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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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höhere Verwaltungsdienst in Preußen" (eine ähnliche Besprechung war schon
in den Nummern 6 und 7 des Jahres 1906 erschienen). Der Verfasser geht in
noch schärferer Weise gegen die bevorzugte Stellung der Juristen vor als
der des ersten Aufsatzes. Er kommt zu dem Schluß, daß nicht nur bei dem
.großen Publikum, sondern auch in sehr maßgebenden Regierungskreisen eine
vollständige Verwirrung herrscht in den Begriffen und Anschauungen von dem
höhern Verwaltungsdienste, seinem Wesen, seiner Bedeutung und den An¬
forderungen, die man deshalb an die im Verwaltungsdienst tätigen Leute zu
stellen hat. Daß im Justizdienst, im Militärdienst, in der Industrie oder im
Handel, im Handwerk oder in einem andern abgeschlossenen Berufe nur der
geschulte Fachmann etwas leistet, hat noch niemand bezweifelt. Nur für den
Verwaltungsdienst soll dies alles nicht gelten. ... Wir müssen vor allem er¬
streben, daß der geschulte Fachmann in der Verwaltung wieder die beherrschende
Stellung erhält, die er zum Schaden des Ganzen seitdem (an die Juristen)
verloren hat."

Der erste Napoleon soll ja wohl den Ausspruch getan haben: Jeder
Soldat trägt in seinem Tornister einen Marschallstab; hieran wurde ich er¬
innert, nur'daß es bei uns in Preußen heißt: jeder Referendar trägt in seiner
Aktenmappe ein Ministerpatent. Tatsache ist es. daß zu den hohen und höchsten
Stellen in den Ministerien und bei den meisten übrigen Behörden vorzugs¬
weise Juristen ernannt werden. Es ist dies in Preußen allgemein Brauch.
Eine Ausnahme bilden die Abteilung für Berg-, Hütten- und Salinenwesen
im Handelsministerium, wo in der Regel ein Bergmann der Direktor ist, die
Forstabteiluug im landwirtschaftlichen Ministerium, deren Leiter ein Forstmann
SU sein pflegt, und die Eisenbahnverwaltung im Ministerium der öffentlichen
Arbeiten, wo schon mehrfach ein Ingenieur als Direktor fungiert hat. In
der Bauabteilnng desselben Ministeriums können es Baumeister nur zu Mit¬
direktoren bringen. Unterstaatssekretär ist bei uns kaum je ein Nichtjurist
geworden. Daß ein solches Verfahren böses Blut erregt und in große
Beamtenklassen Unzufriedenheit und Verdrossenheit getragen wird, liegt auf
der Hand. Es ist nicht bloßer Zufall oder böswilliges Gerede, daß sich
Abgeordnete im Landtage, Zeitschriften und Tagesblütter immer und immer
wieder mit der bevorzugten Stellung der Juristen in allen Ressorts eingehend
beschäftigen, und zwar allermeist im absprechender Sinne. Wie -- nebenbei
bemerkt -- Fürst Bismarck über die Besetzung der leitenden Stellen mit Juristen
dachte, darüber geben die Verhandlungen, die zwischen ihm und dem Ober¬
stabsarzt Dr. Struck bei Einrichtung des Reichsgesundheitsamts in den siebziger
wahren gepflogen wurden, bemerkenswerten Aufschluß (siehe Grenzbotenheft
vom 6. August 1903). Bismarck trug die Stelle des Direktors dem genannten
Mediziner an. Als dieser zauderte, sagte Bismarck zu ihm: Wenn Sie nicht
annehmen, werden die Juristen dieses Amt wieder für sich beanspruchen. Struck
wurde als Direktor des Neichsgcsundheitsamts viel angefeindet, da man den


Grenzboten IV 1908 ^

höhere Verwaltungsdienst in Preußen" (eine ähnliche Besprechung war schon
in den Nummern 6 und 7 des Jahres 1906 erschienen). Der Verfasser geht in
noch schärferer Weise gegen die bevorzugte Stellung der Juristen vor als
der des ersten Aufsatzes. Er kommt zu dem Schluß, daß nicht nur bei dem
.großen Publikum, sondern auch in sehr maßgebenden Regierungskreisen eine
vollständige Verwirrung herrscht in den Begriffen und Anschauungen von dem
höhern Verwaltungsdienste, seinem Wesen, seiner Bedeutung und den An¬
forderungen, die man deshalb an die im Verwaltungsdienst tätigen Leute zu
stellen hat. Daß im Justizdienst, im Militärdienst, in der Industrie oder im
Handel, im Handwerk oder in einem andern abgeschlossenen Berufe nur der
geschulte Fachmann etwas leistet, hat noch niemand bezweifelt. Nur für den
Verwaltungsdienst soll dies alles nicht gelten. ... Wir müssen vor allem er¬
streben, daß der geschulte Fachmann in der Verwaltung wieder die beherrschende
Stellung erhält, die er zum Schaden des Ganzen seitdem (an die Juristen)
verloren hat."

