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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Haut

Unterhaltungsthema, die jungen Damen waren schüchtern, bange vor ihrem Blick
auf ihre Toiletten.

Jetzt in diesem Augenblick zeigte sie ihren Stolz, ihren Blumengarten. Und
es ließ sich nicht leugnen, von allen Gärten rings umher war dieses der reichste
und bestgehaltene. Und doch lag nicht die Wonne der andern darüber, nicht ihr
überquellender Duft -- ihr Farbenjubel über den kurzen Sonnentag. Die Blumen
bei Frau Haut standen in militärischem Aufmarsch, eine jede für sich, erfüllt von
ihrer eignen Vorzüglichkeit, die sie in alle Winde hineinzuduften besorgt war.

Svend Bugge fühlte sich verstimmt. Aber als sein Blick auf Berry fiel,
die am Arm der Mutter hing, dort bei den Blumen, und die sie vor Glück an¬
strahlte, da schüttelte er die Verstimmtheit ab und stellte sich mit einem warmen
Entschluß an Bennys Seite, in energischem Kampf gegen die steife, drückende
Stimmung.--




Als man um Mitternacht an den Aufbruch dachte, beschloß ein großer Teil
der Gesellschaft, die, die am entferntesten wohnten, nach Hause zu begleiten. Berry
setzte ihren Hut auf. warf ein kleines Tuch über und ging mit.

Im Chor singend schlenderten sie den Weg am Sund entlang dahin. All
die unterdrückte Fröhlichkeit machte sich Luft im Gesang und in der Sonne; Adieu
und Gute Nacht! wurde an den Gartenpforten gejubelt, und den schlummernden
Müttern und Vätern wurden Serenaden gebracht. Bei Konsul Beerens war Gesell¬
schaft, und der fröhliche Zug wurde zum Kaffee in den Garten geladen. Die
Steige und Wege in dem lichtgrünen Birkenwalde ertönten von Gesang und Lachen.
Und endlich, oben auf dem Berge über der Stadt waren nur noch die wenigen
übrig, die in der Stadt selbst wohnten -- und dann Berry. Sie kannte einen
Richtweg über den Berghang hinab nach dem Strandwege -- Gute Nacht!
Gute Nacht!

Svend Bugge wollte sie begleiten.

Ach nein, danke, das ist nicht nötig!

Ich bitte so hübsch um Erlaubnis, Fräulein Berry!

Ja, aber ich will laufen!

Meinen Sie, daß ich nicht laufen kann?

Und dann rannten sie in wildem Lauf durch den dichten Wald hinunter.
Plötzlich hielten sie beide inne.

Sehen Sie nur! sagte sie.

Der Wald öffnete sich, und in einem Rahmen aus den äußersten Birkenschleiern
lag der Sund vor ihnen mit den Bergen in weiter Ferne.

Hier bin ich seit dem vorigen Jahre nicht gewesen, seit dem letzten Abend vor
meiner Abreise.

Etwas Schöneres gibt es nicht auf der Welt!

Ich war hier oben mit Bater, an dem letzten Abend vor der Abreise.

Und nahmen Abschied, bevor Sie in die Welt hinauszogen?

Jak

Sie sah ein wenig um sich und fand einen umgefallnen Baumstamm wieder.
Sie setzte sich darauf.

Hier ist es schöner als überall in der Welt! sagte sie.

Mir ist hier etwas aufgefallen, sagte Svend Bugge, man geht hier immer
mit dem Kopf im Nacken umher und sieht zum Himmel auf -- oder auf das Meer
und die Berge. Hier ist nichts unter einem oder dicht neben einem.


Grenzboten IV 1908 6
Oberlehrer Haut

Unterhaltungsthema, die jungen Damen waren schüchtern, bange vor ihrem Blick
auf ihre Toiletten.

Jetzt in diesem Augenblick zeigte sie ihren Stolz, ihren Blumengarten. Und
es ließ sich nicht leugnen, von allen Gärten rings umher war dieses der reichste
und bestgehaltene. Und doch lag nicht die Wonne der andern darüber, nicht ihr
überquellender Duft — ihr Farbenjubel über den kurzen Sonnentag. Die Blumen
bei Frau Haut standen in militärischem Aufmarsch, eine jede für sich, erfüllt von
ihrer eignen Vorzüglichkeit, die sie in alle Winde hineinzuduften besorgt war.

Svend Bugge fühlte sich verstimmt. Aber als sein Blick auf Berry fiel,
die am Arm der Mutter hing, dort bei den Blumen, und die sie vor Glück an¬
strahlte, da schüttelte er die Verstimmtheit ab und stellte sich mit einem warmen
Entschluß an Bennys Seite, in energischem Kampf gegen die steife, drückende
Stimmung.--




Als man um Mitternacht an den Aufbruch dachte, beschloß ein großer Teil
der Gesellschaft, die, die am entferntesten wohnten, nach Hause zu begleiten. Berry
setzte ihren Hut auf. warf ein kleines Tuch über und ging mit.

