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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewegung

waltung bestehender Städte. Denn sie hat ja das Obereigentum über das
ganze Gebiet und braucht deshalb nur solche Bauten zuzulassen, die die Zu¬
stimmung ihrer Künstlerkommission gefunden haben.

In den englischen Gartenstädten werden nach dortiger Wohnsitte aus¬
schließlich Einfamilienhäuser gebaut, die entweder allein stehn oder auch zu
Gruppen und ganzen Reihen vereinigt werden. Die deutsche Gartenstadt¬
gesellschaft hat sich nicht auf das Eiufamilienhaus festgelegt. Wir werden
uns den heimischen Bedürfnissen anpassen müssen. Ohne Zweifel lassen sich
ja auch die ganz kleinen Wohnungen bedeutend verbilligen, daß man zwei bis
drei übereinander setzt. Man konnte für diesen billigsten Wohnungstypns
zum Beispiel geschlossene Häuserblocks bauen, die im Innern Gurten ent¬
halten. Doch das sind Spezialfragen, die von Fall zu Fall entschieden werden
müssen.

Sehr großer Wert ist darauf zu legen, daß rings um die Stadt eine
breite Zone dauernd baufrei erhalten wird. Eine neuzeitliche Forderung der
Städtebaukunst, die neuerdings vou der Stadt Wien verwirklicht und von
Berlin angestrebt wird. Hierdurch und durch die oben erwähnte Regelung der
Baudichtigkeit wäre von vornherein eine Begrenzung der künftigen Einwohner¬
zahl gegeben. Dadurch ist die Aufgabe des Städtebaukünstlers schärfer um¬
rissen, als wenn es sich um eine beliebig weiterwachsende Anlage handelte.
Vor allem aber wird dadurch verhindert, daß sich wie in den bestehenden
Städten immer neue Steinwälle zwischen den Bewohner und die freie Natur
legen. Dieser Landgürtcl würde an Gärtner und Ackerbauer verpachtet werden,
die in der nahen Stadt ein günstiges Absatzgebiet und gute Verkchrsbedingungen
finden würden und von daher billige elektrische Kraft, Düngstoffe und der¬
gleichen beziehen könnten. Auch die wirtschaftlichen und kultürlichen An¬
regungen der Stadt würden ihm zu Gebote stehn, deren Fehlen eine wichtige
Ursache der immer stärker werdenden Landflucht bildet. Wahrscheinlich könnte
man auf Grund der Rentengutsgesetzgebuug hier auch staatliche Unterstützung
bei der Ansiedlung von landwirtschaftlichen und industriellen Arbeitern finden.

Innerhalb derartiger Gartenstadtsiedlungen wird der Gegensatz zwischen
Stadt und Land wegfallen, der leider unser ganzes öffentliches Leben beherrscht.
Hier wird eine starke natürliche und ideelle Interessengemeinschaft und als Folge
davon das rege Gefühl der Zusammengehörigkeit von Industrie und Land¬
wirtschaft entsteh".

Einsichtige Industrielle werden die Vorzüge der Gartenstädte zu würdigen
wissen, in denen ihnen selbst gute Verkehrsbedingungeu und billiger Boden,
ihren Arbeitern mustergiltige Wohnungen geboten werden. Und noch ein
andrer Gesichtspunkt wird sich hoffentlich immer mehr Geltung verschaffen:
im Kampf um den Weltmarkt hat die Nation die größte Aussicht auf Erfolg,
die die qualitativ höchststehenden Waren zu fertigen versteht. Dafür aber ist
die unerläßliche Voraussetzung eine hoch entwickelte Arbeiterschaft, und deshalb


Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewegung

waltung bestehender Städte. Denn sie hat ja das Obereigentum über das
ganze Gebiet und braucht deshalb nur solche Bauten zuzulassen, die die Zu¬
stimmung ihrer Künstlerkommission gefunden haben.

In den englischen Gartenstädten werden nach dortiger Wohnsitte aus¬
schließlich Einfamilienhäuser gebaut, die entweder allein stehn oder auch zu
Gruppen und ganzen Reihen vereinigt werden. Die deutsche Gartenstadt¬
gesellschaft hat sich nicht auf das Eiufamilienhaus festgelegt. Wir werden
uns den heimischen Bedürfnissen anpassen müssen. Ohne Zweifel lassen sich
ja auch die ganz kleinen Wohnungen bedeutend verbilligen, daß man zwei bis
drei übereinander setzt. Man konnte für diesen billigsten Wohnungstypns
zum Beispiel geschlossene Häuserblocks bauen, die im Innern Gurten ent¬
halten. Doch das sind Spezialfragen, die von Fall zu Fall entschieden werden
müssen.

