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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Theater als Kirche

entscheidende Aufgabe mit fester, sichrer Hand ergriff und dabei gerade die Kräfte
in unvergleichlicher Weise einsetzte, deren sie zur glücklichen Lösung bedürfte.
Durch seine geniale Staatskunst hat Bismarck es verstanden, die auf all den
blutgetränkten Gefilden emporgesprossene Ernte trotz drohender Unwetter sicher
heimzubringen.




Das Theater als Kirche
Lari Jentsch von2

er zuerst die Bemerkung machte, daß eines Staates festeste Säule
die Religion sei, hat vielleicht, ohne es zu wollen und zu wissen,
die Schaubühne von ihrer edelsten Seite verteidigt." Staats¬
gesetze verbieten nur, die Religion fordert Handlungen und regelt
!das Handeln. "Gesetze hemmen nur Wirkungen, die den Zu¬
sammenhang der Gesellschaft auflösen, Religion befiehlt solche, die ihn inniger
machen." Jene herrschen nur über die Äußerungen des Willens, "diese setzt
ihre Gerichtsbarkeit bis in die verborgensten Winkel des Herzens fort und
verfolgt den Gedanken bis an die innerste Quelle. Gesetze sind wandelbar
wie Laune und Leidenschaft, Religion bindet streng und ewig." Freilich ent¬
spricht ihr wirklicher Einfluß bei weitem nicht der Idee von dem, was sie
leisten soll, aber soweit sie ihn ausübt -- wodurch wirkt sie? Durch die
Sinnlichkeit, durch Gemälde von Himmel und Hölle. (Das stimmt nicht
ganz; die Überzeugung, daß wir nach dem Tode von unserm irdischen Handeln
Rechenschaft ablegen und die Folgen tragen müssen, wirkt am reinsten, tiefsten
und sichersten bei solchen, die auf Ausmalung des verhüllten Jenseits ver¬
zichten; aber Schillers Ansicht verdient trotzdem Beachtung in einer Zeit, die
sich mit der Konstruktion einer Diesseitigkeitsreligion abmüht.) Wenn nun
Phantasiegemälde und Schreckbilder aus der Ferne schon so wirken, welche
Verstärkung muß da die Religion durch die Schaubühne erfahren, "wo An¬
schauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit
und Elend, Torheit und Weisheit in tausend Gemälden faßlich und wahr an
den Menschen vorübergehn, wo die Vorsehung ihre Rätsel auflöst, wo das
menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen
beichtet, wo alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt, und die Wahrheit
unbestechlich wie Rhadamanthus Gericht hält. ... In der Stille wird jeder
sein gutes Gewissen preisen, wenn Lady Macbeth ihre Hände wäscht und alle
Wohlgerüche Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch zu tilgen."

Also daß die Schaubühne zeigt, wie der Verbrecher seiner Strafe, bestehe sie
auch nur in der Gewissenspein, nicht entfliehen kann, dadurch hauptsächlich wird
sie eine moralische Anstalt. Es ist das die Ansicht, die er später selbst ver¬
spottet hat, und zwei Jahre vorher hatte er in der Abhandlung "Über das


Das Theater als Kirche

entscheidende Aufgabe mit fester, sichrer Hand ergriff und dabei gerade die Kräfte
in unvergleichlicher Weise einsetzte, deren sie zur glücklichen Lösung bedürfte.
Durch seine geniale Staatskunst hat Bismarck es verstanden, die auf all den
blutgetränkten Gefilden emporgesprossene Ernte trotz drohender Unwetter sicher
heimzubringen.




