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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Julius Wolfs exakte Nationalökonomie

überhaupt nicht möglich, und ein Optimum, jenseits dessen er nicht mehr vor¬
teilhaft ist. Das gilt z. B. von Betriebsverbesserungen, von arbeitsparenden
Maschinen, von künstlichen Düngemitteln, die alle, über eine gewisse Grenze
hinaus angewandt, die Rentabilität vermindern statt sie zu erhöhen. Es gilt
z. B. auch von exotischen Kolonien, deren Wert stetig sinkt, wie Wolf an¬
erkennt. Und sehr zutreffend und nützlich ist, was er von der Entwicklung
sagt, die heute für viele der Götze ist, den sie anbeten, auf den sie hoffen und
vertrauen. Er nennt es naiv, daß Herbert Spencer und andre die darwinische
Entwicklungslehre auf die Nationalökonomie anwenden; besonders weil dabei
die Entwicklung, die erst bewiesen werden müßte, einfach vorausgesetzt wird;
doppelt naiv, weil "die naturwissenschaftliche Evolution sich würde lieber sagen
die Ansicht von der Evolution der materiellen Weltj selbst einer strengen und
vorurteilsloser Nachprüfung vom Standpunkte der wie im kleinen so auch im
großen exakten Wissenschaft immer noch bedarf". Insbesondre gelte das von
der Selektion, die gleichbedeutend sei mit der Konkurrenz. Zuvörderst sei zu
beachten, daß sie nichts andres vermöge, als Lebenskräfte aufzulösen und
ihre Betätigung in eine bestimmte Richtung zu lenken; wo solche Kräfte nicht
vorhanden seien, da vermöge sie nichts. Sodann sei die Annahme eines (durch
Selektion zu bewirkenden) endlosen Fortschritts eine durch nichts bewiesne
Voraussetzung und kaum als Hypothese zu bewerten. Und endlich sei es be¬
sonders bedenklich, sie auf menschliche Verhältnisse, auf die Nationalökonomie
anzuwenden, weil wir in dieser Bestrebungen, die Konkurrenz teils auszuschalten,
teils unwirksam zu machen, erfolgreich tätig sehen. Der Zukunft stellt Wolf
folgende Prognose. Wahrscheinlich werde sich der Fortschritt der Gütererzeugung
und Verbilligung stetig verlangsamen und vielleicht ganz aufhören. Steigen
werde die Grundrente (weil ja das Land immer knapper wird) und die Macht
der Masse, der exekutiven Arbeiter, wenn unsre weißen Arbeiter nicht etwa
von den gelben niederkonknrriert werden. Demnach wird auch der Arbeitslohn
steigen, die Steigerung freilich zum Teil oder ganz von der steigenden Grund¬
rente verschlungen werden. Sinken werden der Lohn der dispositiven Arbeit
(der Unternehmergewinn) und der Kapitalzins. Deshalb wird der Antagonismus
zwischen Unternehmern oder Kapitalisten und Lohnarbeitern von dem zwischen
allen Arten von Arbeitern und den Bodenrentnern abgelöst werden. Damit
ist, scheint mir, bewiesen, daß Malthus im Grunde genommen und am letzten
Ende recht hat. In der Fassung, die er seinem Gesetze gegeben hat, ist dieses
selbstverständlich falsch; die Geschichte seit seinen Tagen hat es glänzend wider¬
legt, und auch Wolf rekapituliert die Widerlegung noch einmal. Aber daß
auch die Volksvermehrung ihr Optimum hat, daß sie zwar bis zu diesem die
Güterproduktion, auch die Nahrnngsmittelproduktion, erhöht (was Malthus
nicht erkannte), über dieses hinaus aber bewirkt, daß die Nahrungsmittelpro¬
duktion mit ihr nicht mehr gleichen Schritt halten kann, daß abgesehen von
der erschwerten Versorgung mit Nahrungsmitteln allzugroße Volksdichtigkeit


