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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

auch nicht überschützen. Denn gegenüber einer Intervention der neutralen
Mächte - was Hütte die nationale Strömung allein auszurichten vermocht?
Da mußte eines Mannes Staatskunst entscheidend eingreifen, und sie hat er¬
reicht, daß der Friede ein nationaler, kein internationaler wurde.

Dem Vertreter Frankreichs zeigte sich der deutsche Staatsmann fast in
jeder Hinsicht überlegen. Thiers durchschaute offenbar Bismarcks diplomatischen
Feldzugsplan nicht, der darauf hinauslief, zunächst mit dem Höchstmaß der
Forderungen hervorzutreten, um an deren Eindruck zu ermessen, ob er über¬
haupt bis zu dem Mindestmaß, woran in jedem Falle festzuhalten war. herab-
zugehn brauchte. Nur in einem Punkte überlistete Thiers den Kanzler: er tat
so. als ob die Zustimmung der Versammlung in Bordeaux nicht vor etwa einer
Woche erfolgen könne, damit nämlich der Einzug der Deutschen in Paris acht
beschleunigt würde. Statt am Montag begannen deshalb erst Mittwoch den
1- März nachmittags die Truppen einzurücken. Die Ratifikationsurkunden
wurden aber schon Donnerstag zwischen zwei und drei Uhr ausgetauscht, da die
Versammlung in Bordeaux mit 546 gegen 107 Stimmen in einer Nacht sofort
den Frieden angenommen und Favre die darüber in aller Form ausgefertigte
Urkunde vorgelegt hatte. Daß nur wenige Truppen in Paris einzogen, be¬
rührte den Kaiser sehr unangenehm. Es war "eigentlich Bismarcks Schuld,
der immer nur seinem eignen Kopfe folgt, alles allein macht ... und doch
nicht immer alles allein bedenken kann", schreibt Abeken (Seite 521) sehr
richtig; aber ebenso richtig fügt er hinzu: "Die große Hauptsache hat er gut
gemacht."

Der Gang der Verhandlungen, der im Vorstehenden durch Vergleichung
der deutschen und der französischen Berichte zu schildern versucht worden ist.
wirft helle Schlaglichter auf den Gegensatz in dem Wesen des deutschen und
des französischen Staatsmanns. Dieser Unterschied tritt auch anschaulich hervor
durch eine wenig bekannte Einzeichnung in die Handschriftensammlung des Grafen
Enzenberg. von der in einer Lebensbeschreibung Georgs von Bunsen berichtet
wird. Unter Guizots Worte: Na lovAus vis in'a axxiis as deaiiooux par-
Bonner et) Ä'ouvlisr risn setzte Thiers: Hu peu ä'ouM no nun xas an xaräcm.
Bismarck aber fügte hinzu: Na vis in'a axxris ä'oublier beauooux et as uis
Kirs dMuooux paräounsr. Thiers mußte allerdings wünschen, daß seine Lands¬
leute nicht nur "ein wenig", sondern gänzlich vergaßen, wie er vor 1866 die
deutschfeindliche Glut angefacht und. als zuerst der Ruf nach "Rache für
Sadowa" erscholl zuversichtlich verkündet hatte, binnen zwei Jahren könne man
gemeinsam mit den dann wieder erstarkten Österreichern den Ehrgeiz Preußens
Zügeln. Doch die auf Erden schon waltende Gerechtigkeit offenbarte sich! Als
Unterhändler suchte Thiers, damals wirklich "der einzige Mann in Frankreich".
SU retten, was zu retten war. und erwarb sich gerechte Ansprüche auf den Dank
seines Vaterlandes. Doch ihm stand ein Stärkerer, ein wahrhaft Bedeutender
gegenüber, der wie früher so jetzt wiederum eine über Deutschlands Zukunft


Bismarck und Thiers als Unterhändler

auch nicht überschützen. Denn gegenüber einer Intervention der neutralen
Mächte - was Hütte die nationale Strömung allein auszurichten vermocht?
Da mußte eines Mannes Staatskunst entscheidend eingreifen, und sie hat er¬
reicht, daß der Friede ein nationaler, kein internationaler wurde.

Dem Vertreter Frankreichs zeigte sich der deutsche Staatsmann fast in
jeder Hinsicht überlegen. Thiers durchschaute offenbar Bismarcks diplomatischen
Feldzugsplan nicht, der darauf hinauslief, zunächst mit dem Höchstmaß der
Forderungen hervorzutreten, um an deren Eindruck zu ermessen, ob er über¬
haupt bis zu dem Mindestmaß, woran in jedem Falle festzuhalten war. herab-
zugehn brauchte. Nur in einem Punkte überlistete Thiers den Kanzler: er tat
so. als ob die Zustimmung der Versammlung in Bordeaux nicht vor etwa einer
Woche erfolgen könne, damit nämlich der Einzug der Deutschen in Paris acht
beschleunigt würde. Statt am Montag begannen deshalb erst Mittwoch den
1- März nachmittags die Truppen einzurücken. Die Ratifikationsurkunden
wurden aber schon Donnerstag zwischen zwei und drei Uhr ausgetauscht, da die
Versammlung in Bordeaux mit 546 gegen 107 Stimmen in einer Nacht sofort
den Frieden angenommen und Favre die darüber in aller Form ausgefertigte
Urkunde vorgelegt hatte. Daß nur wenige Truppen in Paris einzogen, be¬
rührte den Kaiser sehr unangenehm. Es war „eigentlich Bismarcks Schuld,
der immer nur seinem eignen Kopfe folgt, alles allein macht ... und doch
nicht immer alles allein bedenken kann", schreibt Abeken (Seite 521) sehr
richtig; aber ebenso richtig fügt er hinzu: „Die große Hauptsache hat er gut
gemacht."

Der Gang der Verhandlungen, der im Vorstehenden durch Vergleichung
der deutschen und der französischen Berichte zu schildern versucht worden ist.
wirft helle Schlaglichter auf den Gegensatz in dem Wesen des deutschen und
des französischen Staatsmanns. Dieser Unterschied tritt auch anschaulich hervor
durch eine wenig bekannte Einzeichnung in die Handschriftensammlung des Grafen
Enzenberg. von der in einer Lebensbeschreibung Georgs von Bunsen berichtet
wird. Unter Guizots Worte: Na lovAus vis in'a axxiis as deaiiooux par-
Bonner et) Ä'ouvlisr risn setzte Thiers: Hu peu ä'ouM no nun xas an xaräcm.
Bismarck aber fügte hinzu: Na vis in'a axxris ä'oublier beauooux et as uis
Kirs dMuooux paräounsr. Thiers mußte allerdings wünschen, daß seine Lands¬
leute nicht nur „ein wenig", sondern gänzlich vergaßen, wie er vor 1866 die
deutschfeindliche Glut angefacht und. als zuerst der Ruf nach „Rache für
Sadowa" erscholl zuversichtlich verkündet hatte, binnen zwei Jahren könne man
gemeinsam mit den dann wieder erstarkten Österreichern den Ehrgeiz Preußens
Zügeln. Doch die auf Erden schon waltende Gerechtigkeit offenbarte sich! Als
Unterhändler suchte Thiers, damals wirklich „der einzige Mann in Frankreich".
SU retten, was zu retten war. und erwarb sich gerechte Ansprüche auf den Dank
seines Vaterlandes. Doch ihm stand ein Stärkerer, ein wahrhaft Bedeutender
gegenüber, der wie früher so jetzt wiederum eine über Deutschlands Zukunft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/435>, abgerufen am 22.07.2024.