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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Der Internationale Telegraphenverein

100 Meilen eine Gebühr von 10 Talern zu entrichten. Bei solchen Preisen
erscheint uns die damals vielfach gehegte Besorgnis, der Privattelegraphenverkehr
könnte einen Umfang annehmen, dem die neue Einrichtung nicht gewachsen sei,
durchaus unbegründet.

Je mehr die große Bedeutung des Telegraphen für den allgemeinen
Nachrichtenverkehr hervortrat, um so dringender wurde mit der Zeit das Ver¬
langen nach Herabsetzung der Gebühren. Innerhalb der eignen Gebietsgrenzen
hatten die meisten Staaten diesem Bedürfnis durch niedere Gebührensätze schon
Rechnung getragen, und wo dies geschehn war. war der Verkehr bedeutend
gestiegen. Diese Einzelerfahrungen machte sich dann auch der Verein zunutze,
indem er alle Vereinsländer nach der Richtung der Tarifermäßigung beein¬
flußte. Schon 1857 wurden die Gebührensätze um etwa 30 Prozent, etwas
später um 50 Prozent ermäßigt und dabei namentlich die Härten des Ent¬
fernungstarifs gemildert. Es war nämlich die Wahrnehmung gemacht worden,
daß sich das Publikum von der Benutzung des Telegraphen auf weite Ent¬
fernung auffallend zurückhielt. Überhaupt litt die Entwicklung der Telegraphie
außerordentlich unter dem falschen System des Entfernungs- und Zonentarifs,
der die Gebühren für Ferntelegramme viel zu hoch festsetzte. Auch das Ein¬
heitstelegramm von 20 Wörtern mit weitern Taxstufen von 10 Wörtern
beeinflußte den Telegraphenverkehr ungünstig. Das Maß des Minimums
(20 Wörter) ging wesentlich über das durchschnittliche Bedürfnis der Länge
eines Telegramms hinaus; da das Publikum in dem Bestreben, das bezahlte
Maß auch auszunutzen, die Telegramme mit einem Ballast überflüssiger Wörter
beschwerte, wurden die Telegraphen mit nutzloser Arbeit überlade". Die
deutsche Telegraphenverwaltung brach zuerst mit den alten Grundsätzen der
Tarifbildung und führte 1876 für den innern Verkehr den Worttarif ein, eine
Maßnahme, die am heilsamsten vou allen Umgestaltungen auf dem Gebiete des
Telegraphenwesens gewirkt hat; und da große Gedanken immer eine werbende
Kraft haben, so wurde der Worttarif 1879 auf der Telegraphenkonferenz in
London auch für den internationalen Verkehr angenommen. Damit war das
einzig richtige, noch heute giltige Tarifsystem gefunden. Es ist nicht nur einfach
und für jedermann durchsichtig, es setzt die Gebühren auch in ein richtiges
Verhältnis zur Leistung der Telegraphenverwaltung, die nicht so sehr von der
Länge des Weges als vielmehr von der Länge des Telegramms abhängt. Der
Worttarif hat aber auch ideell den Wert eines abkürzenden und beschleunigenden
Verkehrsmittels. Denn da jedes Wort bezahlt werden muß, hat sich das Publikum
daran gewöhnt, den telegraphischen Text möglichst zusammenzudrängen und nur
das Nötigste darin aufzunehmen. Dadurch wird der Betrieb von überflüssiger
Arbeit entlastet, und der Telegraph erhielt seine eigentliche Bestimmung zurück,
nur Mitteilungen von höherm Werte zu vermitteln. Nach der Einführung des
Worttarifs ist die durchschnittliche Länge der Telegramme von 18 auf 11 Wörter
zurückgegangen.


Der Internationale Telegraphenverein

100 Meilen eine Gebühr von 10 Talern zu entrichten. Bei solchen Preisen
erscheint uns die damals vielfach gehegte Besorgnis, der Privattelegraphenverkehr
könnte einen Umfang annehmen, dem die neue Einrichtung nicht gewachsen sei,
durchaus unbegründet.

