Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Heue Aomaiie Und Novellen

Haarhaus am Schluß die Auflösung durch den Traum gespart und diese dem
Leser überlassen hätte. An dies Geschichtchen schließt sich dann eine ganze
Reihe heitrer Gaben, die nicht nur dem Jagdgewohnten Vergnügen machen
werden, und denen als Ausklang eine zart gezeichnete, ernst verhallende Novelle
folA Im ganzen ein erfreuliches und liebenswürdiges Buch.

Der Däne Palle Nosenkrantz ist schon schwerer zu fassen. Man weiß im
Grunde bis zum Schluß seines Romans "Der Marquis von Carabas" so
wenig, was man aus ihm machen soll, wie aus seinem Helden selbst. Der
Marquis von Carabas ist ein junger dänischer Edelmann, dem sein Vater einen
großen Namen und einen großen Kredit, aber ganz verschuldete Güter hinter¬
läßt; einem armen Universitätsfreunde gelingt es. dem durchaus durchschnitts¬
mäßigen Adelsmann durch ein Verfahren nach dem Rezept des gestiefelten
Katers zu Reichtum. Würden und sonstigen Annehmlichkeiten eines im Grunde
tatenlosen Lebens zu verhelfen. Was er dabei schließlich für sich einheimst,
läßt erst der Schluß ahnen. Die Charakteristik ist immer so durchgeführt, daß
die Personen nur selbst sprechen und wir in diesem oft absichtlich rätselhaften
Buch mit einer eignen Spannung die Auflösung erwarte". Der eigentliche
Held, der vortreffliche Kater Kattrup, ist ein originelles Mittelding von zynischer
Überlegenheit, die alles für ihre Zwecke nutzt, und sittlichem Hohn über die
Aufgeblasenheit und Hohlheit der Welt, die er scheinbar bedient. Die Über¬
setzung von Fr. Bernhard Müller ist gut und verwischt den dänischen Charakter
nicht, der für die Färbung des Buches unerläßlich ist; die engen Verhältnisse
dieses Staats verleihen allem noch besondre Voraussetzungen und einen
"gnen Ton.

Charlotte Niese hat den Zyklus von Erzählungen, den sie im vorigen
Vahre mit "Menschenfrühling" begann, dann mit "Sommerzeit" fortsetzte, nun
""t "Reifezeit" beschlossen. Man kann nicht sagen, daß diese drei derselben
Heldin Anneli Pankow gewidmeten Bücher eine aufsteigende Linie darstellen.
Wie das Schaffen von Charlotte Niese überhaupt sehr ungleich ist und bei
'hr schlechthin glänzende Bücher (ich erinnere wieder an die vortreffliche ge¬
schichtliche Erzählung "Vergangenheit" und an ihre Skizzen "Aus dänischer
Zeit") neben leichten Untcrhaltungsdingen stehn, so ist auch die Höhenlage
dieser drei Erzählungen durchaus verschieden. Die echte Kindlichkeit, die un¬
besorgte Geradheit der ersten findet in der dritten, wo Erwachsne im Vorder¬
grunde stehn, keinen rechten Raum mehr; an ihre Stelle ist stille Resignation
getreten. Immerhin wird, wer einmal das Geschick von Anneli Pankow teil¬
nehmend begleitete, auch seinen Abschluß gern miterleben.

Ich benutze diese Gelegenheit dazu, auf ein älteres Werk Hinzuwelsen,
das noch Johannes Grunow selbst feinfühlig nach dem Tode des Verfassers
herausgebracht hat- Feuer!", Erinnerungen aus dem russischen Polizeüeben
v°u Alexander Andreas (Staatsrat Alexander A. Babendieck). Das Buch hat
leider bei seinem Erscheinen 1903 nicht den verdienten Erfolg gefunden. Und


Heue Aomaiie Und Novellen

Haarhaus am Schluß die Auflösung durch den Traum gespart und diese dem
Leser überlassen hätte. An dies Geschichtchen schließt sich dann eine ganze
Reihe heitrer Gaben, die nicht nur dem Jagdgewohnten Vergnügen machen
werden, und denen als Ausklang eine zart gezeichnete, ernst verhallende Novelle
folA Im ganzen ein erfreuliches und liebenswürdiges Buch.

