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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Amurbohn

schuldig ist, alles zu tun, um seinen ihm durch den Portsmouther Friedens¬
vertrag vorläufig garantierten Besitz zu erhalten. Und dazu gehört nach der
Vernichtung von Rußlands Seemacht allerdings die Herstellung eines möglichst
gut gesicherten eignen Schienenwegs bis nach Wladiwostok, der Amnrbahn.
Ihre Erbauung wird jedenfalls ein neues Ereignis der Kolonialgeschichte von
Nordasien, deren letzten Verlauf man sich vergegenwärtigen muß, wenn man
unbefangen über die Bedeutung der künftigen Amurbahn urteilen will.

Nachdem in deu ersten dreißig Jahren nach Abschluß des Vertrags von
Aiguu vom 28. Mai 1858 die für die wirtschaftliche Angliederung, Besiedlung
und Landesverteidigung des damals gewonnenen linken Amurufers ergriffnen
Maßregeln nur geringe Erfolge gezeitigt hatten, schien das von Alexander
dem Dritten eingeleitete große Kulturwerk einer Eisenbahn durch ganz Sibirien
auch die Erschließung des Amurlandes einleiten zu sollen. Aber schon damals
hatte der Vorschlag einer abgekürzten, durch die Nordmandschurei zu führenden
Schieneuverbindung mit Wladiwostok einflußreiche Freunde gefunden, die eine
Verbilligung des Bahnbaus um einige Millionen und eine Abkürzung des
Transitverkehrswegs um 514 Werst gegen die Förderung der Landesinteressen
mit Glück ausspielen konnten und dein Abkommen von 1896 mit China zu¬
steuerten. Bekanntlich bestand dieses Abkommen im wesentlichen in der Er¬
teilung einer sehr günstigen Eisenbahnkonzession an die Russisch-Chinesische
Bank, die die Chinesische Ostbahngesellschaft zu gründen hatte, und die bei über¬
wiegender Beteiligung russischen Kapitals und unter der Kontrolle der russischen
Finanzverwaltung als rein russisches Unternehmen angesehen werden konnte.
Wie das Bahnnuternehmen während der Wirren des Jahres 1900 nach der
Halbinsel Kwantung ausgedehnt wurde und schließlich zu einem sehr teuern
Werkzeug großrussischer Kolonialpolitik werden sollte, das Zehntausende russischer
Soldaten und Hunderte von russischen Millionen zu dem "großen Scheiter¬
haufen" in der Südmandschurei führte, ist bekannt genug. Für den Ausbau
der militärischen Stellung Rußlands in der schon völlig russisch gewordnen
Provinz Amurland hat aber diese verunglückte Kolonialpolitik ebenso traurige
Folgen gezeitigt wie für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Gebiets. Solche
Folgen Hütten im Hinblick auf die erweiterten Aufgaben Rußlands am Großen
Ozean nur in den Kauf genommen werden können und sich später verwinden
lassen, wenn es gelungen wäre, den russischen Besitz da draußen mit der in
geographischem Sinne zu ihm gehörenden und durch den Zustrom russischen
Goldes befruchteten Nordmandschnrei politisch, militärisch und wirtschaftlich zu
verbinden. Die Gelegenheit hierzu ist nnn wohl endgiltig verpaßt, nachdem
das Land der aufgehenden Sonne auf dem Kontinent festen Fuß gefaßt, sich
in der Mandschurei vorherrschenden Einfluß gesichert und seine friedlichen Vor¬
suppen in Gestalt von Händlern, Agenten, Friseuren und Arbeitern weit vor¬
geschoben hat. Indem ferner die chinesische Regierung, den durch den Krieg
geschaffnen Umschwung der Lage klug benutzend, die bisher für die Chinesen


Die Amurbohn

schuldig ist, alles zu tun, um seinen ihm durch den Portsmouther Friedens¬
vertrag vorläufig garantierten Besitz zu erhalten. Und dazu gehört nach der
Vernichtung von Rußlands Seemacht allerdings die Herstellung eines möglichst
gut gesicherten eignen Schienenwegs bis nach Wladiwostok, der Amnrbahn.
Ihre Erbauung wird jedenfalls ein neues Ereignis der Kolonialgeschichte von
Nordasien, deren letzten Verlauf man sich vergegenwärtigen muß, wenn man
unbefangen über die Bedeutung der künftigen Amurbahn urteilen will.

