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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Der Internationale Telegraphenverein

Mit der Tariffrage eng zusammen hängt die Regelung der Transitver¬
gütung und die Verteilung des Vereinseinkommens. Der Deutsch-Osterreichische
Telegraphenverein hatte bei seiner Gründung festgesetzt, daß für die Verteilung
die Länge der Beförderungsstrecken der Telegramme maßgebend sein sollte. Es
war dabei von dem an sich richtigen Gedanken ausgegangen worden, daß es
für die internationale Telegraphie gedeihlich sei, wenn möglichst lange, zu¬
sammenhängende, in der Hand weniger Verwaltungen liegende Leitungen her¬
gestellt würden, und er suchte das zu erreichen, indem er die kleinen Staaten,
die wohl eine große Verkehrsziffer, aber nur geringe Leitungslängen aufzu¬
weisen hatten, durch den Verteilungsmodus schlechter stellte. Diese wehrten
sich dagegen mit Händen und Füßen, und es gelang ihnen schließlich mit
Hilfe von allerlei den Verkehr störenden Repressalien, auch das Maß der auf¬
gewandten Arbeit an der Telegrammbeförderung als Verteilungsfaktor durch¬
zusetzen, dergestalt, daß 53 Prozent des Vereinseinkommens auf zurückgelegte
Wege und 47 Prozent auf die geleistete Arbeit fallen sollten. Gegen diese
Berechnung protestierte jedoch wieder Österreich, weil es mit seinen langen
mehr im Interesse des Vereins gebauten Linien dabei zu schlecht wegkomme.
So wurde dann noch als dritter Verteilungsfaktor die Linien- und Leitungs¬
länge, über die die Staaten verfügten, eingestellt. Es ist ein besondrer
Genuß, sich heute durch das Gestrüpp der kleinstaatlichen Sonderinteressen
jener Zeit hindurchzuwinden, und man wird das Gefühl nachsichtigen Be¬
dauerns nicht los, wenn man dabei die Schwerfälligkeit und Umständlichkeit
des Abrechnungsverfahrens in Betrachtung zieht. Die Nachweisungen für die
Berechnung eines Vierteljahrs umfaßten 1860 nicht weniger als 2832 Bogen.
Inzwischen sind auf das unausgesetzte Drängen der deutschen Regierung die
Gebühren bedeutend ermäßigt, das Taxverfahren und die Abrechnung wesentlich
vereinfacht worden, aber das Endziel, die telegraphische Einhcitstaxe und der
Wegfall jeglicher Abrechnung, hat auf keiner der bisher abgehaltnen inter¬
nationalen Konferenzen erreicht werden können, obwohl Heinrich von Stephan
dafür gekämpft hat bis an sein Lebensende.

Die Tariffrage hat das Schwergewicht aller Konferenzen gebildet, und
^ ist mit heißem Bemühen an ihrer Lösung gearbeitet worden; aber der
internationale Telegrammtarif ist heute noch so buntscheckig wie der Wclt-
portotarif vor der Gründung des Weltpostvereins. Allein für die Lander¬
gebiete Europas gelten in Deutschland noch gegen dreißig verschiedne Wort-
tanfsütze; für den ganzen Auslandsverkehr sind es über zweihundert. So
kostet zum Beispiel das Taxwort nach Österreich-Ungarn und Luxemburg
5 Pfennige, nach Holland. Belgien, der Schweiz, Dänemark 10 Pfennige, nach
Frankreich 12 Pfennige, nach England. Italien. Schweden. Norwegen
15 Pfennige usw. Manche Staaten haben eine heillose Furcht vor einer durch¬
greifenden Reform des internationalen Gebührentarifs mit dem Zielpunkt der
Einheit und Ermäßigung, und es scheint in dem Welttelegraphenparlament


Der Internationale Telegraphenverein

Mit der Tariffrage eng zusammen hängt die Regelung der Transitver¬
gütung und die Verteilung des Vereinseinkommens. Der Deutsch-Osterreichische
Telegraphenverein hatte bei seiner Gründung festgesetzt, daß für die Verteilung
die Länge der Beförderungsstrecken der Telegramme maßgebend sein sollte. Es
war dabei von dem an sich richtigen Gedanken ausgegangen worden, daß es
für die internationale Telegraphie gedeihlich sei, wenn möglichst lange, zu¬
sammenhängende, in der Hand weniger Verwaltungen liegende Leitungen her¬
gestellt würden, und er suchte das zu erreichen, indem er die kleinen Staaten,
die wohl eine große Verkehrsziffer, aber nur geringe Leitungslängen aufzu¬
weisen hatten, durch den Verteilungsmodus schlechter stellte. Diese wehrten
sich dagegen mit Händen und Füßen, und es gelang ihnen schließlich mit
Hilfe von allerlei den Verkehr störenden Repressalien, auch das Maß der auf¬
gewandten Arbeit an der Telegrammbeförderung als Verteilungsfaktor durch¬
zusetzen, dergestalt, daß 53 Prozent des Vereinseinkommens auf zurückgelegte
Wege und 47 Prozent auf die geleistete Arbeit fallen sollten. Gegen diese
Berechnung protestierte jedoch wieder Österreich, weil es mit seinen langen
mehr im Interesse des Vereins gebauten Linien dabei zu schlecht wegkomme.
So wurde dann noch als dritter Verteilungsfaktor die Linien- und Leitungs¬
länge, über die die Staaten verfügten, eingestellt. Es ist ein besondrer
Genuß, sich heute durch das Gestrüpp der kleinstaatlichen Sonderinteressen
jener Zeit hindurchzuwinden, und man wird das Gefühl nachsichtigen Be¬
dauerns nicht los, wenn man dabei die Schwerfälligkeit und Umständlichkeit
des Abrechnungsverfahrens in Betrachtung zieht. Die Nachweisungen für die
Berechnung eines Vierteljahrs umfaßten 1860 nicht weniger als 2832 Bogen.
Inzwischen sind auf das unausgesetzte Drängen der deutschen Regierung die
Gebühren bedeutend ermäßigt, das Taxverfahren und die Abrechnung wesentlich
vereinfacht worden, aber das Endziel, die telegraphische Einhcitstaxe und der
Wegfall jeglicher Abrechnung, hat auf keiner der bisher abgehaltnen inter¬
nationalen Konferenzen erreicht werden können, obwohl Heinrich von Stephan
dafür gekämpft hat bis an sein Lebensende.