Der Däne Palle Nosenkrantz ist schon schwerer zu fassen. Man weiß im
Grunde bis zum Schluß seines Romans „Der Marquis von Carabas" so
wenig, was man aus ihm machen soll, wie aus seinem Helden selbst. Der
Marquis von Carabas ist ein junger dänischer Edelmann, dem sein Vater einen
großen Namen und einen großen Kredit, aber ganz verschuldete Güter hinter¬
läßt; einem armen Universitätsfreunde gelingt es. dem durchaus durchschnitts¬
mäßigen Adelsmann durch ein Verfahren nach dem Rezept des gestiefelten
Katers zu Reichtum. Würden und sonstigen Annehmlichkeiten eines im Grunde
tatenlosen Lebens zu verhelfen. Was er dabei schließlich für sich einheimst,
läßt erst der Schluß ahnen. Die Charakteristik ist immer so durchgeführt, daß
die Personen nur selbst sprechen und wir in diesem oft absichtlich rätselhaften
Buch mit einer eignen Spannung die Auflösung erwarte». Der eigentliche
Held, der vortreffliche Kater Kattrup, ist ein originelles Mittelding von zynischer
Überlegenheit, die alles für ihre Zwecke nutzt, und sittlichem Hohn über die
Aufgeblasenheit und Hohlheit der Welt, die er scheinbar bedient. Die Über¬
setzung von Fr. Bernhard Müller ist gut und verwischt den dänischen Charakter
nicht, der für die Färbung des Buches unerläßlich ist; die engen Verhältnisse
dieses Staats verleihen allem noch besondre Voraussetzungen und einen
"gnen Ton.

Charlotte Niese hat den Zyklus von Erzählungen, den sie im vorigen
Vahre mit „Menschenfrühling" begann, dann mit „Sommerzeit" fortsetzte, nun
""t „Reifezeit" beschlossen. Man kann nicht sagen, daß diese drei derselben
Heldin Anneli Pankow gewidmeten Bücher eine aufsteigende Linie darstellen.
Wie das Schaffen von Charlotte Niese überhaupt sehr ungleich ist und bei
'hr schlechthin glänzende Bücher (ich erinnere wieder an die vortreffliche ge¬
schichtliche Erzählung „Vergangenheit" und an ihre Skizzen „Aus dänischer
Zeit") neben leichten Untcrhaltungsdingen stehn, so ist auch die Höhenlage
dieser drei Erzählungen durchaus verschieden. Die echte Kindlichkeit, die un¬
besorgte Geradheit der ersten findet in der dritten, wo Erwachsne im Vorder¬
grunde stehn, keinen rechten Raum mehr; an ihre Stelle ist stille Resignation
getreten. Immerhin wird, wer einmal das Geschick von Anneli Pankow teil¬
nehmend begleitete, auch seinen Abschluß gern miterleben.

