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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Amurbahn

vom Jahre 1896 glaubte man mit der sekundären Verbindung auf dem Wasser¬
wege auszukommen, mußte dies aber im Kriege 1904/05 als verhängnisvollen
Fehler erkennen. Als nach dem Kriege die Bahnverbindung als unabweisbare
Notwendigkeit empfunden wurde, faßte man wieder nur die schwierige Strecke
Ssrjetjensk-Pokrowskaja als Staatsbahn ernstlich ins Auge und hoffte für
den Anschluß nach Chabarowsk den privaten Unternehmungsgeist interessieren
zu können. Weil aber die Finanzkraft der sich dafür erbietenden Bewerber zum
mindesten nicht ausreichend erscheinen mußte, eine Reihe von Jahren ohne
Einnahmen und mit Zuschüssen den Betrieb aufrecht zu erhalten, wurde noch
in der letzten Zeit der rein absolutistischen Regierungsform grundsätzlich be¬
schlossen, den Bau der Gesamtstrecke auf Staatskosten als staatliche Unternehmung
auszuführen. Und dies vollkommen mit Recht, denn die Bedeutung der Amurbahn
kann eben nur in ihren Beziehungen zu den allgemeinen Staatsausgaben richtig
eingeschützt werden, wobei unmittelbare Verluste oder Mindereinnahmen durch
anderwärts sich ergebende Vorteile ausgeglichen werden. Daß die strategische
Bedeutung, die die Bahn durch ihre verhältnismäßig gesicherte, jedenfalls gegen
jede Beschießung vom rechten Amurufer unbedingt geschützte Lage fern vom Ufer,
in dieser Beziehung an erster Stelle genannt werden muß, ergibt sich aus dem
schon gesagten von selbst. Die eben erwähnte Entfernung von dem die Grenze
bildenden Amur darf jedoch etwa 130 Kilometer nicht übersteigen; andernfalls
könnte die Amurbahn nicht von vornherein als Hauptbahnlinie ausgebaut
werden und müßte auf lange Strecken den Charakter einer Gebirgsbahn annehmen.
Diesen bei der sibirischen Eisenbahn als sehr unliebsam und betrieberschwerend
erkannten Zustand will man unter allen Umständen vermeiden. Da es ferner er¬
wünscht ist, das wertvollste Land unmittelbar aufzuschließen, wurde beschlossen, die
Trasse im allgemeinen zwischen 16 und 130 Kilometern nördlich vom Amur zu
führen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1906 sind die Vorarbeiten für die
Festlegung dieser Trasse zugleich von Osten und Westen begonnen worden.

Das Ergebnis dieser Arbeiten ist dem von den gesetzgebenden Körperschaften
angenommnen Entwurf für den Bahnbau zugrunde gelegt. Danach wird die
Eisenbahn bei der auf der etwa 235 Kilometer jenseits von Karymskaja gelegnen
Haltestelle mit Ausweichegeleis Kuenga von der Strecke nach Ssrjetjensk ab¬
zweigen, im Tale der Kueuga und des Aleur aufsteigen und nacheinander, die
Wasserscheiden zwischen ihnen überwindend, die Täter der Ungurka, des Urjum
und Amasar bis in der Höhe von Pokrowskcija benutzen. Diese etwa 500 Kilo¬
meter messende Strecke ist zwar um 100 Kilometer länger als die früher
beabsichtigte im steil eingeschnittnen Felsentale der Schilka, bietet aber für deu
Bau sehr viel weniger Schwierigkeiten und kostet 6 Millionen Rubel weniger.
Sie wird in diesem Jahre begonnen.

Für die Wetterführung der Trasse war maßgebend, den Westabschnitt der
Bahn an der Einmündung des Belau in die 850 Kilometer weit schiffbare
Seja enden zu lassen, von wo aus dieser Fluß auch von größern für Truppen-


Die Amurbahn

vom Jahre 1896 glaubte man mit der sekundären Verbindung auf dem Wasser¬
wege auszukommen, mußte dies aber im Kriege 1904/05 als verhängnisvollen
Fehler erkennen. Als nach dem Kriege die Bahnverbindung als unabweisbare
Notwendigkeit empfunden wurde, faßte man wieder nur die schwierige Strecke
Ssrjetjensk-Pokrowskaja als Staatsbahn ernstlich ins Auge und hoffte für
den Anschluß nach Chabarowsk den privaten Unternehmungsgeist interessieren
zu können. Weil aber die Finanzkraft der sich dafür erbietenden Bewerber zum
mindesten nicht ausreichend erscheinen mußte, eine Reihe von Jahren ohne
Einnahmen und mit Zuschüssen den Betrieb aufrecht zu erhalten, wurde noch
in der letzten Zeit der rein absolutistischen Regierungsform grundsätzlich be¬
schlossen, den Bau der Gesamtstrecke auf Staatskosten als staatliche Unternehmung
auszuführen. Und dies vollkommen mit Recht, denn die Bedeutung der Amurbahn
kann eben nur in ihren Beziehungen zu den allgemeinen Staatsausgaben richtig
eingeschützt werden, wobei unmittelbare Verluste oder Mindereinnahmen durch
anderwärts sich ergebende Vorteile ausgeglichen werden. Daß die strategische
Bedeutung, die die Bahn durch ihre verhältnismäßig gesicherte, jedenfalls gegen
jede Beschießung vom rechten Amurufer unbedingt geschützte Lage fern vom Ufer,
in dieser Beziehung an erster Stelle genannt werden muß, ergibt sich aus dem
schon gesagten von selbst. Die eben erwähnte Entfernung von dem die Grenze
bildenden Amur darf jedoch etwa 130 Kilometer nicht übersteigen; andernfalls
könnte die Amurbahn nicht von vornherein als Hauptbahnlinie ausgebaut
werden und müßte auf lange Strecken den Charakter einer Gebirgsbahn annehmen.
Diesen bei der sibirischen Eisenbahn als sehr unliebsam und betrieberschwerend
erkannten Zustand will man unter allen Umständen vermeiden. Da es ferner er¬
wünscht ist, das wertvollste Land unmittelbar aufzuschließen, wurde beschlossen, die
Trasse im allgemeinen zwischen 16 und 130 Kilometern nördlich vom Amur zu
führen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1906 sind die Vorarbeiten für die
Festlegung dieser Trasse zugleich von Osten und Westen begonnen worden.