Der erste Napoleon soll ja wohl den Ausspruch getan haben: Jeder
Soldat trägt in seinem Tornister einen Marschallstab; hieran wurde ich er¬
innert, nur'daß es bei uns in Preußen heißt: jeder Referendar trägt in seiner
Aktenmappe ein Ministerpatent. Tatsache ist es. daß zu den hohen und höchsten
Stellen in den Ministerien und bei den meisten übrigen Behörden vorzugs¬
weise Juristen ernannt werden. Es ist dies in Preußen allgemein Brauch.
Eine Ausnahme bilden die Abteilung für Berg-, Hütten- und Salinenwesen
im Handelsministerium, wo in der Regel ein Bergmann der Direktor ist, die
Forstabteiluug im landwirtschaftlichen Ministerium, deren Leiter ein Forstmann
SU sein pflegt, und die Eisenbahnverwaltung im Ministerium der öffentlichen
Arbeiten, wo schon mehrfach ein Ingenieur als Direktor fungiert hat. In
der Bauabteilnng desselben Ministeriums können es Baumeister nur zu Mit¬
direktoren bringen. Unterstaatssekretär ist bei uns kaum je ein Nichtjurist
geworden. Daß ein solches Verfahren böses Blut erregt und in große
Beamtenklassen Unzufriedenheit und Verdrossenheit getragen wird, liegt auf
der Hand. Es ist nicht bloßer Zufall oder böswilliges Gerede, daß sich
Abgeordnete im Landtage, Zeitschriften und Tagesblütter immer und immer
wieder mit der bevorzugten Stellung der Juristen in allen Ressorts eingehend
beschäftigen, und zwar allermeist im absprechender Sinne. Wie — nebenbei
bemerkt — Fürst Bismarck über die Besetzung der leitenden Stellen mit Juristen
dachte, darüber geben die Verhandlungen, die zwischen ihm und dem Ober¬
stabsarzt Dr. Struck bei Einrichtung des Reichsgesundheitsamts in den siebziger
wahren gepflogen wurden, bemerkenswerten Aufschluß (siehe Grenzbotenheft
vom 6. August 1903). Bismarck trug die Stelle des Direktors dem genannten
Mediziner an. Als dieser zauderte, sagte Bismarck zu ihm: Wenn Sie nicht
annehmen, werden die Juristen dieses Amt wieder für sich beanspruchen. Struck
wurde als Direktor des Neichsgcsundheitsamts viel angefeindet, da man den


Grenzboten IV 1908 ^
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[0377] höhere Verwaltungsdienst in Preußen" (eine ähnliche Besprechung war schon in den Nummern 6 und 7 des Jahres 1906 erschienen). Der Verfasser geht in noch schärferer Weise gegen die bevorzugte Stellung der Juristen vor als der des ersten Aufsatzes. Er kommt zu dem Schluß, daß nicht nur bei dem .großen Publikum, sondern auch in sehr maßgebenden Regierungskreisen eine vollständige Verwirrung herrscht in den Begriffen und Anschauungen von dem höhern Verwaltungsdienste, seinem Wesen, seiner Bedeutung und den An¬ forderungen, die man deshalb an die im Verwaltungsdienst tätigen Leute zu stellen hat. Daß im Justizdienst, im Militärdienst, in der Industrie oder im Handel, im Handwerk oder in einem andern abgeschlossenen Berufe nur der geschulte Fachmann etwas leistet, hat noch niemand bezweifelt. Nur für den Verwaltungsdienst soll dies alles nicht gelten. ... Wir müssen vor allem er¬ streben, daß der geschulte Fachmann in der Verwaltung wieder die beherrschende Stellung erhält, die er zum Schaden des Ganzen seitdem (an die Juristen) verloren hat." Der erste Napoleon soll ja wohl den Ausspruch getan haben: Jeder Soldat trägt in seinem Tornister einen Marschallstab; hieran wurde ich er¬ innert, nur'daß es bei uns in Preußen heißt: jeder Referendar trägt in seiner Aktenmappe ein Ministerpatent. Tatsache ist es. daß zu den hohen und höchsten Stellen in den Ministerien und bei den meisten übrigen Behörden vorzugs¬ weise Juristen ernannt werden. Es ist dies in Preußen allgemein Brauch. Eine Ausnahme bilden die Abteilung für Berg-, Hütten- und Salinenwesen im Handelsministerium, wo in der Regel ein Bergmann der Direktor ist, die Forstabteiluug im landwirtschaftlichen Ministerium, deren Leiter ein Forstmann SU sein pflegt, und die Eisenbahnverwaltung im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, wo schon mehrfach ein Ingenieur als Direktor fungiert hat. In der Bauabteilnng desselben Ministeriums können es Baumeister nur zu Mit¬ direktoren bringen. Unterstaatssekretär ist bei uns kaum je ein Nichtjurist geworden. Daß ein solches Verfahren böses Blut erregt und in große Beamtenklassen Unzufriedenheit und Verdrossenheit getragen wird, liegt auf der Hand. Es ist nicht bloßer Zufall oder böswilliges Gerede, daß sich Abgeordnete im Landtage, Zeitschriften und Tagesblütter immer und immer wieder mit der bevorzugten Stellung der Juristen in allen Ressorts eingehend beschäftigen, und zwar allermeist im absprechender Sinne. Wie — nebenbei bemerkt — Fürst Bismarck über die Besetzung der leitenden Stellen mit Juristen dachte, darüber geben die Verhandlungen, die zwischen ihm und dem Ober¬ stabsarzt Dr. Struck bei Einrichtung des Reichsgesundheitsamts in den siebziger wahren gepflogen wurden, bemerkenswerten Aufschluß (siehe Grenzbotenheft vom 6. August 1903). Bismarck trug die Stelle des Direktors dem genannten Mediziner an. Als dieser zauderte, sagte Bismarck zu ihm: Wenn Sie nicht annehmen, werden die Juristen dieses Amt wieder für sich beanspruchen. Struck wurde als Direktor des Neichsgcsundheitsamts viel angefeindet, da man den Grenzboten IV 1908 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/377>, abgerufen am 22.07.2024.