Ich benutze diese Gelegenheit dazu, auf ein älteres Werk Hinzuwelsen,
das noch Johannes Grunow selbst feinfühlig nach dem Tode des Verfassers
herausgebracht hat- Feuer!", Erinnerungen aus dem russischen Polizeüeben
v°u Alexander Andreas (Staatsrat Alexander A. Babendieck). Das Buch hat
leider bei seinem Erscheinen 1903 nicht den verdienten Erfolg gefunden. Und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310906"/>
          <fw type="header" place="top"> Heue Aomaiie Und Novellen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2613" prev="#ID_2612"> Haarhaus am Schluß die Auflösung durch den Traum gespart und diese dem<lb/>
Leser überlassen hätte. An dies Geschichtchen schließt sich dann eine ganze<lb/>
Reihe heitrer Gaben, die nicht nur dem Jagdgewohnten Vergnügen machen<lb/>
werden, und denen als Ausklang eine zart gezeichnete, ernst verhallende Novelle<lb/>
folA Im ganzen ein erfreuliches und liebenswürdiges Buch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2614"> Der Däne Palle Nosenkrantz ist schon schwerer zu fassen. Man weiß im<lb/>
Grunde bis zum Schluß seines Romans &#x201E;Der Marquis von Carabas" so<lb/>
wenig, was man aus ihm machen soll, wie aus seinem Helden selbst. Der<lb/>
Marquis von Carabas ist ein junger dänischer Edelmann, dem sein Vater einen<lb/>
großen Namen und einen großen Kredit, aber ganz verschuldete Güter hinter¬<lb/>
läßt; einem armen Universitätsfreunde gelingt es. dem durchaus durchschnitts¬<lb/>
mäßigen Adelsmann durch ein Verfahren nach dem Rezept des gestiefelten<lb/>
Katers zu Reichtum. Würden und sonstigen Annehmlichkeiten eines im Grunde<lb/>
tatenlosen Lebens zu verhelfen. Was er dabei schließlich für sich einheimst,<lb/>
läßt erst der Schluß ahnen. Die Charakteristik ist immer so durchgeführt, daß<lb/>
die Personen nur selbst sprechen und wir in diesem oft absichtlich rätselhaften<lb/>
Buch mit einer eignen Spannung die Auflösung erwarte». Der eigentliche<lb/>
Held, der vortreffliche Kater Kattrup, ist ein originelles Mittelding von zynischer<lb/>
Überlegenheit, die alles für ihre Zwecke nutzt, und sittlichem Hohn über die<lb/>
Aufgeblasenheit und Hohlheit der Welt, die er scheinbar bedient. Die Über¬<lb/>
setzung von Fr. Bernhard Müller ist gut und verwischt den dänischen Charakter<lb/>
nicht, der für die Färbung des Buches unerläßlich ist; die engen Verhältnisse<lb/>
dieses Staats verleihen allem noch besondre Voraussetzungen und einen<lb/>
"gnen Ton.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2615"> Charlotte Niese hat den Zyklus von Erzählungen, den sie im vorigen<lb/>
Vahre mit &#x201E;Menschenfrühling" begann, dann mit &#x201E;Sommerzeit" fortsetzte, nun<lb/>
""t &#x201E;Reifezeit" beschlossen. Man kann nicht sagen, daß diese drei derselben<lb/>
Heldin Anneli Pankow gewidmeten Bücher eine aufsteigende Linie darstellen.<lb/>
Wie das Schaffen von Charlotte Niese überhaupt sehr ungleich ist und bei<lb/>
'hr schlechthin glänzende Bücher (ich erinnere wieder an die vortreffliche ge¬<lb/>
schichtliche Erzählung &#x201E;Vergangenheit" und an ihre Skizzen &#x201E;Aus dänischer<lb/>
Zeit") neben leichten Untcrhaltungsdingen stehn, so ist auch die Höhenlage<lb/>
dieser drei Erzählungen durchaus verschieden. Die echte Kindlichkeit, die un¬<lb/>
besorgte Geradheit der ersten findet in der dritten, wo Erwachsne im Vorder¬<lb/>
grunde stehn, keinen rechten Raum mehr; an ihre Stelle ist stille Resignation<lb/>
getreten. Immerhin wird, wer einmal das Geschick von Anneli Pankow teil¬<lb/>
nehmend begleitete, auch seinen Abschluß gern miterleben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2616" next="#ID_2617"> Ich benutze diese Gelegenheit dazu, auf ein älteres Werk Hinzuwelsen,<lb/>