Das Ergebnis dieser Arbeiten ist dem von den gesetzgebenden Körperschaften
angenommnen Entwurf für den Bahnbau zugrunde gelegt. Danach wird die
Eisenbahn bei der auf der etwa 235 Kilometer jenseits von Karymskaja gelegnen
Haltestelle mit Ausweichegeleis Kuenga von der Strecke nach Ssrjetjensk ab¬
zweigen, im Tale der Kueuga und des Aleur aufsteigen und nacheinander, die
Wasserscheiden zwischen ihnen überwindend, die Täter der Ungurka, des Urjum
und Amasar bis in der Höhe von Pokrowskcija benutzen. Diese etwa 500 Kilo¬
meter messende Strecke ist zwar um 100 Kilometer länger als die früher
beabsichtigte im steil eingeschnittnen Felsentale der Schilka, bietet aber für deu
Bau sehr viel weniger Schwierigkeiten und kostet 6 Millionen Rubel weniger.
Sie wird in diesem Jahre begonnen.

Für die Wetterführung der Trasse war maßgebend, den Westabschnitt der
Bahn an der Einmündung des Belau in die 850 Kilometer weit schiffbare
Seja enden zu lassen, von wo aus dieser Fluß auch von größern für Truppen-


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[0228] Die Amurbahn vom Jahre 1896 glaubte man mit der sekundären Verbindung auf dem Wasser¬ wege auszukommen, mußte dies aber im Kriege 1904/05 als verhängnisvollen Fehler erkennen. Als nach dem Kriege die Bahnverbindung als unabweisbare Notwendigkeit empfunden wurde, faßte man wieder nur die schwierige Strecke Ssrjetjensk-Pokrowskaja als Staatsbahn ernstlich ins Auge und hoffte für den Anschluß nach Chabarowsk den privaten Unternehmungsgeist interessieren zu können. Weil aber die Finanzkraft der sich dafür erbietenden Bewerber zum mindesten nicht ausreichend erscheinen mußte, eine Reihe von Jahren ohne Einnahmen und mit Zuschüssen den Betrieb aufrecht zu erhalten, wurde noch in der letzten Zeit der rein absolutistischen Regierungsform grundsätzlich be¬ schlossen, den Bau der Gesamtstrecke auf Staatskosten als staatliche Unternehmung auszuführen. Und dies vollkommen mit Recht, denn die Bedeutung der Amurbahn kann eben nur in ihren Beziehungen zu den allgemeinen Staatsausgaben richtig eingeschützt werden, wobei unmittelbare Verluste oder Mindereinnahmen durch anderwärts sich ergebende Vorteile ausgeglichen werden. Daß die strategische Bedeutung, die die Bahn durch ihre verhältnismäßig gesicherte, jedenfalls gegen jede Beschießung vom rechten Amurufer unbedingt geschützte Lage fern vom Ufer, in dieser Beziehung an erster Stelle genannt werden muß, ergibt sich aus dem schon gesagten von selbst. Die eben erwähnte Entfernung von dem die Grenze bildenden Amur darf jedoch etwa 130 Kilometer nicht übersteigen; andernfalls könnte die Amurbahn nicht von vornherein als Hauptbahnlinie ausgebaut werden und müßte auf lange Strecken den Charakter einer Gebirgsbahn annehmen. Diesen bei der sibirischen Eisenbahn als sehr unliebsam und betrieberschwerend erkannten Zustand will man unter allen Umständen vermeiden. Da es ferner er¬ wünscht ist, das wertvollste Land unmittelbar aufzuschließen, wurde beschlossen, die Trasse im allgemeinen zwischen 16 und 130 Kilometern nördlich vom Amur zu führen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1906 sind die Vorarbeiten für die Festlegung dieser Trasse zugleich von Osten und Westen begonnen worden. Das Ergebnis dieser Arbeiten ist dem von den gesetzgebenden Körperschaften angenommnen Entwurf für den Bahnbau zugrunde gelegt. Danach wird die Eisenbahn bei der auf der etwa 235 Kilometer jenseits von Karymskaja gelegnen Haltestelle mit Ausweichegeleis Kuenga von der Strecke nach Ssrjetjensk ab¬ zweigen, im Tale der Kueuga und des Aleur aufsteigen und nacheinander, die Wasserscheiden zwischen ihnen überwindend, die Täter der Ungurka, des Urjum und Amasar bis in der Höhe von Pokrowskcija benutzen. Diese etwa 500 Kilo¬ meter messende Strecke ist zwar um 100 Kilometer länger als die früher beabsichtigte im steil eingeschnittnen Felsentale der Schilka, bietet aber für deu Bau sehr viel weniger Schwierigkeiten und kostet 6 Millionen Rubel weniger. Sie wird in diesem Jahre begonnen. Für die Wetterführung der Trasse war maßgebend, den Westabschnitt der Bahn an der Einmündung des Belau in die 850 Kilometer weit schiffbare Seja enden zu lassen, von wo aus dieser Fluß auch von größern für Truppen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/228>, abgerufen am 22.07.2024.