Das Theater als Kirche
Lari Jentsch von2

er zuerst die Bemerkung machte, daß eines Staates festeste Säule
die Religion sei, hat vielleicht, ohne es zu wollen und zu wissen,
die Schaubühne von ihrer edelsten Seite verteidigt." Staats¬
gesetze verbieten nur, die Religion fordert Handlungen und regelt
!das Handeln. „Gesetze hemmen nur Wirkungen, die den Zu¬
sammenhang der Gesellschaft auflösen, Religion befiehlt solche, die ihn inniger
machen." Jene herrschen nur über die Äußerungen des Willens, „diese setzt
ihre Gerichtsbarkeit bis in die verborgensten Winkel des Herzens fort und
verfolgt den Gedanken bis an die innerste Quelle. Gesetze sind wandelbar
wie Laune und Leidenschaft, Religion bindet streng und ewig." Freilich ent¬
spricht ihr wirklicher Einfluß bei weitem nicht der Idee von dem, was sie
leisten soll, aber soweit sie ihn ausübt — wodurch wirkt sie? Durch die
Sinnlichkeit, durch Gemälde von Himmel und Hölle. (Das stimmt nicht
ganz; die Überzeugung, daß wir nach dem Tode von unserm irdischen Handeln
Rechenschaft ablegen und die Folgen tragen müssen, wirkt am reinsten, tiefsten
und sichersten bei solchen, die auf Ausmalung des verhüllten Jenseits ver¬
zichten; aber Schillers Ansicht verdient trotzdem Beachtung in einer Zeit, die
sich mit der Konstruktion einer Diesseitigkeitsreligion abmüht.) Wenn nun
Phantasiegemälde und Schreckbilder aus der Ferne schon so wirken, welche
Verstärkung muß da die Religion durch die Schaubühne erfahren, „wo An¬
schauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit
und Elend, Torheit und Weisheit in tausend Gemälden faßlich und wahr an
den Menschen vorübergehn, wo die Vorsehung ihre Rätsel auflöst, wo das
menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen
beichtet, wo alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt, und die Wahrheit
unbestechlich wie Rhadamanthus Gericht hält. ... In der Stille wird jeder
sein gutes Gewissen preisen, wenn Lady Macbeth ihre Hände wäscht und alle
Wohlgerüche Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch zu tilgen."

Also daß die Schaubühne zeigt, wie der Verbrecher seiner Strafe, bestehe sie
auch nur in der Gewissenspein, nicht entfliehen kann, dadurch hauptsächlich wird
sie eine moralische Anstalt. Es ist das die Ansicht, die er später selbst ver¬
spottet hat, und zwei Jahre vorher hatte er in der Abhandlung „Über das


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[0436] Das Theater als Kirche entscheidende Aufgabe mit fester, sichrer Hand ergriff und dabei gerade die Kräfte in unvergleichlicher Weise einsetzte, deren sie zur glücklichen Lösung bedürfte. Durch seine geniale Staatskunst hat Bismarck es verstanden, die auf all den blutgetränkten Gefilden emporgesprossene Ernte trotz drohender Unwetter sicher heimzubringen. Das Theater als Kirche Lari Jentsch von2 er zuerst die Bemerkung machte, daß eines Staates festeste Säule die Religion sei, hat vielleicht, ohne es zu wollen und zu wissen, die Schaubühne von ihrer edelsten Seite verteidigt." Staats¬ gesetze verbieten nur, die Religion fordert Handlungen und regelt !das Handeln. „Gesetze hemmen nur Wirkungen, die den Zu¬ sammenhang der Gesellschaft auflösen, Religion befiehlt solche, die ihn inniger machen." Jene herrschen nur über die Äußerungen des Willens, „diese setzt ihre Gerichtsbarkeit bis in die verborgensten Winkel des Herzens fort und verfolgt den Gedanken bis an die innerste Quelle. Gesetze sind wandelbar wie Laune und Leidenschaft, Religion bindet streng und ewig." Freilich ent¬ spricht ihr wirklicher Einfluß bei weitem nicht der Idee von dem, was sie leisten soll, aber soweit sie ihn ausübt — wodurch wirkt sie? Durch die Sinnlichkeit, durch Gemälde von Himmel und Hölle. (Das stimmt nicht ganz; die Überzeugung, daß wir nach dem Tode von unserm irdischen Handeln Rechenschaft ablegen und die Folgen tragen müssen, wirkt am reinsten, tiefsten und sichersten bei solchen, die auf Ausmalung des verhüllten Jenseits ver¬ zichten; aber Schillers Ansicht verdient trotzdem Beachtung in einer Zeit, die sich mit der Konstruktion einer Diesseitigkeitsreligion abmüht.) Wenn nun Phantasiegemälde und Schreckbilder aus der Ferne schon so wirken, welche Verstärkung muß da die Religion durch die Schaubühne erfahren, „wo An¬ schauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und Elend, Torheit und Weisheit in tausend Gemälden faßlich und wahr an den Menschen vorübergehn, wo die Vorsehung ihre Rätsel auflöst, wo das menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen beichtet, wo alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt, und die Wahrheit unbestechlich wie Rhadamanthus Gericht hält. ... In der Stille wird jeder sein gutes Gewissen preisen, wenn Lady Macbeth ihre Hände wäscht und alle Wohlgerüche Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch zu tilgen." Also daß die Schaubühne zeigt, wie der Verbrecher seiner Strafe, bestehe sie auch nur in der Gewissenspein, nicht entfliehen kann, dadurch hauptsächlich wird sie eine moralische Anstalt. Es ist das die Ansicht, die er später selbst ver¬ spottet hat, und zwei Jahre vorher hatte er in der Abhandlung „Über das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/436>, abgerufen am 22.07.2024.