Je mehr die große Bedeutung des Telegraphen für den allgemeinen
Nachrichtenverkehr hervortrat, um so dringender wurde mit der Zeit das Ver¬
langen nach Herabsetzung der Gebühren. Innerhalb der eignen Gebietsgrenzen
hatten die meisten Staaten diesem Bedürfnis durch niedere Gebührensätze schon
Rechnung getragen, und wo dies geschehn war. war der Verkehr bedeutend
gestiegen. Diese Einzelerfahrungen machte sich dann auch der Verein zunutze,
indem er alle Vereinsländer nach der Richtung der Tarifermäßigung beein¬
flußte. Schon 1857 wurden die Gebührensätze um etwa 30 Prozent, etwas
später um 50 Prozent ermäßigt und dabei namentlich die Härten des Ent¬
fernungstarifs gemildert. Es war nämlich die Wahrnehmung gemacht worden,
daß sich das Publikum von der Benutzung des Telegraphen auf weite Ent¬
fernung auffallend zurückhielt. Überhaupt litt die Entwicklung der Telegraphie
außerordentlich unter dem falschen System des Entfernungs- und Zonentarifs,
der die Gebühren für Ferntelegramme viel zu hoch festsetzte. Auch das Ein¬
heitstelegramm von 20 Wörtern mit weitern Taxstufen von 10 Wörtern
beeinflußte den Telegraphenverkehr ungünstig. Das Maß des Minimums
(20 Wörter) ging wesentlich über das durchschnittliche Bedürfnis der Länge
eines Telegramms hinaus; da das Publikum in dem Bestreben, das bezahlte
Maß auch auszunutzen, die Telegramme mit einem Ballast überflüssiger Wörter
beschwerte, wurden die Telegraphen mit nutzloser Arbeit überlade». Die
deutsche Telegraphenverwaltung brach zuerst mit den alten Grundsätzen der
Tarifbildung und führte 1876 für den innern Verkehr den Worttarif ein, eine
Maßnahme, die am heilsamsten vou allen Umgestaltungen auf dem Gebiete des
Telegraphenwesens gewirkt hat; und da große Gedanken immer eine werbende
Kraft haben, so wurde der Worttarif 1879 auf der Telegraphenkonferenz in
London auch für den internationalen Verkehr angenommen. Damit war das
einzig richtige, noch heute giltige Tarifsystem gefunden. Es ist nicht nur einfach
und für jedermann durchsichtig, es setzt die Gebühren auch in ein richtiges
Verhältnis zur Leistung der Telegraphenverwaltung, die nicht so sehr von der
Länge des Weges als vielmehr von der Länge des Telegramms abhängt. Der
Worttarif hat aber auch ideell den Wert eines abkürzenden und beschleunigenden
Verkehrsmittels. Denn da jedes Wort bezahlt werden muß, hat sich das Publikum
daran gewöhnt, den telegraphischen Text möglichst zusammenzudrängen und nur
das Nötigste darin aufzunehmen. Dadurch wird der Betrieb von überflüssiger
Arbeit entlastet, und der Telegraph erhielt seine eigentliche Bestimmung zurück,
nur Mitteilungen von höherm Werte zu vermitteln. Nach der Einführung des
Worttarifs ist die durchschnittliche Länge der Telegramme von 18 auf 11 Wörter
zurückgegangen.


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[0420] Der Internationale Telegraphenverein 100 Meilen eine Gebühr von 10 Talern zu entrichten. Bei solchen Preisen erscheint uns die damals vielfach gehegte Besorgnis, der Privattelegraphenverkehr könnte einen Umfang annehmen, dem die neue Einrichtung nicht gewachsen sei, durchaus unbegründet. Je mehr die große Bedeutung des Telegraphen für den allgemeinen Nachrichtenverkehr hervortrat, um so dringender wurde mit der Zeit das Ver¬ langen nach Herabsetzung der Gebühren. Innerhalb der eignen Gebietsgrenzen hatten die meisten Staaten diesem Bedürfnis durch niedere Gebührensätze schon Rechnung getragen, und wo dies geschehn war. war der Verkehr bedeutend gestiegen. Diese Einzelerfahrungen machte sich dann auch der Verein zunutze, indem er alle Vereinsländer nach der Richtung der Tarifermäßigung beein¬ flußte. Schon 1857 wurden die Gebührensätze um etwa 30 Prozent, etwas später um 50 Prozent ermäßigt und dabei namentlich die Härten des Ent¬ fernungstarifs gemildert. Es war nämlich die Wahrnehmung gemacht worden, daß sich das Publikum von der Benutzung des Telegraphen auf weite Ent¬ fernung auffallend zurückhielt. Überhaupt litt die Entwicklung der Telegraphie außerordentlich unter dem falschen System des Entfernungs- und Zonentarifs, der die Gebühren für Ferntelegramme viel zu hoch festsetzte. Auch das Ein¬ heitstelegramm von 20 Wörtern mit weitern Taxstufen von 10 Wörtern beeinflußte den Telegraphenverkehr ungünstig. Das Maß des Minimums (20 Wörter) ging wesentlich über das durchschnittliche Bedürfnis der Länge eines Telegramms hinaus; da das Publikum in dem Bestreben, das bezahlte Maß auch auszunutzen, die Telegramme mit einem Ballast überflüssiger Wörter beschwerte, wurden die Telegraphen mit nutzloser Arbeit überlade». Die deutsche Telegraphenverwaltung brach zuerst mit den alten Grundsätzen der Tarifbildung und führte 1876 für den innern Verkehr den Worttarif ein, eine Maßnahme, die am heilsamsten vou allen Umgestaltungen auf dem Gebiete des Telegraphenwesens gewirkt hat; und da große Gedanken immer eine werbende Kraft haben, so wurde der Worttarif 1879 auf der Telegraphenkonferenz in London auch für den internationalen Verkehr angenommen. Damit war das einzig richtige, noch heute giltige Tarifsystem gefunden. Es ist nicht nur einfach und für jedermann durchsichtig, es setzt die Gebühren auch in ein richtiges Verhältnis zur Leistung der Telegraphenverwaltung, die nicht so sehr von der Länge des Weges als vielmehr von der Länge des Telegramms abhängt. Der Worttarif hat aber auch ideell den Wert eines abkürzenden und beschleunigenden Verkehrsmittels. Denn da jedes Wort bezahlt werden muß, hat sich das Publikum daran gewöhnt, den telegraphischen Text möglichst zusammenzudrängen und nur das Nötigste darin aufzunehmen. Dadurch wird der Betrieb von überflüssiger Arbeit entlastet, und der Telegraph erhielt seine eigentliche Bestimmung zurück, nur Mitteilungen von höherm Werte zu vermitteln. Nach der Einführung des Worttarifs ist die durchschnittliche Länge der Telegramme von 18 auf 11 Wörter zurückgegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/420>, abgerufen am 22.07.2024.