Die Tariffrage hat das Schwergewicht aller Konferenzen gebildet, und
^ ist mit heißem Bemühen an ihrer Lösung gearbeitet worden; aber der
internationale Telegrammtarif ist heute noch so buntscheckig wie der Wclt-
portotarif vor der Gründung des Weltpostvereins. Allein für die Lander¬
gebiete Europas gelten in Deutschland noch gegen dreißig verschiedne Wort-
tanfsütze; für den ganzen Auslandsverkehr sind es über zweihundert. So
kostet zum Beispiel das Taxwort nach Österreich-Ungarn und Luxemburg
5 Pfennige, nach Holland. Belgien, der Schweiz, Dänemark 10 Pfennige, nach
Frankreich 12 Pfennige, nach England. Italien. Schweden. Norwegen
15 Pfennige usw. Manche Staaten haben eine heillose Furcht vor einer durch¬
greifenden Reform des internationalen Gebührentarifs mit dem Zielpunkt der
Einheit und Ermäßigung, und es scheint in dem Welttelegraphenparlament


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[0421] Der Internationale Telegraphenverein Mit der Tariffrage eng zusammen hängt die Regelung der Transitver¬ gütung und die Verteilung des Vereinseinkommens. Der Deutsch-Osterreichische Telegraphenverein hatte bei seiner Gründung festgesetzt, daß für die Verteilung die Länge der Beförderungsstrecken der Telegramme maßgebend sein sollte. Es war dabei von dem an sich richtigen Gedanken ausgegangen worden, daß es für die internationale Telegraphie gedeihlich sei, wenn möglichst lange, zu¬ sammenhängende, in der Hand weniger Verwaltungen liegende Leitungen her¬ gestellt würden, und er suchte das zu erreichen, indem er die kleinen Staaten, die wohl eine große Verkehrsziffer, aber nur geringe Leitungslängen aufzu¬ weisen hatten, durch den Verteilungsmodus schlechter stellte. Diese wehrten sich dagegen mit Händen und Füßen, und es gelang ihnen schließlich mit Hilfe von allerlei den Verkehr störenden Repressalien, auch das Maß der auf¬ gewandten Arbeit an der Telegrammbeförderung als Verteilungsfaktor durch¬ zusetzen, dergestalt, daß 53 Prozent des Vereinseinkommens auf zurückgelegte Wege und 47 Prozent auf die geleistete Arbeit fallen sollten. Gegen diese Berechnung protestierte jedoch wieder Österreich, weil es mit seinen langen mehr im Interesse des Vereins gebauten Linien dabei zu schlecht wegkomme. So wurde dann noch als dritter Verteilungsfaktor die Linien- und Leitungs¬ länge, über die die Staaten verfügten, eingestellt. Es ist ein besondrer Genuß, sich heute durch das Gestrüpp der kleinstaatlichen Sonderinteressen jener Zeit hindurchzuwinden, und man wird das Gefühl nachsichtigen Be¬ dauerns nicht los, wenn man dabei die Schwerfälligkeit und Umständlichkeit des Abrechnungsverfahrens in Betrachtung zieht. Die Nachweisungen für die Berechnung eines Vierteljahrs umfaßten 1860 nicht weniger als 2832 Bogen. Inzwischen sind auf das unausgesetzte Drängen der deutschen Regierung die Gebühren bedeutend ermäßigt, das Taxverfahren und die Abrechnung wesentlich vereinfacht worden, aber das Endziel, die telegraphische Einhcitstaxe und der Wegfall jeglicher Abrechnung, hat auf keiner der bisher abgehaltnen inter¬ nationalen Konferenzen erreicht werden können, obwohl Heinrich von Stephan dafür gekämpft hat bis an sein Lebensende. Die Tariffrage hat das Schwergewicht aller Konferenzen gebildet, und ^ ist mit heißem Bemühen an ihrer Lösung gearbeitet worden; aber der internationale Telegrammtarif ist heute noch so buntscheckig wie der Wclt- portotarif vor der Gründung des Weltpostvereins. Allein für die Lander¬ gebiete Europas gelten in Deutschland noch gegen dreißig verschiedne Wort- tanfsütze; für den ganzen Auslandsverkehr sind es über zweihundert. So kostet zum Beispiel das Taxwort nach Österreich-Ungarn und Luxemburg 5 Pfennige, nach Holland. Belgien, der Schweiz, Dänemark 10 Pfennige, nach Frankreich 12 Pfennige, nach England. Italien. Schweden. Norwegen 15 Pfennige usw. Manche Staaten haben eine heillose Furcht vor einer durch¬ greifenden Reform des internationalen Gebührentarifs mit dem Zielpunkt der Einheit und Ermäßigung, und es scheint in dem Welttelegraphenparlament

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/421>, abgerufen am 22.07.2024.