Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bismarck und Thiers als Unterhändler

Linie um die Höhe der Kriegskostenentschädigung handelte es sich bei den Unter¬
redungen Bismarcks mit Thiers, zu dem sich vom 23. bis 26. Favre gesellte.
Nach der ersten Unterhandlung am Nachmittage des 21. erzählte der Kanzler
seinen Tischgästen: "Wenn die Franzosen uns eine Milliarde mehr gäben, so könnte
man ihnen Metz vielleicht lassen. Wir nähmen dann 800 Millionen und bauten
uns eine Festung ein paar Meilen weiter zurück, etwa bei Falkenberg oder nach
Saarbrücken hin -- es muß doch dort einen geeigneten Platz geben. So pro¬
fitieren wir noch bare 200 Millionen. Ich mag nicht so viele Franzosen in
unserm Hause, die nicht drin sein wollen, 's ist mit Belfort ebenso; auch dort
ist alles französisch. Die Militärs aber werden Metz nicht missen wollen, und
vielleicht haben sie recht." Also der Kanzler hatte sich damals durchaus noch
keine feste Ansicht gebildet über die Frage, und vor dem Beginn der eigentlichen
Unterhandlungen war darüber noch nichts entschieden.

Thiers hoffte noch immer, den Sieger erweichen zu können, überschätzte
noch immer den Einfluß seiner Persönlichkeit (deshalb unterredete er sich an
den beiden ersten Tagen allein, ohne Favre, mit Bismarck) und suchte am Mittwoch
den 22. Februar auch durch Audienzen beim Kaiser und beim preußischen Kron¬
prinzen etwas auszurichten, besonders in bezug aus Metz und wegen des Ver¬
zichts auf den Einzug in Paris. Der Kronprinz hatte am 21. Februar in sein
Tagebuch geschrieben: "Ich meine, Metz könne allenfalls geopfert werden. Bis¬
marck stimmt mir zu, besorgt aber, den militärischen Forderungen gegenüber
den kürzeren zu ziehen."*) Wie entschlossen diese geltend gemacht wurden, das
lehren am besten die zornigen Äußerungen Blumenthals, dem es aber doch nicht
gelang, den Kronprinzen, der so große Stücke auf ihn hielt, umzustimmen. Am 22.
nun stellte der Kanzler als Friedensbedingungen hin: Abtretung des Elsaß
mit Belfort, Deutsch-Lothringens mit Metz, sechs Milliarden Kriegskosten¬
entschädigung und Einzug eines Teiles der Truppen in Paris; von irgend¬
welchen weitern Verhandlungen darüber wollte er zunächst nichts wissen-
Thiers konnte sich im Laufe der Erörterungen so wenig beherrschen, daß er
ausrief: O'est uns iiMMits! Bismarck ließ sich dadurch gar nicht irre machen,
bediente sich jedoch der deutschen Sprache, die der Franzose ja nicht verstand.
Nun lenkte dieser ein, und der Kanzler erteilte ihm einen kleinen, aber feinen
Denkzettel durch die Bemerkung: "Als Sie vorhin von iiMZaits redeten, fand
ich, daß ich nicht genug französisch verstehe, und zog daher vor, deutsch zu
sprechen." Thiers meinte, sich nur zu 1500 Millionen Kriegskostenentschädigung
verstehn zu dürfen, rief aber in der Erregung einmal aus: "Lieber noch eine
Milliarde mehr, wenn wir nur Metz behalten." Da soll Bismarck, von dem
auch die Äußerung überliefert ist: "Ihr werdet zahlen, ohne es zu merken",



*) "Militiirischerseits beklagte man sich, daß der Reichskanzler jedem Rate und Wunsche
unzugänglich sei, wenn er nicht auf einer unumgänglichen militärischen Notwendigkeit basiere",
heißt es bei Schneider a. a. O> S> 174.
Bismarck und Thiers als Unterhändler

Linie um die Höhe der Kriegskostenentschädigung handelte es sich bei den Unter¬
redungen Bismarcks mit Thiers, zu dem sich vom 23. bis 26. Favre gesellte.
