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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Amurbahn

Die vom Grafen Witte angeschnittne Frage, ob die russischen Finanzen
die Ausführung des Baus im allgemeinen und seine Beschleunigung im be¬
sondern vertragen, ist bekanntlich vom Ministerpräsidenten und vom Finanz¬
minister unbedenklich bejaht worden. Die Entkräftung der andern, zu Anfang
mitgeteilten Einwendungen dürfte weniger gelungen sein; insbesondre kann als
zweifellos angenommen werden, daß dem russischen Staatssäckel noch schwere
Opfer auferlegt werden müssen, um die durch den Bahnbau wertvoller gewordne
Kolonie dem Reiche zu erhalten. Je mehr Mittel hierfür verwandt werden,
um so schwerer ist aber ein Zurück auf diesem Wege, um so fester muß das
russische Volk mit Gut und Blut bei der unvermeidlichen Abrechnung mit
Japan für die Kolonie einstehn. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Be¬
schleunigung des Bahnbaus jedoch erst recht geboten. Auch nur durch den
Bahnbau und die durch ihn bedingte Erschließung des Landes für russische
Auswandrer kann der Gefahr der friedlichen Eroberung durch die gelbe Nasse
und der dadurch hervorgerufnen Verschlechterung der militärischen Lage Ru߬
lands wirksam vorgebeugt werden.

Bei der Beurteilung der Bedeutung der Bahn kommt natürlich in Frage,
ob Amurland eine so wertvolle Kolonie ist, daß ihre Aufschließung die dafür
aufgewandten Kosten wenigstens später einmal lohnt. In dieser wichtigen Be¬
ziehung sind die Meinungen geteilt. Der Ministerpräsident machte jedoch mit
Recht darauf aufmerksam, wie fehlerhaft es wäre, die Ausbeutung der natür¬
lichen Reichtümer des Landes Fremden zu überlassen, und wies auf das sich
in den Händen der Regierung befindende statistische Material hin. Aus
meinen an einer andern Stelle*) gedruckten, auf die Untersuchungen namhafter
unparteiischer Reisenden gegründeten Angaben will ich im Auszug nur die
folgenden wiedergeben.

Trotzdem das Klima mit seinen harten, anhaltenden und ziemlich nieder¬
schlagsarmen Wintern nicht sonderlich freundlich ist, hat sich doch in den
Taigawäldern des Gebiets ein kräftiger artenreicher, als Nutzholz vorzüglich
geeigneter Baumwuchs von Laub- und Nadelholz entwickelt und bedeckt sich
das Niederungsland der Täter des Amurs und seiner bedeutenden Zuflüsse
in der sehr heißen Sommerszeit mit dem üppigsten Graswuchs; die Sejci und
Vurejaniederung wird gern als Amurprürie bezeichnet. Hier wie überhaupt
in den Tälern und auf den Vorbergen wird der Ackerbau schon mit so gutem
Erfolg betrieben, daß zum Beispiel ziemlich große Mengen Weizens zum Ver¬
kauf außer Landes gestellt werden können, eine verbesserte Wirtschaftsweise mit
Maschinenbetrieb die Regel und Wohlstand fast allgemein ist. Nach ober¬
flächlicher Schätzung kann sich die bäuerliche Bevölkerung noch mindestens auf
das sechsfache vermehren, ohne daß selbst bei dem bisherigen extensiven Betriebe
Landnot eintritt. Neben der Landwirtschaft liefern Jagd und Fischfang bei



*) Zeitschrift Asien, 1903, Heft 6, 7, 8,
Die Amurbahn

Die vom Grafen Witte angeschnittne Frage, ob die russischen Finanzen
die Ausführung des Baus im allgemeinen und seine Beschleunigung im be¬
sondern vertragen, ist bekanntlich vom Ministerpräsidenten und vom Finanz¬
minister unbedenklich bejaht worden. Die Entkräftung der andern, zu Anfang
mitgeteilten Einwendungen dürfte weniger gelungen sein; insbesondre kann als
zweifellos angenommen werden, daß dem russischen Staatssäckel noch schwere
Opfer auferlegt werden müssen, um die durch den Bahnbau wertvoller gewordne
Kolonie dem Reiche zu erhalten. Je mehr Mittel hierfür verwandt werden,
um so schwerer ist aber ein Zurück auf diesem Wege, um so fester muß das
russische Volk mit Gut und Blut bei der unvermeidlichen Abrechnung mit
Japan für die Kolonie einstehn. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Be¬
schleunigung des Bahnbaus jedoch erst recht geboten. Auch nur durch den
Bahnbau und die durch ihn bedingte Erschließung des Landes für russische
Auswandrer kann der Gefahr der friedlichen Eroberung durch die gelbe Nasse
und der dadurch hervorgerufnen Verschlechterung der militärischen Lage Ru߬
lands wirksam vorgebeugt werden.

