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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Ainurbahn

1 bis 1^/2 Meter haben. Wenn sich das Hochwasser verlaufen hat, dauert
sogar die Talfahrt von Ssrjetjensk bis Blagowjcschtschensk anstatt der plan¬
mäßigen vier Tage drei ganze Wochen, weil fortwährend Aus- und Umladungen
eintreten müssen. Die Amurschiffahrtsflottille zählte zwar im Jahre 1905
150 Dampfer und 230 Kühne, aber sie ist mit diesen Einschränkungen nur
fünf Monate im Jahre in Betrieb. Weit besser ist der Amur mit seinen
Nebenflüssen als Schlittenstraße zur Winterszeit. Aber in der mehrmonatigen
Übergangszeit im Frühjahr und Herbst ist jeder Verkehr ans die Landver¬
bindung angewiesen. Diese, der "Hauptposttrakt", der im allgemeinen dem
linken Stromufer parallel folgt, ist nur auf 820 Kilometer fahrbar und auf
1000 Kilometer Saumpfad und in der Zeit der durch Regen hervorgerufnen
Weglosigkeit fast unbenützbar. So ist es begreiflich, daß der Ministerpräsident
Stolypin erklären konnte, daß die baldige Bereitstellung der Mittel für den
an sich teuern Bau der eine sichre Landverbindung ergebenden Amurbahn trotz
anderweitiger starker Inanspruchnahme des Staatskredits auch wirtschaftlich
rationeller sei als die Verschiebung der Ausführung des Bahnbaus. Denn
unter den gegenwärtigen Verhältnissen muß aus den schon dargelegten poli¬
tischen und militärischen Gründen eine viel stärkere Truppenzahl draußen im
Osten dauernd bereit stehn, als später nötig sein wird. Ganz abgesehen von
dem volkswirtschaftlichen Nachteil der vermehrten Entziehung von Kräften aus
dem Erwerbsleben sind für die Kasernierung, Erhaltung und Ausbildung dieser
Truppen bedeutende Summen aufzubringen; und wenn eingewandt wird, daß
Befestigungen zum Schutz der künftigen Eisenbahn unvermeidlich sein werden,
so muß demgegenüber erwidert werden, daß feste Stützpunkte für die Truppen
im Osten erst recht unentbehrlich sind, wenn sie ohne Bahnverbindung auf sich
allein angewiesen sind. Übrigens hat der Ministerpräsident meines Trachtens
mit vollem Recht auch darauf hingewiesen, daß es widersinnig sei, Maßregeln
und Ausgaben der Amurbahn aufs Konto zu setzen. die sich wie das zweite
Geleise der sibirischen Eisenbahn und der Transbaikalbahn oder die Gründung
einer Flußkanonenbootflottille auf dem Amur oder die Förderung der Aus¬
wanderung mit Staatsmitteln von selbst gebieterisch aufdrängen.

Wird die Amurbahn als notwendig anerkannt, dann nötigen die dar¬
gelegten Verhältnisse auch zur möglichsten Beschleunigung des Baus, und der
Baubeginn in diesem Jahre ist gerechtfertigt, obwohl über die Führung im
Ostabschnitt noch keine völlige Klarheit erreicht worden ist und den Gegnern
der Unternehmung gegenüber die Entscheidung noch offen gelassen zu sein
scheint, ob man sich nicht auf der letzten Strecke von der Seja abwärts mit
der Verbindung zu Wasser und auf fahrbarer Landstraße begnügt. Natürlich
kann im Ernst nicht daran gedacht werden, daß man sich mit einer solchen
halben Maßregel abfindet, und es ist hierzu um so weniger Grund vorhanden,
als dann nur noch die Überwindung des Lagar-aut-Gebirges einige aber nicht
unüberwindliche Schwierigkeiten für den Bau bereitet.


Grenzboten IV 1908 30
Die Ainurbahn

1 bis 1^/2 Meter haben. Wenn sich das Hochwasser verlaufen hat, dauert
sogar die Talfahrt von Ssrjetjensk bis Blagowjcschtschensk anstatt der plan¬
mäßigen vier Tage drei ganze Wochen, weil fortwährend Aus- und Umladungen
eintreten müssen. Die Amurschiffahrtsflottille zählte zwar im Jahre 1905
150 Dampfer und 230 Kühne, aber sie ist mit diesen Einschränkungen nur
fünf Monate im Jahre in Betrieb. Weit besser ist der Amur mit seinen
Nebenflüssen als Schlittenstraße zur Winterszeit. Aber in der mehrmonatigen
Übergangszeit im Frühjahr und Herbst ist jeder Verkehr ans die Landver¬
bindung angewiesen. Diese, der „Hauptposttrakt", der im allgemeinen dem
linken Stromufer parallel folgt, ist nur auf 820 Kilometer fahrbar und auf
1000 Kilometer Saumpfad und in der Zeit der durch Regen hervorgerufnen
Weglosigkeit fast unbenützbar. So ist es begreiflich, daß der Ministerpräsident
Stolypin erklären konnte, daß die baldige Bereitstellung der Mittel für den
an sich teuern Bau der eine sichre Landverbindung ergebenden Amurbahn trotz
anderweitiger starker Inanspruchnahme des Staatskredits auch wirtschaftlich
rationeller sei als die Verschiebung der Ausführung des Bahnbaus. Denn
unter den gegenwärtigen Verhältnissen muß aus den schon dargelegten poli¬
tischen und militärischen Gründen eine viel stärkere Truppenzahl draußen im
Osten dauernd bereit stehn, als später nötig sein wird. Ganz abgesehen von
dem volkswirtschaftlichen Nachteil der vermehrten Entziehung von Kräften aus
dem Erwerbsleben sind für die Kasernierung, Erhaltung und Ausbildung dieser
Truppen bedeutende Summen aufzubringen; und wenn eingewandt wird, daß
Befestigungen zum Schutz der künftigen Eisenbahn unvermeidlich sein werden,
so muß demgegenüber erwidert werden, daß feste Stützpunkte für die Truppen
im Osten erst recht unentbehrlich sind, wenn sie ohne Bahnverbindung auf sich
allein angewiesen sind. Übrigens hat der Ministerpräsident meines Trachtens
mit vollem Recht auch darauf hingewiesen, daß es widersinnig sei, Maßregeln
und Ausgaben der Amurbahn aufs Konto zu setzen. die sich wie das zweite
Geleise der sibirischen Eisenbahn und der Transbaikalbahn oder die Gründung
einer Flußkanonenbootflottille auf dem Amur oder die Förderung der Aus¬
wanderung mit Staatsmitteln von selbst gebieterisch aufdrängen.

Wird die Amurbahn als notwendig anerkannt, dann nötigen die dar¬
gelegten Verhältnisse auch zur möglichsten Beschleunigung des Baus, und der
Baubeginn in diesem Jahre ist gerechtfertigt, obwohl über die Führung im
Ostabschnitt noch keine völlige Klarheit erreicht worden ist und den Gegnern
der Unternehmung gegenüber die Entscheidung noch offen gelassen zu sein
scheint, ob man sich nicht auf der letzten Strecke von der Seja abwärts mit
der Verbindung zu Wasser und auf fahrbarer Landstraße begnügt. Natürlich
kann im Ernst nicht daran gedacht werden, daß man sich mit einer solchen
halben Maßregel abfindet, und es ist hierzu um so weniger Grund vorhanden,
als dann nur noch die Überwindung des Lagar-aut-Gebirges einige aber nicht
unüberwindliche Schwierigkeiten für den Bau bereitet.


Grenzboten IV 1908 30
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/225>, abgerufen am 22.07.2024.