Nach der ersten Unterhandlung am Nachmittage des 21. erzählte der Kanzler
seinen Tischgästen: „Wenn die Franzosen uns eine Milliarde mehr gäben, so könnte
man ihnen Metz vielleicht lassen. Wir nähmen dann 800 Millionen und bauten
uns eine Festung ein paar Meilen weiter zurück, etwa bei Falkenberg oder nach
Saarbrücken hin — es muß doch dort einen geeigneten Platz geben. So pro¬
fitieren wir noch bare 200 Millionen. Ich mag nicht so viele Franzosen in
unserm Hause, die nicht drin sein wollen, 's ist mit Belfort ebenso; auch dort
ist alles französisch. Die Militärs aber werden Metz nicht missen wollen, und
vielleicht haben sie recht." Also der Kanzler hatte sich damals durchaus noch
keine feste Ansicht gebildet über die Frage, und vor dem Beginn der eigentlichen
Unterhandlungen war darüber noch nichts entschieden.

Thiers hoffte noch immer, den Sieger erweichen zu können, überschätzte
noch immer den Einfluß seiner Persönlichkeit (deshalb unterredete er sich an
den beiden ersten Tagen allein, ohne Favre, mit Bismarck) und suchte am Mittwoch
den 22. Februar auch durch Audienzen beim Kaiser und beim preußischen Kron¬
prinzen etwas auszurichten, besonders in bezug aus Metz und wegen des Ver¬
zichts auf den Einzug in Paris. Der Kronprinz hatte am 21. Februar in sein
Tagebuch geschrieben: „Ich meine, Metz könne allenfalls geopfert werden. Bis¬
marck stimmt mir zu, besorgt aber, den militärischen Forderungen gegenüber
den kürzeren zu ziehen."*) Wie entschlossen diese geltend gemacht wurden, das
lehren am besten die zornigen Äußerungen Blumenthals, dem es aber doch nicht
gelang, den Kronprinzen, der so große Stücke auf ihn hielt, umzustimmen. Am 22.
nun stellte der Kanzler als Friedensbedingungen hin: Abtretung des Elsaß
mit Belfort, Deutsch-Lothringens mit Metz, sechs Milliarden Kriegskosten¬
entschädigung und Einzug eines Teiles der Truppen in Paris; von irgend¬
welchen weitern Verhandlungen darüber wollte er zunächst nichts wissen-
Thiers konnte sich im Laufe der Erörterungen so wenig beherrschen, daß er
ausrief: O'est uns iiMMits! Bismarck ließ sich dadurch gar nicht irre machen,
bediente sich jedoch der deutschen Sprache, die der Franzose ja nicht verstand.
Nun lenkte dieser ein, und der Kanzler erteilte ihm einen kleinen, aber feinen
Denkzettel durch die Bemerkung: „Als Sie vorhin von iiMZaits redeten, fand
ich, daß ich nicht genug französisch verstehe, und zog daher vor, deutsch zu
sprechen." Thiers meinte, sich nur zu 1500 Millionen Kriegskostenentschädigung
verstehn zu dürfen, rief aber in der Erregung einmal aus: „Lieber noch eine
Milliarde mehr, wenn wir nur Metz behalten." Da soll Bismarck, von dem
auch die Äußerung überliefert ist: „Ihr werdet zahlen, ohne es zu merken",



*) „Militiirischerseits beklagte man sich, daß der Reichskanzler jedem Rate und Wunsche
unzugänglich sei, wenn er nicht auf einer unumgänglichen militärischen Notwendigkeit basiere",
heißt es bei Schneider a. a. O> S> 174.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310839"/>
          <fw type="header" place="top"> Bismarck und Thiers als Unterhändler</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2384" prev="#ID_2383"> Linie um die Höhe der Kriegskostenentschädigung handelte es sich bei den Unter¬<lb/>
redungen Bismarcks mit Thiers, zu dem sich vom 23. bis 26. Favre gesellte.<lb/>
