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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform der innern Verwaltung in Oreußen

man wohl nur eine Vereinfachung der Organisation und der Geschäftsführung
im Auge. Bald aber zeigte es sich, daß nicht nur aus jenen rein sachlichen
Erwägungen Reformen verlangt wurden, sondern daß auch persönliche Beweg¬
gründe stark mitwirkten. Nicht einzelne Personen -- ganze Beamtenklassen
sind von den bestehenden Verhältnissen und Zuständen unbefriedigt und ver¬
langen dringend nach Abhilfe. Dieser persönliche Einschlag in der Bewegung
ist es, der auch mich veranlaßt, meine Wünsche und Ansichten darzulegen, die,
wie ich ohne weiteres annehmen darf, zugleich auch die der großen Klasse der
höhern Techniker im Staatsdienste sind.

Ich lasse aber zunächst das Wort den Verwaltungsbeamten. Da sind mir
nun zwei Aufsätze der Grenzboten bekannt geworden, in denen sie sich über die
zurzeit bestehenden Zustände in verschiednen Zweigen der Verwaltung und über
gewisse Übelstände, die sich allmählich eingeschlichen haben, recht scharf aus¬
sprechen. Sie führen vor allem darüber Beschwerde, daß überall Juristen
eindringen, wo Fachmänner besser am Platze wären. Der ältere Aufsatz in
Nummer 1 und 2 der Grenzboten vom Jahre 1897 trägt den Titel: "Der juristische
Zopf" und zeigt schon durch die Wahl des Titels, welches Ziel der Verfasser
im Auge hat. Er geht verschiedne Zweige der Verwaltung durch und bespricht
ihre Besetzung mit Beamten, unter denen die Juristen in der Mehrzahl Vor¬
häute"? sind. Nach seiner Meinung wäre es dringend nötig, von der Tradition
abzugehn, daß die leitenden Stellen in allen Ressorts den Juristen zukommen.
Eine Fülle tüchtiger Kräfte läge bei uns brach, weil ihnen der amtliche Stempel
für ihre Verwendbarkeit fehle. Diese Kräfte müßten dort verwandt werden,
wo sie dem Gemeinwohl den größten Nutzen stiften könnten. Unser ganzes
öffentliches Leben hätte davon Vorteil. "Nicht zum wenigsten -- heißt es
am Schlüsse des Aufsatzes wörtlich -- würde ihn das Ressort des Justiz¬
ministeriums verspüren, wenn durch den Bruch des Juristenprivilcgiums die
Bahn zu allen leitenden Stellungen den dazu innerlich berufnen Männern
ohne Rücksicht auf ihre besondre Vorbildung freigegeben würde. Es würde
dann der ungesunde Zudrang zum Eintritt in die juristische Lauf¬
bahn ganz unausbleiblich eine große Einschränkung erfahren, es würden in
diese Laufbahn im wesentlichen nur solche jungen Leute eintreten, die zur
Mitwirkung an der Rechtsprechung als Richter, Staatsanwälte und Rechts¬
anwälte auch wirklich den Beruf in sich fühlen, es wäre nicht mehr zu be¬
sorgen, daß der juristischen Tätigkeit im engsten Sinne die besten Kräfte durch
die Vorteile des Übertritts in die nur formell die juristische Befähigung
fordernden Berufszweige weggelockt würden. Im Interesse des juristischen
Berufs selbst müsse man die Forderung unterstützen, die zugunsten einer
gesunden Weiterentwicklung unsers öffentlichen Lebens überhaupt nachdrücklich
erhoben werden muß: fort mit dem juristischen Zopf!"

Der zweite zehn Jahre später erschienene Aufsatz in den Nummern 28,
30 und 31 der Grenzboten vom Jahre 1907 ist betitelt: "Nochmals der


Die Reform der innern Verwaltung in Oreußen

man wohl nur eine Vereinfachung der Organisation und der Geschäftsführung
im Auge. Bald aber zeigte es sich, daß nicht nur aus jenen rein sachlichen
Erwägungen Reformen verlangt wurden, sondern daß auch persönliche Beweg¬
gründe stark mitwirkten. Nicht einzelne Personen — ganze Beamtenklassen
sind von den bestehenden Verhältnissen und Zuständen unbefriedigt und ver¬
langen dringend nach Abhilfe. Dieser persönliche Einschlag in der Bewegung
ist es, der auch mich veranlaßt, meine Wünsche und Ansichten darzulegen, die,
wie ich ohne weiteres annehmen darf, zugleich auch die der großen Klasse der
höhern Techniker im Staatsdienste sind.

Ich lasse aber zunächst das Wort den Verwaltungsbeamten. Da sind mir
nun zwei Aufsätze der Grenzboten bekannt geworden, in denen sie sich über die
zurzeit bestehenden Zustände in verschiednen Zweigen der Verwaltung und über
gewisse Übelstände, die sich allmählich eingeschlichen haben, recht scharf aus¬
sprechen. Sie führen vor allem darüber Beschwerde, daß überall Juristen
eindringen, wo Fachmänner besser am Platze wären. Der ältere Aufsatz in
Nummer 1 und 2 der Grenzboten vom Jahre 1897 trägt den Titel: „Der juristische
Zopf" und zeigt schon durch die Wahl des Titels, welches Ziel der Verfasser
im Auge hat. Er geht verschiedne Zweige der Verwaltung durch und bespricht
ihre Besetzung mit Beamten, unter denen die Juristen in der Mehrzahl Vor¬
häute»? sind. Nach seiner Meinung wäre es dringend nötig, von der Tradition
abzugehn, daß die leitenden Stellen in allen Ressorts den Juristen zukommen.
Eine Fülle tüchtiger Kräfte läge bei uns brach, weil ihnen der amtliche Stempel
für ihre Verwendbarkeit fehle. Diese Kräfte müßten dort verwandt werden,
wo sie dem Gemeinwohl den größten Nutzen stiften könnten. Unser ganzes
öffentliches Leben hätte davon Vorteil. „Nicht zum wenigsten — heißt es
am Schlüsse des Aufsatzes wörtlich — würde ihn das Ressort des Justiz¬
ministeriums verspüren, wenn durch den Bruch des Juristenprivilcgiums die
Bahn zu allen leitenden Stellungen den dazu innerlich berufnen Männern
ohne Rücksicht auf ihre besondre Vorbildung freigegeben würde. Es würde
dann der ungesunde Zudrang zum Eintritt in die juristische Lauf¬
bahn ganz unausbleiblich eine große Einschränkung erfahren, es würden in
diese Laufbahn im wesentlichen nur solche jungen Leute eintreten, die zur
Mitwirkung an der Rechtsprechung als Richter, Staatsanwälte und Rechts¬
anwälte auch wirklich den Beruf in sich fühlen, es wäre nicht mehr zu be¬
sorgen, daß der juristischen Tätigkeit im engsten Sinne die besten Kräfte durch
die Vorteile des Übertritts in die nur formell die juristische Befähigung
fordernden Berufszweige weggelockt würden. Im Interesse des juristischen
Berufs selbst müsse man die Forderung unterstützen, die zugunsten einer
gesunden Weiterentwicklung unsers öffentlichen Lebens überhaupt nachdrücklich
erhoben werden muß: fort mit dem juristischen Zopf!"

Der zweite zehn Jahre später erschienene Aufsatz in den Nummern 28,
30 und 31 der Grenzboten vom Jahre 1907 ist betitelt: „Nochmals der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/376>, abgerufen am 25.08.2024.