Julius Wolfs exakte Nationalökonomie

überhaupt nicht möglich, und ein Optimum, jenseits dessen er nicht mehr vor¬
teilhaft ist. Das gilt z. B. von Betriebsverbesserungen, von arbeitsparenden
Maschinen, von künstlichen Düngemitteln, die alle, über eine gewisse Grenze
hinaus angewandt, die Rentabilität vermindern statt sie zu erhöhen. Es gilt
z. B. auch von exotischen Kolonien, deren Wert stetig sinkt, wie Wolf an¬
erkennt. Und sehr zutreffend und nützlich ist, was er von der Entwicklung
sagt, die heute für viele der Götze ist, den sie anbeten, auf den sie hoffen und
vertrauen. Er nennt es naiv, daß Herbert Spencer und andre die darwinische
Entwicklungslehre auf die Nationalökonomie anwenden; besonders weil dabei
die Entwicklung, die erst bewiesen werden müßte, einfach vorausgesetzt wird;
doppelt naiv, weil „die naturwissenschaftliche Evolution sich würde lieber sagen
die Ansicht von der Evolution der materiellen Weltj selbst einer strengen und
vorurteilsloser Nachprüfung vom Standpunkte der wie im kleinen so auch im
großen exakten Wissenschaft immer noch bedarf". Insbesondre gelte das von
der Selektion, die gleichbedeutend sei mit der Konkurrenz. Zuvörderst sei zu
beachten, daß sie nichts andres vermöge, als Lebenskräfte aufzulösen und
ihre Betätigung in eine bestimmte Richtung zu lenken; wo solche Kräfte nicht
vorhanden seien, da vermöge sie nichts. Sodann sei die Annahme eines (durch
Selektion zu bewirkenden) endlosen Fortschritts eine durch nichts bewiesne
Voraussetzung und kaum als Hypothese zu bewerten. Und endlich sei es be¬
sonders bedenklich, sie auf menschliche Verhältnisse, auf die Nationalökonomie
anzuwenden, weil wir in dieser Bestrebungen, die Konkurrenz teils auszuschalten,
teils unwirksam zu machen, erfolgreich tätig sehen. Der Zukunft stellt Wolf
folgende Prognose. Wahrscheinlich werde sich der Fortschritt der Gütererzeugung
und Verbilligung stetig verlangsamen und vielleicht ganz aufhören. Steigen
werde die Grundrente (weil ja das Land immer knapper wird) und die Macht
der Masse, der exekutiven Arbeiter, wenn unsre weißen Arbeiter nicht etwa
von den gelben niederkonknrriert werden. Demnach wird auch der Arbeitslohn
steigen, die Steigerung freilich zum Teil oder ganz von der steigenden Grund¬
rente verschlungen werden. Sinken werden der Lohn der dispositiven Arbeit
(der Unternehmergewinn) und der Kapitalzins. Deshalb wird der Antagonismus
zwischen Unternehmern oder Kapitalisten und Lohnarbeitern von dem zwischen
allen Arten von Arbeitern und den Bodenrentnern abgelöst werden. Damit
ist, scheint mir, bewiesen, daß Malthus im Grunde genommen und am letzten
Ende recht hat. In der Fassung, die er seinem Gesetze gegeben hat, ist dieses
selbstverständlich falsch; die Geschichte seit seinen Tagen hat es glänzend wider¬
legt, und auch Wolf rekapituliert die Widerlegung noch einmal. Aber daß
auch die Volksvermehrung ihr Optimum hat, daß sie zwar bis zu diesem die
Güterproduktion, auch die Nahrnngsmittelproduktion, erhöht (was Malthus
nicht erkannte), über dieses hinaus aber bewirkt, daß die Nahrungsmittelpro¬
duktion mit ihr nicht mehr gleichen Schritt halten kann, daß abgesehen von
der erschwerten Versorgung mit Nahrungsmitteln allzugroße Volksdichtigkeit