Bei der Beurteilung der Bedeutung der Bahn kommt natürlich in Frage,
ob Amurland eine so wertvolle Kolonie ist, daß ihre Aufschließung die dafür
aufgewandten Kosten wenigstens später einmal lohnt. In dieser wichtigen Be¬
ziehung sind die Meinungen geteilt. Der Ministerpräsident machte jedoch mit
Recht darauf aufmerksam, wie fehlerhaft es wäre, die Ausbeutung der natür¬
lichen Reichtümer des Landes Fremden zu überlassen, und wies auf das sich
in den Händen der Regierung befindende statistische Material hin. Aus
meinen an einer andern Stelle*) gedruckten, auf die Untersuchungen namhafter
unparteiischer Reisenden gegründeten Angaben will ich im Auszug nur die
folgenden wiedergeben.

Trotzdem das Klima mit seinen harten, anhaltenden und ziemlich nieder¬
schlagsarmen Wintern nicht sonderlich freundlich ist, hat sich doch in den
Taigawäldern des Gebiets ein kräftiger artenreicher, als Nutzholz vorzüglich
geeigneter Baumwuchs von Laub- und Nadelholz entwickelt und bedeckt sich
das Niederungsland der Täter des Amurs und seiner bedeutenden Zuflüsse
in der sehr heißen Sommerszeit mit dem üppigsten Graswuchs; die Sejci und
Vurejaniederung wird gern als Amurprürie bezeichnet. Hier wie überhaupt
in den Tälern und auf den Vorbergen wird der Ackerbau schon mit so gutem
Erfolg betrieben, daß zum Beispiel ziemlich große Mengen Weizens zum Ver¬
kauf außer Landes gestellt werden können, eine verbesserte Wirtschaftsweise mit
Maschinenbetrieb die Regel und Wohlstand fast allgemein ist. Nach ober¬
flächlicher Schätzung kann sich die bäuerliche Bevölkerung noch mindestens auf
das sechsfache vermehren, ohne daß selbst bei dem bisherigen extensiven Betriebe
Landnot eintritt. Neben der Landwirtschaft liefern Jagd und Fischfang bei



*) Zeitschrift Asien, 1903, Heft 6, 7, 8,
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[0226] Die Amurbahn Die vom Grafen Witte angeschnittne Frage, ob die russischen Finanzen die Ausführung des Baus im allgemeinen und seine Beschleunigung im be¬ sondern vertragen, ist bekanntlich vom Ministerpräsidenten und vom Finanz¬ minister unbedenklich bejaht worden. Die Entkräftung der andern, zu Anfang mitgeteilten Einwendungen dürfte weniger gelungen sein; insbesondre kann als zweifellos angenommen werden, daß dem russischen Staatssäckel noch schwere Opfer auferlegt werden müssen, um die durch den Bahnbau wertvoller gewordne Kolonie dem Reiche zu erhalten. Je mehr Mittel hierfür verwandt werden, um so schwerer ist aber ein Zurück auf diesem Wege, um so fester muß das russische Volk mit Gut und Blut bei der unvermeidlichen Abrechnung mit Japan für die Kolonie einstehn. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Be¬ schleunigung des Bahnbaus jedoch erst recht geboten. Auch nur durch den Bahnbau und die durch ihn bedingte Erschließung des Landes für russische Auswandrer kann der Gefahr der friedlichen Eroberung durch die gelbe Nasse und der dadurch hervorgerufnen Verschlechterung der militärischen Lage Ru߬ lands wirksam vorgebeugt werden. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Bahn kommt natürlich in Frage, ob Amurland eine so wertvolle Kolonie ist, daß ihre Aufschließung die dafür aufgewandten Kosten wenigstens später einmal lohnt. In dieser wichtigen Be¬ ziehung sind die Meinungen geteilt. Der Ministerpräsident machte jedoch mit Recht darauf aufmerksam, wie fehlerhaft es wäre, die Ausbeutung der natür¬ lichen Reichtümer des Landes Fremden zu überlassen, und wies auf das sich in den Händen der Regierung befindende statistische Material hin. Aus meinen an einer andern Stelle*) gedruckten, auf die Untersuchungen namhafter unparteiischer Reisenden gegründeten Angaben will ich im Auszug nur die folgenden wiedergeben. Trotzdem das Klima mit seinen harten, anhaltenden und ziemlich nieder¬ schlagsarmen Wintern nicht sonderlich freundlich ist, hat sich doch in den Taigawäldern des Gebiets ein kräftiger artenreicher, als Nutzholz vorzüglich geeigneter Baumwuchs von Laub- und Nadelholz entwickelt und bedeckt sich das Niederungsland der Täter des Amurs und seiner bedeutenden Zuflüsse in der sehr heißen Sommerszeit mit dem üppigsten Graswuchs; die Sejci und Vurejaniederung wird gern als Amurprürie bezeichnet. Hier wie überhaupt in den Tälern und auf den Vorbergen wird der Ackerbau schon mit so gutem Erfolg betrieben, daß zum Beispiel ziemlich große Mengen Weizens zum Ver¬ kauf außer Landes gestellt werden können, eine verbesserte Wirtschaftsweise mit Maschinenbetrieb die Regel und Wohlstand fast allgemein ist. Nach ober¬ flächlicher Schätzung kann sich die bäuerliche Bevölkerung noch mindestens auf das sechsfache vermehren, ohne daß selbst bei dem bisherigen extensiven Betriebe Landnot eintritt. Neben der Landwirtschaft liefern Jagd und Fischfang bei *) Zeitschrift Asien, 1903, Heft 6, 7, 8,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/226>, abgerufen am 22.07.2024.