen mit dem Krieger¬
trotz in Augen und Mund den gleich aufmerksamen, energischen, trotzigen
Gesichtern der deutscheu Epheben nah verwandt sind. Er wird mir auch
zugeben müssen, daß der deutsche Tiermaler den griechischen Tierbildner ge¬
schlagen hat.

Angelo Jcmk hat in der Münchner Jugend vor zwölf Jahren debütiert.
Er war da Illustrator für alles. Mit kräftigem und doch feinem Strich
zeichnete er ein bißchen archaisierend zu alten Sprüchen Menschen von der Art
Walters von der Vogelweide und Freidanks, in einem Rahmen mit ori¬
gineller naturalistischer Ornamentik, Galericbesuchertypen, arme verlassene junge
Münchnerinnen, Hoffnung und Verzweiflung im Herzen vor dem letzten
Rendezvous, reiche verschmähte junge Römerinnen, um die zahme Leoparden
streichen, vor dem Selbstmord, linienschöne kindliche Nymphen, Kentauren, die
aus einem Kanonier in Badetoilette und einem derben Brüundl, so nennt
man in Bayern manchmal kosend die Militärpferde, zusammengewachsen sind,
fröhliche Landmädchen auf ihrem Milchwagen, einen Polen, der einbricht, um
seinen Musikhunger zu stillen, Bilder aus der Arena, wie ein schwarzer
Panther, von seineu Wärtern fast zu Tode gequält, vor dem Verenden im
letzten Aufflackern der Kraft und Wildheit seine Wohltäterin tötet, ein frisches,
von Jugend leuchtendes Biedermeiermüdchenbild, Zeitgenossen Schillers, lebenein
und lcbenaus um die Glocke wandelnd. Das zeichnete der junge Jcmk für
die junge Zeitschrift. Diese Frühkunst war nicht arm. Nun haben sich ihre
Knospen erschlossen, und die Blüte ist reich. Der Künstler hat etwas von der
Universalität Menzels, die Fontane in seinem Gedicht "Auf der Treppe von
Sanssouci" so plastisch schildert. Er ist noch nicht wie Menzel "die ganze
Arche Noäh, Thier und Menschen:


Germanische Uunst für unser Volk in Massen

das Leben von dem schlichten Blatt als von dem stolzen Stein. Lieber sind
mir die deutschen Epheben in der Atenta als die griechischen Einjährig¬
freiwilligen in der Chlamys, lieber die bayrischen Kavalleriepferde aus Ost¬
preußen mit ihren grundguten Gesichtern, bei deren Anblick man begreift, daß
ein Reiter beim Abschied von seinem lieben Tier leiden und weinen kann, als
die Seepferdchengesichter der feinmäuligen, feurigen, aber, da der griechische
Künstler kein Auge für die Tierseele hatte, seelenlosen Rosse aus Attika.
Aber mancher wird doch ein Sakrileg darin sehen, daß ich das namenlose
moderne Kunstwerk neben das gefeierte antike gerückt habe, und wird es mir
übelnehmen, daß ich die feinste Blüte der athenischen Jugend mit derben
deutschen Bürger- und Bauernsöhnen vergleiche. Wer so fühlt und urteilt,
der lege doch selbst einmal das leicht erreichbare Blatt von Jcmk— es ist
in der Nummer 30 der Jugend erschienen — neben das antike Bildwerk, und
er wird mir zugeben, daß die aufmerksam Tier und Bahn beobachtenden,
energischen Reitergesichter der griechischen Einjährigfreiwilligen mit dem Krieger¬
trotz in Augen und Mund den gleich aufmerksamen, energischen, trotzigen
Gesichtern der deutscheu Epheben nah verwandt sind. Er wird mir auch
zugeben müssen, daß der deutsche Tiermaler den griechischen Tierbildner ge¬
schlagen hat.

