Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.![]() politische -Bildung und Nationalbewußtsein ind wir eine Nation? fragte ein Artikel der Grenzboten während ^renzbo<en IV 1W8 62
![]() politische -Bildung und Nationalbewußtsein ind wir eine Nation? fragte ein Artikel der Grenzboten während ^renzbo<en IV 1W8 62
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310884"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341887_310410/figures/grenzboten_341887_310410_310884_000.jpg"/><lb/> <div n="1"> <head> politische -Bildung und Nationalbewußtsein</head><lb/> <p xml:id="ID_2551" next="#ID_2552"> ind wir eine Nation? fragte ein Artikel der Grenzboten während<lb/> der Neichstagswahlbewcgung des vorigen Jahres, und er kam zu<lb/> dem Ergebnis, daß die letzten vier Jahrzehnte voll Arbeit und<lb/> Erfolge nicht ausgereicht haben, die Deutschen des Reiches zu<lb/> Neichsbürgern im vollen Sinne des Wortes zu machen. Die<lb/> Hauptursache dafür fand der Artikel im Partikularismus verschiedner Art.<lb/> Zunächst bei den regierenden Kreisen, die sich in allen notwendigen, aber in<lb/> der Verfassung nicht ausdrücklich vorgesehenen gemeinsamen Einrichtungen vom<lb/> Gedanken der ungeschmälerten einzelstaatlichen Selbständigkeit, nicht vom<lb/> Interesse der Gesamtheit des deutschen Volks, für dessen WMfahrt das Reich<lb/> gegründet worden ist, beherrschen lassen und dabei die Unterstützung der<lb/> ^andesvertretungen, selbst der liberalen Parteien finden. Praktisch steht die<lb/> Mehrzahl der Deutschen noch immer auf dem alten halbpartikularistischen<lb/> ^oden, auf dem die notwendige Fortbildung der Reichsverfassung, wenn sie<lb/> acht hinter den lebendigen Bedürfnissen zurückbleiben soll, wie einst die Ver-<lb/> Asung des unseligen Deutschen Bundes, unmöglich ist. Dazu kommt der<lb/> Partikularismus der Parteien, die sich untereinander mit einer Erbitterung<lb/> bekämpfen, wie einst Städte und Adel im spätern Mittelalter miteinander<lb/> ^pften. Unter solchen Umständen ist in der Regel der Reichstag geradezu<lb/> Hohn auf seine nationale Bestimmung. „Er ist eben der Ausdruck der<lb/> ^ermäßigen Mehrheit des deutschen Volks, wie sie durch das allgemeine,<lb/> Weiche und direkte Wahlrecht zum getreuen Ausdruck kommt, sodaß sich die<lb/> Mize traurige politische Unreife des deutschen Volks darin spiegelt." Der<lb/> Artikel schloß im Hinblick auf den noch unentschiednen Wahlausfall: „Der<lb/> ^usgang des Kampfes wird die Antwort geben auf die Frage, von der wir<lb/> ausgegangen sind." Die Antwort hat überraschend günstig gelautet, sie ging<lb/> ^hin. daß die überwiegende Mehrheit des deutschen Volks doch vom Gefühl<lb/> ^er nationalen Einheit durchdrungen ist, daß sie insbesondre nicht duldet, daß<lb/> "ut Kaiser, Armee, Flotte und Kolonien, in denen die neue nationale Einheit<lb/> ledermann greifbar vor Angen tritt, ein eitles Parteispiel getrieben wird.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> ^renzbo<en IV 1W8 62</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0473]
[Abbildung]
politische -Bildung und Nationalbewußtsein
ind wir eine Nation? fragte ein Artikel der Grenzboten während
der Neichstagswahlbewcgung des vorigen Jahres, und er kam zu
dem Ergebnis, daß die letzten vier Jahrzehnte voll Arbeit und
Erfolge nicht ausgereicht haben, die Deutschen des Reiches zu
Neichsbürgern im vollen Sinne des Wortes zu machen. Die
Hauptursache dafür fand der Artikel im Partikularismus verschiedner Art.
Zunächst bei den regierenden Kreisen, die sich in allen notwendigen, aber in
der Verfassung nicht ausdrücklich vorgesehenen gemeinsamen Einrichtungen vom
Gedanken der ungeschmälerten einzelstaatlichen Selbständigkeit, nicht vom
Interesse der Gesamtheit des deutschen Volks, für dessen WMfahrt das Reich
gegründet worden ist, beherrschen lassen und dabei die Unterstützung der
^andesvertretungen, selbst der liberalen Parteien finden. Praktisch steht die
Mehrzahl der Deutschen noch immer auf dem alten halbpartikularistischen
^oden, auf dem die notwendige Fortbildung der Reichsverfassung, wenn sie
acht hinter den lebendigen Bedürfnissen zurückbleiben soll, wie einst die Ver-
Asung des unseligen Deutschen Bundes, unmöglich ist. Dazu kommt der
Partikularismus der Parteien, die sich untereinander mit einer Erbitterung
bekämpfen, wie einst Städte und Adel im spätern Mittelalter miteinander
^pften. Unter solchen Umständen ist in der Regel der Reichstag geradezu
Hohn auf seine nationale Bestimmung. „Er ist eben der Ausdruck der
^ermäßigen Mehrheit des deutschen Volks, wie sie durch das allgemeine,
Weiche und direkte Wahlrecht zum getreuen Ausdruck kommt, sodaß sich die
Mize traurige politische Unreife des deutschen Volks darin spiegelt." Der
Artikel schloß im Hinblick auf den noch unentschiednen Wahlausfall: „Der
^usgang des Kampfes wird die Antwort geben auf die Frage, von der wir
ausgegangen sind." Die Antwort hat überraschend günstig gelautet, sie ging
^hin. daß die überwiegende Mehrheit des deutschen Volks doch vom Gefühl
^er nationalen Einheit durchdrungen ist, daß sie insbesondre nicht duldet, daß
"ut Kaiser, Armee, Flotte und Kolonien, in denen die neue nationale Einheit
ledermann greifbar vor Angen tritt, ein eitles Parteispiel getrieben wird.
^renzbo<en IV 1W8 62
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