Nach der ersten Unterhandlung am Nachmittage des 21. erzählte der Kanzler<lb/>
seinen Tischgästen: &#x201E;Wenn die Franzosen uns eine Milliarde mehr gäben, so könnte<lb/>
man ihnen Metz vielleicht lassen. Wir nähmen dann 800 Millionen und bauten<lb/>
uns eine Festung ein paar Meilen weiter zurück, etwa bei Falkenberg oder nach<lb/>
Saarbrücken hin &#x2014; es muß doch dort einen geeigneten Platz geben. So pro¬<lb/>
fitieren wir noch bare 200 Millionen. Ich mag nicht so viele Franzosen in<lb/>
unserm Hause, die nicht drin sein wollen, 's ist mit Belfort ebenso; auch dort<lb/>
ist alles französisch. Die Militärs aber werden Metz nicht missen wollen, und<lb/>
vielleicht haben sie recht." Also der Kanzler hatte sich damals durchaus noch<lb/>
keine feste Ansicht gebildet über die Frage, und vor dem Beginn der eigentlichen<lb/>
Unterhandlungen war darüber noch nichts entschieden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2385" next="#ID_2386"> Thiers hoffte noch immer, den Sieger erweichen zu können, überschätzte<lb/>
noch immer den Einfluß seiner Persönlichkeit (deshalb unterredete er sich an<lb/>
den beiden ersten Tagen allein, ohne Favre, mit Bismarck) und suchte am Mittwoch<lb/>
den 22. Februar auch durch Audienzen beim Kaiser und beim preußischen Kron¬<lb/>
prinzen etwas auszurichten, besonders in bezug aus Metz und wegen des Ver¬<lb/>
zichts auf den Einzug in Paris. Der Kronprinz hatte am 21. Februar in sein<lb/>
Tagebuch geschrieben: &#x201E;Ich meine, Metz könne allenfalls geopfert werden. Bis¬<lb/>
marck stimmt mir zu, besorgt aber, den militärischen Forderungen gegenüber<lb/>
den kürzeren zu ziehen."*) Wie entschlossen diese geltend gemacht wurden, das<lb/>
lehren am besten die zornigen Äußerungen Blumenthals, dem es aber doch nicht<lb/>
gelang, den Kronprinzen, der so große Stücke auf ihn hielt, umzustimmen. Am 22.<lb/>
nun stellte der Kanzler als Friedensbedingungen hin: Abtretung des Elsaß<lb/>
mit Belfort, Deutsch-Lothringens mit Metz, sechs Milliarden Kriegskosten¬<lb/>
entschädigung und Einzug eines Teiles der Truppen in Paris; von irgend¬<lb/>
welchen weitern Verhandlungen darüber wollte er zunächst nichts wissen-<lb/>
Thiers konnte sich im Laufe der Erörterungen so wenig beherrschen, daß er<lb/>
ausrief: O'est uns iiMMits! Bismarck ließ sich dadurch gar nicht irre machen,<lb/>
bediente sich jedoch der deutschen Sprache, die der Franzose ja nicht verstand.<lb/>
Nun lenkte dieser ein, und der Kanzler erteilte ihm einen kleinen, aber feinen<lb/>
Denkzettel durch die Bemerkung: &#x201E;Als Sie vorhin von iiMZaits redeten, fand<lb/>
ich, daß ich nicht genug französisch verstehe, und zog daher vor, deutsch zu<lb/>
sprechen." Thiers meinte, sich nur zu 1500 Millionen Kriegskostenentschädigung<lb/>
verstehn zu dürfen, rief aber in der Erregung einmal aus: &#x201E;Lieber noch eine<lb/>
Milliarde mehr, wenn wir nur Metz behalten." Da soll Bismarck, von dem<lb/>
auch die Äußerung überliefert ist: &#x201E;Ihr werdet zahlen, ohne es zu merken",</p><lb/>
          <note xml:id="FID_56" place="foot"> *) &#x201E;Militiirischerseits beklagte man sich, daß der Reichskanzler jedem Rate und Wunsche<lb/>
unzugänglich sei, wenn er nicht auf einer unumgänglichen militärischen Notwendigkeit basiere",<lb/>