Angelo Jcmk hat in der Münchner Jugend vor zwölf Jahren debütiert.
Er war da Illustrator für alles. Mit kräftigem und doch feinem Strich
zeichnete er ein bißchen archaisierend zu alten Sprüchen Menschen von der Art
Walters von der Vogelweide und Freidanks, in einem Rahmen mit ori¬
gineller naturalistischer Ornamentik, Galericbesuchertypen, arme verlassene junge
Münchnerinnen, Hoffnung und Verzweiflung im Herzen vor dem letzten
Rendezvous, reiche verschmähte junge Römerinnen, um die zahme Leoparden
streichen, vor dem Selbstmord, linienschöne kindliche Nymphen, Kentauren, die
aus einem Kanonier in Badetoilette und einem derben Brüundl, so nennt
man in Bayern manchmal kosend die Militärpferde, zusammengewachsen sind,
fröhliche Landmädchen auf ihrem Milchwagen, einen Polen, der einbricht, um
seinen Musikhunger zu stillen, Bilder aus der Arena, wie ein schwarzer
Panther, von seineu Wärtern fast zu Tode gequält, vor dem Verenden im
letzten Aufflackern der Kraft und Wildheit seine Wohltäterin tötet, ein frisches,
von Jugend leuchtendes Biedermeiermüdchenbild, Zeitgenossen Schillers, lebenein
und lcbenaus um die Glocke wandelnd. Das zeichnete der junge Jcmk für
die junge Zeitschrift. Diese Frühkunst war nicht arm. Nun haben sich ihre
Knospen erschlossen, und die Blüte ist reich. Der Künstler hat etwas von der
Universalität Menzels, die Fontane in seinem Gedicht „Auf der Treppe von
Sanssouci" so plastisch schildert. Er ist noch nicht wie Menzel „die ganze
Arche Noäh, Thier und Menschen:


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[0588] Germanische Uunst für unser Volk in Massen das Leben von dem schlichten Blatt als von dem stolzen Stein. Lieber sind mir die deutschen Epheben in der Atenta als die griechischen Einjährig¬ freiwilligen in der Chlamys, lieber die bayrischen Kavalleriepferde aus Ost¬ preußen mit ihren grundguten Gesichtern, bei deren Anblick man begreift, daß ein Reiter beim Abschied von seinem lieben Tier leiden und weinen kann, als die Seepferdchengesichter der feinmäuligen, feurigen, aber, da der griechische Künstler kein Auge für die Tierseele hatte, seelenlosen Rosse aus Attika. Aber mancher wird doch ein Sakrileg darin sehen, daß ich das namenlose moderne Kunstwerk neben das gefeierte antike gerückt habe, und wird es mir übelnehmen, daß ich die feinste Blüte der athenischen Jugend mit derben deutschen Bürger- und Bauernsöhnen vergleiche. Wer so fühlt und urteilt, der lege doch selbst einmal das leicht erreichbare Blatt von Jcmk— es ist in der Nummer 30 der Jugend erschienen — neben das antike Bildwerk, und er wird mir zugeben, daß die aufmerksam Tier und Bahn beobachtenden, energischen Reitergesichter der griechischen Einjährigfreiwilligen mit dem Krieger¬ trotz in Augen und Mund den gleich aufmerksamen, energischen, trotzigen Gesichtern der deutscheu Epheben nah verwandt sind. Er wird mir auch zugeben müssen, daß der deutsche Tiermaler den griechischen Tierbildner ge¬ schlagen hat. Angelo Jcmk hat in der Münchner Jugend vor zwölf Jahren debütiert. Er war da Illustrator für alles. Mit kräftigem und doch feinem Strich zeichnete er ein bißchen archaisierend zu alten Sprüchen Menschen von der Art Walters von der Vogelweide und Freidanks, in einem Rahmen mit ori¬ gineller naturalistischer Ornamentik, Galericbesuchertypen, arme verlassene junge Münchnerinnen, Hoffnung und Verzweiflung im Herzen vor dem letzten Rendezvous, reiche verschmähte junge Römerinnen, um die zahme Leoparden streichen, vor dem Selbstmord, linienschöne kindliche Nymphen, Kentauren, die aus einem Kanonier in Badetoilette und einem derben Brüundl, so nennt man in Bayern manchmal kosend die Militärpferde, zusammengewachsen sind, fröhliche Landmädchen auf ihrem Milchwagen, einen Polen, der einbricht, um seinen Musikhunger zu stillen, Bilder aus der Arena, wie ein schwarzer Panther, von seineu Wärtern fast zu Tode gequält, vor dem Verenden im letzten Aufflackern der Kraft und Wildheit seine Wohltäterin tötet, ein frisches, von Jugend leuchtendes Biedermeiermüdchenbild, Zeitgenossen Schillers, lebenein und lcbenaus um die Glocke wandelnd. Das zeichnete der junge Jcmk für die junge Zeitschrift. Diese Frühkunst war nicht arm. Nun haben sich ihre Knospen erschlossen, und die Blüte ist reich. Der Künstler hat etwas von der Universalität Menzels, die Fontane in seinem Gedicht „Auf der Treppe von Sanssouci" so plastisch schildert. Er ist noch nicht wie Menzel „die ganze Arche Noäh, Thier und Menschen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/588>, abgerufen am 24.08.2024.