Nachdem in deu ersten dreißig Jahren nach Abschluß des Vertrags von
Aiguu vom 28. Mai 1858 die für die wirtschaftliche Angliederung, Besiedlung
und Landesverteidigung des damals gewonnenen linken Amurufers ergriffnen
Maßregeln nur geringe Erfolge gezeitigt hatten, schien das von Alexander
dem Dritten eingeleitete große Kulturwerk einer Eisenbahn durch ganz Sibirien
auch die Erschließung des Amurlandes einleiten zu sollen. Aber schon damals
hatte der Vorschlag einer abgekürzten, durch die Nordmandschurei zu führenden
Schieneuverbindung mit Wladiwostok einflußreiche Freunde gefunden, die eine
Verbilligung des Bahnbaus um einige Millionen und eine Abkürzung des
Transitverkehrswegs um 514 Werst gegen die Förderung der Landesinteressen
mit Glück ausspielen konnten und dein Abkommen von 1896 mit China zu¬
steuerten. Bekanntlich bestand dieses Abkommen im wesentlichen in der Er¬
teilung einer sehr günstigen Eisenbahnkonzession an die Russisch-Chinesische
Bank, die die Chinesische Ostbahngesellschaft zu gründen hatte, und die bei über¬
wiegender Beteiligung russischen Kapitals und unter der Kontrolle der russischen
Finanzverwaltung als rein russisches Unternehmen angesehen werden konnte.
Wie das Bahnnuternehmen während der Wirren des Jahres 1900 nach der
Halbinsel Kwantung ausgedehnt wurde und schließlich zu einem sehr teuern
Werkzeug großrussischer Kolonialpolitik werden sollte, das Zehntausende russischer
Soldaten und Hunderte von russischen Millionen zu dem „großen Scheiter¬
haufen" in der Südmandschurei führte, ist bekannt genug. Für den Ausbau
der militärischen Stellung Rußlands in der schon völlig russisch gewordnen
Provinz Amurland hat aber diese verunglückte Kolonialpolitik ebenso traurige
Folgen gezeitigt wie für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Gebiets. Solche
Folgen Hütten im Hinblick auf die erweiterten Aufgaben Rußlands am Großen
Ozean nur in den Kauf genommen werden können und sich später verwinden
lassen, wenn es gelungen wäre, den russischen Besitz da draußen mit der in
geographischem Sinne zu ihm gehörenden und durch den Zustrom russischen
Goldes befruchteten Nordmandschnrei politisch, militärisch und wirtschaftlich zu
verbinden. Die Gelegenheit hierzu ist nnn wohl endgiltig verpaßt, nachdem
das Land der aufgehenden Sonne auf dem Kontinent festen Fuß gefaßt, sich
in der Mandschurei vorherrschenden Einfluß gesichert und seine friedlichen Vor¬
suppen in Gestalt von Händlern, Agenten, Friseuren und Arbeitern weit vor¬
geschoben hat. Indem ferner die chinesische Regierung, den durch den Krieg
geschaffnen Umschwung der Lage klug benutzend, die bisher für die Chinesen


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[0223] Die Amurbohn schuldig ist, alles zu tun, um seinen ihm durch den Portsmouther Friedens¬ vertrag vorläufig garantierten Besitz zu erhalten. Und dazu gehört nach der Vernichtung von Rußlands Seemacht allerdings die Herstellung eines möglichst gut gesicherten eignen Schienenwegs bis nach Wladiwostok, der Amnrbahn. Ihre Erbauung wird jedenfalls ein neues Ereignis der Kolonialgeschichte von Nordasien, deren letzten Verlauf man sich vergegenwärtigen muß, wenn man unbefangen über die Bedeutung der künftigen Amurbahn urteilen will. Nachdem in deu ersten dreißig Jahren nach Abschluß des Vertrags von Aiguu vom 28. Mai 1858 die für die wirtschaftliche Angliederung, Besiedlung und Landesverteidigung des damals gewonnenen linken Amurufers ergriffnen Maßregeln nur geringe Erfolge gezeitigt hatten, schien das von Alexander dem Dritten eingeleitete große Kulturwerk einer Eisenbahn durch ganz Sibirien auch die Erschließung des Amurlandes einleiten zu sollen. Aber schon damals hatte der Vorschlag einer abgekürzten, durch die Nordmandschurei zu führenden Schieneuverbindung mit Wladiwostok einflußreiche Freunde gefunden, die eine Verbilligung des Bahnbaus um einige Millionen und eine Abkürzung des Transitverkehrswegs um 514 Werst gegen die Förderung der Landesinteressen mit Glück ausspielen konnten und dein Abkommen von 1896 mit China zu¬ steuerten. Bekanntlich bestand dieses Abkommen im wesentlichen in der Er¬ teilung einer sehr günstigen Eisenbahnkonzession an die Russisch-Chinesische Bank, die die Chinesische Ostbahngesellschaft zu gründen hatte, und die bei über¬ wiegender Beteiligung russischen Kapitals und unter der Kontrolle der russischen Finanzverwaltung als rein russisches Unternehmen angesehen werden konnte. Wie das Bahnnuternehmen während der Wirren des Jahres 1900 nach der Halbinsel Kwantung ausgedehnt wurde und schließlich zu einem sehr teuern Werkzeug großrussischer Kolonialpolitik werden sollte, das Zehntausende russischer Soldaten und Hunderte von russischen Millionen zu dem „großen Scheiter¬ haufen" in der Südmandschurei führte, ist bekannt genug. Für den Ausbau der militärischen Stellung Rußlands in der schon völlig russisch gewordnen Provinz Amurland hat aber diese verunglückte Kolonialpolitik ebenso traurige Folgen gezeitigt wie für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Gebiets. Solche Folgen Hütten im Hinblick auf die erweiterten Aufgaben Rußlands am Großen Ozean nur in den Kauf genommen werden können und sich später verwinden lassen, wenn es gelungen wäre, den russischen Besitz da draußen mit der in geographischem Sinne zu ihm gehörenden und durch den Zustrom russischen Goldes befruchteten Nordmandschnrei politisch, militärisch und wirtschaftlich zu verbinden. Die Gelegenheit hierzu ist nnn wohl endgiltig verpaßt, nachdem das Land der aufgehenden Sonne auf dem Kontinent festen Fuß gefaßt, sich in der Mandschurei vorherrschenden Einfluß gesichert und seine friedlichen Vor¬ suppen in Gestalt von Händlern, Agenten, Friseuren und Arbeitern weit vor¬ geschoben hat. Indem ferner die chinesische Regierung, den durch den Krieg geschaffnen Umschwung der Lage klug benutzend, die bisher für die Chinesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/223>, abgerufen am 22.07.2024.