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[0235] Julius Wolfs exakte Nationalökonomie überhaupt nicht möglich, und ein Optimum, jenseits dessen er nicht mehr vor¬ teilhaft ist. Das gilt z. B. von Betriebsverbesserungen, von arbeitsparenden Maschinen, von künstlichen Düngemitteln, die alle, über eine gewisse Grenze hinaus angewandt, die Rentabilität vermindern statt sie zu erhöhen. Es gilt z. B. auch von exotischen Kolonien, deren Wert stetig sinkt, wie Wolf an¬ erkennt. Und sehr zutreffend und nützlich ist, was er von der Entwicklung sagt, die heute für viele der Götze ist, den sie anbeten, auf den sie hoffen und vertrauen. Er nennt es naiv, daß Herbert Spencer und andre die darwinische Entwicklungslehre auf die Nationalökonomie anwenden; besonders weil dabei die Entwicklung, die erst bewiesen werden müßte, einfach vorausgesetzt wird; doppelt naiv, weil „die naturwissenschaftliche Evolution sich würde lieber sagen die Ansicht von der Evolution der materiellen Weltj selbst einer strengen und vorurteilsloser Nachprüfung vom Standpunkte der wie im kleinen so auch im großen exakten Wissenschaft immer noch bedarf". Insbesondre gelte das von der Selektion, die gleichbedeutend sei mit der Konkurrenz. Zuvörderst sei zu beachten, daß sie nichts andres vermöge, als Lebenskräfte aufzulösen und ihre Betätigung in eine bestimmte Richtung zu lenken; wo solche Kräfte nicht vorhanden seien, da vermöge sie nichts. Sodann sei die Annahme eines (durch Selektion zu bewirkenden) endlosen Fortschritts eine durch nichts bewiesne Voraussetzung und kaum als Hypothese zu bewerten. Und endlich sei es be¬ sonders bedenklich, sie auf menschliche Verhältnisse, auf die Nationalökonomie anzuwenden, weil wir in dieser Bestrebungen, die Konkurrenz teils auszuschalten, teils unwirksam zu machen, erfolgreich tätig sehen. Der Zukunft stellt Wolf folgende Prognose. Wahrscheinlich werde sich der Fortschritt der Gütererzeugung und Verbilligung stetig verlangsamen und vielleicht ganz aufhören. Steigen werde die Grundrente (weil ja das Land immer knapper wird) und die Macht der Masse, der exekutiven Arbeiter, wenn unsre weißen Arbeiter nicht etwa von den gelben niederkonknrriert werden. Demnach wird auch der Arbeitslohn steigen, die Steigerung freilich zum Teil oder ganz von der steigenden Grund¬ rente verschlungen werden. Sinken werden der Lohn der dispositiven Arbeit (der Unternehmergewinn) und der Kapitalzins. Deshalb wird der Antagonismus zwischen Unternehmern oder Kapitalisten und Lohnarbeitern von dem zwischen allen Arten von Arbeitern und den Bodenrentnern abgelöst werden. Damit ist, scheint mir, bewiesen, daß Malthus im Grunde genommen und am letzten Ende recht hat. In der Fassung, die er seinem Gesetze gegeben hat, ist dieses selbstverständlich falsch; die Geschichte seit seinen Tagen hat es glänzend wider¬ legt, und auch Wolf rekapituliert die Widerlegung noch einmal. Aber daß auch die Volksvermehrung ihr Optimum hat, daß sie zwar bis zu diesem die Güterproduktion, auch die Nahrnngsmittelproduktion, erhöht (was Malthus nicht erkannte), über dieses hinaus aber bewirkt, daß die Nahrungsmittelpro¬ duktion mit ihr nicht mehr gleichen Schritt halten kann, daß abgesehen von der erschwerten Versorgung mit Nahrungsmitteln allzugroße Volksdichtigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/235>, abgerufen am 22.07.2024.