das noch Johannes Grunow selbst feinfühlig nach dem Tode des Verfassers<lb/>
herausgebracht hat- Feuer!", Erinnerungen aus dem russischen Polizeüeben<lb/>
v°u Alexander Andreas (Staatsrat Alexander A. Babendieck). Das Buch hat<lb/>
leider bei seinem Erscheinen 1903 nicht den verdienten Erfolg gefunden. Und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0495] Heue Aomaiie Und Novellen Haarhaus am Schluß die Auflösung durch den Traum gespart und diese dem Leser überlassen hätte. An dies Geschichtchen schließt sich dann eine ganze Reihe heitrer Gaben, die nicht nur dem Jagdgewohnten Vergnügen machen werden, und denen als Ausklang eine zart gezeichnete, ernst verhallende Novelle folA Im ganzen ein erfreuliches und liebenswürdiges Buch. Der Däne Palle Nosenkrantz ist schon schwerer zu fassen. Man weiß im Grunde bis zum Schluß seines Romans „Der Marquis von Carabas" so wenig, was man aus ihm machen soll, wie aus seinem Helden selbst. Der Marquis von Carabas ist ein junger dänischer Edelmann, dem sein Vater einen großen Namen und einen großen Kredit, aber ganz verschuldete Güter hinter¬ läßt; einem armen Universitätsfreunde gelingt es. dem durchaus durchschnitts¬ mäßigen Adelsmann durch ein Verfahren nach dem Rezept des gestiefelten Katers zu Reichtum. Würden und sonstigen Annehmlichkeiten eines im Grunde tatenlosen Lebens zu verhelfen. Was er dabei schließlich für sich einheimst, läßt erst der Schluß ahnen. Die Charakteristik ist immer so durchgeführt, daß die Personen nur selbst sprechen und wir in diesem oft absichtlich rätselhaften Buch mit einer eignen Spannung die Auflösung erwarte». Der eigentliche Held, der vortreffliche Kater Kattrup, ist ein originelles Mittelding von zynischer Überlegenheit, die alles für ihre Zwecke nutzt, und sittlichem Hohn über die Aufgeblasenheit und Hohlheit der Welt, die er scheinbar bedient. Die Über¬ setzung von Fr. Bernhard Müller ist gut und verwischt den dänischen Charakter nicht, der für die Färbung des Buches unerläßlich ist; die engen Verhältnisse dieses Staats verleihen allem noch besondre Voraussetzungen und einen "gnen Ton. Charlotte Niese hat den Zyklus von Erzählungen, den sie im vorigen Vahre mit „Menschenfrühling" begann, dann mit „Sommerzeit" fortsetzte, nun ""t „Reifezeit" beschlossen. Man kann nicht sagen, daß diese drei derselben Heldin Anneli Pankow gewidmeten Bücher eine aufsteigende Linie darstellen. Wie das Schaffen von Charlotte Niese überhaupt sehr ungleich ist und bei 'hr schlechthin glänzende Bücher (ich erinnere wieder an die vortreffliche ge¬ schichtliche Erzählung „Vergangenheit" und an ihre Skizzen „Aus dänischer Zeit") neben leichten Untcrhaltungsdingen stehn, so ist auch die Höhenlage dieser drei Erzählungen durchaus verschieden. Die echte Kindlichkeit, die un¬ besorgte Geradheit der ersten findet in der dritten, wo Erwachsne im Vorder¬ grunde stehn, keinen rechten Raum mehr; an ihre Stelle ist stille Resignation getreten. Immerhin wird, wer einmal das Geschick von Anneli Pankow teil¬ nehmend begleitete, auch seinen Abschluß gern miterleben. Ich benutze diese Gelegenheit dazu, auf ein älteres Werk Hinzuwelsen, das noch Johannes Grunow selbst feinfühlig nach dem Tode des Verfassers herausgebracht hat- Feuer!", Erinnerungen aus dem russischen Polizeüeben v°u Alexander Andreas (Staatsrat Alexander A. Babendieck). Das Buch hat leider bei seinem Erscheinen 1903 nicht den verdienten Erfolg gefunden. Und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/495
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/495>, abgerufen am 24.08.2024.