heißt es bei Schneider a. a. O&gt; S&gt; 174.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] Bismarck und Thiers als Unterhändler Linie um die Höhe der Kriegskostenentschädigung handelte es sich bei den Unter¬ redungen Bismarcks mit Thiers, zu dem sich vom 23. bis 26. Favre gesellte. Nach der ersten Unterhandlung am Nachmittage des 21. erzählte der Kanzler seinen Tischgästen: „Wenn die Franzosen uns eine Milliarde mehr gäben, so könnte man ihnen Metz vielleicht lassen. Wir nähmen dann 800 Millionen und bauten uns eine Festung ein paar Meilen weiter zurück, etwa bei Falkenberg oder nach Saarbrücken hin — es muß doch dort einen geeigneten Platz geben. So pro¬ fitieren wir noch bare 200 Millionen. Ich mag nicht so viele Franzosen in unserm Hause, die nicht drin sein wollen, 's ist mit Belfort ebenso; auch dort ist alles französisch. Die Militärs aber werden Metz nicht missen wollen, und vielleicht haben sie recht." Also der Kanzler hatte sich damals durchaus noch keine feste Ansicht gebildet über die Frage, und vor dem Beginn der eigentlichen Unterhandlungen war darüber noch nichts entschieden. Thiers hoffte noch immer, den Sieger erweichen zu können, überschätzte noch immer den Einfluß seiner Persönlichkeit (deshalb unterredete er sich an den beiden ersten Tagen allein, ohne Favre, mit Bismarck) und suchte am Mittwoch den 22. Februar auch durch Audienzen beim Kaiser und beim preußischen Kron¬ prinzen etwas auszurichten, besonders in bezug aus Metz und wegen des Ver¬ zichts auf den Einzug in Paris. Der Kronprinz hatte am 21. Februar in sein Tagebuch geschrieben: „Ich meine, Metz könne allenfalls geopfert werden. Bis¬ marck stimmt mir zu, besorgt aber, den militärischen Forderungen gegenüber den kürzeren zu ziehen."*) Wie entschlossen diese geltend gemacht wurden, das lehren am besten die zornigen Äußerungen Blumenthals, dem es aber doch nicht gelang, den Kronprinzen, der so große Stücke auf ihn hielt, umzustimmen. Am 22. nun stellte der Kanzler als Friedensbedingungen hin: Abtretung des Elsaß mit Belfort, Deutsch-Lothringens mit Metz, sechs Milliarden Kriegskosten¬ entschädigung und Einzug eines Teiles der Truppen in Paris; von irgend¬ welchen weitern Verhandlungen darüber wollte er zunächst nichts wissen- Thiers konnte sich im Laufe der Erörterungen so wenig beherrschen, daß er ausrief: O'est uns iiMMits! Bismarck ließ sich dadurch gar nicht irre machen, bediente sich jedoch der deutschen Sprache, die der Franzose ja nicht verstand. Nun lenkte dieser ein, und der Kanzler erteilte ihm einen kleinen, aber feinen Denkzettel durch die Bemerkung: „Als Sie vorhin von iiMZaits redeten, fand ich, daß ich nicht genug französisch verstehe, und zog daher vor, deutsch zu sprechen." Thiers meinte, sich nur zu 1500 Millionen Kriegskostenentschädigung verstehn zu dürfen, rief aber in der Erregung einmal aus: „Lieber noch eine Milliarde mehr, wenn wir nur Metz behalten." Da soll Bismarck, von dem auch die Äußerung überliefert ist: „Ihr werdet zahlen, ohne es zu merken", *) „Militiirischerseits beklagte man sich, daß der Reichskanzler jedem Rate und Wunsche unzugänglich sei, wenn er nicht auf einer unumgänglichen militärischen Notwendigkeit basiere", heißt es bei Schneider a. a. O> S> 174.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/428>, abgerufen am 22.07.2024.