Im Chor singend schlenderten sie den Weg am Sund entlang dahin. All
die unterdrückte Fröhlichkeit machte sich Luft im Gesang und in der Sonne; Adieu
und Gute Nacht! wurde an den Gartenpforten gejubelt, und den schlummernden
Müttern und Vätern wurden Serenaden gebracht. Bei Konsul Beerens war Gesell¬
schaft, und der fröhliche Zug wurde zum Kaffee in den Garten geladen. Die
Steige und Wege in dem lichtgrünen Birkenwalde ertönten von Gesang und Lachen.
Und endlich, oben auf dem Berge über der Stadt waren nur noch die wenigen
übrig, die in der Stadt selbst wohnten — und dann Berry. Sie kannte einen
Richtweg über den Berghang hinab nach dem Strandwege — Gute Nacht!
Gute Nacht!

Svend Bugge wollte sie begleiten.

Ach nein, danke, das ist nicht nötig!

Ich bitte so hübsch um Erlaubnis, Fräulein Berry!

Ja, aber ich will laufen!

Meinen Sie, daß ich nicht laufen kann?

Und dann rannten sie in wildem Lauf durch den dichten Wald hinunter.
Plötzlich hielten sie beide inne.

Sehen Sie nur! sagte sie.

Der Wald öffnete sich, und in einem Rahmen aus den äußersten Birkenschleiern
lag der Sund vor ihnen mit den Bergen in weiter Ferne.

Hier bin ich seit dem vorigen Jahre nicht gewesen, seit dem letzten Abend vor
meiner Abreise.

Etwas Schöneres gibt es nicht auf der Welt!

Ich war hier oben mit Bater, an dem letzten Abend vor der Abreise.

Und nahmen Abschied, bevor Sie in die Welt hinauszogen?

Jak

Sie sah ein wenig um sich und fand einen umgefallnen Baumstamm wieder.
Sie setzte sich darauf.

Hier ist es schöner als überall in der Welt! sagte sie.

Mir ist hier etwas aufgefallen, sagte Svend Bugge, man geht hier immer
mit dem Kopf im Nacken umher und sieht zum Himmel auf — oder auf das Meer
und die Berge. Hier ist nichts unter einem oder dicht neben einem.


Grenzboten IV 1908 6
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[0049] Oberlehrer Haut Unterhaltungsthema, die jungen Damen waren schüchtern, bange vor ihrem Blick auf ihre Toiletten. Jetzt in diesem Augenblick zeigte sie ihren Stolz, ihren Blumengarten. Und es ließ sich nicht leugnen, von allen Gärten rings umher war dieses der reichste und bestgehaltene. Und doch lag nicht die Wonne der andern darüber, nicht ihr überquellender Duft — ihr Farbenjubel über den kurzen Sonnentag. Die Blumen bei Frau Haut standen in militärischem Aufmarsch, eine jede für sich, erfüllt von ihrer eignen Vorzüglichkeit, die sie in alle Winde hineinzuduften besorgt war. Svend Bugge fühlte sich verstimmt. Aber als sein Blick auf Berry fiel, die am Arm der Mutter hing, dort bei den Blumen, und die sie vor Glück an¬ strahlte, da schüttelte er die Verstimmtheit ab und stellte sich mit einem warmen Entschluß an Bennys Seite, in energischem Kampf gegen die steife, drückende Stimmung.-- Als man um Mitternacht an den Aufbruch dachte, beschloß ein großer Teil der Gesellschaft, die, die am entferntesten wohnten, nach Hause zu begleiten. Berry setzte ihren Hut auf. warf ein kleines Tuch über und ging mit. Im Chor singend schlenderten sie den Weg am Sund entlang dahin. All die unterdrückte Fröhlichkeit machte sich Luft im Gesang und in der Sonne; Adieu und Gute Nacht! wurde an den Gartenpforten gejubelt, und den schlummernden Müttern und Vätern wurden Serenaden gebracht. Bei Konsul Beerens war Gesell¬ schaft, und der fröhliche Zug wurde zum Kaffee in den Garten geladen. Die Steige und Wege in dem lichtgrünen Birkenwalde ertönten von Gesang und Lachen. Und endlich, oben auf dem Berge über der Stadt waren nur noch die wenigen übrig, die in der Stadt selbst wohnten — und dann Berry. Sie kannte einen Richtweg über den Berghang hinab nach dem Strandwege — Gute Nacht! Gute Nacht! Svend Bugge wollte sie begleiten. Ach nein, danke, das ist nicht nötig! Ich bitte so hübsch um Erlaubnis, Fräulein Berry! Ja, aber ich will laufen! Meinen Sie, daß ich nicht laufen kann? Und dann rannten sie in wildem Lauf durch den dichten Wald hinunter. Plötzlich hielten sie beide inne. Sehen Sie nur! sagte sie. Der Wald öffnete sich, und in einem Rahmen aus den äußersten Birkenschleiern lag der Sund vor ihnen mit den Bergen in weiter Ferne. Hier bin ich seit dem vorigen Jahre nicht gewesen, seit dem letzten Abend vor meiner Abreise. Etwas Schöneres gibt es nicht auf der Welt! Ich war hier oben mit Bater, an dem letzten Abend vor der Abreise. Und nahmen Abschied, bevor Sie in die Welt hinauszogen? Jak Sie sah ein wenig um sich und fand einen umgefallnen Baumstamm wieder. Sie setzte sich darauf. Hier ist es schöner als überall in der Welt! sagte sie. Mir ist hier etwas aufgefallen, sagte Svend Bugge, man geht hier immer mit dem Kopf im Nacken umher und sieht zum Himmel auf — oder auf das Meer und die Berge. Hier ist nichts unter einem oder dicht neben einem. Grenzboten IV 1908 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/49>, abgerufen am 23.06.2024.