Sehr großer Wert ist darauf zu legen, daß rings um die Stadt eine
breite Zone dauernd baufrei erhalten wird. Eine neuzeitliche Forderung der
Städtebaukunst, die neuerdings vou der Stadt Wien verwirklicht und von
Berlin angestrebt wird. Hierdurch und durch die oben erwähnte Regelung der
Baudichtigkeit wäre von vornherein eine Begrenzung der künftigen Einwohner¬
zahl gegeben. Dadurch ist die Aufgabe des Städtebaukünstlers schärfer um¬
rissen, als wenn es sich um eine beliebig weiterwachsende Anlage handelte.
Vor allem aber wird dadurch verhindert, daß sich wie in den bestehenden
Städten immer neue Steinwälle zwischen den Bewohner und die freie Natur
legen. Dieser Landgürtcl würde an Gärtner und Ackerbauer verpachtet werden,
die in der nahen Stadt ein günstiges Absatzgebiet und gute Verkchrsbedingungen
finden würden und von daher billige elektrische Kraft, Düngstoffe und der¬
gleichen beziehen könnten. Auch die wirtschaftlichen und kultürlichen An¬
regungen der Stadt würden ihm zu Gebote stehn, deren Fehlen eine wichtige
Ursache der immer stärker werdenden Landflucht bildet. Wahrscheinlich könnte
man auf Grund der Rentengutsgesetzgebuug hier auch staatliche Unterstützung
bei der Ansiedlung von landwirtschaftlichen und industriellen Arbeitern finden.

Innerhalb derartiger Gartenstadtsiedlungen wird der Gegensatz zwischen
Stadt und Land wegfallen, der leider unser ganzes öffentliches Leben beherrscht.
Hier wird eine starke natürliche und ideelle Interessengemeinschaft und als Folge
davon das rege Gefühl der Zusammengehörigkeit von Industrie und Land¬
wirtschaft entsteh«.

Einsichtige Industrielle werden die Vorzüge der Gartenstädte zu würdigen
wissen, in denen ihnen selbst gute Verkehrsbedingungeu und billiger Boden,
ihren Arbeitern mustergiltige Wohnungen geboten werden. Und noch ein
andrer Gesichtspunkt wird sich hoffentlich immer mehr Geltung verschaffen:
im Kampf um den Weltmarkt hat die Nation die größte Aussicht auf Erfolg,
die die qualitativ höchststehenden Waren zu fertigen versteht. Dafür aber ist
die unerläßliche Voraussetzung eine hoch entwickelte Arbeiterschaft, und deshalb


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[0243] Die Ziele und Aussichten der Gartenstadtbewegung waltung bestehender Städte. Denn sie hat ja das Obereigentum über das ganze Gebiet und braucht deshalb nur solche Bauten zuzulassen, die die Zu¬ stimmung ihrer Künstlerkommission gefunden haben. In den englischen Gartenstädten werden nach dortiger Wohnsitte aus¬ schließlich Einfamilienhäuser gebaut, die entweder allein stehn oder auch zu Gruppen und ganzen Reihen vereinigt werden. Die deutsche Gartenstadt¬ gesellschaft hat sich nicht auf das Eiufamilienhaus festgelegt. Wir werden uns den heimischen Bedürfnissen anpassen müssen. Ohne Zweifel lassen sich ja auch die ganz kleinen Wohnungen bedeutend verbilligen, daß man zwei bis drei übereinander setzt. Man konnte für diesen billigsten Wohnungstypns zum Beispiel geschlossene Häuserblocks bauen, die im Innern Gurten ent¬ halten. Doch das sind Spezialfragen, die von Fall zu Fall entschieden werden müssen. Sehr großer Wert ist darauf zu legen, daß rings um die Stadt eine breite Zone dauernd baufrei erhalten wird. Eine neuzeitliche Forderung der Städtebaukunst, die neuerdings vou der Stadt Wien verwirklicht und von Berlin angestrebt wird. Hierdurch und durch die oben erwähnte Regelung der Baudichtigkeit wäre von vornherein eine Begrenzung der künftigen Einwohner¬ zahl gegeben. Dadurch ist die Aufgabe des Städtebaukünstlers schärfer um¬ rissen, als wenn es sich um eine beliebig weiterwachsende Anlage handelte. Vor allem aber wird dadurch verhindert, daß sich wie in den bestehenden Städten immer neue Steinwälle zwischen den Bewohner und die freie Natur legen. Dieser Landgürtcl würde an Gärtner und Ackerbauer verpachtet werden, die in der nahen Stadt ein günstiges Absatzgebiet und gute Verkchrsbedingungen finden würden und von daher billige elektrische Kraft, Düngstoffe und der¬ gleichen beziehen könnten. Auch die wirtschaftlichen und kultürlichen An¬ regungen der Stadt würden ihm zu Gebote stehn, deren Fehlen eine wichtige Ursache der immer stärker werdenden Landflucht bildet. Wahrscheinlich könnte man auf Grund der Rentengutsgesetzgebuug hier auch staatliche Unterstützung bei der Ansiedlung von landwirtschaftlichen und industriellen Arbeitern finden. Innerhalb derartiger Gartenstadtsiedlungen wird der Gegensatz zwischen Stadt und Land wegfallen, der leider unser ganzes öffentliches Leben beherrscht. Hier wird eine starke natürliche und ideelle Interessengemeinschaft und als Folge davon das rege Gefühl der Zusammengehörigkeit von Industrie und Land¬ wirtschaft entsteh«. Einsichtige Industrielle werden die Vorzüge der Gartenstädte zu würdigen wissen, in denen ihnen selbst gute Verkehrsbedingungeu und billiger Boden, ihren Arbeitern mustergiltige Wohnungen geboten werden. Und noch ein andrer Gesichtspunkt wird sich hoffentlich immer mehr Geltung verschaffen: im Kampf um den Weltmarkt hat die Nation die größte Aussicht auf Erfolg, die die qualitativ höchststehenden Waren zu fertigen versteht. Dafür aber ist die unerläßliche Voraussetzung eine hoch entwickelte Arbeiterschaft, und deshalb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/243>, abgerufen am 22.07.2024.